TE Vwgh Beschluss 1998/11/26 96/20/0623

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Veröffentlicht am 26.11.1998
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
25/02 Strafvollzug;

Norm

B-VG Art131 Abs1 Z1;
StVG §10;
StVG §119;
StVG §120 Abs1;
StVG §134;
StVG §71 Abs1;
StVG §8;
StVG §9;
VwGG §33 Abs1;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Puck und die Hofräte Dr. Händschke und Dr. Baur als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Grubner, über die Beschwerde des HM in X, vertreten durch Dr. Josef Lechner, Rechtsanwalt in 4400 Steyr, Grünmarkt 8, gegen den Bundesminister für Justiz wegen Verletzung der Entscheidungspflicht in einer Angelegenheit des Strafvollzuges, den Beschluß gefaßt:

Spruch

Das Verfahren wird eingestellt.

Der Bund (Bundesministerium für Justiz) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 6.250,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer hat vier Freiheitsstrafen von insgesamt 26 Jahren und 11 Monaten zu verbüßen. Er hielt sich bis zum 10. Jänner 1997 in der Justizanstalt Y auf und wird seither in der Justizanstalt X angehalten. Das voraussichtliche Strafende ist der 14. August 2004.

Mit der am 2. September 1996 zur Post gegebenen (am 22. Mai 1997 ergänzten) Beschwerde wird die Verletzung der Entscheidungspflicht durch die belangte Behörde hinsichtlich eines am 18. August 1995 gestellten Antrages geltend gemacht.

Der Beschwerdeführer habe im Jahr 1994 einen Herzhinterwandinfarkt erlitten, weshalb medizinisch eine Bypass-Operation dringend erforderlich sei. Die belangte Behörde habe ihm eine Behandlung seines Leidens in der Universitätsklinik in Graz angeboten. Für die nachfolgende Rehabilitation sei das Gefangenenspital Wilhelmshöhe in Aussicht genommen worden. Der Beschwerdeführer habe sich geweigert, diese Krankenanstalt für die Rehabilitation in Anspruch zu nehmen, weil er angesichts der dort behandelten Fälle (u.a. Tuberkulose- und Aidskranke) für sich gesundheitliche Gefahren infolge einer dort möglichen Ansteckung befürchte.

Er habe daher am 18. August 1995 einen "Antrag auf Strafvollzugsortsänderung in eine geeignete Justizanstalt gestellt, um die dringend erforderliche Operation mit anschließender Rehabilitation durchführen (lassen) zu können". In der Zwischenzeit sei er in die Strafvollzugsanstalt X verlegt worden, wo allerdings die dringend erforderliche Operation mit anschließender Rehabilitation (auch) nicht durchgeführt werden könne.

Dieser Antrag vom 18. August 1995 lautete - auszugsweise - wie folgt:

"Unter Bezugnahme Ihrer Entscheidung vom 8. Juni 1995, Zl. 409.746/9-V.4/1995, beantrage ich meine Überstellung in eine geeignete Justizanstalt, um die dringend erforderliche Bypassoperation mit anschließender Rehabilitation durchführen zu können.

Ich begründe meinen Antrag wie folgt:

Es kann von mir nicht verlangt werden, daß ich mein Leben einer Herzchirurgie anvertraue, deren Vorstand, Herr Univ. Prof. Dr. R, über eine medizinisch erforderliche Nachbehandlung entscheidet, ohne mich - als Patient - je gesehen zu haben.

...

Ich kann mein Mißtrauen und meine Angst gegenüber der Herzchirurgie Graz nicht überwinden, und darf hiezu festhalten, daß ich der Herzklinik Graz, am 15.8.1995, mein Mißtrauen mitgeteilt habe.

...

Weil ich zur postoperativen Nachbehandlung in die Justizanstalt Wilhelmshöhe überstellt werden soll, in der es weder herztherapeutische Einrichtungen noch geschultes Personal gibt, stelle ich den Antrag: mich einer Justizanstalt zuzuführen, in der die erforderlichen Voraussetzungen für ein

postoperatives Anschlußheilverfahren, das durch das Fehlen der Voraussetzungen in der Justizanstalt Wilhelmshöhe nicht gewährleistet ist, zur Gänze gegeben sind.

..."

Die angesprochene Erledigung der belangten Behörde vom 8. Juni 1995, Zl. 409.746/9-V.4/1995, lautete:

"Betrifft: Strafgefangener HM - Bypass-Operation

Zu Zahl 5 Ns 120/95

Zur Anfrage vom 24.4.1995 teilt das Bundesministerium für Justiz mit, daß die Bypass-Operation an dem Strafgefangenen sowie die nachfolgenden Rehabilitationsmaßnahmen von der Krankenabteilung in der Justizanstalt Y organisiert werden können.

Die Vorgangsweise wurde mit dem Leiter der Justizanstalt Y bereits besprochen."

In ihrer fristgerecht erstatteten Gegenschrift hält die belangte Behörde der Säumnisbeschwerde entgegen, daß die Frage des Ortes der Bypass-Operation sowie der Nachbetreuung eine ärztliche sei. Nach einer längeren Überlegungsphase sei während der Anhaltung des Beschwerdeführers in der Justizanstalt Y vereinbart worden, daß die Operation im Landeskrankenhaus Graz vorgenommen werden könne und daß der Strafgefangene dort seine Rehabilitation erhalte. Demgegenüber habe der Strafgefangene der herzchirurgischen Abteilung der Universitätsklinik Graz in seinem Antrag vom 18. August 1995 das Vertrauen abgesprochen und erklärt, keinesfalls nach der Operation zur Rehabilitation in die Außenstelle Wilhelmshöhe überstellt werden zu wollen. Mit Eingabe vom 24. November 1995 habe der Beschwerdeführer sein Vorbringen ergänzt und neuerlich erklärt, daß er sich in Graz nicht am Herzen operieren lassen werde. Mit einer Eingabe vom 12. Dezember 1995 habe der Beschwerdeführer die Erledigung seines Antrages vom 18. August 1995 urgiert. In einer am 24. Jänner 1996 in der Justizanstalt Y aufgenommenen Niederschrift habe er dann allerdings alle seine bisherigen Eingaben und Beschwerden zurückgezogen sowie diese für gegenstandslos erklärt. Dennoch habe der Beschwerdeführer später wieder die Erledigung seiner Eingabe vom 18. August 1995 urgiert. Aufgrund dieser Urgenz sei zur Zl. JMZ 409.746/48-V.1/96 von der belangten Behörde ein "Erlaß" ergangen, in dem der Leiter der Justizanstalt Y ersucht worden sei, "dem Strafgefangenen zu seinen diversen Strafvollzugsortsänderungsansuchen (zuletzt am 22. April 1996) mitzuteilen, daß aus medizinischen Gründen keine Veranlassung besteht, die notwendige Bypass-Operation in einem anderen österreichischen Krankenhaus" durchzuführen. "Am 24. Juli 1996" sei der Beschwerdeführer im Sinne dieses Erlasses "belehrt" worden.

Im Hinblick darauf, daß der Beschwerdeführer am 24. Jänner 1996 alle seine bisherigen (noch offenen) Eingaben und Beschwerden zurückgezogen und als gegenstandslos erklärt habe, habe die belangte Behörde davon ausgehen müssen, daß der Beschwerdeführer auf eine formelle Erledigung seiner Eingabe vom 18. August 1995 verzichtet habe. Im Hinblick auf seine Urgenz sei der Beschwerdeführer dann entsprechend dem erwähnten "Erlaß" belehrt worden. Da aber das Vertrauensverhältnis des Strafgefangenen zum Anstaltsarzt der Justizanstalt Y und zu den Ärzten des Landeskrankenhauses Graz derart gestört gewesen sei, sei der Strafgefangene am 10. Jänner 1997 in die Justizanstalt X überstellt worden, um ihm die Gelegenheit zu geben, mit anderen Ärzten neu zu beginnen. Dem Antrag des Beschwerdeführers vom 18. August 1995 sei somit inhaltlich entsprochen worden.

In der ihm aufgetragenen Gegenäußerung, beim Verwaltungsgerichtshof eingelangt am 19. März 1998, erklärte der Beschwerdeführer, er habe am 24. Jänner 1996 keineswegs alle bisherigen Angaben und Beschwerden für gegenstandslos erklärt, sondern lediglich bestimmte "Beschwerden, nämlich vom 17. Juli, 2. August, 6. Dezember, 7. Dezember und 19. Dezember 1995" für "nichtig" erklärt. Seinen Antrag vom 18. August 1995 auf "Überstellung in eine geeignete Justizanstalt, um die dringend erforderliche Bypassoperation mit anschließender Rehabilitation durchführen zu können", habe er jedoch nicht zurückgezogen. Diesem Antrag sei bislang auch nicht inhaltlich entsprochen worden. Die Justizanstalt X stelle keine im Sinne seines Antrages "geeignete Justizanstalt" dar. In der (nahegelegenen) "Inquisitenabteilung des AKH Linz" seien auch die Möglichkeiten einer postoperativen Rehabilitation nicht gewährleistet, da es dort weder akustische Signale und Nachtbeleuchtung noch entsprechende operative Anschlüsse gebe. Aus diesen Gründen habe die belangte Behörde seinem Antrag vom 18. August 1995 weder in formeller noch in inhaltlicher Hinsicht entsprochen.

Die bezeichnete Niederschrift vom 24. Jänner 1996 lautet wie folgt:

"Gegenstand der Verhandlung: Rückziehung von Eingaben und Beschwerden.

Ich ziehe meine bisherigen Eingaben und Beschwerden zurück und erkläre diese als gegenstandslos."

Nach der Unterfertigung dieser Erklärung durch den Beschwerdeführer findet sich auf dieser Niederschrift der von diesem noch angefügte eigenhändige Zusatz:

"Die mir vorgelegten Beschwerden vom 2.8.1995, 17.7.1995, 7.12.1995, 6.12.1995, 19.12.1995, werden vollinhaltlich zurückgezogen."

Der "Erlaß" der belangten Behörde vom 9. Juli 1996,

JMZ 409.746/48-V.1/96, hat folgenden Inhalt:

"An den Herrn Leiter der Justizanstalt Y

Betrifft: a.G.

Das Bundesministerium für Justiz ersucht dem Strafgefangenen HM zu seinen diversen Strafvollzugsortsänderungsansuchen (zuletzt am 22. April 1996) mitzuteilen, daß aus medizinischen Gründen keine Veranlassung besteht, die notwendige Bypass-Operation in einem anderen österreichischen Krankenhaus durchzuführen.

Über die Folgen einer Verweigerung der Behandlung ist der Strafgefangene durch den Anstaltsarzt zu belehren, wobei dies zu dokumentieren ist (Niederschrift)."

Nach Inhalt der von der belangten Behörde schließlich am 10. Juni 1998 dem Verwaltungsgerichtshof übersandten Berichte des AKH Linz vom 15. April 1998 und des LKH Steyr vom 18. Mai 1998 sei der Beschwerdeführer mittlerweile am 1. April 1998 in Linz operiert und nach Durchführung einer Anschlußheilbehandlung am 16. April 1998 in gutem Allgemeinzustand in das LKH Steyr verlegt worden; von dort sei der Beschwerdeführer in stabilem Zustand wieder entlassen worden.

Mit Berichterverfügung des Verwaltungsgerichtshofes vom 2. Juli 1998 wurde der Beschwerdeführer daher aufgefordert bekanntzugeben, ob er sich infolge der geänderten Umstände als klaglos gestellt erachte.

Dazu teilte der Beschwerdeführer in der am 10. August 1998 eingelangten Stellungnahme im wesentlichen mit, es sei richtig, daß er am 1. April 1998 im AKH Linz operiert worden sei und sich anschließend vom 16. April bis 30. April 1998 in der Inquisitenabteilung im LKH Steyr befunden habe. Er halte sich seither wieder in der Justizanstalt X auf.

Eine entsprechende Rehabilitation sei ihm allerdings im LKH Steyr nicht zuteil geworden. Auch derzeit befinde er sich im normalen Strafvollzug. "Gesundheitsfördernde und nach wie vor postoperativ notwendige Rehabilitationsmaßnahmen" fänden nicht statt. Die Behörde sei daher nach wie vor diesbezüglich "in Entscheidungssäumnis". Eine postoperative Weiterbehandlung nach der (nach Auffassung des Beschwerdeführers infolge Säumnis der belangten Behörde erforderlich gewordene) Vierfachbypassoperation sei medizinisch dringend geboten.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 33 Abs. 1 erster Satz VwGG ist eine Beschwerde mit Beschluß als gegenstandslos geworden zu erklären und das Verfahren einzustellen, wenn in irgendeiner Lage des Verfahrens offenbar wird, daß der Beschwerdeführer klaglos gestellt wurde.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist § 33 Abs. 1 VwGG nicht nur auf die Fälle der formellen Klaglosstellung beschränkt. Ein Einstellungsfall liegt u.a. auch dann vor, wenn der Beschwerdeführer durch ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes nicht günstiger gestellt würde, als dies ohne meritorische Entscheidung über die Beschwerde (bzw. hier in der Sache selbst durch faktische Herstellung des angestrebten Zustandes) infolge der nach ihrer Erhebung eingetretenen Umstände der Fall ist. Zur Verfahrenseinstellung führende Gegenstandslosigkeit der Beschwerde kann somit auch dann eintreten, wenn durch Änderungen maßgebender Umstände zeitlicher, sachlicher oder prozessualer Art das rechtliche Interesse des Beschwerdeführers an der Entscheidung wegfällt (siehe dazu die Bescheidbeschwerden betreffenden hg. Beschlüsse vom 9. April 1980, Slg. Nr. 10.092/A, und vom 10. Dezember 1980, Slg. Nr. 10.322/A). Ob in letzterem Sinn das rechtliche Interesse eines Beschwerdeführers weggefallen ist, hat der Verwaltungsgerichtshof nach objektiven Kriterien zu prüfen; er ist nicht an die Erklärung des Beschwerdeführers gebunden. Insbesondere mangelt es an einer (auch noch im Zeitpunkt der Entscheidung durch den Verwaltungsgerichtshof erforderlichen) Rechtsverletzungsmöglichkeit, wenn die belangte Behörde während des anhängigen verwaltungsgerichtlichen Verfahrens dem (hier: der Säumnisbeschwerde zugrundeliegendem) Antrag faktisch nachgekommen war (vgl. dazu den eine Säumnisbeschwerde betreffenden hg. Beschluß vom 8. August 1996, Zl. 95/10/0192, und die dort zitierte Vorjudikatur).

Im gegenständlichen Fall bestand das vom Beschwerdeführer mit der Einbringung der Säumnisbeschwerde verfolgte Rechtsschutzziel in der Entscheidung über den (im Verlaufe des Verwaltungsverfahrens mehrfach modifizierten) Antrag vom 18. August 1995 "auf Überstellung in eine geeignete Justizanstalt", somit in der Verlegung in eine zunächst nicht näher bezeichnete "geeignete" Justizanstalt, von der aus er die bislang von ihm in Graz abgelehnte, medizinisch aber notwendige Bypass-Operation mit der nachfolgend erforderlich werdenden postoperativen Behandlung organisieren könne. Der Beschwerdeführer erklärte vorerst lediglich, nicht in der Klinik Graz operiert und nicht in der Justizanstalt Wilhelmshöhe für eine Rehabilitation untergebracht werden zu wollen (Schreiben vom 18. August 1995). In weiterer Folge erklärte er, daß die Operation "von der Y aus" organisiert werden könne, die Operation jedoch nicht in Graz durchgeführt werden solle (Schreiben vom 30. August 1995). Schließlich führte der Beschwerdeführer aus, im AKH Linz operiert werden und dort solange bleiben zu wollen, bis er in die Y zurückkehren könne (Schreiben vom 24. Oktober 1995). Im Schreiben vom 24. November 1995 beantragte der Beschwerdeführer wiederum ohne nähere Spezifizierung die "Überstellung in eine geeignete Justizanstalt". In einem Schreiben vom 30. November 1995 regte der Beschwerdeführer die Prüfung an, ob die Voraussetzungen für die Nachbehandlung "in der Y" gegeben seien. Am 22. April 1991 urgierte der Beschwerdeführer die "Überstellung in eine geeignete Justizanstalt, welche die erforderliche Herzoperation entsprechend organisieren kann". In einer weiteren Urgenz an die belangte Behörde vom 23. Mai 1996 strebte der Beschwerdeführer nicht (mehr) die Operation in Linz, sondern in Lainz an, wobei er erklärte,daß nach der Operation eine Rehabilitation erforderlich sein würde, "die in keiner Justizanstalt medizinisch durchführbar ist".

Angesichts des Umstandes, daß sich der Beschwerdeführer schließlich der Operation im AKH Linz und in weiterer Folge einer postoperativen Nachbehandlung im LKH Steyr unterzog, ist davon auszugehen, daß mit der Überstellung des Beschwerdeführers in die Strafvollzugsanstalt X seinem Antrag auf Verlegung in eine "geeignete Justizanstalt" zur Organisation der Bypass-Operation mit der unmittelbar nachfolgenden postoperativen Heilbehandlung entsprochen wurde.

Im Hinblick auf das geschilderte Verwaltungsgeschehen besteht für den Beschwerdeführer kein rechtliches Interesse mehr an einer Sacherledigung seines vor Durchführung der Operation gestellten Antrages, weil durch die in der Säumnisbeschwerde begehrte Entscheidung die Rechtsstellung des Beschwerdeführers keine andere wäre als ohne diese Entscheidung (vgl. den erwähnten Beschluß vom 8. August 1996).

Dies gilt auch unter Berücksichtigung seiner nunmehrigen Erklärung, ungeachtet der erfolgten Operation nicht klaglos gestellt zu sein, weil sich (nunmehr) doch herausgestellt habe, die Strafvollzugsanstalt X entspreche nicht seinen Vorstellungen betreffend die nach dem postoperativen Anschlußheilverfahren weiter von ihm als notwendig erachteten Rehabilitationsmaßnahmen. Diesbezüglich steht es dem Beschwerdeführer aber frei, einen neuerlichen Antrag gemäß § 71 StVG auf Überstellung in eine von ihm namhaft zu machende, dafür geeignete Justizanstalt einzubringen. Dies eröffnete der belangten Behörde auch die Möglichkeit, auf die mittlerweile geänderten Umstände entsprechend einzugehen.

Die Beschwerde war daher als gegenstandslos zu erklären und das Verfahren in sinngemäßer Anwendung des § 33 Abs. 1 VwGG einzustellen.

Gemäß § 58 Abs. 2 VwGG in der Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 88/1997 ist bei der Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens der nachträgliche Wegfall des Rechtsschutzinteresses bei einer Beschwerde nicht zu berücksichtigen; würde hiebei die Entscheidung über die Kosten einen unverhältnismäßigen Aufwand erfordern, so ist darüber nach freier Überzeugung zu entscheiden.

Im vorliegenden Fall ist aus den nachstehend angeführten Gründen davon auszugehen, daß die belangte Behörde vor Überstellung des Beschwerdeführers in die Strafvollzugsanstalt X im Zuge des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens der ihr obliegenden Entscheidungspflicht über den Antrag vom 18. August 1995 nicht entsprochen hatte, weshalb dem Beschwerdeführer, unabhängig vom Ergebnis einer solchen Sacherledigung dieses Antrages, die Kosten des Verfahrens über die Säumnisbeschwerde zuzusprechen sind:

Gemäß § 119 erster Satz StVG haben die Strafgefangenen "das Recht, hinsichtlich des ihre Person betreffenden Vollzuges in angemessener Form mündlich oder schriftlich Ansuchen zu stellen".

§ 10 StVG regelt unter der Überschrift "Strafvollzugsortsänderung" in Abs. 1, wann das Bundesministerium für Justiz "allgemein oder im Einzelfall" die Zuständigkeit "einer anderen als der nach § 9 zuständigen Anstalt" anzuordnen "hat". Dies hat zu geschehen,

"1. wenn dies unter Bedachtnahme auf die Grundsätze des Strafvollzuges (§ 20) zur besseren Ausnützung der Vollzugseinrichtungen oder aus Gründen der Sicherheit des Strafvollzuges zweckmäßig ist oder

2. wenn dadurch die Wiedereingliederung des Verurteilten in die Gesellschaft gefördert wird und weder das Erfordernis einer zweckmäßigen Ausnützung der Vollzugseinrichtungen noch Gründe der Sicherheit des Strafvollzuges entgegenstehen."

Nachträgliche Änderungen der "Klassifizierung" (also insbesondere der innerhalb einer bestimmten Frist nach der Aufnahme eines Strafgefangenen für diesen erfolgten Bestimmung der Strafvollzugsanstalt) regelt § 134 Abs. 6 StVG wie folgt:

"Erscheint es im späteren Verlaufe des Strafvollzuges unter Bedachtnahme auf die im Abs. 2 angeführten Umstände und zur Erreichung der dort genannten Zwecke erforderlich, den Strafvollzug in einer anderen Anstalt, in anderer Form oder nach anderen Grundsätzen fortzusetzen, so hat das Bundesministerium für Justiz die entsprechenden Änderungen anzuordnen. Die Abs. 3 bis 5 sind hiebei dem Sinne nach anzuwenden."

Gemäß § 71 Abs. 1 StVG "ist" ein Strafgefangener, der krank oder verletzt ist und in der Anstalt nicht sachgemäß behandelt werden kann oder von dem eine anders nicht abwendbare Gefährdung für die Gesundheit anderer ausgeht, in die nächste Anstalt zu überstellen, die über Einrichtungen verfügt, die die erforderliche Behandlung oder Absonderung gewährleisten. § 71 Abs. 2 erster Satz StVG normiert, daß ein Strafgefangener, der auch in einer anderen Anstalt nicht sachgemäß behandelt werden kann oder dessen Leben durch die Überstellung dorthin gefährdet wäre, in eine geeignete öffentliche Krankenanstalt zu bringen und dort erforderlichenfalls auch bewachen zu lassen ist.

Für den besonderen Fall einer gebotenen ärztlichen Behandlung, die sachgemäß in der gemäß den §§ 8, 9, 10 in Verbindung mit § 134 StVG bestimmten Strafvollzugsanstalt nicht durchgeführt werden kann, sieht demgemäß § 71 Abs. 1 StVG die Überstellung in eine andere, "geeignete" Justizanstalt für die Dauer der erforderlichen Behandlung vor. Insoweit stellt somit diese Bestimmung für den Fall einer erforderlichen medizinischen Behandlung und Betreuung die gegenüber den für die Bestimmung der Strafvollzugsanstalt maßgeblichen Gesetzesbestimmungen speziellere Norm dar, wobei für einen derartigen Antrag gemäß § 71 Abs. 1 StVG der Bundesminister für Justiz gemäß § 10 in Verbindung mit § 134 StVG unmittelbar zuständig ist (vgl. dazu die hg. Erkenntnisse vom 12. September 1996, Zl. 95/20/0750, und vom 22. Jänner 1988, Zl. 97/20/0151; die in diesen Erkenntnissen angestellten Überlegungen zur Verfolgung eines aus dem Gesetz ableitbaren subjektiven Rechtes gelten grundsätzlich auch für den vorliegenden Fall eines auf § 71 Abs. 1 iVm § 10 StVG gestützten Ansuchens gemäß § 119 StVG). Insoweit nämlich im Zusammenhang mit der beantragten Änderung des Strafvollzugsortes nicht ausschließlich eine Entscheidung über die Art der medizinischen Behandlung (§ 120 Abs. 1 letzter Satz StVG) begehrt wird, war der Beschwerdeführer nicht nur auf die Möglichkeit der Aufsichtsbeschwerde verwiesen.

Der vorliegende Antrag des Beschwerdeführers auf "Änderung des Strafvollzugsortes" vom 18. August 1995 war nach dem Inhalt des Vorbringens und der daraus erkennbaren Absicht zweifellos ein solcher gemäß § 71 Abs. 1 iVm § 10 StVG, über den somit der Bundesminister für Justiz als oberste Vollzugsbehörde in erster Instanz - allenfalls nach entsprechender Konkretisierung in bezug auf die "geeignete" Justizanstalt - zu entscheiden hatte.

Der belangten Behörde kann nicht gefolgt werden, wenn sie der Säumnisbeschwerde entgegenhält, der Beschwerdeführer hätte seinen Antrag vom 18. August 1995 (niederschriftlich belegt) am 24. Jänner 1996 vor einem Strafvollzugsbediensteten in der Justizanstalt Y zurückgezogen. Das Vorliegen einer wirksamen Zurückziehung eines derartigen, unmittelbar vitale Lebensinteressen des Beschwerdeführers betreffenden Antrages ist streng zu prüfen. Mit der Auffassung der belangten Behörde, es liege ein Antragsverzicht vor, steht nicht nur der Umstand in Widerspruch, daß die belangte Behörde über diesen Antrag vom 18. August 1995 ungeachtet der behaupteten Zurückziehung vom 24. Jänner 1996 mit dem "Erlaß" vom 9. Juli 1996 abschlägig entschieden haben will, sondern insbesondere die vom Beschwerdeführer in der Niederschrift vom 24. Jänner 1996 ausdrücklich festgehaltene Einschränkung seiner prozessualen Erklärung auf datumsmäßig bestimmte Eingaben, worunter nicht der Antrag vom 18. August 1995 fällt. Angesichts des vom Beschwerdeführer nach dem Inhalt der Verwaltungsakten in mehrfachen Eingaben mitgeteilten Widerstandes gegen die von der belangten Behörde vor dieser Niederschrift in Aussicht genommenen Behandlungseinrichtungen sowie der Bedeutung des geplanten operativen Eingriffes für den Beschwerdeführer kann nicht angenommen werden, daß am 24. Jänner 1996 eine wirksame Zurückziehung des Antrages erfolgte; vielmehr wurde dieser erkennbar aufrechterhalten.

Die Auffassung der belangten Behörde, es sei über den Antrag des Beschwerdeführers vom 24. Juli 1996 durch Verkündung des "Erlasses" vom 9. Juli 1996 entschieden worden, ist schon deshalb nicht zu teilen, weil den vorgelegten Verwaltungsakten nicht entnommen werden kann, daß über diese "mündliche Verkündung des Erlasses" eine den §§ 14, 62 Abs. 2 AVG entsprechende Niederschrift aufgenommen worden wäre und zudem lediglich eine Mitteilung des Anstaltsarztes an den Anstaltsleiter vom 25. Juli 1996 vorliegt, wonach der Beschwerdeführer vom Anstaltsarzt im Sinne des Erlasses "belehrt" worden sei.

Wien, am 26. November 1998

Schlagworte

Individuelle Normen und Parteienrechte Auslegung von Bescheiden und von Parteierklärungen VwRallg9/1

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1998:1996200623.X00

Im RIS seit

11.07.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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