TE Bvwg Erkenntnis 2019/4/8 I403 2014997-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 08.04.2019
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Entscheidungsdatum

08.04.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs3
AsylG 2005 §55
BFA-VG §21 Abs7
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
EMRK Art. 2
EMRK Art. 3
EMRK Art. 8
FPG §46
FPG §50 Abs1
FPG §50 Abs2
FPG §50 Abs3
FPG §52 Abs3
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs2
VwGVG §24
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

I403 2014997-2/5E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin MMag. Birgit ERTL als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, StA. Nigeria, vertreten durch die Rechtsanwälte Dr. Peter LECHENAUER und Dr. Margrit SWOZIL, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 07.12.2018, Zl. 1002478403/171249799, zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer, ein Staatsbürger von Nigeria, stellte am 03.03.2014 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA; belangte Behörde) vom 17.11.2014 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 03.03.2014 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gem. § 3 Abs. 1 AsylG 2005 sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Nigeria gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen. Dem Beschwerdeführer wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Ziffer 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Ziffer 2 FPG erlassen. Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Nigeria zulässig sei und wurden gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG als Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung bestimmt.

Eine gegen den Bescheid vom 17.11.2014 fristgerecht eingebrachte Beschwerde wurde mittels Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 15.02.2016 rechtskräftig als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer kam seiner Ausreiseverpflichtung nicht nach und verblieb rechtswidrig im Bundesgebiet.

Am 10.10.2016 wurde dem Beschwerdeführer eine Duldungskarte iSd § 46a FPG, gültig bis zum 09.10.2017, ausgestellt.

Am 03.10.2017 brachte der Beschwerdeführer bei der belangten Behörde einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Besonderer Schutz" gemäß § 57 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 ein.

Am 20.10.2017 wurde der Beschwerdeführer durch die nigerianische Delegation als Staatsangehöriger Nigerias identifiziert.

Mit schriftlicher Stellungnahme an die belangte Behörde vom 29.11.2018 modifizierte der Beschwerdeführer sein Antragsbegehren vom 03.10.2017 zu einem Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 55 AsylG 2005.

Begründend führte er in seiner schriftlichen Stellungnahme vom 29.11.2018 aus, dass er seit über vier Jahren in Österreich aufhältig wäre und über einen Freundes- und Bekanntenkreis in Österreich verfüge. In Nigeria habe er lediglich einmal monatlich telefonischen Kontakt zu seiner Schwester. Er könne ein Deutsch A2-Zertifikat vorweisen, sei Mitglied in einem lokalen Fußballverein und würde unverzüglich nach Erhalt einer Aufenthaltsbewilligung beginnen, in Österreich einer Arbeit nachzugehen (eine schriftliche "Zusage für einen Arbeitsplatz" von einem Sauergemüseherstellungsunternehmen hatte der Beschwerdeführer bereits zu einem früheren Zeitpunkt im Verfahren in Vorlage gebracht). Er sei zudem strafrechtlich unbescholten und könne sich ein Leben außerhalb Österreichs gar nicht mehr vorstellen.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 07.12.2018 wies das BFA den Antrag des Beschwerdeführers auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 55 AsylG 2005 ab. Gemäß § 10 Abs. 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 3 FPG erlassen (Spruchpunkt I.). Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Nigeria zulässig ist (Spruchpunkt II.) und ihm darüber hinaus gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG eine Frist für seine freiwillige Ausreise von 2 Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung gewährt (Spruchpunkt III.).

Gegen den angefochtenen Bescheid wurde fristgerecht mit Schriftsatz vom 02.01.2019 Beschwerde erhoben und eine Vollmacht für die Vertretung durch die Rechtsanwälte Dr. Peter LECHENAUER und Dr. Margrit SWOZIL vorgelegt. Es wurde beantragt, das Bundesverwaltungsgericht möge in der Sache selbst entscheiden und den angefochtenen Bescheid vollinhaltlich aufheben und der gegenständlichen Beschwerde stattgeben; eine mündliche Verhandlung durchführen; in eventu den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen.

Beschwerde und Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 17.01.2019 vorgelegt; aufgrund einer Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 13.03.2019 wurde der Akt der Gerichtsabteilung der erkennenden Richterin neu zugewiesen und dieser am 18.03.2019 vorgelegt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der volljährige Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger Nigerias, ledig und kinderlos. Seine Identität steht nicht fest.

Er stammt aus Benin City und hat Berufserfahrung in der Landwirtschaft. Die Familie des Beschwerdeführers, insbesondere seine Mutter, eine Schwester sowie vier Onkel väterlicherseits, zwei davon mit Familie, sowie weitere zwei Tanten, lebt nach wie vor in Nigeria. Zu seiner Schwester steht er regelmäßig in telefonischem Kontakt.

Der Beschwerdeführer befindet sich in einem arbeitsfähigen Alter und leidet an keinen gesundheitlichen Beeinträchtigungen.

In Österreich hat der Beschwerdeführer keine familiären Anknüpfungspunkte, und er lebt in keiner Lebensgemeinschaft.

Der Beschwerdeführer steht in Österreich in keinem Ausbildungs- oder Beschäftigungsverhältnis. Er hat eine Arbeitsplatzzusage der Firma "XXXX" aus XXXX als Konservenarbeiter ab dem 01.09.2019.

Der Beschwerdeführer ist aktiver Spieler im Fußballverein "XXXX".

Er spricht Deutsch auf A2-Niveau.

Der Beschwerdeführer hält sich seit (spätestens) 03.03.2014 in Österreich auf; er hat, wie soeben dargelegt, einige Schritte zur Integration getätigt und diverse Bekanntschaften geschlossen, sich im Bundesgebiet aber noch nicht nachhaltig integriert.

Er ist strafgerichtlich unbescholten.

Eine besondere Gefährdung des Beschwerdeführers im Fall seiner Rückkehr nach Nigeria kann nicht festgestellt werden.

1.2. Zur Situation in Nigeria:

Hinsichtlich der aktuellen Sicherheitslage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers sind gegenüber den im angefochtenen Bescheid vom 07.12.2018 getroffenen Feststellungen keine entscheidungsmaßgeblichen Änderungen eingetreten. Im angefochtenen Bescheid wurde das aktuelle "Länderinformationsblatt der Staatendokumentation" zu Nigeria (2017) zitiert. Im Rahmen des Beschwerdeverfahrens ist auch keine Änderung bekannt geworden, sodass das Bundesverwaltungsgericht sich diesen Ausführungen vollinhaltlich anschließt und auch zu den seinen erhebt. Darin wurde unter anderem festgestellt, dass eine zurückgeführte Person, die in keinem privaten Verband soziale Sicherheit finden kann, in Nigeria keiner lebensbedrohlichen Situation überantwortet wird und ihre existenziellen Grundbedürfnisse aus selbstständiger Arbeit sichern kann, insbesondere dann, wenn Rückkehrhilfe angeboten wird. Ein Meldewesen ist nicht vorhanden. Auch ein nationales funktionierendes polizeiliches Fahndungssystem existiert nicht. Damit ist es in der Praxis äußerst schwierig, wenn nicht sogar unmöglich, nach verdächtigen Personen national zu fahnden, wenn diese untergetaucht sind. Das Fehlen von Meldeämtern und gesamtnigerianischen polizeilichen Fahndungsbehörden ermöglicht es in den allermeisten Fällen, bereits in der näheren Umgebung "unterzutauchen".

2. Beweiswürdigung:

Die erkennende Einzelrichterin des Bundesverwaltungsgerichtes hat nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung über die Beschwerde folgende Erwägungen getroffen:

2.1. Zum Verfahrensgang:

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.

2.2. Zur Person des Beschwerdeführers:

Da der Beschwerdeführer den österreichischen Behörden keine identitätsbezeugenden Dokumente im Original vorlegen konnte, steht seine Identität nicht zweifelsfrei fest. Seine nigerianische Staatsangehörigkeit steht fest, da er am 20.10.2017 durch die nigerianische Delegation als Staatsangehöriger Nigerias identifiziert wurde.

Die Feststellungen zu den Lebensumständen, zum Gesundheitszustand, zur Herkunft und zur Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers ergeben sich aus den Aussagen des Beschwerdeführers vor dem BFA. Auch aus der Aktenlage sind keinerlei Hinweise auf gesundheitliche Beeinträchtigungen ableitbar.

Die Feststellungen zu seiner Familie in Nigeria sowie zu seiner vormaligen Arbeitstätigkeit in der Landwirtschaft ergeben sich aus den Angaben des Beschwerdeführers im Zuge seines vorangegangenen Asylverfahrens. Der Umstand, dass er nach wie vor in telefonischem Kontakt zu seiner Schwester in Nigeria steht, ergibt sich aus seinen diesbezüglich glaubhaften Angaben in seiner schriftlichen Stellungnahme an das BFA vom 29.11.2018.

Die Feststellung zur Arbeitsplatzzusage des Beschwerdeführers durch die Firma "XXXX" in XXXX ergibt sich aus einem diesbezüglich vorgelegten Schreiben des Unternehmens vom 17.10.2018.

Die Mitgliedschaft des Beschwerdeführers im Fußballverein "XXXX" ergibt sich aus einem diesbezüglich vorgelegten Schreiben des Vereinsobmannes vom 05.01.2016 sowie aus einem in Vorlage gebrachten Zeitungsartikel der "Kronen Zeitung".

Der Umstand, dass der Beschwerdeführer Deutsch auf A2-Niveau spricht, ergibt sich aus einem diesbezüglich vorgelegten ÖSD-Zertifikat vom 21.07.2016.

Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer in Österreich diverse Bekanntschaften geschlossen hat, ergibt sich aus zwei vorgelegten Bestätigungsschreiben.

Die Feststellung bezüglich der strafgerichtlichen Unbescholtenheit entspricht dem Amtswissen des Bundesverwaltungsgerichtes durch Einsichtnahme in das Strafregister der Republik Österreich am 05.04.2019.

2.3. Zum Antragsbegehren des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer hatte seinen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK vor dem BFA mit seiner Beschäftigungszusage durch die Firma "XXXX", seiner Mitgliedschaft im Fußballverein "XXXX", seinem Freundeskreis in Österreich sowie seinen Deutsch-Kenntnissen auf A2-Niveau begründet. Überdies sei er arbeitswillig und strafrechtlich unbescholten (siehe insbesondere seine schriftliche Stellungnahme vom 29.11.2018; auch im Beschwerdeschriftsatz wurden keinerlei ergänzende, integrationsverfestigende Aspekte im Hinblick auf die Person des Beschwerdeführers vorgebracht).

Das BFA führte hinsichtlich des Antragsbegehrens des Beschwerdeführers aus, dass die Elemente eines schützenswerten Privatlebens iSd Art. 8 EMRK im Falle des Beschwerdeführers dahingehend zu relativieren seien, als diese zu einem überwiegenden Teil zu einem Zeitpunkt entstanden sind, als dieser sich seines unsicheren Aufenthaltes nach der erstinstanzlichen Negativentscheidung seines Antrages auf internationalen Schutz mit Bescheid des BFA vom 17.11.2014, in welcher auch eine Rückkehrentscheidung gegen den Beschwerdeführer erlassen wurde, bewusst hätte sein müssen. Insgesamt vermochte der Beschwerdeführer ohnedies keine nachhaltige Integrationsverfestigung zu belegen und seine Bindungen an Österreich seien, im Vergleich zu seinen Bindungen an Nigeria, relativ schwach ausgeprägt.

Diesen Erwägungen der belangten Behörde tritt der Beschwerdeführer in seinem Beschwerdevorbringen nicht substantiiert entgegen. Es werden lediglich die bereits im Administrativverfahren vorgebrachten Umstände, welche im angefochtenen Bescheid ohnedies zu den Feststellungen des BFA erhoben wurden, wiederholt, und unsubstantiiert vom Überwiegen der privaten Interessen des Beschwerdeführers an einem dauerhaften Verbleib im Bundesgebiet gegenüber den öffentlichen Interessen an seiner Aufenthaltsbeendigung gesprochen.

Das Bundesverwaltungsgericht schließt sich den tragenden Erwägungen des BFA zu den Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK an. Aufgrund des erhobenen Sachverhaltes ist von keiner nachhaltigen Aufenthaltsverfestigung des Beschwerdeführers in Österreich auszugehen.

Es ist überdies davon auszugehen, dass der junge und gesunde Beschwerdeführer, welcher zudem über Berufserfahrung in der Landwirtschaft verfügt, im Falle einer Rückkehr nach Nigeria nicht in eine existenzbedrohende Lage geraten würde. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 15.02.2016 war bereits rechtskräftig festgestellt worden, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Nigeria zulässig ist. Der Beschwerdeführer brachte im gegenständlichen Verfahren keine besondere Rückkehrgefährdung vor und ist auch keine Änderung der diesbezüglichen Umstände erkennbar.

2.4. Zur Lage im Herkunftsstaat:

Zu den zur Feststellung der asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Herkunftsstaat ausgewählten Quellen des Länderinformationsblattes wird angeführt, dass es sich hierbei um eine ausgewogene Auswahl verschiedener Quellen, sowohl staatlichen als auch nicht-staatlichen Ursprungs handelt, welche es ermöglichen, sich ein möglichst umfassendes Bild von der Lage im Herkunftsstaat zu machen. Der Beschwerdeführer trat den Quellen und deren Kernaussagen im Beschwerdeverfahren auch nicht substantiiert entgegen bzw. brachte er keine Rückkehrgefährdung vor.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A)

3.1. Zur Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides:

Im vorliegenden Fall hatte der Beschwerdeführer zunächst die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 beantragt, ehe er sein Antragsbegehren auf die Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 55 AsylG 2005 modifizierte. Eine derartige Antragsänderung ist nach ständiger Judikatur des VwGH zulässig (VwGH 31.01.2019, Ra 2018/22/0086, 14.4.2016, Ra 2016/21/0077).

Gemäß § 55 Abs. 2 AsylG 2005 ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung" zu erteilen, wenn dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist.

Wird durch eine Rückkehrentscheidung in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung gem. § 9 Abs. 1 BFA-VG zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens iSd Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des/der Fremden rechtswidrig war,

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4. der Grad der Integration,

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl- Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

Im gegenständlichen Fall verfügt der Beschwerdeführer über kein Familienleben in Österreich und hat er ein solches auch nicht behauptet. Zu prüfen wäre daher ein etwaiger Eingriff in das Privatleben des Beschwerdeführers. Unter "Privatleben" sind nach der Rechtsprechung des EGMR persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (vgl. Sisojeva ua gg Lettland, EuGRZ 2006, 554). Für den Aspekt des Privatlebens spielt zunächst die zeitliche Komponente im Aufenthaltsstaat eine zentrale Rolle, wobei die bisherige Rechtsprechung keine Jahresgrenze festlegt, sondern eine Interessenabwägung im speziellen Einzelfall vornimmt (vgl. dazu Peter Chvosta, Die Ausweisung von Asylwerbern und Art. 8 EMRK, in ÖJZ 2007, 852 ff).

Im vorliegenden Fall hält sich der Beschwerdeführer seit März 2014 im Bundesgebiet auf, seit Februar 2016 auch zeitweise unrechtmäßig, nachdem er seiner Ausreiseverpflichtung nach rechtskräftigem Abschluss seines Asylverfahrens nicht nachkam. Er befindet sich daher seit etwa fünf Jahren in Österreich.

Sofern im Beschwerdeschriftsatz wiederholt die fünfjährige Aufenthaltsdauer des Beschwerdeführers in Österreich betont wird sowie der Umstand, dass dieser sich ein Leben außerhalb Österreichs gar nicht mehr vorstellen könne, so ist auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, welcher in zwei Entscheidungen (VwGH, 30.06.2016, Ra 2016/21/0122 bis 0125-7; VwGH, 30.06.2016, Ra 2016/21/0076-10) festgestellt hat, dass eine Aufenthaltsbeendigung nach einem Aufenthalt von sechs Jahren im Bundesgebiet trotz vorhandener Integrationsschritte (Deutschkenntnisse, Selbsterhaltungsfähigkeit) im öffentlichen Interesse liegen kann und dass Schwierigkeiten beim Wiederaufbau einer Existenz im Heimatland die Interessen an einem Verbleib in Österreich nicht in entscheidender Weise zu stärken vermögen, sondern dass diese - letztlich auch als Folge des seinerzeitigen, ohne ausreichenden Grund für eine Flucht nach Österreich vorgenommenen Verlassens des Heimatlandes - im öffentlichen Interesse an einem geordneten Fremdenwesen hinzunehmen sind.

Selbst im Falle eines - im Gegensatz zum Beschwerdeführer - durchgehend rechtmäßigen, siebenjährigen Aufenthaltes kam der Verwaltungsgerichtshof (VwGH, 17.04.2013, 2013/22/0042) zum Schluss, dass eine Rückkehrentscheidung nicht zu beanstanden sei: "Der Beschwerdeführer vermag zwar einen langen inländischen Aufenthalt (7 Jahre) ins Treffen zu führen, welcher jedoch zur Gänze auf einer bloß vorläufigen Aufenthaltsberechtigung beruhte und dem Beschwerdeführer nach erstinstanzlicher Abweisung seines Asylantrages bewusst war, dass sein Aufenthaltsstatus unsicher ist. Maßgebliche Bedeutung kommt dem Umstand zu, dass der Beschwerdeführer nicht über familiäre Bindungen im Bundesgebiet verfügt. Auch wenn er eine Einstellungszusage vorweisen kann und sehr gut deutsch spricht, sind diese integrationsbegründenden Umstände nicht so schwer zu gewichten wie das maßgebliche öffentliche Interesse an der Einhaltung fremdenrechtlicher Vorschriften, das von einem Fremden nach Abweisung seines Asylantrages grundsätzlich verlangt, den rechtmäßigen Zustand durch Ausreise aus dem Bundesgebiet wieder herzustellen."

Dem Beschwerdeführer sind gewisse Integrationsbemühungen in Österreich nicht abzusprechen. So spricht er Deutsch auf A2-Niveau, ist aktives Mitglied in einem Fußballverein und hat eine Einstellungszusage sowie diverse Empfehlungsschreiben in Vorlage gebracht. Darüber hinausgehende Integrationsmerkmale liegen aber nicht vor. Eine nachhaltige Integration des Beschwerdeführers in Österreich kann aus all dem nicht geschlossen werden. So lässt sich aus einer Einstellungszusage keinerlei Garantie auf eine (Weiter-)Beschäftigung ableiten (zur Gewichtung von Einstellungszusagen vgl. auch das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 13.10.2011, Zl. 2011/22/0065, mwN).

Vor diesem Hintergrund überwiegen die öffentlichen Interessen an einer Aufenthaltsbeendigung die privaten Interessen des Beschwerdeführers an einem Verbleib im Bundesgebiet, sodass der damit verbundene Eingriff in sein Privatleben nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichtes als verhältnismäßig qualifiziert werden kann. Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich daher, dass die im angefochtenen Bescheid angeordnete Rückkehrentscheidung des Beschwerdeführers aus dem österreichischen Bundesgebiet in den Herkunftsstaat Nigeria keinen ungerechtfertigten Eingriff in das durch Art. 8 EMRK gewährleistete Recht auf Privat- und Familienleben darstellt.

Gemäß § 10 Abs. 3 AsylG 2005 ist die Abweisung eines Antrages auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG 2005 mit einer Rückkehrentscheidung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden. Die belangte Behörde erließ daher zu Recht eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 3 FPG.

Gemäß § 52 Abs. 9 FPG ist eine Rückkehrentscheidung mit der Feststellung zu verbinden, dass eine Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist, es sei denn, dass dies aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich sei. Mit angefochtenem Bescheid wurde auch festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Nigeria zulässig sei.

Eine mögliche Gefährdung der durch Art. 3 EMRK geschützten Rechte ist abhängig von der Herkunftsregion in Nigeria zu prüfen. So wiederholte UNHCR im Oktober 2016 die Empfehlung, Rückschaffungen nach Borno, Yobe und Adamawa aufgrund der Bedrohung durch Boko Haram bis auf weiteres auszusetzen und interne Flucht- oder Neuansiedelungsalternativen erst nach sorgfältiger Prüfung und unter Berücksichtigung der individuellen Interessen des Einzelfalles zu erwägen. Der Beschwerdeführer stammt allerdings aus Edo State und ist daher auch keine unmittelbare Bedrohung seiner Person durch die auf den Anschlägen der Boko Haram basierende instabile Sicherheitslage im Nordosten Nigerias erkennbar. Sonstige Hinweise auf eine allgemeine existenzbedrohende Notlage (allgemeine Hungersnot, Seuchen, Naturkatastrophen oder sonstige diesen Sachverhalten gleichwertige existenzbedrohende Elementarereignisse) liegen für Edo State nicht vor, weshalb aus diesem Blickwinkel bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen kein Hinweis auf das Vorliegen eines Sachverhaltes gem. Art. 2 und/oder 3 EMRK abgeleitet werden kann.

Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits mehrfach erkannt, dass die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat auch eine Verletzung von Art 3 EMRK bedeuten kann, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet. Gleichzeitig wurde jedoch unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte betont, dass eine solche Situation nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen ist (vgl. u.a. VwGH 06.11.2009, Zl. 2008/19/0174 und VwGH 21.08.2001, Zl. 200/01/0443). Im Fall des Beschwerdeführers sind diesbezüglich keinerlei besondere Vulnerabilitäten ersichtlich. Er ist jung, gesund und damit erwerbsfähig, zudem hat er Berufserfahrung in der Landwirtschaft gesammelt. Er verfügt zudem über ein familiäres Netzwerk in Nigeria. Auch wenn er Nigeria bereits vor fünf Jahren verlassen hat, steht er zumindest telefonisch in Kontakt mit seiner Schwester und hat von dieser Seite Unterstützung zu erwarten. Aufgrund der oa. Ausführungen ist letztlich im Rahmen einer Gesamtschau davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat seine dringendsten Bedürfnisse befriedigen kann und nicht in eine dauerhaft aussichtslose Lage gerät. Besonders exzeptionelle Umstände im Sinne der höchstgerichtlichen Judikatur liegen gegenständlich nicht vor.

Daher besteht keine Gefahr, dass durch eine Abschiebung des Beschwerdeführers Art. 2 oder 3 EMRK oder das Protokoll Nr. 6 oder 13 zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würden oder für ihn als Zivilperson mit der Abschiebung eine ernsthafte Bedrohung seines Lebens oder seiner Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen oder internationalen Konflikts verbunden wäre. Auch sonst besteht kein Abschiebehindernis gemäß § 50 Abs. 2 oder Abs. 3 FPG, sodass die Abschiebung nach Nigeria für zulässig zu erklären ist.

Im angefochtenen Bescheid wurde zudem gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt. Dass besondere Umstände, die der Beschwerdeführer bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hätte, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen würden, wurde nicht vorgebracht.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

4. Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung

Gemäß § 21 Abs 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht.

Eine mündliche Verhandlung kann unterbleiben, wenn der für die rechtliche Beurteilung entscheidungsrelevante Sachverhalt von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben wurde und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweist. Ferner muss die Verwaltungsbehörde die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in gesetzmäßiger Weise offen gelegt haben und das Bundesverwaltungsgericht diese tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung in seiner Entscheidung teilen. Auch darf im Rahmen der Beschwerde kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinausgehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten ebenso außer Betracht zu bleiben hat, wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt (VwGH 28.05.2014, 2014/20/0017). Eine mündliche Verhandlung ist bei konkretem sachverhaltsbezogenem Vorbringen des Revisionswerbers vor dem VwG durchzuführen (VwGH 30.06.2015, Ra 2015/06/0050, mwN). Eine mündliche Verhandlung ist ebenfalls durchzuführen zur mündlichen Erörterung von nach der Aktenlage strittigen Rechtsfragen zwischen den Parteien und dem Gericht (VwGH 30.09.2015, Ra 2015/06/0007, mwN) sowie auch vor einer ergänzenden Beweiswürdigung durch das VwG (VwGH 16.02.2017, Ra 2016/05/0038). § 21 Abs 7 BFA-VG 2014 erlaubt andererseits das Unterbleiben einer Verhandlung, wenn - wie im vorliegenden Fall - deren Durchführung in der Beschwerde ausdrücklich beantragt wurde, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint (VwGH 23.11.2016, Ra 2016/04/0085; 22.01.2015, Ra 2014/21/0052 ua). Diese Regelung steht im Einklang mit Art 47 Abs 2 GRC (VwGH 25.02.2016, Ra 2016/21/0022).

Die vorgenannten Kriterien treffen in diesem Fall zu. Der Sachverhalt ist durch die belangte Behörde vollständig erhoben und weist - aufgrund des Umstandes, dass zwischen der Entscheidung durch die belangte Behörde und jener durch das Bundesverwaltungsgericht nur etwa vier Monate liegen - die gebotene Aktualität auf. Der Beweiswürdigung durch die belangte Behörde hat sich das Bundesverwaltungsgericht zur Gänze angeschlossen. Das Beschwerdevorbringen erwies sich, wie unter der "Beweiswürdigung" ausgeführt, als unsubstantiiert. Es lagen keine strittigen Sachverhalts- oder Rechtsfragen vor und es waren auch keine Beweise aufzunehmen. Daher konnte aufgrund der Aktenlage entschieden werden.

Die Abhaltung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte sohin gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG iVm § 24 VwGVG unterbleiben.

Zu B) (Un)Zulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.

Schlagworte

Abschiebung, Asylverfahren, Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8
EMRK, freiwillige Ausreise, Frist, Interessenabwägung, öffentliche
Interessen, Privat- und Familienleben, private Interessen,
Rückkehrentscheidung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:I403.2014997.2.00

Zuletzt aktualisiert am

02.09.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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