TE Bvwg Erkenntnis 2019/5/28 W196 2115284-1

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Veröffentlicht am 28.05.2019
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Entscheidungsdatum

28.05.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs6
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §31 Abs1

Spruch

W196 2108776-1/17E

W196 2108777-1/13E

W196 2115284-1/9E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. SAHLING als Einzelrichterin über die Beschwerde von 1.) XXXX , geb. XXXX , sowie 2.) XXXX geb. XXXX und 3.) XXXX , geb. XXXX , alle StA. Georgien, alle vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl ad 1.) vom 29.05.2015, ad 2.) vom 01.06.2015, ad 3.) vom 17.09.2015, zu den Zlen.: 720064103-14703788 (1), 1021470407-14703796 (2) und 1087366100-151360636 (3), nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 25.04.2019 zu Recht,

I.) beschlossen:

A)

Die Verfahren werden wegen Zurückziehung der Beschwerden hinsichtlich der Spruchpunkte I. und II. der angefochtenen Bescheide gemäß §§ 28 Abs. 1, 31 Abs. 1 VwGVG eingestellt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

II.) zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerden werden mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass der erste Spruchteil der Spruchpunkte III. wie folgt lautet:

"Eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz gemäß § 57 AsylG wird nicht erteilt."

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der Erstbeschwerdeführer (BF1) und seine Ehefrau die Zweitbeschwerdeführerin (BF2) reisten gemeinsam nach Österreich ein und stellten am 12.06.2014 gegenständliche Anträge auf internationalen Schutz.

Anlässlich der Erstbefragung vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 13.06.2014 gab der BF1 zu seinen Gründen für die Antragstellung und zu seinen persönlichen Verhältnissen befragt an, dass er verheiratet sei. Er sei in Georgien geboren und sei er georgischer Staatsangehöriger und habe orthodoxen Glauben. Seine Muttersprache sei Georgisch und spreche er Deutsch, Russisch und etwas Englisch. In Tiflis habe er neun Jahre die Grundschule besucht. Er sei bereits von 2002 bis 2010 in Österreich aufhältig gewesen. Vor seiner nunmehrigen Ausreise habe er in Tiflis gelebt. Im Juni 2014 sei er legal nach Weißrussland ausgereist. Zu seinen Fluchtgründen gab er zusammengefasst an, dass er Parteimitglied der Nationalen Bewegung gewesen sei. Er sei Mitglied des zentralen Wahlausschusses gewesen und habe er am Tag nach der Wahl mit der gegnerischen Partei Probleme bekommen, da man ihn beschuldigt habe, die ihm bekannten Personen ohne Kontrolle in das Wahllokal gelassen zu haben. Seit dieser Zeit stehe er immer unter Druck. Einmal sei er in seinem Stiegenhaus von vier, zwei ihm bekannte und zwei ihm unbekannten Personen, verbal beschimpft worden und wären diese auch handgreiflich geworden. Dies sei ein bis zweimal im Monat vorgekommen.

Die BF2 gab anlässlich ihrer niederschriftlichen Erstbefragung am selben Tag wie der BF1 an, dass sie verheiratet sei. Sie sei in Georgien geboren und russische Staatsangehörige und habe orthodoxen Glauben. Ihre Muttersprache sei Georgisch und spreche sie Russisch sowie etwas Englisch. In Tiflis habe sie von 1990 bis 1999 die Grundschule besucht. Sie habe von 2000 bis 2003 eine weitere Ausbildung in Tifilis absolviert und von 2003 bis 2007 an der Universität in Tifilis studiert. In Georgien würden ihr Bruder und ihre Schwester leben. In Russland wohne ihr Vater. Ihre Mutter sei bereits verstorben. Seit 2008 wohne sie in Russland, Moskau. Sie sei ausgehend von Moskau nach Weißrussland gereist, wo sie ihren Mann getroffen habe. Zu ihren Fluchtgründen gab sie an, dass ihr Mann von ihrer Familie nicht akzeptiert worden sei. Ihre Schwester und ihr Bruder wären beide im Innenministerium beschäftigt und sei ihr Mann für ihre Familie ein parteilicher Gegner. Sie sei unter Druck gestanden und sei sie von ihrem Bruder geschlagen worden und ihr verboten worden diesen Mann zu heiraten. Ihre Familie habe erfahren, dass sie sich mit ihrem zukünftigen Mann getroffen habe und hätten sie ihr verboten die Wohnung in Georgien zu verlassen. Zu dieser Zeit sei auch ihr Vater in Georgien gewesen, der auch gegen sie gewesen sei. Dies sei im August 2013 gewesen. Daraufhin sei sie wieder nach Moskau gefahren und habe sie mit ihrem zukünftigen Mann über Skype Kontakt gehabt. Im Februar 2014 sei sie von Moskau nach Georgien zurückgekehrt und habe sie mit dem BF1 wieder Kontakt gehabt, obwohl ihre Familienangehörigen dagegen gewesen seien. Sie hätten heimlich geheiratet.

Am 10.04.2015 wurden BF1 und BF2 durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl niederschriftlich einvernommen.

Mit den im Spruch angeführten Bescheiden vom 29.05.2015 im Fall des Erstbeschwerdeführers und mit Bescheid vom 01.06.2015 im Fall der Zweitbeschwerdeführerin wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Anträge der Erst- bis Zweitbeschwerdeführer auf internationalen Schutz vom 12.06.2014 bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Georgien gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt II.) ab. Unter Spruchpunkt III. wurde ihnen ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 10 Absatz 1 Ziffer 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die Erst- bis Zweitbeschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Absatz 2 Z 2 FPG erlassen und wurde gemäß § 52 Absatz 9 FPG unter einem festgestellt, dass die Abschiebung der Erst- bis Zweitbeschwerdeführer nach Georgien gemäß § 46 FPG zulässig sei. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise auf 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkt III.).

Gegen diese Bescheide erhoben die Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde.

Die Drittbeschwerdeführerin (BF3), wurde am XXXX im österreichischen Bundesgebiet geboren und stellte die Zweitbeschwerdeführerin, als deren gesetzliche Vertreterin, mit Schriftsatz vom 13.07.2015, eingelangt am 15.09.2015, einen Antrag auf internationalen Schutz. Dem Antragsformular beigeschlossen war eine Geburtsurkunde sowie ein Auszug aus dem Zentralen Melderegister der Erst- bis Drittbeschwerdeführer.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag der Drittbeschwerdeführerin auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 6 AsylG wurde der Antrag der Drittbeschwerdeführerin hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 55 und 57 AsylG wurde nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die Drittbeschwerdeführerin eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen. Ferner wurde festgehalten, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt.

Mit Schriftsatz vom 28.09.2015 wurde Beschwerde gegen den oben angeführten Bescheid der BF3 erhoben.

Im Zuge des Verfahrens wurden folgende Unterlagen in Vorlage gebracht:

* Heiratsurkunde der BF1 und BF2

Betreffend den Erstbeschwerdeführer:

* ID-Card/Personalausweis;

* Führerschein, ausgestellt von Seiten des georgischen Innenministeriums;

* Unterstützungsschreiben ohne Datumsangabe;

* Führerschein, ausgestellt am 26.03.2015 XXXX ;

* Auszug aus dem Gewerberegister vom 25.09.2014;

* Bescheid des AMS vom 28.10.2014, GZ. 08114, in dem der Antrag des BF1 vom 17.09.2014 gem. § 20 Abs. 3 AuslBG abgelehnt wurde;

* Zahlungsanweisungen vom 17.12.2014;

* Verständigung über das Ruhen eines selbständigen Gewerbes vom 23.03.2015;

* Transportvereinbarung vom 23.02.2018;

* Auszug der Gebietskrankenkasse Salzburg

Betreffend die Zweitbeschwerdeführerin

* Kopie eines russischen Reisepasses;

* Teilnahmebestätigung "Deutsch für AsylwerberInnen AnfängerInnen", ausgestellt am 09.06.2015;

* Bestätigung betreffend die Spracheinstufung, ausgestellt am 21.06.2018;

* Buchungsbestätigung betreffend die Buchung des Kurses "Deutsch für Asylwerbende A1/2, ausgestellt am 11.04.2019;

Betreffend die Drittbeschwerdeführerin:

* Besuchsbestätigung, ausgestellt von einem im Akt näher genannten Kindergarten am 12.04.2019

Am 25.04.2019 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung unter Zuhilfenahme einer geeigneten Dolmetscherin für die Sprache Georgisch statt, an der die Beschwerdeführer, deren Rechtsvertreter sowie der Vertreter der belangten Behörde teilnahmen. Dabei zogen die Beschwerdeführer deren Beschwerden hinsichtlich der Spruchpunkte I. und II. zurück. Dabei brachte der rechtsfreundliche Vertreter der Beschwerdeführer vor, dass ihm die Beschwerdeführer im Rahmen der Vorbesprechung mitgeteilt hätten, dass sie beschlossen hätten, die Beschwerde hinsichtlich der Spruchpunkt I. und II. zurückzuziehen, mit der Begründung, dass sie sich mit der Familie der BF2 seit der Geburt der Tochter versöhnt hätten. Hinsichtlich der politischen Probleme des BF1, habe er angegeben, dass aufgrund der inzwischen verstrichenen Zeit schwer nachzuweisen sei, dass aktuell noch eine Verfolgung bestehe. Folglich wurden die Beschwerdeführer zu ihrer Integration befragt, wobei insbesondere auf eine Eingabe im April 2019 verwiesen wurde. Des Weiteren gab die BF2 an, dass ihre Tochter, die BF3, seit September in den Kindergarte gehe, seitdem besuche sie einen Deutschkurs. Des Weiteren gab die BF2 zusammengefasst an, dass sie ein bisschen Deutsch spreche. In Österreich habe sie weder Freunde noch sei sie Mitglied in einem Verein. Des Weiteren gab sie an, dass sie seit 2007 russische Staatsbürgerin sei. BF1 brachte im Wesentlichen vor, täglich seiner Arbeit in XXXX nachzugehen. Seine Mutter sei krank und würde er diese finanziell unterstützen.

In der Folge wurde die BF2 mit Verfahrensanordnung des Bundesverwaltungsgerichtes vom 26.04.2019 aufgefordert binnen zwei Wochen ab Zustellung des Schreibens identitätsbezeugende Dokumente, den Staatsbürgerschaftsnachweis sowie den Staatsbürgerschaftsnachweis ihrer Tochter, der BF3, inklusiver beglaubigter Übersetzung dem Bundesverwaltungsgericht zu übermitteln.

In einem Telefonat zwischen dem erkennenden Gericht und der rechtsfreundlichen Vertretung der BF2 erging nochmals die Aufforderung: eine Fotokopie des russischen Inlandpasses hg. zu übermitteln, bekanntzugeben, welche Staatsbürgerschaft für die BF3 angestrebt werde und abzuklären, ob durch den Erwerbs des russischen Inlandsreisepasses, die georgische Staatsbürgerschaft verloren gehe. Diesbezüglich wurde eine Frist bis zum 10.05.2019 vereinbart.

Am 03.05.2019 langte ein Schreiben der BF2 durch ihre rechtsfreundliche Vertretung beim Bundesverwaltungsgericht ein. Dabei wurde eine Kopie des Inlandspasses der BF2 sowie eine Kopie des russischen Reisepasses, der abgelaufen ist, an das Bundesverwaltungsgericht übermittelt. Ferner wurde auf ein Telefonat mit dem georgischen Konsulat in Wien hingewiesen: "Laut Auskunft des Konsulats muss die Klientin zuerst nachweisen, dass sie Georgierin ist. Dieses verfahren kann natürlich auch einige Monate in Anspruch nehmen. Die georgische Staatsbürgerschaft kann man nur in bestimmten Fällen verlieren, z.B. wenn jemand eine neue Staatsbürgerschat erhalten würde. Die mj. Tochter strebt beide Staatsbürgerschaften an, derzeit kann sie allerdings nur die russische Staatsbürgerschaft beanspruchen, da die Mutter russische Staatsangehörige ist."

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Beweis wurde erhoben durch den Inhalt der vorliegenden Verwaltungsakte der Beschwerdeführer, beinhaltend die niederschriftlichen Einvernahmen vor dem BFA, die vorgelegten Beweismittel bzw. Dokumente, die gemeinsamen Beschwerden, der durchgeführten mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht sowie durch Einsichtnahme in das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Georgien.

1. Feststellungen:

Zur Person des Beschwerdeführers:

Die Beschwerdeführer führen die im Spruch genannten Namen; beim Erstbeschwerdeführer handelt es sich um den Ehemann der Zweitbeschwerdeführerin, die Drittbeschwerdeführerin ist die gemeinsame Tochter des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin. Die Beschwerdeführer sind Angehöriger der georgischen Volksgruppe. Die Beschwerdeführer bekennen sich allesamt zum christlich-orthodoxen Glauben.

Der Erstbeschwerdeführer ist Staatsangehöriger Georgiens, seine Identität steht fest. Die russische Staatsangehörigkeit der Zweitbis Drittbeschwerdeführerinnen konnte nicht festgestellt werden. So war es aufgrund der divergierenden Angaben und mangels Vorlage eindeutiger identitätsbezeugender und beglaubigter Dokumente nicht möglich, die russische Staatsangehörigkeit festzustellen.

BF1 ist in Georgien geboren und besuchte er neun Jahre lang die Grundschule in Tiflis. Er spricht Georgisch, Russisch, Deutsch und etwas Englisch.

Festgestellt wird, dass die BF2 in Georgien geboren und aufgewachsen ist. Sie hat von 1990 bis 1999 die Grundschule in Tiflis und im Folgenden eine universitäre Ausbildung von 2000 bis 2007 in Tiflis absolviert. Es kann nicht festgestellt werden, dass sich die BF2, insbesondere vor dem Jahr 2008, durchgehend fünf Jahre in der Russischen Föderation aufgehalten hat. BF1 und BF2 haben vor ihrer Einreise nach Österreich in Georgien, Tiflis, geheiratet.

Der BF1 war von 2002 bis 2010 in Österreich aufhältig. Er hat nach Einreise am 07.01.2002 unter einer Aliasidentität einen ersten Antrag auf internationalen Schutz im Bundesgebiet gestellt, welcher mit Bescheid des damaligen Bundesasylamtes vom 01.10.2002 abgewiesen wurde, wobei diese Entscheidung am 21.10.2009 in zweiter Instanz in Rechtskraft erwuchs. Im Jahr 2010 reiste der BF1 laut eigener Angaben aus dem Bundesgebiet aus und reiste er in sein Herkunftsland Georgien.

BF1 und BF2 reisten im Juni 2014 gemeinsam illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellten am 12.06.2014 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Die BF3 wurde im Juli 2015 im österreichischen Bundesgebiet geboren und stellte ihre gesetzliche Vertretung am 15.09.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

Nicht festgestellt werden kann, dass die Beschwerdeführer an physischen oder psychischen, akut lebensbedrohlichen und zudem im Herkunftsstaat nicht behandelbaren Erkrankungen leiden, welche eine Rückkehr in deren Herkunftsland iSd. Art. 3 EMRK unzulässig machen würden. Aus den Länderinformationen zu den Herkunftsstaaten geht hervor, dass adäquate medizinische Behandlungsmöglichkeiten in den Herkunftsstaaten der Beschwerdeführer vorhanden ist.

BF1 und BF2 haben den Großteil ihres Lebens im Herkunftsstaat Georgien verbracht.

Die BF1 und BF2 sind seit Juni 2014 und BF3 seit ihrer Geburt im Juli 2015 durchgehend in Österreich aufhältig. Die Ehe der BF1 und BF2 hat bereits zum Einreisezeitpunkt bestanden. Die BF2 war zum Zeitpunkt der Einreise nach Österreich bereits schwanger. Die BF leben allesamt im gemeinsamen Haushalt. In Österreich sind die Mutter und die Schwester des BF1 aufhältig und verfügen über einen Aufenthaltstitel. Im Herkunftsland leben Familienangehörige der BF2, Schwester und Bruder. Der Vater der BF2 lebt in der Russischen Föderation. Die Beschwerdeführer leben seit Antragstellung am 12.06.2014 auf der Grundlage einer vorläufigen Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz in Österreich. Ein nicht auf das Asylgesetz gestütztes Aufenthaltsrecht ist nicht ersichtlich. Die Beschwerdeführer haben seit ihrer Einreise bis zum 31.10.2017 Leistungen aus der Grundversorgung bezogen. Derzeit beziehen sie keine Grundversorgung. Der BF1 spricht Deutsch und geht einer Erwerbstätigkeit nach. Die BF2 besucht derzeit einen Deutschkurs der Niveaustufe A1/2, zudem hat sie im Juni 2015 einen Deutschkurs besucht. Bis auf geringe Deutschkenntnisse kann die BF2 keine integrativen Bemühungen vorweisen. Darüber hinaus sind BF1 und BF2 weder Mitglied in einem Verein noch in einer sonstigen Organisation tätig noch wurden soziale Anknüpfungspunkte, Bekanntschaften oder Freundschaften zu Österreichern vorgebracht. Ferner haben sie keine Aus- bzw. Weiterbildung in Österreich absolviert. Die BF3 ist drei Jahre alt und besucht seit September 2018 den Kindergarten. Die Beschwerdeführer konnten zu keinem Zeitpunkt auf die Möglichkeit zur künftigen Führung eines gemeinsamen Familienlebens in Österreich vertrauen. Es können keine nennenswerten Anknüpfungspunkte sozialer Natur zu Österreich festgestellt werden.

Den Beschwerdeführern wäre es möglich und zumutbar, das gemeinsame und bereits vor Einreise nach Österreich begründete Familienleben in Georgien fortzusetzen. Im Bundesgebiet leben die Mutter und die Schwester des BF1, mit welchen der Beschwerdeführer in keinem gemeinsamen Haushalt lebt und zu denen er keine wechselseitigen persönlichen oder finanziellen Abhängigkeiten behauptet hat. Sofern der BF1 in der Verhandlung vorbringt, dass seine Mutter momentan krank sei und er sie finanziell unterstützte, könnte er dies auch ausgehend von Georgien.

Festgestellt wird, dass die BF2 der in § 15 AsylG normierten Mitwirkungspflichten nicht nachgekommen ist.

Es besteht für die BF1 und BF2 als gesunden leistungsfähige Personen im berufsfähigen Alter ohne festgestellten besonderen Schutzbedarf im Falle einer Rückkehr nach Georgien keine reale Bedrohungssituation für das Leben oder die körperliche Unversehrtheit; ihnen steht die Möglichkeit offen, sich abermals in ihrer früheren Heimatstadt in Georgien niederzulassen. Diese liefen auch nicht Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.

Die Beschwerdeführer sind strafrechtlich unbescholten.

Hinweise auf das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen für einen Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK kamen nicht hervor.

Hinweise auf das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen für einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen kamen nicht hervor. Es konnten keine Umstände festgestellt werden, dass die Abschiebung der Beschwerdeführer in ihrem Herkufntsstaat gemäß § 46 FPG unzulässig wäre.

Die Beschwerdeführer zogen im Rahmen der mündlichen Verhandlung die Beschwerden hinsichtlich der Spruchpunkte I. und II. der angefochtenen Bescheide, mit welchen die Anträge auf Gewährung von internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat abgewiesen worden waren (Spruchpunkt II.) zurück, womit diese Spruchpunkte in Rechtskraft erwuchsen.

1.2. Zur Lage in Georgien:

KI vom 11.12.2018, Präsidentschaftswahl (relevant für Abschnitt: 2. Politische Lage

Die ehemalige Außenministerin Salome Zurabishvili wurde am 28.11.2018 zur Präsidentin des Landes gewählt. Offiziell als unabhängige Kandidatin, jedoch unterstützt von der Regierungspartei "Georgischer Traum", setzte sie sich in der Stichwahl mit fast 60% gegen ihren Konkurrenten Grigol Vashadze durch, welcher insbesondere von der oppositionellen Vereinigten Nationalen Bewegung von Ex-Präsident Saakashvili unterstützt wurde (FAZ 29.11.2018; vgl. CW 29.11.2018). Die OSZE beurteilte den Wahlgang als kompetitiv und gut administriert, wobei der Wahlkampf von einer scharfen Rhetorik und Demonstrationen begleitet war. Hauptkritikpunkte waren allerdings die einseitige Verwendung staatlicher Verwaltungsressourcen sowie die Berichterstattung des öffentlichen Rundfunks zugunsten von Zurabishvili (OSCE/ODIHR 29.11.2018). Am 1.12.2018 demonstrierten rund 25.000 Menschen in Tiflis und warfen der von der Regierungspartei unterstützten neuen Präsidentin Zurabishvili Wahlbetrug vor. Gemeinsam mit dem unterlegenen Kandidaten Vashadze und dem im Exil lebenden Ex-Präsidenten Saakashvili forderten sie vorgezogene Parlamentswahlen (Standard 2.12.2018).

Quellen:

* CW - Caucasus Watch (29.11.2018): Surabischwili gewinnt Wahl:

Georgien bekommt erstmals eine Präsidentin, http://caucasuswatch.de/news/1190.html, Zugriff 11.12.2018

* FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung (29.11.2018): Georgien bekommt eine Präsidentin,

https://www.faz.net/aktuell/salome-surabischwili-wird-neue-praesidentin-in-georgien-15915289.html, Zugriff 11.12.2018

* OSCE/ODIHR - Organization for Security and Co-operation in Europe/Office for Democratic Institutions and Human Rights, European Parliament, OSCE Parliamentary Assembly, Parliamentary Assembly of the Council of Europe (30.10.2016): International Election Observation Mission, Georgia - Presidential Election, Second Round, 28 November 2018 - Statement of Preliminary Findings and Conclusions, Preliminary Conclusions, https://www.osce.org/odihr/elections/georgia/404642?download=true, Zugriff 11.12.2018

* Der Standard (2.12.2018): 25.000 Georgier wegen angeblichen Wahlbetrugs auf den Straßen -

derstandard.at/2000092965067/25-000-Georgier-wegen-angeblichen-Wahlbetrugs-auf-den-Strassen, https://derstandard.at/2000092965067/25-000-Georgier-wegen-angeblichen-Wahlbetrugs-auf-den-Strassen?ref=rec, Zugriff 11.12.2018

KI vom 25.6.2018, Regierungsumbildung (relevant für Abschnitt: 2. Politische Lage).

Am 13.6.2018 erklärte Premierminister Giorgi Kvirikashvili seinen Rücktritt. Als Grund wurden Meinungsverschiedenheiten mit dem Parteivorsitzenden Ivanishvili genannt, der am 11.5.2018 das Amt des Parteivorsitzenden des "Georgischen Traums" von Kvirikashvili übernommen hatte und damit in die Politik Georgiens zurückgekehrt war. Begleitet war Kvirikashvilis Rücktritt zudem von Massenprotesten (RFE/RL 20.1.2018, vgl. civil.ge 20.6.2018). Das georgische Parlament hat am 20.6.2018 den bisherigen Finanzminister Mamuka Bakhtadze zum neuen Premierminister von Georgien gewählt und das von ihm vorgeschlagene Kabinett als Übergangsregierung bestätigt. Die parlamentarische Opposition blieb der Abstimmung geschlossen fern. Aus den eigenen Reihen erhielt Bakhtadze sechs Gegenstimmen, bei 99 Ja-Stimmen. Bakhtadze kündigte an, dass das neue Kabinett geschlossen an einem Neuzuschnitt einiger Ressorts und damit auch einer Verringerung der Zahl der Ministerien arbeiten werde (GA 21.6.2018, vgl. RFE/RL 20.6.2018). Überdies betonte Bakhtadze, dass er die Bestrebungen nach einer Mitgliedschaft sowohl in der NATO als auch der EU fortsetzen werde (RFE/RL 20.6.2018).

Quellen:

* Civil.ge (20.6.2018): Bakhtadze's Cabinet Wins Confidence, https://civil.ge/archives/244788, Zugriff 25.6.2018

* GA - Georgien aktuell (21.6.2018): Mamuka Bakhtadze zum Premierminister von Georgien gewählt, http://georgien-aktuell.info/de/politik/article/13762-premierminister, Zugriff 25.6.2018

* RFE/RL - Radion Free Europe/Radio Liberty (20.1.2018): Georgian Parliament Approves Bakhtadze As Prime Minister, https://www.rferl.org/a/georgia-parliament-approves-bakhtadze-as-prime-minister/29307191.html, Zugriff 25.6.2018

1. Politische Lage

Im Jahr 2017 begann Georgien mit einer grundlegenden Reform der Verfassung, mit welcher der Übergang von einem gemischten zu einem parlamentarischen System abgeschlossen wurde. Die Reform, die insgesamt positiv von der Venediger-Kommission des Europarates bewertet wurde, zielt darauf ab, die verfassungsmäßige Ordnung des Landes zu festigen, die auf den Grundsätzen der Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit und des Schutzes der Grundrechte beruht. Der vom Parlament angenommene Entwurf wurde von der Opposition nicht unterstützt, weil vor allem das rein-proportionale Wahlsystem erst bis 2024 eingeführt werden soll. NGOs und Oppositionsparteien sahen den Entscheidungsprozess als nicht inklusiv und zu voreilig (EC 9.11.2017).

Georgien hat eine doppelte Exekutive, wobei der Premierminister als Regierungschef und der Präsident als Staatsoberhaupt fungiert. Der Präsident wird durch Direktwahl für eine Amtszeit von fünf Jahren gewählt. Der Präsident ernennt den Premierminister, der vom Parlament ernannt wird. Nach den im Jahr 2017 beschlossenen Verfassungsänderungen wird der Präsident indirekt von einem Gremium, bestehend aus nationalen, regionalen und lokalen Gesetzgebern, gewählt, wobei diese Änderungen erst nach der Wahl 2018 wirksam werden (FH 1.2018). Nach der geänderten Verfassung wird Georgien ab 2024 auf ein Verhältniswahlsystem mit einer Fünf-Prozent-Hürde umstellen. Ab 2025 wird der Präsident nicht mehr vom Wahlvolk, sondern von einem speziellen Gesetzgebungsrat gewählt (RFE/RL 20.10.2017).

Bei den Präsidentschaftswahlen 2013 gewann Giorgi Margvelashvili, ein von der Partei "Georgischer Traum" unterstützter unabhängiger Kandidat, 62% der Stimmen, vor dem Kandidaten der Vereinigten Nationalen Bewegung (UNM), David Bakradze, der 22% gewann. Während Beobachter über einige Verstöße berichteten, bezeichneten sie den Wahlgang als kompetitiv und und vertrauenswürdig und lobten dabei die Zentrale Wahlkommission für ihre Professionalität. Giorgi Kvirikashvili von der Partei Georgischer Traum kehrte nach den Parlamentswahlen 2016 als Premierminister zurück; er war seit Ende 2015 in dieser Funktion tätig (FH 1.2018).

Am 8.10. und 30.10.2016 fanden Parlamentswahlen in Georgien statt. Die bislang regierende Partei "Georgischer Traum" sicherte sich die Verfassungsmehrheit, indem sie 115 der 150 Sitze gewann. Die "Vereinigte Nationale Bewegung" (UNM) des Expräsidenten Mikheil Saakashvili errang 27 und die "Allianz der Patrioten Georgiens" (APG) sechs Sitze (RFE/RL 1.11.2016). Mit der APG, die im ersten Wahlgang am 8.10.2016 knapp die Fünf-Prozent-Hürde schaffte, ist erstmals eine pro-russische Partei im Parlament vertreten. In der notwendigen Stichwahl am 30.10.2016 in 50 Wahlkreisen, die nach dem Mehrheitswahlrecht bestimmt werden, gewann der "Georgische Traum" 48 Wahlkreise (Standard 31.10.2016). Die übrigen zwei Sitze gingen jeweils an einen unabhängigen Kandidaten und einen Vertreter der "Partei der Industriellen" (VK 31.10.2016).

Die Wahlbeobachtungsmission der OSZE bewertete gemeinsam mit anderen internationalen Beobachtern die Stichwahl als kompetitiv und in einer Weise administriert, die die Rechte der Kandidaten und Wähler respektierte. Allerdings wurde das Prinzip der Transparenz sowie das Recht auf angemessene Rechtsmittel bei der Untersuchung und Beurteilung von Disputen durch die Wahlkommissionen und Gerichte oft nicht respektiert (OSCE/ODIHR 30.10.2016).

Am 21.10. und 12.11.2017 fanden Gemeinde- und Bürgermeisterwahlen statt. In der ersten Runde am 21.10.2017 gewann die Regierungspartei, Georgischer Traum, in allen Wahlkreisen und sicherte sich 63 von 64 Bürgermeisterämter, darunter in der Hauptstadt Tiflis (RFE/RL 12.11.2017). Bei der Bügermeisterstichwahl am 12.11.2017 gewannen in fünf der sechs ausstehenden Städte ebenfalls die Kandidaten des Georgischen Traums. Nur in Ozurgeti siegte ein unabhängiger Kandidat (Civil.ge 13.11.2017). Die Wahl verlief reibungslos und professionell, wobei die Stimmabgabe, die Auszählung und das Wahlermittlungsverfahren von Beobachtern positiv beurteilt wurden, obwohl Hinweise auf mögliche Einschüchterungen und Druck auf die Wähler Anlass zur Besorgnis gaben (OSCE 13.11.2017).

Das politische Leben in Georgien ist lebendig. Die Menschen sind in der Regel in der Lage, politische Parteien zu gründen und ihre eigenen Kandidaturen mit wenig Einmischung durch Dritte umzusetzen. Allerdings hat ein Muster der Einparteiendominanz in den letzten zehn Jahren die Entwicklung und Stabilität konkurrierender Gruppen gehemmt. Die Partei Georgischer Traum dominiert den politischen Raum. Entscheidend dafür ist die Rolle von Ivanishvili, dem Schöpfer und Finanzgaranten der Partei, der maßgeblichen Einfluss auf die politische Entscheidungsfindung in Georgien hat. Die finanziellen und geschäftlichen Interessen von Ivanishvili sind auch im politischen Bereich von großer Bedeutung (FH 1.2018).

Quellen:

* Civil.ge (13.11.2017): GDDG Wins Most Mayoral Runoff Races, http://www.civil.ge/eng/article.php?id=30622, Zugriff 26.3.2018

* EC - European Commission (9.11.2017): Association Implementation Report on Georgia [SWD(2017) 371 final], https://www.ecoi.net/en/file/local/1419205/1226_1512477382_171109-association-implementation-report-on-georgia.pdf, Zugriff 9.4.2018

* FH - Freedom House (1.2018): Freedom in the World 2018 - Georgia, https://www.ecoi.net/en/document/1426297.html, 26.3.2018

* OSCE/ODIHR - Organization for Security and Co-operation in Europe/Office for Democratic Institutions and Human Rights, European Parliament, OSCE Parliamentary Assembly, Parliamentary Assembly of the Council of Europe (30.10.2016): International Election Observation Mission, Georgia - Parliamentary Elections, Second Round - Statement of Preliminary Findings and Conclusions, Preliminary Conclusions,

http://www.osce.org/odihr/elections/georgia/278146?download=true, Zugriff 26.3.2018

* OSCE/ODIHR - Organization for Security and Co-Operation in Europe/ Office for Democratic Institutions and Human Rights (13.11.2017):

Election Observation Mission Georgia, Local Elections, Second Round, 12 November 2017,

http://www.osce.org/odihr/elections/georgia/356146?download=true, Zugriff 26.3.2018

* RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (20.10.2017): Georgia's President Reluctantly Signs Constitutional Amendments, 26.3.2018

* RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (1.11.2016): Georgia's Ruling Party Wins Constitutional Majority, http://www.rferl.org/a/georgia-elections-second-round-georgian-dream-super-majority/28085474.html, Zugriff 26.3.2018

* RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (12.11.2017): Georgians

In Six Municipalities Vote In Local Election Runoffs, https://www.rferl.org/a/georgia-local-elections-second-round/28849358.html, Zugriff 26.3.2018

* Der Standard (31.10.2016): Regierungspartei kann Georgien im Alleingang regieren,

http://derstandard.at/2000046738001/Wahlsieg-von-Regierungspartei-in-Georgien-in-zweiter-Runde-bestaetigt, Zugriff 26.3.2018

* Vestnik Kavkaza (31.10.2016): Georgian Dream wins 48 districts out of 50,

http://vestnikkavkaza.net/news/Georgian-Dream-wins-48-districts-out-of-50.html, Zugriff 26.3.2018

2. Sicherheitslage

Die Sicherheitslage in Georgien hat sich seit der militärischen Auseinandersetzung zwischen georgischen und russischen Truppen vom August 2008 weitgehend normalisiert. Die Konflikte um die beiden separatistischen georgischen Regionen Abchasien und Südossetien sind indes ungelöst und verursachen Spannungen. Im Gali-Distrikt Abchasiens kommt es immer wieder zu Schusswechseln, Entführungen und anderen Verbrechen mit teilweise kriminellem Hintergrund. Trotz vordergründiger Beruhigung der Lage kann ein erneutes Aufflammen des Konfliktes zwischen Abchasien und Georgien nicht ausgeschlossen werden. Gleiches gilt im Falle Südossetiens. In den städtischen Zentren kann es gelegentlich zu Demonstrationen und Protestaktionen kommen, vor allem im Zusammenhang mit Wahlen. Straßenblockaden und Zusammenstöße mit den Sicherheitskräften sind nicht ausgeschlossen. Das Risiko von terroristischen Anschlägen kann auch in Georgien nicht ausgeschlossen werden (EDA 6.6.2018).

Die Kriminalitätsrate ist in Georgien in den letzten Jahren deutlich gesunken. Auto- und andere Diebstähle sowie Einbrüche kommen vor, und sind gelegentlich von Gewalt begleitet. Übergriffe gegen Personen, die sich in der Öffentlichkeit als homosexuell zu erkennen geben, können vorkommen (AA 6.6.2018a, vgl. EDA 6.6.2018).

Bei einem Anti-Terroreinsatz in Tiflis sind am 22.11.2017 ein Polizist und drei mutmaßliche Terroristen getötet worden. Mehrere mutmaßliche Anhänger einer terroristischen Gruppe hatten sich der Festnahme widersetzt, indem sie das Feuer mit automatischen Waffen eröffneten und Handgranaten auf die Anti-Terror-Einheit warfen (Standard 23.11.2017). Einer der getöteten Terroristen war offenbar Achmed Tschatajew, ein tschetschenischer Befehlshaber des sog. Islamischen Staates (IS), der den georgischen Behörden bekannt war. Tschatajew stand seit 2015 auf der Terroristenliste der Vereinigten Staaten von Amerika und wurde auch von Russland und der Türkei wegen der Organisation des tödlichen Bombenanschlags auf den Flughafen von Istanbul im Juli 2016 gesucht. Die Prognose, dass sich die terroristische Bedrohung in Georgien auf die einheimischen und zurückkehrenden Kämpfer verlagert hat, wurde durch die Operation in Tiflis drastisch bestätigt (Jamestown 29.11.2017, GA 1.12.2017):

Die EU unterstützt aktiv die Bemühungen um Konfliktlösung durch die Arbeit des EU-Sonderbeauftragten für den Südkaukasus und die Krise in Georgien und die EU-Beobachtermission (EUMM), die zu Stabilität und Frieden beitragen. Georgien hat sich weiterhin den internationalen Gesprächen in Genf verschrieben. Der sog. "Incident Prevention Mechanisms (IPRM)", der 2009 geschaffen wurden, um Risiko- und Sicherheitsfragen zu erörtern, die die Gemeinden in Abchasiens bzw. Südossetiens betreffen, und die EUMM-Hotline arbeiten weiterhin effizient als wesentliche Instrumente, um lokale Sicherheitsfragen anzugehen und, um die weitere Vertrauensbildung zwischen den Sicherheitsakteuren zu fördern (EC 9.11.2017).

Anfang März 2018 wiederholte Premierminister Giorgi Kvirikashvili Georgiens Interesse, bei den internationalen Gesprächen in Genf konkrete Fortschritte zu erzielen. Hierzu erklärte er sich auch bereit, in einen direkten Dialog mit Vertretern der separatistischen Regionen Abchasien und Südssetien zu treten (Jamestown 26.3.2018, vgl. Civil.ge 9.3.2018).

Quellen:

* AA - Auswärtiges Amt (6.6.2018a): Landesspezifische Sicherheitshinweise,

https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/georgien-node/georgiensicherheit/201918#content_0, Zugriff 6.6.2018

* Civil.ge (9.3.2018): Prime Minister Appeals to Russian Authorities, Offers Direct Dialogue with Sokhumi, Tskhinvali, http://www.civil.ge/eng/article.php?id=30935&search, Zugriff 12.4.2018

* EC - European Commission (9.11.2017): Association Implementation Report on Georgia [SWD(2017) 371 final], https://www.ecoi.net/en/file/local/1419205/1226_1512477382_171109-association-implementation-report-on-georgia.pdf, Zugriff 9.4.2018

* EDA - Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (6.6.2018): Reisehinweise für Georgien, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/laender-reise-information/georgien/reisehinweise-georgien.html, Zugriff 6.6.2018

* GA - Georgien aktuell (1.12.2017): Anti-Terror-Einsatz: getötete Terroristen offenbar illegal ins Land gekommen, http://georgien-aktuell.info/de/politik/innenpolitik/article/13430-illegal, Zugriff 9.4.2018

* Jamestown (26.3.2018): Georgian Government Insists on Direct Talk With Moscow-Backed Separatists, https://jamestown.org/program/georgian-government-insists-direct-talk-moscow-backed-separatists/, Zugriff 12.4.2018

* Jamestown (29.11.2017): Special Operation in Tbilisi Highlights Risk of Terrorism by Returning Fighters in Georgia, https://jamestown.org/program/special-operation-tbilisi-highlights-risk-terrorism-returning-fighters-georgia/, Zugriff 9.4.2018

* Der Standard (23.11.2017): Vier Tote bei Anti-Terror-Einsatz in Tiflis,

https://derstandard.at/2000068329714/Vier-Tote-bei-Anti-Terror-Einsatz-in-Tiflis, Zugriff 9.4.2018

2.1. Regionale Problemzone: Abchasien

Abchasien (ca. 200.000 Einwohner) hat sich - unterstützt von Russland - als unabhängig erklärt und sucht die weitere Annäherung an Russland. Die Regierung in Tiflis hat keine Verwaltungshoheit über das Gebiet, in denen sich ein de-facto politisches System mit Regierung, Parlament und Justiz etabliert hat. Eigene Streitkräfte, unterstützt durch russisches Militär sichern die zunehmend von ihnen befestigte Verwaltungsgrenze zu Georgien. Diese ist nur zu sehr geringem Maße für Einwohner der Gebiete durchlässig. Militärische Auseinandersetzungen gibt es seit 2008 jedoch nicht mehr. Das Recht auf Rückkehr der vertriebenen Georgier wird von den abchasischen de facto-Behörden verwehrt. Nur der Verwaltungskreis Gali im südlichen Teil Abchasiens, nahe dem georgischen Hauptterritorium, ist noch stark georgisch/megrelisch besiedelt. Es liegen Hinweise vor, dass Bewohner dieses Gebiets bzw. Angehörige der georgischen/megrelischen Bevölkerung in Abchasien staatlich benachteiligt werden (z.B. beim Erwerb von Passdokumenten und damit Freizügigkeit, Ausübung des Stimmrechts bei de facto-Präsidentschaftswahlen 2014, Besetzung öffentlicher Stellen, Zugang zu Bildung und Gesundheitsfürsorge, Ermöglichung von "Grenz"-Übertritten nach Georgien, Arbeitserlaubnis). Die Diskriminierung dieser Bevölkerungsteile kann als zielgerichtet bewertet werden, um sie zum Verlassen zu bewegen. Von Abchasien aus war es bislang gängige Praxis, dass Kinder ethnischer Georgier die Administrative Boundary Line (ABL) zum Schulbesuch auf dem georgischen Hauptterritorium regelmäßig überqueren konnten. Nach der Schließung von mittlerweile drei der fünf offiziellen Übergangsstellen verlängert sich der tägliche Schulweg aber so sehr (z.T. ca. 100 km einfach), dass diese Möglichkeit inzwischen kaum noch genutzt wird (AA 11.12.2017).

Die abchasische Regierung ist finanziell von Russland abhängig, das eine militärische Präsenz auf dem Territorium unterhält und zu den wenigen Staaten gehört, die die Unabhängigkeit Abchasiens anerkennen. Dennoch weist das politische System eine starke Opposition und zivilgesellschaftliche Aktivität auf, und die meisten Einwohner sind Berichten zufolge gegen eine formelle Annexion durch Russland. Während die lokalen Rundfunkmedien weitgehend von der Regierung kontrolliert werden, gibt es einige unabhängige Print- und Online-Medien. Die Versammlungsfreiheit wird in der Regel respektiert. Zu den anhaltenden Problemen gehören ein zutiefst mangelhaftes Strafrechtssystem und die Diskriminierung von ethnischen Georgiern (FH 1.2017).

Die abchasischen Behörden inhaftieren weiterhin Personen, die die "Grenze" illegal überquert haben sollen. Russische Grenzwächter entlang der Verwaltungsgrenze zwischen Abchasien und Georgien setzen normalerweise die Regeln der abchasischen Machthaber um, indem sie Individuen abstrafen und wieder freilassen. Es gab Berichte über willkürliche Verhaftungen von ethnischen Georgiern in den abtrünnigen Gebieten. Ihnen wurden weder die Gründe für die Haft noch für das Vorführen vor den Staatsanwalt mitgeteilt. In Abchasien verbietet das Rechtssystem Eigentumsansprüche von ethnischen Georgiern, die Abchasien vor, während oder nach dem Krieg von 1992-93 verlassen haben, wodurch Binnenvertriebenen ihre Eigentumsrechte in Abchasien entzogen werden (USDOS 20.4.2018).

Die Behörden in Abchasien lehnen weiterhin die Rückkehr von ethnischen georgischen Binnenvertriebenen an Orte ihrer Herkunft oder ihres gewöhnlichen Aufenthalts mit Ausnahme der Distrikte Gali, Ochamchira und Tkvarcheli ab. Das Hochkommissariat der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (UNHCR) hat die Behörden wiederholt um Zusicherungen in Bezug auf die Rechte der Rückkehrer hinsichtlich des Daueraufenthalts, Freizügigkeit, Geburtenregistrierung und Eigentumsrechte gebeten. Generell haben die Vereinten Nationen gefordert, den Zugang der Rückkehrer zu politischen Rechten, gleichen Schutz vor dem Gesetz, soziale Sicherheit, Gesundheitsversorgung, Arbeit und Beschäftigung, Bildung, Gedanken-, Gewissens- und Meinungsfreiheit und kulturelles Leben zu gewährleisten. Im Dezember 2016 wurde das "Gesetz über die Rechtsstellung von Ausländern in Abchasien" geändert, um die Einführung einer "Aufenthaltserlaubnis für Ausländer" zu ermöglichen, die den in Abchasien lebenden ethnischen Georgiern die Ausübung ihrer Rechte erleichtern würde (UN-GA 3.5.2017).

Quellen:

* AA - Auswärtiges Amt (11.12.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Georgien

* FH - Freedom House (1.2017): Freedom in the World 2017 - Abkhazia, https://freedomhouse.org/report/freedom-world/2017/abkhazia, Zugriff 13.4.2018

* UN_GA - UN General Assembly (3.5.2017): Status of internally displaced persons and refugees from Abkhazia, Georgia and the Tskhinvali region/South Ossetia, Georgia [A/71/899], https://www.ecoi.net/en/file/local/1402817/1226_1499079794_n1712489.pdf, Zugriff 13.4.2018

* USDOS - US Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practces 2017 - Georgia, https://www.ecoi.net/en/document/1430256.html, Zugriff 6.6.2018

2.2. Regionale Problemzone: Südossetien

Der Krieg im Jahr 2008 führte zum Einmarsch russischer Truppen und zur Vertreibung der zuvor noch bestehenden georgischen Regierungspräsenz sowie etlicher ethnischer Georgier. Nur Russland und eine Handvoll anderer Staaten haben seither die Unabhängigkeit Südossetiens anerkannt. Das Territorium bleibt fast vollständig von Russland abhängig (90% seines Budgets für 2016), und Moskau übt einen entscheidenden Einfluss auf die Politik und die Regierungsführung aus. Die lokalen Medien stehen weitgehend unter Kontrolle der Behörden, die auch die Aktivitäten der Zivilgesellschaft einschränken oder genau überwachen. Die Justiz unterliegt politischer Einflussnahme und Manipulation. Körperliche Übergriffe und schlechte Bedingungen sind Berichten zufolge in Gefängnissen und Haftanstalten weit verbreitet (FH 1.2017).

Russische Streitkräfte und De-facto-Behörden in Südossetien haben die Bewegungsfreiheit über die De-facto-Grenze weiter eingeschränkt und Dutzende von Menschen wegen "illegalen" Grenzübertritts kurzzeitig festgenommen und bestraft. Die zunehmende Umzäunung entlang der Verwaltungsgrenzen beeinträchtigte weiterhin die Rechte der Anwohner, einschließlich des Rechts auf Arbeit, Nahrung und einen angemessenen Lebensstandard, da der Zugang zu ihren Obstgärten, Weiden und Ackerland verloren ging (AI 22.2.2018).

In Südossetien leben kaum noch ethnische Georgier. Das Recht auf Rückkehr der Vertriebenen wird von den dortigen de facto-Behörden verwehrt. Die Diskriminierung dieser Bevölkerungsteile kann als zielgerichtet bewertet werden, um sie zum Verlassen zu bewegen. Als Ausnahme ist die Anwesenheit der im Gebiet von Akhalgori (Südossetien) lebenden Georgier gegenwärtig akzeptiert (AA 11.12.2017).

Die südossetischen Behörden haben gegenüber UN-Vertretern ihre Offenheit für die Rückkehr von Binnenvertriebenen nach Südossetien bekundet, allerdings hauptsächlich in den Bezirk Akhalgori und unter der Voraussetzung, dass sich die Personen nur dort aufhalten werden. Besuche im Bezirk Akhalgori scheinen für die Vertriebenen und ihre Angehörigen möglich zu sein. Die zuständigen südossetischen Behörden haben rund 4.300 neue Grenzübertrittsdokumente ("propusk") ausgestellt, die neben rund 1.000 südossetischen sogenannten "Pässen" auch das Überschreiten der Verwaltungsgrenze ermöglichen (UN-GA 3.5.2017).

Bei den Präsidentschaftswahlen in Südossetien am 9.4.2017 gewann der bisherige Parlamentsvorsitzende, Anatoly Bibilov mit 54,8% Prozent (PEC 12.4.2017). Der bisherige Amtsinhaber, Leonid Tibilov, der seitens Moskau unterstützt wurde, erhielt nur 30% (RFE/RL 11.4.2017; vgl. EN 12.4.2017). Analysten sahen nebst der schlechten Wirtschaftslage die Parteinahme des Kremls und die wachsende Präsenz russischer Offizieller im südossetischen Staatsapparat als Hauptursache für die Niederlage Tibilovs (EN 12.4.2017). Gleichwohl verfolgt der Sieger Bibilov im Unterschied zu Tibilov, der seine Politik der Interessenslage Russlands anpasste, eine möglichst schnelle Aufnahme in den russischen Staatsverband und folglich die Vereinigung mit Nordossetien. Hierfür schlug er bereits ein Referendum bis Ende 2017 vor (RFE/RL 11.4.2017). Die Europäische Union und USA verurteilten die Wahlen als unzulässig (EN 12.4.2017).

Quellen:

* AA - Auswärtiges Amt (11.12.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Georgien

* AI - Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights - Georgia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1425371.html, Zugriff 13.4.2018

* EN - EurasiaNet.org (12.4.2017): South Ossetia: Voters Opt Against the Kremlin Favorite, http://www.eurasianet.org/node/83221, Zugriff 13.4.2018

* FH - Freedom House (1.2017): FH - Freedom House (1.2017): Freedom in the World 2017 - South Ossetia, https://freedomhouse.org/report/freedom-world/2017/south-ossetia, Zugriff 13.4.2018

* RFE/RL - Radio Free Europe/ Radio Liberty (11.4.2017): South Ossetia's Bibilov Wins Election, Puts Moscow In A Bind, http://www.rferl.org/a/south-ossetia-bibilov-victory-presidential-election/28424108.html, Zugriff 13.4.2018

* PEC - [südossetische Nachrichtenagentur]: Anatoly Bibilov won the presidential election with 54.8% of votes - the CEC, http://cominf.org/en/node/1166511548, Zugriff 13.4.2018

* UN_GA - UN General Assembly (3.5.2017): Status of internally displaced persons and refugees from Abkhazia, Georgia and the Tskhinvali region/South Ossetia, Georgia [A/71/899], https://www.ecoi.net/en/file/local/1402817/1226_1499079794_n1712489.pdf, Zugriff 13.4.2018

3. Rechtsschutz / Justizwesen

Erhebliche Fortschritte gab es insbesondere im Justizwesen und Strafvollzug, wo eine menschenrechtswidrige Behandlung, die in der Vergangenheit systemisch vorhanden war, in aller Regel nicht mehr festgestellt werden kann. Der Aufbau eines unabhängigen und nach rechtsstaatlichen Grundsätzen handelnden Justizwesens gehört zu den wichtigsten Zielen der aktuellen Regierung. Die dritte Reformwelle vom Dezember 2016 garantiert vor allem die unparteiische Zuteilung von Rechtsfällen an Richter. NGOs, die den Reformprozess sehr aktiv und sehr kritisch begleiten, mahnen weiterhin die Ernennung von Richtern aufgrund von Qualifikation und Eignung in einem transparenten Verfahren an. Demgegenüber neigen Politiker und andere prominente Interessenvertreter aus Wirtschaft und Medien dazu, Richtern bei Gerichtsentscheidungen in brisanten Fällen pauschal politische Motive bzw. Korruption zu unterstellen. In einigen Fällen wurde der Europäische Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg angerufen. Seit 2012 laufende Ermittlungen oder mit rechtskräftigen Urteilen abgeschlossene Strafverfahren gegen hochrangige Mitglieder und nachgeordnete Mitarbeiter der ehemaligen Regierung werden nicht als politisch motiviert eingeschätzt, sondern beruhen auf rechtswidrigen bzw. strafrechtlich relevanten Handlungen durch Amtsträger oder Parteifunktionäre der Vorgängerregierung. Die Tatsache, dass Gerichte hierbei nicht immer den Anträgen der Staatsanwaltschaft folgen, zeigt eine wachsende Unabhängigkeit der Justiz und deutliche Grenzen für eine etwaige politische Zielsetzung der Verfahren. Nach dem Regierungswechsel 2012/13 erfolgte eine kontinuierliche Liberalisierung des Strafrechts. Eine feststellbare niedrigere Verurteilungsrate ist auf eine stärkere Emanzipierung der Richterschaft von den Anträgen der Staatsanwaltschaft zurückzuführen, aber auch auf eine Stärkung der Rechte der Verteidigung im Strafprozess. Die Praxis lang andauernder Untersuchungshaft wurde im Fall Ugulava, des ehemaligen Bürgermeisters von Tiflis vom Verfassungsgericht als verfassungswidrig beurteilt und verfassungskonform beschränkt (AA 11.12.2017).

Im Dezember 2016 wurde ein Paket von Gesetzesänderungen zur Justizreform verabschiedet. Die Änderungen betrafen insbesondere die Veröffentlichung aller Entscheidungen, die schrittweise Einführung der elektronischen Zufallszuweisung von Fällen sowie das Auswahlverfahren der Richterkandidaten und das Disziplinarverfahren (Schaffung der Institution des Untersuchungsinspektors). Die Änderungen betrafen jedoch nicht andere, seit langem bestehende Punkte, einschließlich der Anwendung der Probezeit. Eine erste umfassende Justizstrategie und ihr fünfjähriger Aktionsplan wurden vom Hohen Rat der Justiz im Mai 2017 angenommen. Dieser sieht spezifische Maßnahmen und Indikatoren in den Kapiteln Unabhängigkeit, Rechenschaftspflicht, Qualität und Effizienz sowie Zugang zur Justiz vor. In Bezug auf den Zugang zur Justiz sind die vom Hohen Rat der Justiz (HCoJ) eingeführten Verfahren zur Ernennung von Richtern und Gerichtspräsidenten sowie die Disziplinarverfahren allerdings nicht vollständig transparent und rechenschaftspflichtig. Die neue Verfassung führte die Ernennung von Richtern des Obersten Gerichtshofs durch das Parlament auf Vorschlag des Obersten Gerichtshofs sowie die Ernennung von Richtern auf Lebenszeit ein. Im Januar 2017 wurden die Geschworenenprozesse, die 2010 beim Stadtgericht von Tiflis eingeführt wurden, auf andere Regionen Georgiens und auf weitere Arten von Vergehen ausgeweitet. Anfang 2017 wurden die Strafverfolgungsstrategie, der neue Ethikkodex und ein Beurteilungssystem für Staatsanwälte verabschiedet (EC 9.11.2018).

Die Einmischung der Exekutive und der Legislative in die Justiz ist nach wie vor ein erhebliches Problem, ebenso wie der Mangel an Transparenz und Professionalität bei den Verfahren. Im Jahr 2017 äußerten sich Oppositionelle und andere besorgt darüber, dass die politische Einmischung ein wesentlicher Faktor in der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs gewesen sei, so die Rückgabe des TV Senders "Rustavi 2" an seinen ehemaligen Miteigentümer, der mit der Regierungspartei Georgischen Traum verbunden ist. Das Urteil wurde allerdings später vom Europäischen Gericht für Menschenrechte aufgehoben (FH 1.2018, vgl. AI 22.2.2018).

Ende Mai 2018 musste der Generalstaatsanwalt Georgiens vor dem Hintergrund von Protesten zurückgetreten, in denen tausende Demonstranten ihre Empörung über ein, ihrer Meinung nach, unfaires Gerichtsurteil im Mordfall von zwei Schülern in Tiflis zum Ausdruck brachten (CK 5.6.2018). Die Demonstranten glaubten, dass andere als die beiden Beschuldigten für den Tod verantwortlich waren und der Strafe entkamen, weil ihre Verwandten in der Generalstaatsanwaltschaft arbeiteten (RFE/RL 4.6.2018). Führende NGOs des Landes haben sich geweigert, sich an der Ernennung eines neuen Generalstaatsanwaltes unter der Leitung von Justizministerin Teya Tsulukiani zu beteiligen, sondern haben im Gegenteil deren Rücktritt gefordert (CK 5.6.2018, vgl. JAMnews 6.6.2018). Das Parlament hat am 31.5.2018 als Reaktion auf die Entlassung der Beschuldigten durch das Gericht in Tiflis eine Untersuchungskommission zum Mordfall eingerichtet (civil.ge 6.6.2018). Die Demonstrationen haben die Ansicht mancher Georgier über Korruption und eine Atmosphäre der Straflosigkeit in der herrschenden Elite des Landes widergespiegelt (RFE/RL 4.6.2018).

Quellen:

* AA - Auswärtiges Amt (11.12.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Georgien

* AI - Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights - Georgia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1425371.html, Zugriff 17.4.2018

* Caucasian Knot (5.6.2018): Activists demand resignation of Georgia's MoJ head, http://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/43375/, Zugriff 7.6.2018

* Civil.ge (6.6.2018): Parliament Approves Teen Murder Probe Commission, https://civil.ge/archives/243789, Zugriff 7.6.2018

* EC - European Commission (9.11.2017): Association Implementation Report on Georgia [SWD(2017) 371 final], https://www.ecoi.net/en/file/local/1419205/1226_1512477382_171109-association-implementation-report-on-georgia.pdf, Zugriff 9.4.2018

* FH - Freedom House (1.2018): Freedom in the World 2018 - Georgia, https://www.ecoi.net/en/document/1426297.html, 17.4.2018

* JAMnews (6.6.2018): Georgian NGOs demand resignation of Minister of Justice, https://jam-news.net/?p=106350, Zugriff 7.6.2018

* RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (4.6.2018): Georgian Protest Leader Gives Authorities Progress Ultimatum, https://www.rferl.org/a/tbilisi-subway-workers-strike-as-new-antigovernment-protests-expected/29270264.html, Zugriff 7.6.2018

4. Sicherheitsbehörden

Seit dem Regierungswechsel im Oktober 2012 ist von Machtmissbrauch von Amtsträgern nicht mehr die Rede. Bis 2012 waren Exekutivorgane, z. B. Staatsanwaltschaft, Polizei oder Finanzbehörden, als Machtinstrument oder als Mittel zur rechtswidrigen Erlangung wirtschaftlicher Vorteile von Regierungsangehörigen oder ihnen nahestehenden Personen missbraucht worden. Bestechung bzw. Bestechlichkeit von Polizisten sind allgemein nicht mehr zu verzeichnen. In ihrer Rolle als Hüter von Regeln werden sie öffentlich als zurückhaltend, aber auch als untätig wahrgenommen, was zu einem Verlust an Respekt geführt hat. Die Geheim- und Nachrichtendienste treten nicht als Repressionsinstrumente auf. Eine von NGOs angemahnte organisatorische Trennung der Sicherheitsdienste vom Innenministerium ist bisher aber nicht durchgeführt worden (AA 11.12.2017).

Meinungsumfragen zeigen einen Rückgang des Vertrauens der Öffentlichkeit in das Strafverfolgungssystem. Umfragen zufolge waren 2013 noch 60% der Georgier und Georgierinnen mit der Leistung der Polizei zufrieden. Dieser Wert fiel jedoch im April 2017 Jahres auf 38%. Im gleichen Zeitraum stieg der Anteil der Unzufriedenen mit der Polizei von einem einstelligen Prozentwert auf 14% (NDI/CRRC 4.2017).

Hochrangige Zivilbehörden üben nicht immer eine wirksame Kontrolle über das Innenministerium und den Staatssicherheitsdienst aus. Die zivilen Behörden behielten jedoch die effektive Kontrolle über das Verteidigungsministerium bei. Die Wirksamkeit der staatlichen Mechanismen zur Untersuchung und Bestrafung von Missbrauch durch Strafverfolgungs- und Sicherheitskräfte ist begrenzt, und die nationale und internationale Aufmerksamkeit für Straflosigkeit hat zugenommen (USDOS 20.4.2018).

Georgien verfügt nicht über einen wirksamen unabhängigen Mechanismus zur Untersuchung von Missbrauch durch Strafverfolgungsbehörden. Wenn Ermittlungen eingeleitet werden, führen sie häufig zu Anklagen

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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