TE Bvwg Erkenntnis 2019/4/10 L516 2120288-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 10.04.2019
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Entscheidungsdatum

10.04.2019

Norm

AsylG 2005 §2 Abs1 Z15
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §75 Abs24
B-VG Art. 133 Abs4
StGB §107 Abs1
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

L516 2120288-1/28E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Paul NIEDERSCHICK als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Iran, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, vom 29.12.2015, 1067858208-150480943, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 27.03.2019 zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang

1. Der Beschwerdeführer, ein iranischer Staatsangehöriger, stellte am 10.05.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Die Erstbefragung nach dem AsylG fand am selben Tag statt, eine Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) am 21.08.2015.

2. Das BFA wies mit gegenständlich angefochtenem Bescheid den Antrag gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 (AsylG) bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I) und gemäß § 8 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II) ab. Das BFA erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß "§§ 57 und 55" AsylG, erließ gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 2 Z 2 FPG und stellte gemäß § 52 Abs 9 FPG fest, dass die Abschiebung in den Iran gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III). Das BFA sprach schließlich aus, dass die Frist für die freiwillige Rückkehr ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung 14 Tage betrage (Spruchpunkt IV.)

3. Mit Verfahrensanordnung des BFA wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs 1 BFA-VG für das Beschwerdeverfahren amtswegig eine juristische Person als Rechtsberater zur Seite gestellt.

4. Der Beschwerdeführer hat gegen den am 22.09.2017 zugestellten Bescheid des BFA am 21.01.2016 Beschwerde erhoben und diesen zur Gänze angefochten.

5. Mit Schriftsätzen vom 14.09.2016 und 27.09.2018 legte der Beschwerdeführer weitere Unterlagen vor.

6. Das Bundesverwaltungsgericht führte in der Sache des Beschwerdeführers am 23.10.2018 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an welcher der Beschwerdeführer im Beisein seiner rechtsfreundlichen Vertretung teilnahm; die belangte Behörde erschien nicht.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt:

1.1. Der Beschwerdeführer führt in Österreich den im Spruch angeführten Namen und sowie das ebenso dort angeführte Geburtsdatum. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger des Iran und gehört der Volksgruppe der Aseris an. Der Beschwerdeführer ist ledig und kinderlos. Seine Identität steht fest.

1.2. Der Beschwerdeführer wurde unter schwierigen familiären Verhältnissen ohne Eltern sozialisiert. Seine Eltern ließen sich scheiden, als der Beschwerdeführer noch sehr jung war. Anschließend gründeten seine Eltern jeweils neue Familien. Er wurde weder in der neuen Familie des Vaters noch jener der Mutter aufgenommen, sondern musste abwechselnd bei Großeltern, Tanten und verschiedenen Nachbarn aufwachsen. Er besuchte im Iran lediglich die Grundschule sowie zwei Jahre die Mittelschule. Er geriet seit dem Alter von rund 17 Jahren immer wieder in Konflikte mit Angehörigen der Basij und anderen Sicherheitsbehörden, die ihm regelmäßig Verstöße gegen moralische Normen sowie antirevolutionäres Verhalten vorwarfen. Gegen körperliche Übergriffe durch die Basij versuchte er sich zu schützen und er hat diesen auch widersprochen, was noch härtere Sanktionen durch die Basij zur Folge hatte. Er wurde den Sicherheitskräften mit der Zeit immer mehr bekannt und deshalb auch immer wieder willkürlich angehalten und kontrolliert. Er wurde in einem Zeitraum von mehreren Jahren mehrmals von den Basij festgenommen, inhaftiert, misshandelt und gefoltert. Er wurde unter anderem wegen des Konsums von Alkohol mit Freunden in einem Park ausgepeitscht, ihm wurden eine Reihe von Zähnen gerissen, seine Hoden wurden unter Strom gesetzt und ihm wurden weitere Verletzungen zugefügt. Der Beschwerdeführer lehnte deshalb das vorherrschende iranische politische System, die dortigen streng religiösen Einstellungen sowie das aktuell regierenden iranische Regime strikt ab, was zu neuen Konfrontationen mit den Basij führte. Der Beschwerdeführer verließ den Iran schließlich 2013 illegal, da er diese Lebensumstände nicht mehr aushielt. Aufgrund seiner Erlebnisse hat er sich inzwischen vom Islam abgewendet, ohne jedoch eine neue Religion anzunehmen. Im Falle seiner Rückkehr in den Iran drohen ihm, da er bereits vor seiner Ausreise in das Blickfeld der iranischen Sicherheitsbehörden geraten ist, mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit erneut Festnahmen, Inhaftierungen, Misshandlungen und Folterungen und der Vorwurf, gegen die religiösen, moralischen und politischen Vorgaben zu verstoßen. Der Beschwerdeführer kann sich einer solchen Bedrohung nicht durch Ausweichen in einen anderen Teil seines Herkunftsstaates entziehen.

1.3. Der Beschwerdeführer wurde mit seit XXXX rechtskräftigem Urteil eines österreichischen Landesgerichtes wegen einer am XXXX begangenen strafbaren Handlung gem § 107 (1) zu einer bedingten Freiheitsstrafe von zwei Monaten bei einer Probezeit von drei Jahren verurteilt.

1.4. Zur Lage im Iran:

1.4.1. Sicherheitsbehörden Die Basij-Kräfte, eine freiwillige paramilitärische Gruppierung mit lokalen Niederlassungen in Städten und Dörfern, sind zum Teil als Hilfseinheiten zum Gesetzesvollzug innerhalb der Revolutionsgarden tätig. Basij Einheiten sind oft bei der Unterdrückung von politischen Oppositionellen oder bei der Einschüchterung von Zivilisten, die den strikten Moralkodex nicht befolgen, involviert (US DOS 20.4.2018).

Eine Sonderrolle nehmen die Revolutionsgarden (Sepah-e Pasdaran-e Enghelab-e Islami - IRGC) ein, deren Auftrag formell der Schutz der Islamischen Revolution ist. Als Parallelarmee zu den regulären Streitkräften durch den Staatsgründer Khomeini aufgebaut, haben sie neben ihrer herausragenden Bedeutung im Sicherheitsapparat im Laufe der Zeit Wirtschaft, Politik und Verwaltung durchsetzt und sich zu einem Staat im Staate entwickelt. Militärisch kommt ihnen eine höhere Bedeutung als dem regulären Militär zu. Sie verfügen über eigene Gefängnisse und eigene Geheimdienste sowie engste Verbindungen zum Revolutionsführer.

Der Oberste Rechtsgelehrte hat höchste Autorität unter allen Sicherheitsorganisationen. Straffreiheit bleibt weiterhin ein Problem innerhalb des Sicherheitsapparates. Menschenrechtsgruppen beschuldigen reguläre und paramilitärische Sicherheitskräfte (wie zum Beispiel die Basij), zahlreiche Menschenrechtsverletzungen begangen zu haben. Es gibt keinen transparenten Mechanismus, um Missbräuche der Sicherheitskräfte zu untersuchen oder zu bestrafen. Es gibt nur wenige Berichte, dass die Regierung Täter diszipliniert. Eine nennenswerte Ausnahme stellt der Fall des früheren Teheraner Staatsanwaltes dar, der im November 2017 für seine mutmaßliche Verantwortung für Folter und Todesfälle unter Demonstranten im Jahr 2009 zu zwei Jahren Haft verurteilt wurde (US DOS 20.4.2018).

Die Regierung hat volle Kontrolle über die Sicherheitskräfte und über den größten Teil des Landes, mit Ausnahme einiger Grenzgebiete. Irans Polizei ist traditionellerweise verantwortlich für die innere Sicherheit und im Falle von Protesten oder Aufständen. Sie wird von den Revolutionsgarden (IRGC) und den Basij Milizen unterstützt. Im Zuge der steigenden inneren Herausforderungen verlagerte das herrschende System die Verantwortung für die innere Sicherheit immer mehr zu den IRGC. Die Polizeikräfte arbeiten ineffizient. Getrieben von religiösen Ansichten und Korruption, geht die Polizei gemeinsam mit den Kräften der Basij und der Revolutionsgarden rasch gegen soziale und politische Proteste vor, sind aber weniger eifrig, wenn es darum geht, die Bürger vor kriminellen Aktivitäten zu schützen (BTI 2018).

Mit willkürlichen Verhaftungen kann und muss jederzeit gerechnet werden, da vor allem die Basijis nicht nach iranisch-rechtsstaatlichen Standards handeln. Auch Verhaltensweisen, die an sich (noch) legal sind, können das Misstrauen der Basijis hervorrufen. Basijis sind ausschließlich gegenüber dem Obersten Führer loyal und haben oft keinerlei reguläre polizeiliche Ausbildung, die sie mit rechtlichen Grundprinzipien polizeilichen Handelns vertraut gemacht hätten. Basijis haben Stützpunkte u.a. in Schulen, wodurch die permanente Kontrolle der iranischen Jugend gewährleistet ist. Schätzungen über die Zahl der Basijis gehen weit auseinander. Viele Schätzungen nehmen an, dass heute mehrere Millionen Basijis in Iran tätig sind. Bereits auffälliges Hören von (insb. westlicher) Musik, die Äußerung der eigenen Meinung zum Islam oder gemeinsame Autofahrten junger nicht miteinander verheirateter Männer und Frauen kann den Unwillen zufällig anwesender Basijis bzw. mit diesen sympathisierenden Personen hervorrufen. Willkürliche Verhaftungen oder Verprügeln durch Basijis können in diesem Zusammenhang nicht ausgeschlossen werden. Zu Verhaftungen kommt es immer wieder auch, wenn (junge) Menschen gemischtgeschlechtliche Partys feiern oder sie sich nicht an die Bekleidungsvorschriften halten. Manchmal kann bei Frauen schon ein zu kurzer/enger Mantel oder das Hervortreten von Haarsträhnen unter dem Kopftuch, bei Männern zu eng anliegende Jeans, das Tragen von Goldschmuck oder ein außergewöhnlicher Haarschnitt für eine Verhaftung reichen (ÖB Teheran 9.2017).

Die Revolutionsgarden sind eng mit der iranischen Wirtschaft verbunden (FH 1.2018). Die Elitetruppe der Islamischen Republik betreibt den Imam Khomeini International Airport in der iranischen Hauptstadt und verfügt damit allein durch Start- und Landegebühren über ein äußerst lukratives Geschäft. Auch an den anderen Flug- und Seehäfen im Land kontrollieren die Truppen der 'Sepah Pasdaran' Irans Grenzen. Sie entscheiden, welche Waren ins Land gelassen werden und welche nicht. Sie zahlen weder Zoll noch Steuern. Sie verfügen über Land-, See- und Luftstreitkräfte, kontrollieren Irans strategisches Waffenarsenal und werden auf eine Truppenstärke von mehr als 120.000 geschätzt. Außerdem sind die Revolutionswächter ein gigantisches Wirtschaftsunternehmen, das Augenkliniken betreibt, Kraftfahrzeuge, Autobahnen, Eisenbahnstrecken und sogar U-Bahnen baut. Sie sind eng mit der Öl- und Gaswirtschaft des Landes verflochten, bauen Staudämme und sind im Bergbau aktiv (DW 18.2.2016). Heute gehören Khamenei und den Revolutionsgarden rund 80% der iranischen Wirtschaft. Sie besitzen außer den größten Baufirmen auch Fluggesellschaften, Minen, Versicherungen, Banken, Elektrizitätswerke, Telekommunikationsfirmen, Fußballklubs und Hotels. Für die gesammelten Auslandsaktivitäten gibt das Regime Milliarden aus (Menawatch 10.1.2018).

Längst ist aus den Revolutionsgarden ein bedeutender Machtfaktor geworden - gesellschaftlich, wirtschaftlich, militärisch und politisch. Sehr zum Leidwesen von Hassan Rohani. Der wiedergewählte Präsident versucht zwar, die Garden und ihre Chefebene in die Schranken zu weisen. Es gelingt ihm nur kaum. Die paramilitärischen Einheiten schalten und walten nach wie vor je nach Belieben. Nicht nur in Iran, sondern in der Region. Es gibt nur wenige Konflikte, an denen sie nicht beteiligt sind. Libanon, Irak, Syrien, Jemen - überall mischen die Revolutionsgarden mit und versuchen, die islamische Revolution zu exportieren. Ihre Al-Quds-Brigaden sind als Kommandoeinheit speziell für Einsätze im Ausland trainiert (Tagesspiegel 8.6.2017, vgl. BTI 2018).

Berichten zufolge, versucht die Regierung die wirtschaftliche Dominanz der Revolutionsgarden (IRGC), die zu Korruption führte, einzudämmen. Es sollen zumindest ein Dutzend Mitglieder der IRGC und den IRGC nahestehende Geschäftsleute inhaftiert worden sein, und andere sollen gezwungen worden sein, Einkünfte aus verdächtigen Geschäftsvereinbarungen zurückzuzahlen (FH 1.2018).

1.4.2. Justizwesen Die iranische Strafrechtspraxis unterscheidet sich massiv von jener der europäischen Staaten: Körperstrafen sowie die Todesstrafe sind nach wie vor auf der Tagesordnung. Derzeit ist bei Ehebruch noch die Strafe der Steinigung vorgesehen (auf welche vom "Geschädigten" gegen eine Abstandsgeldzahlung verzichtet werden kann). Zwar wurde im Jahr 2002 ein Moratorium für die Verhängung der Steinigungsstrafe erlassen, jedoch wurde dies im Jahr 2009 vom damaligen Justizsprecher für nicht bindend erklärt. Es befinden sich noch mehrere Personen beiderlei Geschlechts auf der "Steinigungsliste". Seit 2009 sind jedoch keine Fälle von Steinigungen belegbar. Weiterhin finden im Iran Hinrichtungen von Straftätern statt, die zum Zeitpunkt ihrer Tat unter 18 Jahre alt waren; 2013 waren es Berichten zufolge mindestens zwei. Das Alter der strafrechtlichen Verantwortlichkeit für Jungen bei 15 und für Mädchen bei 9 Jahren. Derzeit sind mehr als 160 jugendliche Straftäter zum Tode verurteilt. Bei Delikten, die im krassen Widerspruch zu islamischen Grundsätzen stehen, können jederzeit Körperstrafen ausgesprochen und auch exekutiert werden. Bereits der Besitz geringer Mengen von Alkohol kann zur Verurteilung zu Peitschenhieben führen (eine zweistellige Zahl an Peitschenhieben ist dabei durchaus realistisch). Es kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass Personen zu Peitschenhieben verurteilt werden, die selbst Alkohol weder besessen noch konsumiert haben, u.U. ist bereits die bloße Anwesenheit bei einer Veranstaltung bei der Alkohol konsumiert wird für die Betroffenen gefährlich. Die häufigsten Fälle, für welche die Strafe der Auspeitschung durchgeführt wird, sind illegitime Beziehungen, außerehelicher Geschlechtsverkehr, Teilnahme an gemischtgeschlechtlichen Veranstaltungen, Drogendelikte und Vergehen gegen die öffentliche Sicherheit. Darüber hinaus gibt es Berichte, wonach politische Gefangene mit Elektroschocks gefoltert werden. Weitere berichtete Foltermethoden sind Verprügeln, Schlagen auf Fußsohlen und andere Körperteile, manchmal während die Häftlinge mit dem Kopf nach unten an der Decke aufgehängt waren, Verbrennungen mit Zigaretten und heißen Metallgegenständen, Scheinhinrichtungen (davon wissen praktisch alle politischen Gefangene aus eigener Erfahrung zu berichten), Vergewaltigungen - teilweise durch Mitgefangene, die Androhung von Vergewaltigung, Einzelhaft, Entzug von Licht, Nahrung und Wasser, und die Verweigerung medizinischer Behandlung.

Die Zuständigkeit der Revolutionsgerichte beschränkt sich auf folgende Delikte: Straftaten betreffend die innere und äußere Sicherheit des Landes, bewaffneter Kampf gegen das Regime, Verbrechen unter Benutzung von Waffen, insbesondere "Feindschaft zu Gott" und "Korruption auf Erden"; Anschläge auf politische Personen oder Einrichtungen; Beleidigung des Gründers der Islamischen Republik Iran und des jeweiligen Revolutionsführers; Spionage für fremde Mächte; Rauschgiftdelikte, Alkoholdelikte und Schmuggel; Bestechung, Korruption, Unterschlagung öffentlicher Mittel und Verschwendung von Volksvermögen. Grundsätzlich finden Verfahren mit politischem Bezug vor dem Revolutionsgericht statt, da die Anklage regelmäßig auf "Handlungen gegen die Sicherheit des Landes" o.ä. lautet. Die Revolutionsgerichte sind mit besonders linientreuen Richtern besetzt.

2. Beweiswürdigung:

Die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen

2.1. Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit und Identität des Beschwerdeführers (oben II.1.1.) ergeben sich im Einklang mit seinen Angaben im Verfahren, welche insofern stringent waren und an denen auf Grund der Sprachkenntnisse auch nicht zu zweifeln war. Bereits das BFA erachtete die Identität des Beschwerdeführers als erwiesen (Bescheid, S 10).

2.2. Die Feststellungen zu den Lebensumständen des Beschwerdeführers im Iran, zu den erlittenen Verfolgungshandlungen vor seiner Ausreise, zu den Umständen seiner Ausreise und zur Rückkehrerwartung (oben II.1.2.) beruhen auf den folgenden Erwägungen:

Der Beschwerdeführer erstattete bereits vor dem BFA nicht bloß eine kurze Rahmenerzählung, sondern vielmehr von sich aus ohne Unterbrechung ein umfangreiches Vorbringen zu einzelnen von ihm erlebten Geschehnissen (AS 87-89). In der mündlichen Verhandlung war er in der Lage, sein Kernvorbringen jedenfalls im hier dargestellten Umfang widerspruchsfrei und kohärent erneut wiederzugeben, ohne sein Vorbringen vor dem BFA wörtlich zu wiederholen. Er konnte zudem seine Ausführungen spontan und offen durch die Schilderung von Nebenumständen und Anführen von einzelnen Beispielen und eigenem Fehlverhalten ergänzen, wie seinen Erlebnissen in einem Park oder die Auseinandersetzung mit XXXX , einem Angehörigen der Basij (Verhandlungsschrift (VHS, S 9, 13). Ein einstudierter Vortrag ist daher auszuschließen. Die geschilderten Misshandlungen und Folterungen lassen sich mit den mit der Beschwerde vorgelegten Fotos in Einklang bringen (AS 217 ff). Dass das Erlebte beim Beschwerdeführer auch mental Spuren hinterlassen hat, war in der Verhandlung zu beobachten. Die Ausführungen des Beschwerdeführers decken sich schließlich mit der festgestellten Ländersituation hinsichtlich des Vorgehens der Basij und der anderen Sicherheitsbehörden im Iran (oben II.1.4.). Sein Vorbringen wird daher im hier festgestellten Umfang als glaubhaft erachtet.

2.3. Die rechtskräftige Verurteilung des Beschwerdeführers zu einer bedingten Freiheitsstrafe von zwei Monaten wegen einer strafbaren Handlung gem § 107 (1) StGB war aufgrund der Verständigung des zuständigen Landesgerichts vom 28.03.2019 an das BFA festzustellen.

2.4. Die Feststellungen zur Lage im Iran (oben II.1.4.) beruhen auf den Länderinformationsblättern der Staatendokumentation des BFA zum Iran vom Juli 2018

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten gemäß § 3 AsylG 2005

3.1. Gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 AsylG 2005 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl Nr 55/1955, idF des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl Nr 78/1974 (Genfer Flüchtlingskonvention - GFK), droht.

3.2. Nach Art 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist Flüchtling, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren." (vgl VfSlg 19.086/2010; VfGH 12.6.2010, U 613/10).

3.3. Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs der GFK ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl VwGH 28.5.2009, 2008/19/1031).

3.4. Relevant kann darüber hinaus nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Erlassung der Entscheidung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen zu befürchten habe (VwGH 19.10.2000, 98/20/0233). Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 25.01.2001, 2001/20/0011; 21.12.2000, 2000/01/0131).

3.5. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Benachteiligungen auf sozialem, wirtschaftlichem oder religiösem Gebiet sind, sofern sie aus asylrelevanten Motiven erfolgen, für die Bejahung der Flüchtlingseigenschaft dann ausreichend, wenn sie eine solche Intensität erreichen, die einen weiteren Verbleib des Asylwerbers in seinem Heimatland unerträglich machen, wobei bei der Beurteilung dieser Frage ein objektiver Maßstab anzulegen ist (vgl VwGH 22.06.1994, 93/01/0443). Ein völliger Entzug der Lebensgrundlage stellt nach ständiger Rechtsprechung des VwGH eine solche Intensität dar, dass diesem Asylrelevanz zukommen kann (VwGH 24.03.1999, 98/01/0380; 13.05.1998, 97/01/0099). Daraus ergibt sich, dass ein wirtschaftlicher oder gesellschaftlicher Nachteil grundsätzlich als Verfolgung zu qualifizieren sein wird, wenn durch das Vorliegen des Nachteils die Lebensgrundlage massiv bedroht ist.

3.6. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl VwGH 23.2.2011, 2011/23/0064) ist eine Verfolgungshandlung nicht nur dann relevant, wenn sie unmittelbar von staatlichen Organen (aus Gründen der GFK) gesetzt worden ist, sondern auch dann, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, Handlungen mit Verfolgungscharakter zu unterbinden, die nicht von staatlichen Stellen ausgehen, sofern diese Handlungen - würden sie von staatlichen Organen gesetzt - asylrelevant wären.

3.7. Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe Dritter präventiv zu schützen (VwGH 24.3.2011, 2008/23/1101). Für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht - unter dem Fehlen einer solchen ist nicht "zu verstehen, dass die mangelnde Schutzfähigkeit zur Voraussetzung hat, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht" (VwGH 22.3.2000, 99/01/0256) -, kommt es darauf an, ob jemand, der von dritter Seite (aus den in der GFK genannten Gründen) verfolgt wird, trotz staatlichem Schutz einen - asylrelevante Intensität erreichenden - Nachteil aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten hat (vgl VwGH 22.3.2000, 99/01/0256 im Anschluss an Goodwin-Gill, The Refugee in International Law2 [1996] 73; weiters VwGH 24.3.2011, 2008/23/1101). Für einen Verfolgten macht es nämlich keinen Unterschied, ob er auf Grund staatlicher Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einen Nachteil zu erwarten hat oder ob ihm dieser Nachteil mit derselben Wahrscheinlichkeit auf Grund einer Verfolgung droht, die von anderen ausgeht und die vom Staat nicht ausreichend verhindert werden kann. In diesem Sinne ist die oben verwendete Formulierung zu verstehen, dass der Herkunftsstaat "nicht gewillt oder nicht in der Lage" sei, Schutz zu gewähren (VwGH 26.2.2002, 99/20/0509). In beiden Fällen ist es dem Verfolgten nicht möglich bzw. im Hinblick auf seine wohlbegründete Furcht nicht zumutbar, sich des Schutzes seines Heimatlandes zu bedienen (vgl VwGH 24.3.2011, 2008/23/1101).

3.8. Wenn Asylsuchende in bestimmten Landesteilen vor Verfolgung sicher sind und ihnen insoweit auch zumutbar ist, den Schutz ihres Herkunftsstaates in Anspruch zu nehmen, bedürfen sie nicht des Schutzes durch Asyl (vgl VwGH 24.3.1999, 98/01/0352 mwN).

3.9. Eine inländische Fluchtalternative ist nur dann gegeben, wenn sie vom Asylwerber in zumutbarer Weise in Anspruch genommen werden kann (vgl VwGH 19.10.2006, 2006/19/0297 mwN). Herrschen am Ort der ins Auge gefassten Fluchtalternative Bedingungen, die eine Verbringung des Betroffenen dorthin als Verstoß gegen Art 3 EMRK erscheinen lassen würden, so ist die Zumutbarkeit jedenfalls zu verneinen (vgl VwGH 09.11.2004, 2003/01/0534).

3.10. Zum gegenständlichen Verfahren

3.10.1. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes besteht im Zusammenhang mit der Verquickung von Staat und Religion in muslimischen Staaten das Erfordernis einer Prüfung auch dem Schutz religiöser Werte dienender Strafvorschriften unter dem Gesichtspunkt einer unterstellten politischen Gesinnung. Die völlige Unverhältnismäßigkeit staatlicher Maßnahmen, die wegen eines Verstoßes gegen bestimmte im Herkunftsstaat gesetzlich verbindlichen Moralvorstellungen drohen, kann unter diesem Blickwinkel asylrelevant sein (VwGH 12.06.2018, Ra 2018/20/0177). So erkannte der Verwaltungsgerichtshof bereits unter anderem, dass die Auspeitschung etwa wegen Ehebruchs eine unverhältnismäßige staatliche Reaktion auf die Abweichung von der von Staats wegen vorgeschriebenen Gesinnung darstellt (vgl VwGH 19.11.2010, 2008/19/0206).

3.10.2. Fallbezogen hat der Beschwerdeführer seine Heimat vorverfolgt verlassen. Dem Beschwerdeführer wurde vor seiner Ausreise von den iranischen Sicherheitskräften bereits über Jahre immer wieder Verstöße gegen moralische Normen sowie antirevolutionäres Verhalten vorgeworfen, und er wurde dafür bereits ausgepeitscht, gefoltert und weiteren Misshandlungen unterworfen. Nach den getroffenen Feststellungen ist davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr in den Iran von den iranischen Behörden erneut wegen Verletzung der Moral und der guten Sitten verfolgt werden würde, wobei Aktualität und Eingriffsintensität aufgrund der festgestellten drohenden und völlig unverhältnismäßigen Sanktionen gegeben sind. Wie der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung judiziert, muss aus derart übermäßigen und unmenschlichen Strafen im Iran der Schluss gezogen werden, dass ein Vergehen vom Staat auch als ein politisches bzw religiöses Vergehen eingeschätzt wird. Dem Vorbringen des Beschwerdeführers kommt daher Asylrelevanz zu.

3.10.3. Es ist daher objektiv nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführer aus Furcht vor ungerechtfertigten Eingriffen von erheblicher Intensität aus den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen, nämlich aus einer ihm zumindest unterstellten oppositionellen politischen Gesinnung nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes seines Herkunftsstaates zu bedienen. Da sich die iranische Staatsgewalt über das gesamte Territorium erstreckt, die von ihr ausgehenden Verfolgungsmaßnahmen landesweit unterschiedslos praktiziert werden, ist auch keine inländischen Fluchtalternative gegeben.

3.10.4. Im Verfahren haben sich schließlich keine Hinweise auf die in Artikel 1 Abschnitt C und F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Endigungs- und Ausschlussgründe ergeben.

3.10.5. Im vorliegenden Fall sind somit unter Berücksichtigung der zuvor zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten gegeben. Eine darüber hinaus gehende Beurteilung des übrigen Vorbringens des Beschwerdeführers ist angesichts des Spruchinhaltes nicht mehr erforderlich.

3.11. Gemäß § 3 Abs 5 AsylG 2005 war die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten mit der Feststellung zu verbinden, dass dem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

3.12. Da der verfahrensgegenständliche Antrag auf internationalen Schutz vor dem 15.11.2015 gestellt wurde, kommt dem Beschwerdeführer das dauernde Einreise- und Aufenthaltsrecht gemäß § 2 Abs 1 Z 15 AsylG 2005 idF vor Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl I Nr 24/2016 zu (§ 75 Abs 24 AsylG 2005).

Zu B)

Revision

3.13. Die ordentliche Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG gegen die gegenständliche Entscheidung ist nicht zulässig, da die Rechtslage durch die bisherige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes geklärt ist.

3.14. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

aktuelle Bedrohung, aktuelle Gefahr, Anhaltung, Asylgewährung,
asylrechtlich relevante Verfolgung, Asylverfahren, begründete Furcht
vor Verfolgung, Fluchtgründe, Flüchtlingseigenschaft,
Glaubhaftmachung, Glaubwürdigkeit, Haft, inländische
Schutzalternative, innerstaatliche Fluchtalternative, körperliche
Übergriffe, Misshandlung, mündliche Verhandlung, politische
Gesinnung, religiöse Gründe, Schutzfähigkeit des Staates,
staatlicher Schutz, Straffälligkeit, strafrechtliche Verurteilung,
Verfolgungsgefahr, Verfolgungshandlung, wohlbegründete Furcht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:L516.2120288.1.00

Zuletzt aktualisiert am

02.10.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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