TE Bvwg Beschluss 2019/3/4 W205 2163427-1

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Veröffentlicht am 04.03.2019
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Entscheidungsdatum

04.03.2019

Norm

AsylG 2005 §2 Abs1 Z22
AsylG 2005 §34
AsylG 2005 §35 Abs1
AsylG 2005 §35 Abs4
B-VG Art.133 Abs4
FPG §11
FPG §11a Abs2
FPG §26
VwGVG §14 Abs1
VwGVG §15 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2
VwGVG §28 Abs3 Satz2
VwGVG §31 Abs1

Spruch

W205 2163427-1/7E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. SCHNIZER-BLASCHKA nach Beschwerdevorentscheidung der Österreichischen Botschaft Damaskus vom 02.06.2017, Zl. Damaskus-OB/KONS/1226/2017, aufgrund des Vorlageantrages von XXXX , geb. XXXX .1960, StA. Syrien, über die Beschwerde gegen den Bescheid der Österreichischen Botschaft Damaskus vom 09.03.2017, Zl. Damaskus-ÖB/KONS/0866/2017, beschlossen:

A) In Erledigung der Beschwerde werden der bekämpfte Bescheid und

die Beschwerdevorentscheidung behoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Österreichische Botschaft Damaskus zurückverwiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

1. Die Beschwerdeführerin stellte am 08.11.2016 bei der Österreichischen Botschaft Damaskus (in der Folge: ÖB Damaskus) einen Antrag auf Erteilung eines Einreisetitels gem. §°35 Abs. 1 AslyG 2005.

Als Bezugsperson wurde der minderjährige Sohn, XXXX (künftig: K), geb. XXXX 2003, angeführt, welchem mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl ("BFA") vom 04.07.2016, Zl. 1089363903/151447655, der Status des Asylberechtigten in Österreich zuerkannt wurde.

Dem Antrag waren folgende Dokumente beigelegt:

Passkopie der Beschwerdeführerin;

Bescheid der Bezugsperson, mit der ihr der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde;

Dokumente in englischer Sprache, darunter ein Auszug aus dem Familienbuch, Heiratsurkunde, Scheidungsurkunde.

2. In seiner Mitteilung nach § 35 Abs. 4 AsylG 2005 vom 23.02.2016 führte das BFA aus, dass betreffend die Beschwerdeführerin die Gewährung des Status eines Asylberechtigten oder eines subsidiär Schutzberechtigten nicht wahrscheinlich sei, da von einer Fortsetzung des zwischen der Beschwerdeführerin und der Bezugsperson bestehenden Familienlebens in Österreich wegen Entzugs der Obsorge nicht auszugehen sei.

3. Mit Schreiben vom 23.02.2017 wurde der Beschwerdeführerin die Möglichkeit zur Stellungnahme (Parteiengehör) eingeräumt. Ihr wurde gleichzeitig mitgeteilt, dass das BFA nach Prüfung mitgeteilt habe, dass die Stattgebung eines Antrages auf internationalen Schutz durch Zuerkennung des Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten nicht wahrscheinlich sei, wobei auf die vorzitierte Stellungnahme und Mitteilung des BFA vom 23.02.2016, welche ebenfalls übermittelt wurde, verwiesen wurde. Es wurde der Beschwerdeführerin Gelegenheit gegeben, innerhalb einer Frist von einer Woche ab Zustellung die angeführten Ablehnungsgründe durch unter Beweis zu stellendes Vorbringen zu zerstreuen.

4. Mit undatiertem Schreiben führte die Beschwerdeführerin in englischer Sprache aus, dass sie aufgrund des Krieges in Syrien ihrem Sohn erlaubt habe, das Land zu verlassen, damit er sich in Sicherheit bringen könne. Aufgrund der Trennung von ihr würde es ihrem Sohn psychisch nicht gut gehen. Er sei minderjährig und würde seine Mutter brauchen. Die von ihr vorgelegten Dokumente würden beweisen, dass sie die Mutter sei.

5. Mit Rückmeldung des BFA vom 06.03.2016 wurde ausgeführt, dass bereits dargelegt worden sei, dass der Beschwerdeführerin mit Beschluss des Bezirksgerichtes XXXX , Zl.° XXXX vom XXXX .2015 die Obsorge entzogen worden sei. Der Obsorgeentzug sei aufgrund der Gefährdung des Wohles der minderjährigen Bezugsperson erfolgt. Grund dafür sei eine Gefährdung des Kindeswohls gewesen, indem die Beschwerdeführerin die minderjährige Bezugsperson zwar in Begleitung seines minderjährigen Halbbruders, aber ohne Begleitung einer obsorgeberechtigten oder anderen erwachsenen Person von Syrien bis nach Österreich habe reisen lassen. Da die Beschwerdeführerin das Wohl der minderjährigen Bezugsperson bereits massiv gefährdet habe, sei nicht davon auszugehen, dass der Beschwerdeführerin die Obsorge wieder zugesprochen werden würde und ein Familienleben in Österreich weitergeführt werden könne. Demzufolge sei der Beschwerdeführerin die Einreise nach Österreich nicht zu gewähren.

6. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 09.03.2017 wies die ÖB Damaskus den Antrag auf Erteilung eines Einreisetitels gemäß § 26 FPG iVm § 35 AsylG 2005 ab, da die Stattgebung eines Antrages auf internationalen Schutz durch Zuerkennung des Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten nicht wahrscheinlich sei.

6. Gegen diesen Bescheid richtet sich die fristgerecht eingebrachte Beschwerde, in welcher geltend gemacht wurde, dass aus dem Beschluss des Bezirksgerichtes nachlesbar sei, dass eine Kontaktaufnahme mit den Eltern nicht möglich gewesen sei und daher die Entscheidung ohne deren Einvernahme getroffen worden sei. Es hätten somit der tatsächliche Sachverhalt und die Beweggründe der Familie nicht eruiert werden können. Einzig aus der Aktenlage, die besage, dass die Bezugsperson und ihr ebenfalls minderjähriger Bruder aus Syrien geflohen seien, um der Gefahr des dort vorherrschenden Krieges zu entkommen, werde eine Gefährdung schlussgefolgert. Von einer böswilligen und dem Kind zum Nachteil reichenden Entscheidung der Eltern könne im vorliegenden Sachverhalt keineswegs ausgegangen werden. Vielmehr sei sogar alles unternommen und riskiert worden, um die eigenen Kinder in Sicherheit zu wiegen und sie dem Zugriff durch den jahrelangen Krieg in der Heimat und den damit verbundenen Gefahren zu entziehen. Es mute zynisch an, syrischen Eltern unverantwortliches Handeln vorzuwerfen, die ihr Kind aus einem Kriegsgebiet an einen sicheren Ort schicken würden und ihm dann nachreisen zu wollen, um wieder ein gemeinsames Familienleben zu führen. Es sei anzuführen, dass die Behörde bei ihrer Entscheidung bzgl. des Einreiseantrages der Beschwerdeführerin die in der Richtlinie 2003/86/EG des Rates vom 22.09.2003 in Art. 5 Abs. 5 verankerte Verpflichtung der Mitgliedstaaten, das Wohl des Kindes gebührend zu berücksichtigen, beachten müsse.

7. Mit Beschwerdevorentscheidung vom 02.06.2017 wies die ÖB Damaskus die Beschwerde gemäß § 14 Abs. 1 VwGVG als unbegründet ab.

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass nach ständiger Rechtsprechung des VwGH österreichische Vertretungsbehörden bezüglich der Erteilung eines Einreisetitels nach § 35 AsylG 2005 an die Mitteilung des BFA über die Prognose einer Asylgewährung bzw. die Gewährung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten gebunden seien. Eine Nachprüfung dieser Wahrscheinlichkeitsprognose nach negativer Mitteilung des Bundesamtes durch die Botschaft komme daher nicht in Betracht.

Auch nach dem Beschwerdevorbringen sei unstrittig, dass die Beschwerdeführerin einen Antrag nach § 35 Abs. 1 AsylG 2005 gestellt hätte und dass eine negative Wahrscheinlichkeitsprognose des BFA ergangen sei. Als alleintragender Grund für die Abweisung des von der Beschwerdeführerin gestellten Antrages auf Erteilung eines Einreisetitels gemäß § 35 Abs. 1 AsylG 2005 komme somit (nur) in Betracht, dass nach der Mitteilung des BFA die Erfolgsaussichten eines Antrags der Beschwerdeführerin auf Gewährung desselben Schutzes (wie der Bezugsperson) als nicht wahrscheinlich einzustufen sei. Darauf sei im angefochtenen Bescheid auch ausschließlich Bezug genommen worden.

Jenseits und unabhängig der oben angeführten Bindungswirkung teile die belangte Behörde die Beweiswürdigung des BFA, dass nicht davon auszugehen sei, dass ein Familienleben zwischen der Beschwerdeführerin und der minderjährigen Bezugsperson in Österreich weitergeführt werden könne, da der Beschwerdeführerin gänzlich die Obsorge entzogen worden sei und somit nicht von einem Weiterbestand eines Familienlebens in Österreich ausgegangen werden könne.

8. Am 12.06.2017 wurde bei der ÖB Damaskus ein Vorlageantrag gemäß § 15 VwGVG eingebracht. Zur Begründung wurde auf die Beschwerde vom 10.04.2017 verwiesen.

9. Mit Schreiben des Bundesministeriums für Inneres vom 05.07.2017, eingelangt am 06.07.2017, wurde dem Bundesverwaltungsgericht der Vorlageantrag samt Verwaltungsakten übermittelt.

10. Auf Nachfrage vom Bundesverwaltungsgericht teilte der zuständige Sozialarbeiter der minderjährigen Bezugsperson mit E-Mail vom 27.02.2019 unter Verweis auf den Beschluss des Bezirksgerichtes vom

XXXX .2015 mit, dass ihm aktuell keine weiteren Informationen über Gründe vorlägen, die zur Entziehung der mütterlichen Obsorge beigetragenen hätten.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die Beschwerdeführerin, eine syrische Staatsangehörige, stellte am 08.11.2016 bei der Österreichischen Botschaft Damaskus einen Antrag auf Erteilung eines Einreisetitels nach §°35 Abs. 1 AsylG 2005. Als Bezugsperson wurde der minderjährige Sohn K, geb. .. 2003, genannt. Der Bezugsperson wurde mit Bescheid des BFA vom 04.07.2016 der Status des Asylberechtigten in Österreich zuerkannt.

Mit Beschluss des zuständigen Bezirksgerichtes wurde der im Ausland aufhältigen Beschwerdeführerin im Oktober 2015 die Obsorge über die minderjährige Bezugsperson entzogen, weil diese von ihr ohne eine die Obsorge auch nur vorübergehend ausübende Person ins Ausland geschickt wurde.

Es wird festgestellt, dass gegen die Beschwerdeführerin - außer dem 2015 vom Pflegschaftsgericht herangezogenen Grund, nämlich die Erlaubnis der Eltern des Minderjährigen, dass er allein und ohne Obsorgeberechtigten aus dem Kriegsgebiet schon vor den übrigen Familienmitgliedern flüchten dürfe - keine der (Rück)Übertragung der mütterlichen Obsorge entgegenstehende Gründe amtsbekannt sind.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl teilte nach Prüfung des Sachverhaltes mit, dass die Stattgebung eines Antrages auf internationalen Schutz durch Zuerkennung des Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten nicht wahrscheinlich sei, da von einer Fortsetzung des zwischen der Beschwerdeführerin und der Bezugsperson bestehenden Familienlebens in Österreich wegen Entzugs der Obsorge nicht auszugehen sei.

2. Beweiswürdigung:

Die festgestellten Tatsachen ergeben sich aus dem Akt der ÖB Damaskus, dem vorgelegten Beschluss des Bezirksgerichtes sowie aus der Korrespondenz zwischen dem Bundesverwaltungsgericht und dem zuständigen Sozialarbeiter der minderjährigen Bezugsperson.

Aus dem aktenkundigen Beschluss des Bezirksgericht ergibt sich nicht, dass der Beschwerdeführerin 2015 die Obsorge für die Bezugsperson aufgrund grundsätzlich fehlender persönlicher Eignung entzogen wurde. Dass der Beschwerdeführerin im Falle einer Einreise nach Österreich daher die Obsorge nicht rückübertragen würde, ist angesichts der konkreten Umstände, aufgrund derer ihr diese damals entzogen wurde (Ermöglichung der Flucht des Sohnes aus dem Kriegsgebiet) und der offenkundigen Absicht des Pflegschaftsgerichts, zwischenzeitig eine Obsorgeübertragung an eine in Österreich aufhältige Person zu ermöglichen, nicht naheliegend. Daher handelt es sich bei der vom BFA seiner negativen Wahrscheinlichkeitsprognose tragend zugrunde gelegten Annahme, die Beschwerdeführerin habe das Wohl der minderjährigen Bezugsperson bereits so massiv gefährdet, dass nicht davon auszugehen sei, dass ihr die Obsorge wieder zugesprochen werden würde (und damit ein Familienleben in Österreich weitergeführt werden könne), nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts um eine nicht nachvollziehbare Prognose (siehe dazu auch nochmals unten die rechtlichen Ausführungen zur Nachvollziehbarkeit der negativen Wahrscheinlichkeitsprognose, Punkt 3.3.).

Dass die Bezugsperson der minderjährige Sohn der Beschwerdeführerin ist, ist unstrittig und ergibt sich zudem aus den vorgelegten Dokumenten.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Behebung und Zurückverweisung:

3.1. Angesichts der am 08.11.2016 erfolgten Einreiseantragstellung ist die geltende, zuletzt durch BGBl. I Nr. 145/2017 - FrÄG 2017 - geänderte und am 1.11.2017 in Kraft getretene Rechtslage maßgeblich (vgl. § 75 Abs. 23 und Abs. 24 AsylG 2005).

Der mit "Begriffsbestimmungen" übertitelte § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005 idgF lautet:

§ 2. (1) Im Sinne dieses Bundesgesetzes ist

-[....]

22. Familienangehöriger: wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylwerbers oder eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Ehe bei Ehegatten bereits vor der Einreise des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten bestanden hat, sowie der gesetzliche Vertreter der Person, der internationaler Schutz zuerkannt worden ist, wenn diese minderjährig und nicht verheiratet ist, sofern dieses rechtserhebliche Verhältnis bereits im Herkunftsland bestanden hat; dies gilt weiters auch für eingetragene Partner, sofern die eingetragene Partnerschaft bereits vor der Einreise des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten bestanden hat;"

Der mit "Familienverfahren im Inland" übertitelte § 34 AsylG 2005 idgF lautet:

§ 34. (1) Stellt ein Familienangehöriger von

----------

-1. einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist;

-2. einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8) zuerkannt worden ist oder

-3. einem Asylwerber

einen Antrag auf internationalen Schutz, gilt dieser als Antrag auf Gewährung desselben Schutzes.

(2) Die Behörde hat auf Grund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn

----------

-1. dieser nicht straffällig geworden ist und

-(Anm.: Z 2 aufgehoben durch Art. 3 Z 13, BGBl. I Nr. 84/2017)

-3. gegen den Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (§ 7).

(...)

(4) Die Behörde hat Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind unter einem zu führen; unter den Voraussetzungen der Abs. 2 und 3 erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang. Entweder ist der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wobei die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten vorgeht, es sei denn, alle Anträge wären als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen. Jeder Asylwerber erhält einen gesonderten Bescheid. Ist einem Fremden der faktische Abschiebeschutz gemäß § 12a Abs. 4 zuzuerkennen, ist dieser auch seinen Familienangehörigen zuzuerkennen.

(5) Die Bestimmungen der Abs. 1 bis 4 gelten sinngemäß für das Verfahren beim Bundesverwaltungsgericht.

(6) Die Bestimmungen dieses Abschnitts sind nicht anzuwenden:

----------

-1. auf Familienangehörige, die EWR-Bürger oder Schweizer Bürger sind;

-auf Familienangehörige eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten oder der

2. Status des subsidiär Schutzberechtigten im Rahmen eines Verfahrens nach diesem Abschnitt zuerkannt wurde, es sei denn es handelt sich bei dem Familienangehörigen um ein minderjähriges lediges Kind;

-3. im Fall einer Aufenthaltsehe, Aufenthaltspartnerschaft oder Aufenthaltsadoption (§ 30 NAG).

§ 35 AsylG 2005 idgF lautet:

"Anträge auf Einreise bei Vertretungsbehörden

§ 35. (1) Der Familienangehörige gemäß Abs. 5 eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde und der sich im Ausland befindet, kann zwecks Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz gemäß § 34 Abs. 1 Z 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 einen Antrag auf Erteilung eines Einreisetitels bei der mit konsularischen Aufgaben betrauten österreichischen Vertretungsbehörde im Ausland (Vertretungsbehörde) stellen. Erfolgt die Antragstellung auf Erteilung eines Einreisetitels mehr als drei Monate nach rechtskräftiger Zuerkennung des Status des Asylberechtigten, sind die Voraussetzungen gemäß § 60 Abs. 2 Z 1 bis 3 zu erfüllen.

(2) Der Familienangehörige gemäß Abs. 5 eines Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde und der sich im Ausland befindet, kann zwecks Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz gemäß § 34 Abs. 1 Z 2 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 frühestens drei Jahre nach rechtskräftiger Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten einen Antrag auf Erteilung eines Einreisetitels bei der Vertretungsbehörde stellen, sofern die Voraussetzungen gemäß § 60 Abs. 2 Z 1 bis 3 erfüllt sind. Diesfalls ist die Einreise zu gewähren, es sei denn, es wäre auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht mehr vorliegen oder in drei Monaten nicht mehr vorliegen werden. Darüber hinaus gilt Abs. 4.

(2a) Handelt es sich beim Antragsteller um den Elternteil eines unbegleiteten Minderjährigen, dem der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, gelten die Voraussetzungen gemäß § 60 Abs. 2 Z 1 bis 3 als erfüllt.

(3) Wird ein Antrag nach Abs. 1 oder Abs. 2 gestellt, hat die Vertretungsbehörde dafür Sorge zu tragen, dass der Fremde ein in einer ihm verständlichen Sprache gehaltenes Befragungsformular ausfüllt; Gestaltung und Text dieses Formulars hat der Bundesminister für Inneres im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Europa, Integration und Äußeres und nach Anhörung des Hochkommissärs der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (§ 63) so festzulegen, dass das Ausfüllen des Formulars der Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts dient. Außerdem hat die Vertretungsbehörde auf die Vollständigkeit des Antrages im Hinblick auf den Nachweis der Voraussetzungen gemäß § 60 Abs. 2 Z 1 bis 3 hinzuwirken und den Inhalt der ihr vorgelegten Dokumente aktenkundig zu machen. Der Antrag auf Einreise ist unverzüglich dem Bundesamt zuzuleiten.

(4) Die Vertretungsbehörde hat dem Fremden aufgrund eines Antrags auf Erteilung eines Einreisetitels nach Abs. 1 oder 2 ohne weiteres ein Visum zur Einreise zu erteilen (§ 26 FPG), wenn das Bundesamt mitgeteilt hat, dass die Stattgebung eines Antrages auf internationalen Schutz durch Zuerkennung des Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten wahrscheinlich ist. Eine derartige Mitteilung darf das Bundesamt nur erteilen, wenn

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-1. gegen den Fremden, dem der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (§§ 7 und 9),

-2. das zu befassende Bundesministerium für Inneres mitgeteilt hat, dass eine Einreise den öffentlichen Interessen nach Art. 8 Abs. 2 EMRK nicht widerspricht und

-3. im Falle eines Antrages nach Abs. 1 letzter Satz oder Abs. 2 die Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 Z 1 bis 3 erfüllt sind, es sei denn, die Stattgebung des Antrages ist gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten.

Bis zum Einlangen dieser Mitteilung ist die Frist gemäß § 11 Abs. 5 FPG gehemmt. Die Vertretungsbehörde hat den Fremden über den weiteren Verfahrensablauf in Österreich gemäß § 17 Abs. 1 und 2 zu informieren.

(5) Nach dieser Bestimmung ist Familienangehöriger, wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Ehe bei Ehegatten bereits vor der Einreise des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten bestanden hat; dies gilt weiters auch für eingetragene Partner, sofern die eingetragene Partnerschaft bereits vor der Einreise des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten bestanden hat."

§ 11, § 11a und § 26 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) idgF lauten:

"Verfahren vor den österreichischen Vertretungsbehörden in Visaangelegenheiten

§ 11. (1) In Verfahren vor österreichischen Vertretungsbehörden haben Antragsteller unter Anleitung der Behörde die für die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes erforderlichen Urkunden und Beweismittel selbst vorzulegen; in Verfahren zur Erteilung eines Visums D ist Art. 19 Visakodex sinngemäß anzuwenden. In Verfahren zur Erteilung eines Visums gemäß § 20 Abs. 1 Z 9 sind Art. 9 Abs. 1 erster Satz und Art. 14 Abs. 6 Visakodex sinngemäß anzuwenden. Der Antragssteller hat über Verlangen der Vertretungsbehörde vor dieser persönlich zu erscheinen, erforderlichenfalls in Begleitung eines Dolmetschers (§ 39a AVG). § 10 Abs. 1 letzter Satz AVG gilt nur für in Österreich zur berufsmäßigen Parteienvertretung befugte Personen. Die Vertretungsbehörde hat nach freier Überzeugung zu beurteilen, ob eine Tatsache als erwiesen anzunehmen ist oder nicht. Eine Entscheidung, die dem Standpunkt des Antragstellers nicht vollinhaltlich Rechnung trägt, darf erst ergehen, wenn die Partei Gelegenheit zur Behebung von Formgebrechen und zu einer abschließenden Stellungnahme hatte.

(2) Partei in Verfahren vor der Vertretungsbehörde ist ausschließlich der Antragssteller.

(3) Die Ausfertigung bedarf der Bezeichnung der Behörde, des Datums der Entscheidung und der Unterschrift des Genehmigenden; an die Stelle der Unterschrift kann das Siegel der Republik Österreich gesetzt werden, sofern die Identität des Genehmigenden im Akt nachvollziehbar ist. Die Zustellung hat durch Übergabe in der Vertretungsbehörde oder, soweit die internationale Übung dies zulässt, auf postalischem oder elektronischem Wege zu erfolgen; ist dies nicht möglich, so ist die Zustellung durch Kundmachung an der Amtstafel der Vertretungsbehörde vorzunehmen.

[...]

(5) Für die Berechnung von Beginn, Lauf und Ende von Fristen (§ 33 AVG) gelten die Wochenend- und Feiertagsregelungen im Empfangsstaat.

[...]

Beschwerden gegen Bescheide österreichischer Vertretungsbehörden in Visaangelegenheiten

§ 11a (1) Der Beschwerdeführer hat der Beschwerde gegen einen Bescheid einer österreichischen Vertretungsbehörde sämtliche von ihm im Verfahren vor der belangten Vertretungsbehörde vorgelegten Unterlagen samt Übersetzung in die deutsche Sprache anzuschließen.

(2) Beschwerdeverfahren sind ohne mündliche Verhandlung durchzuführen. Es dürfen dabei keine neuen Tatsachen oder Beweise vorgebracht werden.

(3) Sämtliche Auslagen der belangten Vertretungsbehörde und des Bundesverwaltungsgerichtes für Dolmetscher und Übersetzer sowie für die Überprüfung von Verdolmetschungen und Übersetzungen sind Barauslagen im Sinn des § 76 AVG.

(4) Die Zustellung der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes hat über die Vertretungsbehörde zu erfolgen. § 11 Abs. 3 gilt.

[....]

Visa zur Einbeziehung in das Familienverfahren nach dem AsylG 2005

§ 26. Teilt das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl gemäß § 35 Abs. 4 AsylG 2005 mit, dass die Stattgebung eines Antrages auf internationalen Schutz durch Zuerkennung des Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten wahrscheinlich ist, ist dem Familienangehörigen gemäß § 35 Abs. 5 AsylG 2005 ohne Weiteres zur einmaligen Einreise ein Visum mit viermonatiger Gültigkeitsdauer zu erteilen."

Die maßgeblichen Bestimmungen des Bundesgesetzes über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG) idgF lauten wie folgt:

"§ 28. (1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

(2) Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn

1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

(3) Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist."

Gemäß § 9 Abs. 3 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) idgF entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Entscheidungen der Vertretungsbehörden.

3. 2. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die österreichische Vertretungsbehörde im Ausland in Bezug auf die Erteilung eines Einreisetitels nach § 35 AsylG 2005 an die Mitteilung des BFA über die Prognose einer Asylgewährung bzw. Gewährung subsidiären Schutzes gebunden, und zwar auch an eine negative Mitteilung, und es kommt ihr diesbezüglich keine eigene Prüfungskompetenz zu (vgl. VwGH 16.12.2014, Ro 2014/22/0034; VwGH 01.03.2016, Ro 2015/18/0002).

Ungeachtet dieser für die Vertretungsbehörden bestehenden Bindungswirkung an die Prognoseentscheidung des Bundesamtes steht es dem Bundesverwaltungsgericht allerdings nunmehr - innerhalb des mit dem Fremdenbehördenneustrukturierungsgesetz - FNG, BGBl. I Nr. 87/2012 geschaffenen geschlossenen Rechtsschutzsystems - offen, auch die Einschätzung des BFA über die Wahrscheinlichkeit der Gewährung internationalen Schutzes an den Antragsteller auf ihre Richtigkeit zu überprüfen (VwGH 01.03.2016, Ro 2015/18/0002).

3. 3. Das BFA ging bei seiner negativen Wahrscheinlichkeitsprognose im Ergebnis davon aus, die Voraussetzungen für eine positive Entscheidung lägen deshalb nicht vor, weil in Österreich aufgrund des 2015 erfolgten Obsorgeentzuges kein Familienleben von Beschwerdeführerin und Bezugsperson stattfinden könne. Der Beschwerdeführerin sei damals die Obsorge für die minderjährige Bezugsperson aufgrund der Gefährdung des Kindeswohles entzogen worden, weil sie die minderjährige Bezugsperson zwar in Begleitung ihres minderjährigen Halbbruders, aber ohne Begleitung einer obsorgeberechtigten oder anderen erwachsenen Person von Syrien bis nach Österreich habe reisen lassen. Da die Beschwerdeführerin das Wohl der minderjährigen Bezugsperson bereits massiv gefährdet habe, sei nicht davon auszugehen, dass ihr die Obsorge wieder zugesprochen werden würde.

Dieser Beurteilung ist nach Auffassung des BVwG nicht zu folgen: Wie bereits unter Punkt 3.1. und 3.2. der Sache nach ausgeführt, ist es nicht naheliegend, dass das - einzig dafür zuständige Pflegschaftsgericht - der Beschwerdeführerin im Falle einer Einreise nach Österreich die Obsorge für die minderjährige Bezugsperson nicht rückübertragen bzw. eine Familienzusammenführung der betreffenden Personen als dem Kindeswohl widersprechend beurteilen würde. Vor dem Hintergrund der konkreten Umstände, aufgrund derer der Beschwerdeführerin 2015 die Obsorge entzogen wurde, nämlich um der Bezugsperson das Leben zu retten, indem diese - offenkundig notgedrungen ohne obsorgeberechtigte Begleitpersonen - aus dem unmittelbaren Kriegsgebiet fliehen "durfte", und der getroffenen Feststellung, dass jedenfalls bisher keine in der persönlichen Sphäre der Beschwerdeführerin gelegenen Umstände bekannt sind, die ihre Eignung als Obsorgeberechtigte an sich in Zweifel ziehen lassen könnten, scheint die getroffene negative Wahrscheinlichkeitsprognose des BFA nicht nachvollziehbar.

4. Aus dem Gesagten ergibt sich, dass die vom BFA herangezogenen Gründe für die Erstellung der negativen Wahrscheinlichkeitsprognose nach derzeitigem Ermittlungsstand nicht vorliegen. Sofern es der Asylbehörde im fortgesetzten Verfahren nicht gelingen sollte, ihre als bloße Vermutung in den Raum gestellte Auffassung, das zuständige Pflegschaftsgericht würde der Beschwerdeführerin bei Anwesenheit im Inland die Obsorge für die Bezugsperson aus Gründen des Kindeswohls nicht rückübertragen, mit ausreichend fundiertem Beweismaterial zu untermauern, würde sich eine neuerliche negative Wahrscheinlichkeitsprognose als unzulässig erweisen, was zur Folge hätte, dass der Beschwerdeführerin - sofern die übrigen Voraussetzungen dann noch vorliegen - die Einreise zu gestatten wäre.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

5. Eine mündliche Verhandlung hatte gemäß § 11a Abs. 2 FPG zu unterbleiben.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen. Nach Art. 133 Abs. 4 erster Satz B-VG idF BGBl. I Nr. 51/2012 ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Im vorliegenden Fall ist die ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung abhängt. Denn das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen wiedergegeben.

Schlagworte

Asylverfahren, Behebung der Entscheidung, Beschwerdevorentscheidung,
Bindungswirkung, Bürgerkrieg, Einreisetitel, Ermittlungspflicht,
Familienangehöriger, Familienleben, Familienverfahren, Gefährdung
der Sicherheit, Kassation, Kind, Kindeswohl, mangelhaftes
Ermittlungsverfahren, mangelnde Sachverhaltsfeststellung,
Nachvollziehbarkeit, negative Beurteilung, Obsorge,
Obsorge-Entziehung, Prognose, Prognoseentscheidung, Vorlageantrag,
Wahrscheinlichkeit, Zurückverweisung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:W205.2163427.1.00

Zuletzt aktualisiert am

06.08.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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