TE Vwgh Erkenntnis 1998/11/11 96/12/0040

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Veröffentlicht am 11.11.1998
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Index

72/13 Studienförderung;

Norm

StudFG 1992 §19 Abs2 Z3;
StudFG 1992 §19 Abs4;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Knell und die Hofräte Dr. Germ, Dr. Höß, Dr. Riedinger und Dr. Waldstätten als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Julcher, über die Beschwerde des M in T, vertreten durch Dr. Heinrich Vana, Rechtsanwalt in Wien II, Taborstraße 10/2, gegen den Bescheid des Bundesministers für Wissenschaft, Verkehr und Kunst vom 19. Juli 1995, Zl. 56.055/33-I/7/95, betreffend Nachsicht von der Überschreitung der Studienzeit gemäß § 19 Abs. 6 Z. 2 StudFG, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer studiert seit dem Wintersemester 1990/91 Medizin.

Am 3. Dezember 1992 wurde dem Beschwerdeführer eine Tochter geboren.

Im Sommersemester 1995 wechselte der Beschwerdeführer von der Universität Innsbruck an die Universität Wien und legte dort das erste Rigorosum am 23. Mai 1995, also im 10. Semester des 1. Studienabschnittes, ab.

Bereits am 4. Mai 1995 hatte der Beschwerdeführer gleichzeitig mit dem Antrag auf Studienbeihilfe bei der Stipendienstelle Wien Nachsicht von der Überschreitung der Studienzeit gemäß § 19 Abs. 6 Z. 2 StudFG bei der belangten Behörde beantragt. Als Grund für die Studienzeitüberschreitung gab er Pflege und Erziehung eines Kindes bis zum dritten Lebensjahr an und fügte auf dem formularmäßigen Antrag noch hinzu: "Meine Frau studiert auch Medizin, daher teilen wir uns Pflege und Erziehung unseres Kindes!"

Dieser Antrag wurde vom Senat der Studienbeihilfenbehörde in der Sitzung am 27. Juni 1995 nicht befürwortet.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag gemäß § 19 Abs. 6 Z. 2 StudFG idF BGBl. Nr. 619/1994 ab.

Zur Begründung führte die belangte Behörde im wesentlichen aus, in rechtlicher Hinsicht sei zu prüfen, ob die vom Beschwerdeführer genannten Gründe das überwiegende Ausmaß seiner Studienzeitüberschreitung um insgesamt sechs Semester, also zumindest eine mehr als drei Semester dauernde Studienverzögerung, bewirkt hätten und ob es sich dabei um einen wichtigen Grund im Sinne des Studienförderungsgesetzes gehandelt habe. Die Pflege und Erziehung eines Kindes bis zum vollendeten dritten Lebensjahr könne gemäß § 19 Abs. 4 StudFG im Ausmaß von zwei Semestern als Studienverzögerung im Sinne des Gesetzes anerkannt werden. Weitere Gründe für die Studienzeitüberschreitung seien vom Beschwerdeführer nicht geltend gemacht worden. Da somit das überwiegende Ausmaß der Studienzeitüberschreitung von insgesamt sechs Semestern nicht auf wichtige Gründe im Sinne des Studienförderungsgesetzes zurückzuführen seien, habe der Antrag des Beschwerdeführers abgewiesen werden müssen.

Gegen diesen Bescheid wandte sich der Beschwerdeführer vorerst an den Verfassungsgerichtshof, der aber die Behandlung mit Beschluß vom 28. November 1995, B 2704/95, ablehnte und die Beschwerde antragsgemäß an den Verwaltungsgerichtshof abtrat.

In der für das verwaltungsgerichtliche Verfahren ergänzten Beschwerde begehrt der Beschwerdeführer kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt, eine Gegenschrift erstattet und kostenpflichtige Abweisung beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der Beschwerdeführer sieht sich durch den angefochtenen Bescheid in seinem Recht auf Nachsicht einer Studienzeitüberschreitung gemäß § 19 Abs. 6 Z. 2 StudFG und im Recht auf Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens verletzt. Für den Fall, daß § 19 Abs. 4 StudFG als Legalpräsumption in der Weise gesehen wird, daß für die Pflege und Erziehung eines Kindes maximal und ausschließlich zwei Semester als Nachsicht geltend gemacht werden könnten, sieht sich der Beschwerdeführer in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung durch Anwendung einer verfassungswidrigen generell-abstrakten Norm verletzt.

Im Beschwerdefall ist auf Grund der zeitlichen Lagerung das StudFG 1992, BGBl. Nr. 305, idF vor der Novelle BGBl. Nr. 513/1995, anzuwenden.

Voraussetzung für die Gewährung einer Studienbeihilfe ist nach § 6 Z. 3 u.a., daß der Studierende einen günstigen Studienerfolg nachweist (§§ 16 bis 25 StudFG).

Nach § 16 liegt ein günstiger Studienerfolg als Voraussetzung für den Anspruch auf Studienbeihilfe vor, wenn der Studierende

1.

sein Studium zielstrebig betreibt (§ 17),

2.

die vorgesehene Studienzeit nicht wesentlich überschreitet (§§ 18 und 19) und

              3.              Nachweise über die erfolgreiche Absolvierung von Lehrveranstaltungen und Prüfungen vorlegt (§§ 20 bis 25).

Die Verlängerung der Anspruchsdauer aus wichtigen Gründen ist im § 19 StudFG geregelt. Die Anspruchsdauer ist nach Abs. 1 zu verlängern, wenn der Studierende nachweist, daß die Studienzeitüberschreitung durch einen wichtigen Grund verursacht wurde.

Wichtige Gründe im Sinne des Abs. 1 sind gemäß Abs. 2:

              1.              Krankheit des Studierenden, wenn sie durch fachärztliche Bestätigung nachgewiesen wird,

2.

Schwangerschaft der Studierenden und

3.

jedes unvorhergesehene oder unabwendbare Ereignis, wenn den Studierenden daran kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft.

Nach Abs. 3 bewirkt eine Schwangerschaft die Verlängerung der Anspruchsdauer um ein Semester.

Die Pflege und Erziehung eines Kindes vor Vollendung des dritten Lebensjahres, zu der der Studierende während seines Studiums gesetzlich verpflichtet ist, bewirken nach Abs. 4 die Verlängerung der Anspruchsdauer um insgesamt höchstens zwei Semester je Kind, ohne daß es eines weiteren Nachweises über die Verursachung der Studienverzögerung bedarf.

Der zuständige Bundesminister hat gemäß § 19 Abs. 6 StudFG auf Antrag des Studierenden und nach Anhörung des zuständigen Senates der Studienbeihilfenbehörde

              1.              bei Studien im Ausland, überdurchschnittlich umfangreichen und zeitaufwendigen wissenschaftlichen Arbeiten oder ähnlichen außergewöhnlichen Studienbelastungen die Anspruchsdauer um ein weiteres Semester zu verlängern oder

              2.              bei Vorliegen wichtiger Gründe im Sinne der Z. 1 oder des Abs. 2 die Überschreitung der zweifachen Studienzeit des ersten Studienabschnittes zuzüglich eines Semesters (§ 20 Abs. 2 und § 21 Abs. 2) oder die Überschreitung der Studienzeit des zweiten und dritten Studienabschnittes um mehr als vier Semester (§ 15 Abs. 2) nachzusehen,

wenn das überwiegende Ausmaß der Studienzeitüberschreitung auf die genannten Gründe zurückzuführen und auf Grund der bisherigen Studienleistungen zu erwarten ist, daß der Studierende die Diplomprüfung (das Rigorosum) innerhalb der Anspruchsdauer ablegen wird.

Gemäß § 20 Abs. 2 StudFG liegt ein günstiger Studienerfolg nicht vor, wenn ein Studierender die erste Diplomprüfung (das erste Rigorosum) des Studiums, für das Studienbeihilfe beantragt wird, oder eines Vorstudiums nicht innerhalb der zweifachen vorgesehenen Studienzeit zuzüglich eines weiteren Semesters absolviert hat.

Nach der Studienordnung für die Studienrichtung Medizin, BGBl. Nr. 473/1978, beträgt die Studiendauer für den ersten Studienabschnitt vier Semester.

Im Beschwerdefall ist unbestritten, daß der Beschwerdeführer das erste Rigorosum erst im 10. Semester des ersten Studienabschnittes abgelegt hat. Es liegt damit eine Überschreitung der gesetzlichen Studienzeit um sechs Semester vor. Als Grund hiefür gab der Beschwerdeführer auf dem formularmäßigen Antrag Pflege und Erziehung eines Kindes bis zum dritten Lebensjahr an. Von der formularmäßig vorgesehenen Möglichkeit, sonstige Gründe zu nennen, machte er genausowenig Gebrauch wie von der unter Punkt 3 des Antragsformulars gegebenen Möglichkeit von Angaben zur "Beeinträchtigung des Studienerfolges". Auf Grund der Angabe des Beschwerdeführers unter Punkt 1 des Antragsformulars in Verbindung mit dem zusätzlichen Hinweis, daß auch seine Frau Medizin studiert und die Pflege und Erziehung des Kindes geteilt ist, konnte die belangte Behörde rechtlich unbedenklich davon ausgehen, daß der Beschwerdeführer nur den Tatbestand des § 19 Abs. 4 StudFG angesprochen hat. Entgegen dem Beschwerdevorbringen sieht der Verwaltungsgerichtshof in Übereinstimmung mit der belangten Behörde in den Angaben des Beschwerdeführers auch keinen Ansatz dafür, daß der dem § 19 Abs. 4 StudFG unterstellte Sachverhalt allenfalls wegen besonderer Gründe im Zusammenhang mit der Pflege und Erziehung eines Kindes, wie sie etwa eine schwere Erkrankung des Kindes darstellen könnte, im Sinne des § 19 Abs. 2 Z. 3 StudFG eine weitere Verlängerung der Anspruchsdauer rechtfertigen würde. Die vom Gesetzgeber mit der Regelung des § 19 Abs. 4 StudFG vorgenommene Pauschalierung der Kindererziehungszeit bedeutet nämlich nur, daß die typologische Pflege und Erziehung eines Kleinkindes bei der Bewertung der Anspruchsdauer von vornherein mit zwei Semestern zu bemessen ist. Besondere Belastungen, die vom Regelfall deutlich abweichen, wie beispielsweise besondere Pflegeleistungen der Eltern wegen einer schweren Erkrankung des Kindes, sind zweifellos als wichtiger Grund im Sinne des § 19 Abs. 2 Z. 3 StudFG zu werten. Dem § 19 Abs. 4 StudFG kommt für solche Fälle keine ausschließende Bedeutung zu.

Davon ausgehend erweisen sich die in der Beschwerde geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken gegen § 19 Abs. 4 StudFG, nämlich daß die Zuerkennung einer mehr als zweisemestrigen Studienverzögerung im Hinblick auf die Kindererziehung nicht möglich sei, nicht als zutreffend. Wenn der Gesetzgeber den Regelfall in der im § 19 Abs. 4 StudFG normierten Art löst, so liegt dies nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes durchaus in seinem Gestaltungsspielraum und verletzt keinesfalls das aus dem Gleichheitsgrundsatz folgende Sachlichkeitsgebot.

Die in der Beschwerde unter Hinweis auf einen Antrag an die belangte Behörde gemäß § 68 Abs. 2 AVG geltend gemachten weiteren angeblich schweren Belastungen durch das Kleinkind, durch die die ordnungsgemäße Fortführung des Studiums behindert worden sein soll, können im verwaltungsgerichtlichen Verfahren wegen des gemäß § 41 VwGG geltenden Neuerungsverbotes nicht berücksichtigt werden (vgl. beispielsweise die Erkenntnisse vom 22. November 1971, Slg. Nr. 8113/A, oder vom 17. September 1997, Zl. 95/12/0220, sowie die bei Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit, 3. Aufl., zu § 41 VwGG angegebene Rechtsprechung, S. 552 ff).

Wenn die Beschwerde bemängelt, der Beschwerdeführer sei nicht vom Ergebnis des Ermittlungsverfahrens verständigt worden, ist er darauf hinzuweisen, daß die Entscheidung der belangten Behörde ausschließlich auf Grund seines Antrages getroffen wurde und deshalb keine Veranlassung zu einer Information über weitere Ermittlungen in Form des Parteiengehörs bestand.

Wenn die Beschwerde darüber hinaus noch vorbringt, die Behörde habe ihre Manuduktionspflicht gegenüber dem Beschwerdeführer bei der Antragstellung (Hinweis auf die gesetzliche Vermutung nach § 19 Abs. 4 StudFG) im Sinne des § 13 a AVG verletzt, so ist dem entgegenzuhalten, daß es nicht Aufgabe der Behörde ist, allfällige inhaltliche Mängel von Parteiangaben aus der Welt zu schaffen. Auch die Beratung von Verfahrensparteien oder anderen Beteiligten in materiell-rechtlicher Sicht zählt nicht zu den Pflichten der Behörde (vgl. ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, beispielsweise Erkenntnisse vom 21. Oktober 1986, Zlen. 86/07/0065, 0066, oder vom 20. Dezember 1989, Zl. 89/03/0241, sowie weiters die bei Hauer-Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens, 5. Aufl., zu § 13 a AVG angegebene Rechtsprechung). Trotz dieser Überlegungen wäre es zweckmäßig, bei dem am Formular angebrachten Informationshinweis auf diese Beschränkung der Nachsichtsmöglichkeit hinzuweisen.

Da die durch die Angaben des Beschwerdeführers auf Grund der gesetzlichen Bestimmung des § 19 Abs. 4 StudFG bewirkte Verlängerung der Anspruchsdauer insgesamt nur zwei Semester, also weniger als die Hälfte der Studienzeitüberschreitung des Beschwerdeführers im ersten Studienabschnitt, betragen hat, kann die Abweisung des Nachsichtsbegehrens des Beschwerdeführers gemäß § 19 Abs. 6 Z. 2 StudFG schon deshalb nicht als rechtswidrig erkannt werden.

Die Beschwerde mußte daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Pauschalierungsverordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 11. November 1998

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1998:1996120040.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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