TE Vfgh Erkenntnis 2019/9/23 E2557/2019

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Veröffentlicht am 23.09.2019
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
AsylG 2005 §3, §8, §10, §57
FremdenpolizeiG 2005 §46, §52, §55

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Abweisung eines Antrags auf internationalen Schutz eines afghanischen Staatsangehörigen; mangelhafte Auseinandersetzung mit der (Un-)Glaubwürdigkeit des Fluchtvorbringens

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I.       Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1.       Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Afghanistan, stellte am 19. April 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz. Mit Bescheid vom 25. Oktober 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesen Antrag bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß §3 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl (Asylgesetz 2005 – AsylG 2005) sowie bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß §8 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 AsylG 2005 ab. Weiters wurde ihm gemäß §57 leg.cit. kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt, gegen ihn gemäß §10 Abs1 Z3 leg.cit. iVm §9 Bundesgesetz, mit dem die allgemeinen Bestimmungen über das Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Gewährung von internationalem Schutz, Erteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, Abschiebung, Duldung und zur Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen sowie zur Ausstellung von österreichischen Dokumenten für Fremde geregelt werden (BFA-Verfahrensgesetz – BFA-VG) eine Rückkehrentscheidung nach §52 Abs2 Z2 Bundesgesetz über die Ausübung der Fremdenpolizei, die Ausstellung von Dokumenten für Fremde und die Erteilung von Einreisetitel (Fremdenpolizeigesetz 2005 – FPG) erlassen und gemäß §52 Abs9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Einschreiters nach Afghanistan gemäß §46 leg.cit. zulässig sei. Gleichzeitig wurde eine 14-tägige Frist für die freiwillige Ausreise gemäß §55 Abs1 bis 3 FPG ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung gesetzt.

2.       Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht – ohne eine mündliche Verhandlung durchzuführen – die dagegen erhobene Beschwerde gemäß §§3, 8, 10 und 57 AsylG 2005, §§52 und 55 FPG sowie §9 BFA-VG als unbegründet ab. Darin werden – nach dem Zitat des Spruches des erstinstanzlichen Bescheides – auch die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die Sachverhaltsfeststellungen und die Beweiswürdigung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl auf rund 30 Seiten wörtlich (gekürzt und teilweise anonymisiert) wiedergegeben. Nachdem das Bundesverwaltungsgericht einige Feststellungen selbst trifft, finden sich unter der Überschrift "2. Beweiswürdigung" folgende Ausführungen, die auch im Rahmen der rechtlichen Beurteilung keine Vertiefung erfahren:

"Das Bundesverwaltungsgericht folgt bei den maßgeblichen Feststellungen der schlüssigen Beweiswürdigung des angefochtenen Bescheides. Demnach stellen sich insbesondere die Schilderungen der beschwerdeführenden Partei zu einer behaupteten Verfolgungsgefahr als widersprüchlich und unglaubwürdig dar, wie im angefochtenen Bescheid ausführlich erörtert wurde.

Insgesamt gesehen konnte somit von der beschwerdeführenden Partei eine mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohende Verfolgung im Herkunftsstaat nicht glaubhaft gemacht werden."

3.       Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten sowie in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes (bzw Unterstellung eines verfassungswidrigen Inhaltes) behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, beantragt wird.

4.       Das Bundesverwaltungsgericht hat die Verwaltungs- und Gerichtsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift jedoch Abstand genommen und auf die Begründung in der angefochtenen Entscheidung verwiesen.

II.      Erwägungen

1.       Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.

2.       Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsbestimmung enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

3.       Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

4.       Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

5.       Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:

Das Bundesverwaltungsgericht gibt zwar im angefochtenen Erkenntnis ua die Beweiswürdigung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wieder, führt eine solche jedoch nicht selbst durch, obwohl gerade die Beweiswürdigung in Bezug auf strittige Sachverhaltselemente zu den zentralen Aufgaben der Verwaltungsgerichte selbst gehört, können sie doch auf Grund ihrer Unabhängigkeit und Unparteilichkeit in besonderer Weise zur Wahrheitsfindung beitragen. Indem das Bundesverwaltungsgericht die Angabe jener Gründe unterlässt, die es beim Vorliegen widerstreitender Beweisergebnisse in Ausübung der freien Beweiswürdigung dazu bewogen haben, gerade jenen Sachverhalt festzustellen, verkennt es die Anforderungen an die Begründung eines Erkenntnisses und belastet die angefochtene Entscheidung mit Willkür (vgl VfGH 26.11.2018, E3812/2017, mwN).

III.    Ergebnis

1.       Der Beschwerdeführer ist somit durch die angefochtene Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

2.       Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

3.       Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

4.       Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– enthalten.

5.       Damit erübrigt sich ein Abspruch über den Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

Schlagworte

Asylrecht, Entscheidungsbegründung, Ermittlungsverfahren, Rückkehrentscheidung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2019:E2557.2019

Zuletzt aktualisiert am

10.10.2019
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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