TE Vwgh Erkenntnis 1998/10/23 98/02/0015

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Veröffentlicht am 23.10.1998
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §62 Abs1;
AVG §68 Abs1;
AVG §9;
VStG §59 Abs1;
VStG §60;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Wetzel und die Hofräte Dr. Riedinger und Dr. Beck als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Böhm, über die Beschwerde des C P in B, vertreten durch Dr. Ernst Ploil, Dr. Robert Krepp, Dr. Peter Vögel und Dr. Markus Boesch, Rechtsanwälte in Wien I, Stadiongasse 4, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich, Außenstelle Wiener Neustadt, vom 1. Dezember 1997, Zl. Senat-BN-96-566, betreffend Zurückweisung einer Berufung in einer Verwaltungsstrafsache wegen Übertretungen der Straßenverkehrsordnung 1960, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Niederösterreich hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der belangten Behörde vom 1. Dezember 1997 wurde die Berufung des Beschwerdeführers gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Baden vom 6. August 1996 wegen Verwaltungsübertretungen gemäß § 99 Abs. 3 lit. a iVm § 68 Abs. 1 Straßenverkehrsordnung (StVO) und wegen § 99 Abs. 1 lit. a iVm § 5 Abs. 1 StVO gemäß § 66 Abs. 4 AVG als unzulässig zurückgewiesen.

In der Begründung des angefochtenen Bescheides führte die belangte Behörde aus, nach der Aufforderung zur Rechtfertigung sei die Mutter als Vormund des Beschwerdeführers erschienen. Bei dieser Gelegenheit sei am 6. August 1996 das angefochtene Straferkenntnis gefällt worden. Die Mutter des Beschwerdeführers habe die Erklärung abgegeben, auf die Zustellung einer schriftlichen Ausfertigung des mündlich verkündeten Straferkenntnisses sowie auf die Berufung zu verzichten. Dem minderjährigen Beschwerdeführer sei aufgrund eines näher bezeichneten Beschlusses des Bezirksgerichtes Baden seine Mutter zu seinem Vormund bestellt worden. Die Prozeßfähigkeit, d.h. die Fähigkeit durch eigene Handlungen und durch die eines gewillkürten Vertreters prozessuale Rechte und Pflichten zu begründen, richte sich gemäß § 9 AVG, sofern die Verwaltungsvorschriften keine besonderen Regelungen enthielten, nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts. Damit werde die Institution der Handlungsfähigkeit im Prozeßrecht zur Prozeßfähigkeit. Nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts werde die volle Handlungsfähigkeit regelmäßig mit der Vollendung des 19. Lebensjahres begründet. Dem Verwaltungsakt sei zu entnehmen, daß der Beschwerdeführer minderjährig und seine Mutter als dessen Vormund bestellt worden sei. Daraus folge, daß sie befugt gewesen sei, für ihn rechtswirksam zu handeln. Weil dem Beschwerdeführer im gegenständlichen Fall die Prozeßfähigkeit gefehlt habe, sei seine Mutter als gesetzliche Vertreterin berechtigt gewesen, rechtswirksame Verfahrenshandlungen wie Berufungsverzicht und auch Absehen von einer Zustellung der schriftlichen Ausfertigung des angefochtenen Straferkenntnisses zu setzen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides sieht der Beschwerdeführer zusammengefaßt darin, daß sich die belangte Behörde zu Unrecht auf die Vorschriften des bürgerlichen Rechts berufen habe, weil nach den Bestimmungen des Verwaltungsstrafverfahrensgesetzes außer Zweifel stehe, daß jugendliche Minderjährige handlungs- und prozeßfähig seien; das VStG widme dem Verfahren für Jugendliche Sonderbestimmungen (§§ 58 bis 62). Dem gesetzlichen Vertreter sei durch § 60 VStG bloß ein zusätzliches Recht eingeräumt. Der minderjährige Beschuldigte über 14 Jahre habe im Verwaltungsstrafverfahren selbst Prozeßfähigkeit, die Verfahrensrechte des gesetzlichen Vertreters bloß subsidiären Charakter.

Mit diesem Vorbringen ist der Beschwerdeführer im Recht.

Gemäß § 59 Abs. 1 VStG hat die Behörde, wenn sie es im Interesse eines jugendlichen Beschuldigten für notwendig oder zweckmäßig hält, seinen bekannten gesetzlichen Vertreter von der Einleitung des Strafverfahrens und dem Straferkenntnis zu benachrichtigen.

Nach § 60 VStG hat der gesetzliche Vertreter eines jugendlichen Beschuldigten das Recht, auch gegen den Willen des Beschuldigten zu dessen Gunsten Beweisanträge zu stellen und innerhalb der dem Beschuldigten offenstehenden Frist Rechtsmittel einzulegen, Anträge auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand oder auf Wiederaufnahme des Verfahrens zu stellen. Diese Rechte stehen dem gesetzlichen Vertreter im eigenen Namen und nicht als Vertreter des Minderjährigen zu (vgl. das hg. Erkenntnis vom 8. Februar 1996, Zl. 94/18/0185, und vom 13. November 1996, Zl. 95/21/1231). Es handelt sich hiebei um die Befugnis der subsidiären Wahrnehmung von Parteienrechten des Jugendlichen. Der minderjährige Beschuldigte über 14 Jahre ist demnach im Verwaltungsstrafverfahren selbst prozeßfähig (vgl. die bei Hauer/Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens,

5. Auflage, S 1123, zitierte hg. Rechtsprechung).

Daraus folgt, daß das angefochtene Straferkenntnis nicht durch die Zustellung (im Beschwerdefall: Verkündung) an den gesetzlichen Vertreter rechtswirksam wurde, sondern vielmehr der Zustellung an den Beschwerdeführer bedurft hätte. Hinweise darauf, daß die Mutter des Beschwerdeführers eine rechtsgeschäftliche Vertretungsbefugnis behauptet hätte, sind dem Akteninhalt nicht zu entnehmen. Da die belangte Behörde die Rechtslage verkannte, eine Zustellung an den Beschwerdeführer für entbehrlich erachtet und die Berufung des jugendlichen Beschwerdeführers aufgrund eines Rechtsmittelverzichtes seines gesetzlichen Vertreters als unzulässig zurückgewiesen hat, erweist sich der angefochtene Bescheid als mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet und war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Pauschalierungsverordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 23. Oktober 1998

Schlagworte

Handlungsfähigkeit Prozeßfähigkeit natürliche Person Minderjährige

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1998:1998020015.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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