TE Vfgh Erkenntnis 1996/12/3 G162/96, G163/96

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Veröffentlicht am 03.12.1996
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Index

63 Allgemeines Dienst- und Besoldungsrecht
63/02 Gehaltsgesetz 1956

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
GehG 1956 §23 Abs2
PG 1965 §26

Leitsatz

Verstoß der uneingeschränkten Rückzahlungsverpflichtung von Waisen hinsichtlich eines dem verstorbenen Beamten gewährten Bezugsvorschusses aus dem Waisenversorgungsgenuß aufgrund des Unterhaltscharakters des Waisenversorgungsgenusses gegen den Gleichheitssatz; kein Ermessen der Behörde aufgrund fehlender Determinanten für die Ermessenshandhabung

Spruch

Die im §23 Abs2 letzter Satz des Gehaltsgesetzes 1956, BGBl. Nr. 54, in der Fassung der 20. Gehaltsgesetz-Novelle, BGBl. Nr. 245/1970, enthaltene Wortfolge "sowie die den Angehörigen und Hinterbliebenen zustehenden Geldleistungen - ausgenommen der Todesfallbeitrag, der Bestattungskostenbeitrag und der Pflegekostenbeitrag -" wird als verfassungswidrig aufgehoben.

Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 31. Dezember 1997 in Kraft.

Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Wirksamkeit.

Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1.a) Beim Verfassungsgerichtshof sind zu den Zlen. B2476/94 und B2480/94 Verfahren über Beschwerden (Art144 B-VG) anhängig, denen folgender Sachverhalt zugrundeliegt:

Der Vater der beiden beschwerdeführenden Parteien stand in einem aktiven öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Bund. Er verstarb am 29. Dezember 1992. Zu diesem Zeitpunkt bestand aufgrund von noch nicht zur Gänze zurückgezahlten Bezugsvorschüssen, die ihm gewährt worden waren, eine offene Forderung des Bundes ("Bezugsvorschußersatzrest") in der Höhe von S 42.572,70.

Seine beiden Kinder (das sind die beschwerdeführenden Parteien) beziehen als Halbwaisen gemäß §17 des Pensionsgesetzes 1965, BGBl. 340, jeweils einen Waisenversorgungsgenuß in der Höhe von zuletzt S 3.281,90 netto.

b) Die Bundesministerin für Gesundheit, Sport und Konsumentenschutz erließ an die beiden beschwerdeführenden Parteien gleichlautende, mit 12. Oktober 1994 datierte Bescheide.

Deren Spruch hat jeweils folgenden Wortlaut:

"Gemäß §2 Abs6 Dienstrechtsverfahrensgesetz - DVG, BGBl. Nr. 29, in der geltenden Fassung in Verbindung mit §23 Abs2 Satz 3 des Gehaltsgesetzes 1956 (=GG 1956), BGBl. Nr. 54 in der geltenden Fassung, werden zur Hereinbringung des nach Ihrem am 29. Dezember 1992 aus dem Dienststand ausgeschiedenen Vaters (...), in der Höhe von

S 42.572,70

noch nicht zurückgezahlten Vorschusses die Ihnen als Angehörige(r) und Hinterbliebene(r) zustehenden Geldleistungen - ausgenommen der Todesfallbeitrag, der Bestattungskostenbeitrag und der Pflegekostenbeitrag - herangezogen.

Ihrem Ersuchen um Berücksichtigung Ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse wird teilweise stattgegeben und Ihnen gemäß §61 Abs1 und 2 Bundeshaushaltsgesetz - BHG, BGBl. Nr. 213 in der geltenden Fassung, die Zahlung in Raten bewilligt sowie von der Verrechnung von Stundungszinsen Abstand genommen.

Gemäß §61 Abs1 BHG tritt im Fall des Ausbleibens einer Teilzahlung Terminverlust ein.

Die nach Ihrem am 29. Dezember 1992 verstorbenen Vater wiederkehrend an Sie zur Auszahlung gelangenden pensionsrechtlichen Geldleistungen werden ab Vollstreckbarkeit dieses Bescheides in jener jeweiligen monatlichen Ratenhöhe zur Rückzahlung des Vorschusses herangezogen werden, als diese Geldleistungen den Mindestsatz gemäß §1 Z3 der Ergänzungszulagenverordnung 1994, BGBl. Nr. 983/1993, von derzeit S 2.801,-- überschreiten."

2.a) Der Verfassungsgerichtshof hat am 12. Juni 1996 beschlossen, aus Anlaß der vorliegenden Beschwerden gemäß Art140 Abs1 B-VG von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der im Spruch näher bezeichneten (in der folgenden Textwiedergabe hervorgehobenen) Wortfolge einzuleiten.

b) Der unter der Überschrift "Vorschuß und Geldaushilfe" stehende §23 des Gehaltsgesetzes 1956, BGBl. 54, in der zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides und auch derzeit noch geltenden Fassung (nämlich in jener der 20. Gehaltsgesetz-Novelle, BGBl. 245/1970) - im folgenden kurz:

GG 1956 - lautet:

"§23.(1) Ist der Beamte unverschuldet in Notlage geraten oder liegen sonst berücksichtigungswürdige Gründe vor, so kann ihm auf Antrag ein Vorschuß bis zur Höhe des dreifachen Monatsbezuges gewährt werden. Ist das Dienstverhältnis noch provisorisch, so ist die Höhe des Vorschusses mit dem Betrag begrenzt, der dem Beamten im Falle des Ausscheidens aus dem Dienstverhältnis als Abfertigung gebühren würde (§27 Abs1). Die Gewährung des Vorschusses kann von Sicherstellungen abhängig gemacht werden.

(2) Der Vorschuß ist durch Abzug von den gebührenden Bezügen längstens binnen vier Jahren hereinzubringen; bei der Festsetzung der Abzugsraten ist auf die wirtschaftlichen Verhältnisse des Beamten billige Rücksicht zu nehmen. Der Beamte kann den Vorschuß auch vorzeitig zurückzahlen. Scheidet der Beamte aus dem Dienststand aus, so können zur Deckung eines noch nicht zur Gänze zurückgezahlten Vorschusses die dem ausscheidenden Beamten zustehenden Geldleistungen sowie die den Angehörigen und Hinterbliebenen zustehenden Geldleistungen - ausgenommen der Todesfallbeitrag, der Bestattungskostenbeitrag und der Pflegekostenbeitrag - herangezogen werden.

(3) Wenn besonders berücksichtigungswürdige Gründe vorliegen, können auch ein höherer Vorschuß und längere Rückzahlungsfristen bewilligt werden. Zur Gewährung eines Vorschusses, der die Höhe des dreifachen Monatsbezuges übersteigt oder der binnen einem Zeitraum von mehr als vier Jahren zurückgezahlt werden soll, ist die Zustimmung des Bundesministeriums für Finanzen erforderlich.

(4) ....."

3. Zur Einleitung des Gesetzesprüfungsverfahrens haben den Verfassungsgerichtshof die nachstehenden Überlegungen bestimmt:

"Der Verfassungsgerichtshof geht vorläufig davon aus, daß die vorliegenden Beschwerden zulässig sind und daß er daher über sie in der Sache zu entscheiden haben wird.

Hiebei hätte er anscheinend §23 Abs2 letzter Satz GG 1956 anzuwenden. Es dürfte jedoch hinreichen, die im Spruch erwähnte Wortfolge in Prüfung zu ziehen und gegebenenfalls aufzuheben, um für die Anlaßfälle eine Rechtslage herzustellen, auf welche die in der Folge dargestellten Bedenken nicht mehr zutreffen.

Der Verfassungsgerichtshof hegt ob der Verfassungsmäßigkeit der erwähnten Regelung das Bedenken, daß diese dem auch den Gesetzgeber bindenden Gleichheitsgrundsatz widerspricht:

Der Verfassungsgerichtshof geht vorläufig von der Annahme aus, daß - wenngleich der Anspruch auf Waisenversorgungsgenuß formal aus der Rechtssphäre des (verstorbenen) Beamten herrühren mag - die Unterhaltsfunktion der Waisenpension im Vordergrund steht. Dann aber scheint es sachlich nicht gerechtfertigt zu sein, die dem Unterhalt dienende Waisenpension ohne Einschränkung zur Deckung eines dem verstorbenen Beamten gewährten Bezugsvorschusses heranzuziehen.

§23 Abs3 GG 1956 dürfte eine solche - offenbar in bestimmten Fällen gebotene - Einschränkung nicht ermöglichen, weil er als Ermessensbestimmung formuliert ist und anscheinend vielfach nicht zum Tragen kommen kann; etwa dann, wenn die Waisenpension nur noch kurze Zeit gebührt und daher kleine Ratenzahlungen bei einem größeren 'Bezugsvorschußersatzrest' ausscheiden. Auch die §§61 und 62 Bundeshaushaltsgesetz ('Stundung, Ratenbewilligung, Aussetzung und Einstellung der Einziehung bei Forderungen des Bundes', 'Verzicht auf Forderungen des Bundes') dürften die aufgezeigten Bedenken nicht zerstreuen können, weil diese Bestimmungen wohl nur an den Bund gerichtete Ermächtigungsnormen sind, also dem Verpflichteten keinen diesbezüglichen Rechtsanspruch einräumen dürften. Schließlich ist noch in Betracht zu ziehen, daß das Gehaltsgesetz 1956 den Bund offenbar nicht verhält zu versuchen, den Bezugsvorschuß vom Nachlaß des Beamten hereinzubringen, ehe von §23 Abs2 letzter Satz GG 1956 Gebrauch gemacht werden darf."

4. Die Bundesregierung erstattete aufgrund ihres Beschlusses vom 10. September 1996 eine Äußerung, in der sie begehrt, die in Prüfung gezogene Gesetzesbestimmung nicht als verfassungswidrig aufzuheben.

Sie begründet diesen Antrag wie folgt:

"Der Verfassungsgerichtshof hegt gegen die in Prüfung gezogene Regelung das Bedenken, daß diese dem auch den Gesetzgeber bindenden Gleichheitsgrundsatz widerspreche: Obgleich der Anspruch auf Waisenversorgungsgenuß formal aus der Rechtssphäre des verstorbenen Beamten herrühren möge, stehe bei der Waisenpension doch die Unterhaltsfunktion im Vordergrund. Dann scheine es aber sachlich nicht gerechtfertigt zu sein, die dem Unterhalt dienende Waisenpension ohne Einschränkung zur Deckung eines dem verstorbenen Beamten gewährten Bezugsvorschusses heranzuziehen.

Diese Argumentation baut auf folgenden Prämissen auf:

-

Der Waisenversorgungsgenuß hat (primär) Unterhaltsfunktion, nicht Entgeltcharakter.

-

Diese Unterhaltsfunktion wird durch die Hereinbringung des dem Verstorbenen gewährten Vorschusses von den Hinterbliebenen beeinträchtigt.

Die Bundesregierung hält beiden Prämissen folgendes entgegen:

              1.              Nach der Judikatur des Verfassungsgerichtshofs kommt den Versorgungsgenüssen nach dem Pensionsgesetz 1965 in gleicher Weise wie den Aktiv- und Ruhebezügen des Beamten selbst Entgeltcharakter zu:

'Denn der Beamte erwirbt ... mit dem Tag des Dienstantritts Anwartschaft auf Pensionsversorgung für sich und seine Angehörigen, weshalb auch deren Ansprüche als Hinterbliebene - grundsätzlich nicht anders als der Ruhegenuß - als Abgeltung von Dienstleistungen des Beamten sowie als Abgeltung für von ihm geleistete Pensionsbeiträge verstanden werden müssen' (VfSlg. 11665/1988, S 366, Hervorhebung im Original).

Die Sicherstellung eines zur Bestreitung des notwendigen Lebensunterhaltes ausreichenden Einkommens der Bezieher von Ruhe- und Versorgungsgenüssen erfolgt erforderlichenfalls durch das Instrument der Ergänzungszulage gemäß §26 des Pensionsgesetzes 1965 (siehe insbesondere dessen Abs5 Z1, wonach die für den Anspruch auf Ergänzungszulage maßgeblichen Mindestsätze so festzusetzen sind, daß der notwendige Lebensunterhalt des Beamten und seiner Angehörigen sowie der Hinterbliebenen des Beamten gesichert ist).

2. Vorschüsse sind ihrer rechtlichen Natur nach Vorauszahlungen noch nicht fälliger öffentlich-rechtlicher Entgelte. Der aushaftende Vorschußrest wird im Falle des Todes des Vorschußempfängers zur Gänze sofort fällig, weil die Voraussetzung für die Aufschiebung der Abstattung weggefallen ist, und stellt eine Verbindlichkeit des Nachlasses des verstorbenen Beamten dar. Diese ist als fällige Forderung des Bundes beim zuständigen Gericht anzumelden.

Eine Einschränkung der Heranziehung der Versorgungsgenüsse Hinterbliebener zur Deckung eines noch nicht zur Gänze zurückgezahlten Vorschusses ergibt sich aus der Konstruktion des §23 Abs2 letzter Satz Gehaltsgesetz 1956 als Ermessensbestimmung (arg. 'können').

Bei der Ausübung dieses Ermessens ist - was in der Praxis durchwegs beachtet wird - auf die wirtschaftlichen Verhältnisse billige Rücksicht zu nehmen. Diese Verpflichtung ist zwar nur im §23 Abs2 erster Satz des Gehaltsgesetzes 1956 im Zusammenhang mit der Festsetzung der Abzugsraten ausdrücklich festgelegt; eine im Sinne des Gesetzes gelegene Ausübung des Ermessens hat diese Kriterien jedoch umso mehr anzuwenden, wenn es sich um die Heranziehung der den Angehörigen und Hinterbliebenen zustehenden Geldleistungen zur Deckung eines noch nicht zur Gänze zurückgezahlten Vorschusses handelt. Im Rahmen der billigen Rücksichtnahme auf die wirtschaftlichen Verhältnisse hat die Behörde auch zu berücksichtigen, inwieweit die Versorgungsberechtigten aus dem Nachlaß des verstorbenen Beamten begünstigt worden sind, inwieweit ihnen der Vorschuß zugutegekommen ist u.a.m.

Zieht die Behörde im Rahmen der Ausübung ihres Ermessens die Versorgungsgenüsse - wie im Ausgangsverfahren geschehen - nur in dem Ausmaß zur Deckung eines noch aushaftenden Vorschusses heran, als sie den Mindestsatz nach der Ergänzungszulagenverordnung übersteigen (wobei dies auch unabhängig von dem Umstand erfolgt, wie lange Ansprüche auf Versorgungsbezüge noch bestehen werden), kann auch eine dem Versorgungsgenuß allenfalls neben dem Entgeltcharakter beigemessene Versorgungsfunktion in keiner Weise beeinträchtigt sein.

Insgesamt ergibt sich, daß für die Anwendung der Ermessensbestimmung des §23 Abs2 letzter Satz Gehaltsgesetz 1956 im Gesamtzusammenhang ausreichende Kriterien zur Verfügung stehen und daß die gebotene Würdigung der Umstände des Einzelfalles einen sachlichen Gesetzesauftrag an die Vollziehung darstellt.

3. Eine allfällige Ermessensübung, die nicht im Sinne des Gesetzes erfolgt oder den eingeräumten Spielraum überschreitet, ist der nachprüfenden Kontrolle der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugänglich und belastet die gesetzliche Regelung selbst nicht mit Gleichheitswidrigkeit.

Die Bundesregierung ist daher der Auffassung, daß die in Prüfung gezogene Wortfolge nicht aus den im Einleitungsbeschluß dargelegten Gründen verfasssungswidrig ist."

II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1. Das Gesetzesprüfungsverfahren hat ergeben, daß die im Einleitungsbeschluß (s.o. I.3.) enthaltene vorläufige Annahme zutrifft, es lägen für ein solches Verfahren alle Prozeßvoraussetzungen vor.

Das Gesetzesprüfungsverfahren ist also zulässig.

2. Die Bundesregierung weist zwar zutreffend auf die ständige Judikatur des Verfassungsgerichtshofes (s. z.B. VfSlg. 11665/1988 und die dort zitierte weitere Rechtsprechung) hin, wonach nicht nur die den Ruhestandsbeamten gewährten Ruhegenüsse Entgeltcharakter besitzen, sondern auch die im Pensionsgesetz geregelten Versorgungsgenüsse der Angehörigen des (verstorbenen) Beamten.

Das schließt aber nicht aus, daß der Versorgungsgenuß (insbesondere der Waisenversorgungsgenuß) auch - und von seinem Zweck her gesehen geradezu vornehmlich - Unterhaltscharakter hat. Nach dem von der Bundesregierung ins Treffen geführten §26 PensionsG 1965 ist Personen, die Anspruch auf Versorgungsgenuß haben und deren monatliches Gesamteinkommen die Höhe eines (näher konkretisierten) Mindestsatzes nicht erreicht, auf Antrag eine Ergänzungszulage zu gewähren. Gerade diese Bestimmung deutet darauf hin, daß den Bezügen, die den Angehörigen (insbesondere den Waisen) zustehen, auch Unterhaltscharakter zukommt.

Unter diesen Umständen findet sich keine sachliche Rechtfertigung dafür, den Waisenversorgungsgenuß zur Deckung eines dem verstorbenen Beamten gewährten, noch nicht zur Gänze zurückgezahlten Bezugsvorschusses heranzuziehen, ohne daß zumindest für die Heranziehung solcher Unterhaltszahlungen gesetzliche Beschränkungen vorgesehen wären. Wenn die Bundesregierung meint, daß der ausständige "Bezugsvorschußersatzrest" im Falle des Todes des Vorschußempfängers eine Verbindlichkeit des Nachlasses des verstorbenen Beamten darstelle, entkräftet dies die dargestellten Bedenken nicht, sondern verstärkt sie; ist doch nicht einzusehen, weshalb gerade die Waisen für diese Verbindlichkeit ohne Rücksicht darauf aufkommen sollen, ob sie überhaupt als Erben eingesetzt wurden, zutreffendenfalls ohne Rücksicht auf das ihnen hinterlassene Vermögen.

Schließlich vermag auch der in der Äußerung der Bundesregierung enthaltene Hinweis, daß §23 Abs2 letzter Satz GG 1956 eine Ermessensbestimmung sei, die im Einleitungsbeschluß geäußerten Bedenken nicht zu zerstreuen. Die Meinung der Bundesregierung, daß die Kriterien des ersten Satzes des §23 Abs2 leg.cit. bei Ausübung des Ermessens im Zusammenhang mit der Rückzahlungsverpflichtung der Angehörigen i.S. des letzten Satzes des §23 Abs2 heranzuziehen seien, findet nämlich im Wortlaut dieses letzten Satzes keine Stütze; auch eine analoge Anwendung scheidet aus, weil der erste und der letzte Satz völlig Verschiedenes regeln. Selbst wenn die Ansicht der Bundesregierung zutreffen sollte, daß auch der letzte Satz zur Ermessensübung ermächtige, so fehlen nach dem soeben Gesagten alle Determinanten, in welchem Sinn die Behörde das Ermessen handhaben sollte. Diese Interpretation würde somit unter dem Gesichtspunkt des Art18 B-VG zu einem verfasssungswidrigen Ergebnis führen. Es stünde nämlich im Belieben der Behörde, ob sie die Rückzahlungsverpflichtung der Angehörigen ermäßigt bzw. ganz nachsieht, oder ob sie auf der vollen Rückzahlung beharrt. Damit fehlte also für die Angehörigen jeglicher Rechtsschutz, nicht auf unbillige und unvertretbare Weise für noch ausständige Rückzahlungsverpflichtungen herangezogen zu werden.

Die Annahme des Einleitungsbeschlusses, daß §23 Abs3 GG 1956 eine Einschränkung der Rückzahlungsverpflichtung nicht ermöglicht, hat sich als zutreffend erwiesen; die Bundesregierung ist ihr nicht entgegengetreten.

Die in Prüfung gezogene Wortfolge widerspricht also dem Gleichheitsgrundsatz und war deshalb als verfassungswidrig aufzuheben.

3. Die Bestimmung einer Frist für das Außerkrafttreten der aufgehobenen Gesetzesstelle gründet sich auf Art140 Abs5 dritter und vierter Satz B-VG.

Der Ausspruch, daß frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Wirksamkeit treten, beruht auf Art140 Abs6 erster Satz B-VG.

Die Verpflichtung des Bundeskanzlers zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung erfließt aus Art140 Abs5 erster Satz B-VG und §64 Abs2 VerfGG.

4. Diese Entscheidung konnte gem. §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Dienstrecht, Bezüge, Versorgungsgenuß, Waisen, Ermessen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1996:G162.1996

Dokumentnummer

JFT_10038797_96G00162_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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