TE Lvwg Erkenntnis 2018/11/2 VGW-031/056/11692/2017

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 02.11.2018
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Entscheidungsdatum

02.11.2018

Index

L40009 Sonstige Polizeivorschriften Wien;
L40019 Anstandsverletzung Ehrenkränkung Lärmerregung Polizeistrafen Wien
19/05 Menschenrechte

Norm

WLSG §1 Abs1 Z1
EMRK Art. 10

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Verwaltungsgericht Wien hat durch seine Richterin Dr. Zeller über die Beschwerde des Herrn A. B., vertreten durch Rechtsanwälte OG, gegen das Straferkenntnis der Landespolizeidirektion Wien, Polizeikommissariat ..., vom 6.7.2017, GZ: ..., betreffend eine Verwaltungsübertretung nach dem WLSG,

zu Recht e r k a n n t:

I. Gemäß § 50 VwGVG wird der Beschwerde insoweit Folge gegeben, als die verhängte Geldstrafe auf 150 Euro, die für den Fall der Uneinbringlichkeit festgesetzte Ersatzfreiheitsstrafe auf 2 Tage herabgesetzt werden. Im Übrigen wird das angefochtene Straferkenntnis bestätigt.

Dementsprechend wird der Beitrag zu den Kosten des Verfahrens bei der belangten Behörde gemäß § 64 Abs. 2 VStG mit 15 Euro festgesetzt, das sind 10% der verhängten Strafen.

II. Gemäß § 52 Abs. 8 VwGVG hat der Beschwerdeführer keinen Beitrag zu den Kosten des Beschwerdeverfahrens zu leisten.

III.   Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a VwGG eine Revision des Beschwerdeführers an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig; für die belangte Behörde und die revisionslegitimierte Formalpartei ist gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

1.) Das angefochtene Straferkenntnis ist gegen den Beschwerdeführer als Beschuldigten gerichtet und enthält folgenden Spruch:

„1. Sie haben am 15.04.2017 von 19:34 Uhr bis 19:44 Uhr in Wien … den öffentlichen Anstand verletzt, indem Sie im Block ... über mehrere Minuten hinweg eine mehrere quadratmetergroße Fahne mit dem Schriftzug A.C.A.B. („All Cops Are Bastards“) geschwenkt haben

Der Beschuldigte hat dadurch folgende Rechtsvorschrift(en) verletzt:

§ 1 Abs. 1 Z. 1 WLSG

Wegen dieser Verwaltungsübertretung(en) wird (werden) über Sie folgende Strafe(n) verhängt:

Geldstrafe von €

falls diese uneinbringlich ist, Ersatzfreiheitsstrafe von

Freiheitsstrafe von

Gemäß

€ 350,00

3 Tage(n) 12 Stunde(n)
0 Minute (n)

 

§ 1 Abs. 1 WLSG

 

Weitere Verfügungen (zB Verfallsausspruch, Anrechnung von Vorhaft):

Ferner hat der Beschuldigte gemäß § 64 des Verwaltungsstrafgesetzes 1991 - VStG zu zahlen:

€ 35,00 als Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens, das sind 10% der Strafe, jedoch mindestens 10 Euro für jedes Delikt (je ein Tag Freiheitsstrafe wird gleich € 100,00 angerechnet).

€        als Ersatz der Barauslagen für

Der zu zahlende Gesamtbetrag (Strafe/Kosten/Barauslagen) beträgt daher

€ 385,00“

In der fristgerecht dagegen erhobenen Beschwerde wird eingewendet, dass unstrittig sei, dass der Beschwerdeführer zur angegebenen Zeit und am angegebenen Ort eine Fahne geschwenkt habe, auf welcher die Buchstabenfolge „ACAB“ zu lesen gewesen wäre. Jedoch sei die Wortfolge, wie im Straferkenntnis angelastet, „all cops are bastards“ nicht darauf gestanden, sondern nur die genannte Buchstabenfolge selbst. Die allgemeine Ablehnung bzw. Kritik gegenüber der Polizei habe der Beschwerdeführer beim Schwingen der gegenständlichen Fahne zum Ausdruck bringen wollen.

Es bestünde seit langer Zeit in angespanntes Verhältnis zur Polizei. Es sei amtsbekannt, dass Polizeieinsätze sowie generell das Verhalten der Polizeikräfte immer wieder Gegenstand öffentlicher Diskussionen sei, auch Fußballfans artikulierten diese Kritik immer wieder. Dazu werde ein Konvolut an entsprechenden Medienberichten und Fotos vorgelegt. Es bestünde auch eine laufende öffentliche Diskussion über das Verhältnis von Fußballfans und Polizei.

Das Schwingen der Fahne habe im Stadion keine Reaktion des Publikums bewirkt. Der von der Behörde festgestellte Sachverhalt sei daher nicht richtig.

Ferner lege eine unrichtige rechtliche Beurteilung vor, mit Entscheidungen des Landesverwaltungsgerichte Niederösterreich vom 01.02.2017 sowie UVS Niederösterreich vom 02.10.2012 seien in derartigen Fällen keine Anstandsverletzungen erkannt worden. Vor allem sei das öffentliche Zurschaustellen der Buchstabenfolge ACAB von der Meinungsfreiheit nach Art. 10 EMRK geschützt und demnach nicht strafbar. Der deutsche Bundesverfassungsgerichtshof habe diese Rechtsansicht bereits bestätigt, wie beigelegt. Das dort zugrunde liegende Verhalten sei ähnlich gewesen, so habe ein Fußballverein im Stadion ein Kleidungsstück mit dieser Wortfolge getragen. Eine Bestrafung des Betroffenen sei als Verletzung der Meinungsfreiheit gesehen worden. Einer weiteren Entscheidung des Deutschen Bundesverfassungsgerichtshofes sei ein nahezu identischer Sachverhalt zugrunde gelegen, wo Fußballfans bei einem Fußballspiel im Stadion ein Banner mit der genannten Buchstabenfolge gezeigt hätten. Schließlich habe ein Beschuldigter ein Transparent mit der Aufschrift „a soldier is a murder“ durch Aufhängen an einer Straßenkreuzung öffentlich gezeigt, wobei sich auch hier nach Meinung des deutschen Bundesverfassungsgerichtes um eine allgemeine Äußerung handle, welche durch Meinungsfreiheit gedeckt sei. Dies sei auf die österreichische Rechtsordnung umzulegen. Jede Bestrafung sei wegen der verfassungsrechtlich garantierten Meinungsfreiheit unzulässig.

Ferner sei nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes notwendig, dass konkrete Umstände vorlägen, aus denen die Annahme der Verletzung des öffentlichen Anstandes abgeleitet werden könne. Die Äußerung einer Meinung als solches, soferne sie nicht aus anderen - zulässigen - Gründen verpönt sei, sei keine Anstandsverletzung in einer demokratischen Gesellschaft. Ferner käme es nicht nur auf den Wortlaut an, sondern auch darauf, mit welchen Äußerungen die in Betracht kommenden Zuhörer zu rechnen hätten. Auch hier gelte, dass die Erfordernisse in jeder Situation anders seien. Was in einer Situation anstößig sei, könne in einer anderen Situation ganz natürlich sein; beispielsweise müsse bei einer öffentlichen Theateraufführung auch eine Sprache in Kauf genommen werden, welche im täglichen Leben grob anstößig wäre. Dies gelte auch im vorliegenden Fall. Es handle sich um eine Fahne, welche Kritik gegenüber Polizisten im allgemeinen enthalte. Diese werde dazu verwendet, bei einem Fußballspiel gezeigt zu werden. Es sei allgemein bekannt und entsprechend der Lebenserfahrung, dass die Zuschauer bei einem Fußballspiel sich generell einer derberen Sprache bedienten, als im sonstigen Alltag üblich.

Ferner sei auf der Fahne nur die Buchstabenfolge zu erkennen gewesen. Die Fahne sei wohl nur von einem Teil der zahlreichen Besucher konkret wahrgenommen worden.

2.) Aus dem vorliegenden Verwaltungsakt geht folgender Sachverhalt hervor:

Aus einem Bericht der LPD Wien vom 15.04.2017 geht hervor dass bei einem näher genannten Bundesliga-Spiel ... Wahrnehmungen hinsichtlich Bescheidauflagen gemacht worden seien. Unter anderem wird darin angeführt, dass die genannte Schwenkfahne im Block ... hinter dem Vorsängerpodest verwendet worden sei. Beiliegend ist ein Foto des Beschwerdeführers zu sehen, die Fahne selbst ist daraus auf verschiedenen Fotos konkret ersichtlich und, wie festgestellt, ca. einige Quadratmeter groß.

In der Folge erging eine Strafverfügung mit identem Vorhalt, wie im folgenden Straferkenntnis.

Dagegen erhob der Beschwerdeführer Einspruch.

3.) In der Sache fand vor dem Verwaltungsgericht Wien am 2.10.2017 eine öffentliche Verhandlung statt, zu welcher der Beschwerdeführer sowie sein rechtlicher Vertreter erschienen und Folgendes zu Protokoll gaben:

Der Beschwerdeführer gibt als Partei einvernommen Folgendes zu Protokoll:

Ich verweise auf das bisherige Vorbringen.

Ich bin ein Fan von ... und auch öfter bei derartigen Matches. Ich habe mich damals im Fansektor befunden. Die Bedeutung ACAB ist mir bekannt. Es ist normal und durch mich auch wahrnehmbar gewesen, dass Polizeieinsatzkräfte im Stadion anwesend waren.

Die Vertreter des Beschwerdeführers geben Folgendes zu Protokoll:

Die beiden Zeugen wurden zum Beweis dafür genannt, dass sie aus ihrer Sicht darlegen können, dass es sich beim zur Schau stellen der Wortfolge ACAB um eine allgemeine Ablehnung gegenüber der Polizei handelt.

Darüber hinaus können die Zeugen Angaben machen dazu, dass es wiederholt zu kritischen Auseinandersetzungen zwischen den Fans und Polizeibeamten während einem Fußballspiel kommt. Fußballfans artikulieren ihre Kritiken.

Rechtlich möchte ich insbesondere neben den bisherigen Ausführungen auf Art 10 EMRK hinweisen. Die Rechtsprechung aus Deutschland in Sachen Beleidigung kann nicht anders gesehen werden als die gegenständliche Frage.

Es waren gegenständlich die Umstände im Stadion selbst zu berücksichtigen: Es gab keinerlei Publikumsreaktionen zur Fahne. Auch seitens der Exekutive hat es keine Reaktionen gegenüber den Beschwerdeführer auf die Fahne gegeben unmittelbar vor Ort. Es handelte sich hier auch nicht um ein individuelles Herabwürdigen, sondern die Fahne wurde einfach geschwenkt.

Es wäre rechtstaatlich bedenklich und nicht im Sinne von der Freiheit für Meinungsäußerung, würde man an einem Ort verschiedene Kategorien von Schicklichkeit einführen.

Der Beschwerdeführer gibt weiters an:

Ich gehe seit 10 Jahren auf Matches. Ich wurde noch nie von anderen Besuchern darauf hingewiesen, dass ihnen die Aufschrift nicht passen würde. Ich bin auch bisher nicht von anwesenden Polizisten jemals darauf hingewiesen worden.“

4.) Das Verwaltungsgericht Wien hat erwogen:

Der Beschwerdeführer befand sich am 15. 04. 2017 von 19:34 bis 19:44 Uhr während eines Fußballspiels in …, Wien im Block ... auf der Zuschauertribüne, während eine Vielzahl sonstiger Zuschauer ebenso anwesend waren und dem Spielverlauf folgten. Der Beschwerdeführer schwenkte dabei eine Fahne auf welcher die Buchstabenkombination „A.C.A.B“ zu lesen war. Im Stadion waren nicht nur Zuschauer, Fans, Spieler, sondern auch eine Mehrzahl an sich im Dienst befindlichen Sicherheitswacheorganen anwendbar.

Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich aus dem Akteninhalt, insbesondere der Anzeige sowie den beiliegenden Lichtbildern und den Angaben des Beschwerdeführers selbst.

Gemäß § 1 Abs. 1 Z 1 WLSG ist mit Geldstrafe bis zu 700 Euro, im Falle der Uneinbringlichkeit mit einer Ersatzfreiheitsstrafe bis zu einer Woche zu bestrafen, wer den öffentlichen Anstand verletzt.

Der öffentliche Anstand wird durch ein Verhalten verletzt, das als grober Verstoß gegen jene Pflichten der guten Sitten zu betrachten ist, das das Herkommen den Menschen auferlegt und das in der Öffentlichkeit in Erscheinung tritt (VwGH 22.9.1953, 0526/51). Dazu hat der Verfassungsgerichtshof ferner in seiner Entscheidung VfSlg. 10.700/1985 ausgeführt, dass, "ob der Anstand verletzt wird oder nicht, … auch bei einer öffentlichen Äußerung nicht bloß nach ihrem Wortlaut beurteilt werden [kann]. Es kommt vielmehr entscheidend darauf an, mit welchen Äußerungen die in Betracht kommenden Zuhörer den Umständen nach zu rechnen haben. Auch hier gilt, was für den gesamten Bereich des öffentlichen Anstandes charakteristisch ist: dass nämlich die Erfordernisse in jeder Situation andere sind; was in der einen anstößig ist, kann in der anderen ganz natürlich sein. Wer eine – wenn auch öffentliche – Theateraufführung besucht, muss weithin eine Sprache in Kauf nehmen, die er im täglichen Leben grob anstößig finden würde. Andererseits gibt es Gelegenheiten und Anlässe in der Öffentlichkeit, bei denen Formulierungen, die sonst kaum auffallen, als so schwerer Verstoß gegen die Schicklichkeit erscheinen, dass sie auch in einer demokratischen Gesellschaft nicht hingenommen werden müssen. Die berechtigten Erwartungen sind dort und da ganz verschieden. Die Öffentlichkeit ist ferner keine einheitliche Größe. Was tragbar ist, wechselt auch nach der Art des Publikums." Dieser Auffassung hat sich der Verwaltungsgerichtshof in seiner Entscheidung vom 19.10.2005, 2003/09/0074, angeschlossen.

Es muss nun für die Verwirklichung dieses Verwaltungsstrafbestandes der öffentliche Anstand verletzt werden, wofür die konkrete Möglichkeit der Kenntnisnahme über den Kreis der Beteiligten hinaus genügt (VwGH vom 10.11.1970, 1590/69 sowie VwSlg. 9684 A/78 sowie vom 30.09.1985, Zl. 85/10/0120). Im Beschwerdefall ist durch die Anwesenheit mehrerer Polizeibeamten und zahlreicher Fans und sonstiger Zuschauer damit das Tatbestandselement der „Öffentlichkeit“ jedenfalls als erfüllt anzusehen.

Zentrales Tatbestandsmerkmal ist der „Anstand". Von seiner eigentlichen Wortbedeutung her bzw. dem allgemeinen Sprachgebrauch nach, bedeutet „Anstand": „gute Sitte" oder auch „gutes Benehmen" bzw. ein „den guten Sitten entsprechende Benehmen". Das Gesetz verlangt demnach von Personen - um sich nicht strafbar zu machen - außerhalb des engeren Privatbereiches, somit in der von der Öffentlichkeit grundsätzlich wahrnehmbaren Sphäre, ein äußeres Verhalten („Benehmen"), welches der Würde der sittlichen Persönlichkeit des Menschen entgegenspricht. Die sittliche Persönlichkeit des Menschen kann entweder dadurch herabgewürdigt werden, dass sich die Person selbst auf eine Ebene begibt, welche eines sittlichen Menschen unwürdig ist, oder aber dadurch, dass die Person die sittliche Persönlichkeit anderer missachtet. Nach der Judikatur des VwGH bildet ua. ein anstandsverletzendes Verhalten, wer ein Verhalten setzt, das geeignet ist, das Ansehen dieser Personen herabsetzen und jene Rücksichten vermissen lassen, die für die Begegnung mit anderen Menschen in der Öffentlichkeit verlangt werden müssen. Das zu beurteilende Verhalten eines Menschen muss daher - um als anstandsverletzend gelten zu können - vorerst einen Verstoß gegen die allgemein anerkannten Grundsätze der guten Sitte darstellen. Zudem muss dieser Verstoß noch ein „grober" sein. Als „grob" in diesem Sinnzusammenhang wird man ein Verhalten zu werten haben, welches mit erheblich ausgeprägter Rücksichtslosigkeit oder zumindest mit einer solchartigen Gleichgültigkeit gegenüber dem geschützten Rechtsgut gesetzt wird (vgl. dazu Erkenntnis des LVwG Oberösterreich vom 03.12.2015, Zl. LVwG-700128/2/MB/SA).

Gegenständliche wurde eine – unstrittig mehrere Quadratmeter große – Fahne mit der Aufschrift „A.C.A.B.“ geschwenkt. Die Fahne wurde nicht nur gehalten, sondern der Schriftzug durch das Schwenken zur Schau gestellt. Wie in der bisherigen Rechtsprechung betont wird, wird dies die häufig in Jugendsubkulturen bzw. Neonaziszene eine Abkürzung für „all cops are bastards“ verwendet (vgl. UVS Niederösterreich vom 02.10.2012 zur Zahl Senat-MD-11-0116). „A.C.A.B.“ ist daher nicht so verschlüsselt, dass es als eine Geheimsprache unter Eingeweihten gelten könnte.

Der dieses Wort Verwendende bringt damit eine nicht unerhebliche Geringschätzung des Gegenübers zum Ausdruck, da damit Sicherheitswacheorgane mit Bastarden gleichgestellt werden. Dies bedeutet, den anderen Menschen damit als minderwertig einzustufen und ist ein Schimpfwort (vgl. Erklärung Duden). Die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes wurden damit unmittelbar bei der Vollziehung ihrer Aufgaben mit einer Beschimpfung konfrontiert. Dass dies entweder milieubedingt oder situationsbedingt normal sei, kann nicht erkannt werden. Nicht nur, dass derartige Herabwürdigungen situationsbedingt nicht anzuerkennen sind, sondern ist auch darauf hinzuweisen, dass sich im Stadion nicht nur derartige Fans, für welche dies unter Umständen milieubedingt normal erscheinen mag, sondern auch die betroffenen Sicherheitswacheorgane und ebenso eine sonstige Öffentlichkeit. Einen anderen Menschen als „bastard“ zu bezeichnen ist bereits für sich allein genommen als anstößig oder unschicklich anzusehen, sodass dies jedenfalls jene Formen des äußeren Verhaltens verletzt, die nach Auffassung gesitteter Menschen der Würde des Menschen als sittlicher Person beim Heraustreten aus dem Privatleben in die Öffentlichkeit entsprächen.

Gegenständlich lag ein bewusstes Schwenken der Fahne (von sichtbarer Größe) über jedenfalls einige Minuten hinweg mit dem –durch das Schwenken -- jedenfalls sichtbaren Schriftzug im, mit Zuschauern und auch Sicherheitswachebeamten gefüllten Stadion während eines Fußballspiels vor. Dass damit eine Anstandsverletzung zu vertreten ist, entspricht auch der bisherigen Rechtsprechung in vergleichbaren Fällen: so wurde erkannt, dass eine Verbalinjure, worin „all cops are bastards“, welche gegenüber Sicherheitswacheorganen gegenüber gesagt wird, eine Anstandsverletzung darstellt (siehe dazu Erkenntnis des VWG Wien vom 30.05.2014, Zl. VGW-031/040/6219/2014). In einem anderen Fall wurde das Transparent („A.C.A.B.“) an einem öffentlichen Ort aufgehängt und allenfalls vorübergehend verdeckt, sodass es für einen großen Teil der anwesenden Zuschauer sichtbar war. Dies war naturgemäß auch die Intention der Anbringung des betreffenden Transparents. Hier wurde erkannt, dass in einer pauschalen Herabwürdigung einer Berufsgruppe, deren Aufgabe die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit ist, eine Anstandsverletzung zu erblicken ist. (vgl. Erkenntnis des VWG Wien, VGW-102/013/10210/2014 vom 12.06.2014). Ebenso wurde eine Anstandsverletzung darin gesehen, dass jemand während eines Fußballspiels ein 1x0,3 Meter großes Transparent mit dem Schriftzug „FUCK COPS!“ für einige Minuten gut leserlich mit beiden Händen über dem Kopf gehalten hatte (vgl. LVwG Oberösterreich, Erkenntnis vom 07.03.2018, Zl. LVwG-700354/9/Sr). In dem Fall, in welchem ein Beschuldigter eine Aufschrift „A.C.A.B.“ auf seiner Jacke (auf der Kaputze im Bereich des Genicks) beim Eingang zum Fußballstadion getragen hatte und er sich provokativ vor den Polizeibeamten auf und ab bewegt hatte, sodass sie den genannten Schriftzug wahrnehmen konnten und mussten, wurde mit Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich vom 11.07.2017, LVwG 700237/7/MZ eine Anstandsverletzung erkannt, welche der Verfassungsgerichtshof mit Ablehnung der Beschwerde als verfassungskonform erachtete (siehe VfGH, Beschluss vom 22.09.2017, E 2953/2017-5).

Dass nicht jede Art der Artikulation des „A.C.A.B.“ den Tatbestand erfüllt, ergibt sich auch aus anders gelagerten Fällen, welche mit dem vorliegenden Fall (bewusstes Schwenken der Fahne mit dem Schriftzug A.C.A.B. in festgestellter Größe während des Fußballspiels) nicht vergleichbar sind (etwa eine mit einem Filzstift am Hals angebrachten Parole „ACAB“, vgl. UVS Niederösterreich, Berufungsbescheid vom 01.10.2012, Zl. Senat-MD-11-0116; oder das Anbringen dieses Schriftzuges auf der linken Seite eines KFZ-Hecks, vgl. LVwG Niederösterreich, Erkenntnis vom 01.01.2017, Zl. LVwG-S-3133/001-2015).

Eingewendet wird, dass es sich um eine Meinungsäußerung handelt, welche nach Art. 10 MRK verfassungsrechtlich geschützt ist. Bei verfassungskonformer Interpretation des § 1 Abs. 1 Z. 1 WLSG sei daher der Tatbestand nicht erfülle:

Art. 10 MRK gilt nicht absolut. Es ist daher – auch im Sinne der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes – davon auszugehen, dass die Modalitäten der Meinungsäußerung zulässigerweise eine gesetzlich normierte Einschränkung erfahren können. Die freie Meinungsäußerung endet daher dort, wo primär nicht eine inhaltliche Meinung, sondern eine Beschimpfung zum Ausdruck gebracht wird. Dies gilt auch für eine Anstandsverletzung (dies gleichermaßen vom Wortlaut in den unterschiedlichen Landesgesetzen), damit wird nicht die Meinungsäußerung per se, sondern die anerkannten – regionalen - Wertvorstellungen widersprechende Modalitäten der Meinungsäußerung pönalisiert.

Vorbehaltlich des Art 10 Abs 2 MRK findet die Freiheit der Meinungsäußerung nicht nur auf "Informationen" oder "Ideen" Anwendung, die positiv aufgenommen oder als harmlos oder als indifferent angesehen werden, sondern auch auf solche, die verletzen, schockieren oder beunruhigen. Dies verlangen Pluralismus, Toleranz und Aufgeschlossenheit, ohne die es keine "demokratische Gesellschaft" gibt. Art 10 MRK schützt nicht nur den Inhalt der geäußerten Ideen oder Informationen, sondern auch die Form, in der sie dargestellt werden (vgl. unter vielen OGH, 4Ob75/94 vom 28.06.1994). Die Verpflichtung zur Wahrung des Anstandes stellt für sich betrachtet einen Eingriff in das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung iSd Art. 13 StGG und Art. 10 MRK dar, sie ist aber als solche zur Aufrechterhaltung der Ordnung in der demokratischen Gesellschaft notwendig und daher im Hinblick auf den Gesetzesvorbehalt des Art. 13 StGG und des Art. 10 MRK unbedenklich (vgl. dazu auch im Detail VwGH, Erkenntnis vom 19.10.2005, Zl. 2003/09/0074).

Zwar fordert das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Freiheit der Meinungsäußerung besondere Zurückhaltung in der Beurteilung einer Äußerung als strafbare Anstandsverletzung, bei dem vorliegenden Sachverhalt ist dies nicht mehr vom Grundrecht der freien Meinungsäußerung umfasst. Auch wenn der Beschwerdeführer damit seine Meinung zum schwierigen Verhältnis zwischen Exekutivorganen und Fußballfans sowie insbesondere Kritik an der bisweiligen Vorgehensweise der Polizei generell und deren starken Präsenz zum Ausdruck bringen wollen, wie er vorbrachte, so ist dies angesichts der klaren Beschimpfung nicht als solches zu werten (siehe auch VfGH Beschluss vom 22.09.2017, E 2953/2017-5 betreffend Ablehnung einer Beschwerde in einem ähnlichen Kontext).

Zwar trifft es zu, dass in einigen Fällen das deutsche Bundesverfassungsgericht entsprechende Verfassungsbeschwerden zugelassen hatte (vgl. so deutsches Bundesverfassungsgericht vom 17.05.2016 in den Verfahren 1BvR257/14 und 1BvR2150/14 zu dem dortigen Straftatbestand der Beleidigung nach § 185 dt. StGB, wofür eine Individualisierung tatbestandsmäßig gefordert ist). In den im Verfahren vorgelegten Urteilen wurde jedoch zentral eine mangelnde Feststellung der Strafgerichte betreffend der im Tatbestand der Beleidigung geforderten Individualisierung innerhalb des Kollektivs (unter Erörterung der Frage einer Kollektivbeleidigung der Polizei als solches) erörtert. In einem anderen Fall hat das Deutsche Verfassungsgericht beispielsweise die Bestrafung wegen Beleidigung im Fall des Tragens eines Stoffbeutels über der Schulter durch einen Teilnehmer an einer Demonstration, wo das Akronym „A.C.A.B.“ sowie ein abgebildetes Kätzchen und ebenso der Schriftzug „All CATS are BEAUTIFUL“ zu lesen war, als verfassungsrechtlich unbedenklich erkannt. Konkret wurde ausgeführt, dass die alleinige Teilnahme des Beschwerdeführers an einer Versammlung in der Erwartung, dass dort auch Polizeibeamte anwesend sein dürften, ebenso wenig aus wie die Weigerung, den Beutel auf Aufforderung durch den Einsatzleiter wegzustecken.

Anders als etwa im Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom 18.12.2017 (Zl. VGW-031/022/15576/2017, wo auf einem, vom dortigen Beschwerdeführer getragenen Pullover Schriftzug „1312“ zu lesen war) war die „Beschimpfung“ und damit Anstandsverletzung gegenständlich nicht derart mehrfach codiert (dort durch die Verwendung eines Akronyms, sodann durch die Umwandlung des Akronyms in eine Zahlenfolge und letztlich durch das teilweise Ersetzen der Zahlen durch Symbole). Hingegen ist die Bedeutung der Abkürzung „A.C.A.B.“ gegenwärtig nicht nur für eine kleine Gruppe von eingeschworenen Fußballfans manifest erkennbar. Ferner unterscheidet sich der vorliegende Fall von jenen, in welchen keine Anstandsverletzung gesehen wurde, konkret auch dahingehend, dass durch die Größe des verwendeten Aufdrucks (mehrere Quadratmeter große Fahne) sowie das besondere Zur-Schau-Stellen durch ein Schwenken über zumindest mehrere Minuten hindurch (wodurch sich sonstige Zuseher dem auch schwerer entziehen konnten, da es nicht nur passiv war sondern die Aufmerksamkeit auf sich zog). Zwar ist die Beurteilung natürlich situationsbedingt im Zuge eines Fußballspiels im Fußballstadion selbst so, dass man sich daher dort auf eine gewisse Inszenierung einlässt, welche im täglichen Leben nicht anerkannt würde. Jedoch gilt auch hier, dass nicht jede Äußerung in jeder Form erlaubt ist, sondern sind auch hier Grenzen des Anstandes gegeben.

Da die beantragten Zeugen zur Feststellung des Sachverhaltes nicht beitragen hätten können, war von deren Einvernahme abzusehen. Der Sachverhalt selbst blieb unbestritten, die vom Beschwerdeführer dargetanen Umstände sind unstrittig.

Der objektive Tatbestand steht daher als erwiesen fest.

Zum Verschulden ist festzuhalten, dass der Beschwerdeführer durchaus leicht hätte erkennen müssen, dass sein Verhalten einen verwaltungsstrafrechtlichen Erfolg herbeiführte. Er hätte erkennen müssen, dass durch sein Verhalten der Anstand verletzt wurde. Ein objektiv redlicher mit den allgemein anerkannten Werten und Sitten Verbundener wäre diesbezüglich keinen Zweifel unterlegen. Der Beschwerdeführer nahm die Folgen seines Handelns bewusst in Kauf, jedenfalls war sein Vorgehen grob fahrlässig.

Im Ergebnis bedeutet dies, dass der Beschwerdeführer auch die subjektive Tatseite erfüllt.

Zur Strafbemessung:

Gemäß § 19 VStG sind Grundlage für die Bemessung der Strafe die Bedeutung des strafrechtlich geschützten Rechtsgutes und die Intensität seiner Beeinträchtigung durch die Tat. Im ordentlichen Verfahren (§§ 40 bis 46) sind überdies die nach dem Zweck der Strafdrohung in Betracht kommenden Erschwerungs- und Milderungsgründe, soweit sie nicht schon die Strafdrohung bestimmen, gegeneinander abzuwägen.

Auch auf das Ausmaß des Verschuldens ist besonders Bedacht zu nehmen. Unter Berücksichtigung der Eigenart des Verwaltungsstrafrechtes sind die §§ 32 bis 35 Strafgesetzbuch sinngemäß anzuwenden. Die Einkommens- und Vermögensverhältnisse und allfällige Sorgepflichten des Beschuldigten sind bei der Bemessung von Geldstrafen ebenso zu berücksichtigen.

Im vorliegenden Fall wurde durch die vorgenommene Handlung das als nicht unbedeutend einzustufende öffentliche Interesse an der Vermeidung von Anstandsverletzungen verletzt. Die Wahrung des öffentlichen Anstandes ist ebenso ein hohes Rechtsgut, das neben dem Persönlichkeitsschutz ein friedfertiges Zusammenleben sichern bzw. fördern soll.

Weiters steht fest, dass das Ausmaß des Verschuldens im vorliegenden Fall jeweils in Anbetracht der Außerachtlassung der im gegenständlichen Fall objektiv gebotenen und dem Beschwerdeführer zuzumutenden Sorgfalt nicht als geringfügig bezeichnet werden kann, da weder hervorgekommen noch aufgrund der Tatumstände anzunehmen ist, dass die Einhaltung der verletzten Rechtsvorschrift durch den Beschwerdeführer im konkreten Fall eine besondere Aufmerksamkeit erfordert hätte oder dass die Verwirklichung des Straftatbestandes aus besonderen Gründen nur schwer hätte vermieden werden können.

Nach dem vorliegenden Akteninhalt war der Beschwerdeführer zum Tatzeitpunkt verwaltungsstrafrechtlich nicht unbescholten. Es waren keine Erschwerungsgründe zu werten. Als Milderungsgrund war die überlange Verfahrensdauer zu werten.

Es war von durchschnittlichen Einkommensverhältnissen auszugehen und Sorgepflichten nicht zu berücksichtigen.

In Anbetracht dieser Strafzumessungskriterien war unter Bedachtnahme auf den Milderungsgrund und den bestehenden Strafrahmen, welcher bereits zur Hälft ausgeschöpft wurde, die Strafe spruchgemäß herabzusetzen. Einer weiteren Herabsetzung standen spezial – und generalpräventive Erwägungen, aber auch der Unrechtsgehalt der Tat entgegen.

Eine Anwendung des 45 Abs. 1 Z 4 VStG schied auf Grund der oben erörterten Strafbemessungsgründe - ein beträchtliches Überwiegen der Strafminderungsgründe konnte ebenso wenig festgestellt werden, wie die Geringfügigkeit der Bedeutung der strafrechtlich geschützten Rechtsgüter und der Intensität ihrer Beeinträchtigung durch die Taten sowie ein geringes Verschulden des Beschuldigten - aus.

Die ordentliche Revision ist für die belangte Behörde und die revisionsberechtigte Formalpartei unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Für den Beschwerdeführer ist nach der Bestimmung des § 25a Abs 4 VwGG keine Revision zulässig. Nach dieser Bestimmung ist eine Revision wegen Verletzung in Rechten (Art 133 Abs 6 Z 1 B-VG) nicht zulässig, wenn in einer Verwaltungsstrafsache – wie gegenständlich – eine Geldstrafe von bis zu 750 Euro und keine Freiheitsstrafe verhängt werden durfte sowie im Erkenntnis eine Geldstrafe von bis zu 400 Euro verhängt wurde.

Schlagworte

Verletzung des öffentlichen Anstands; Anstandsverletzung; Fußballstadion; All Cops Are Bastards; A.C.A.B.; Beschimpfung; Meinungsfreiheit; Gesetzesvorbehalt; Interessenabwägung

Anmerkung

VfGH v. 18.6.2019, E 5004/2018; Aufhebung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGWI:2018:VGW.031.056.11692.2017

Zuletzt aktualisiert am

05.08.2019
Quelle: Landesverwaltungsgericht Wien LVwg Wien, http://www.verwaltungsgericht.wien.gv.at
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