TE OGH 2019/6/25 1Ob210/18s

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Veröffentlicht am 25.06.2019
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Univ.-Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer-Zeni-Rennhofer und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Familienrechtssache der Antragstellerin Dr. T***** S*****, gegen den Antragsgegner D***** S*****, vertreten durch Dr. Andreas Natterer, Rechtsanwalt in Wien, wegen Anerkennung einer Entscheidung über die Scheidung über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Antragsgegners gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 28. September 2018, GZ 48 R 151/18p-75, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Leopoldstadt vom 9. Mai 2018, GZ 3 Fam 50/14h-64, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1. Das Fehlen einer ausdrücklichen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu einer konkreten Fallgestaltung, begründet für sich genommen noch keine erhebliche Rechtsfrage (vgl RIS-Justiz RS0102181). Lassen sich – wie im vorliegenden Fall – die vom Revisionsrekurswerber für erheblich erachteten Rechtsfragen durch Anwendung der bestehenden Rechtsprechung klären, ist das (außerordentliche) Rechtsmittel zurückzuweisen (vgl RS0118640).

2.1 Nach § 97 Abs 2 Z 2 AußStrG ist die Anerkennung einer ausländischen Entscheidung über die Ehescheidung zu verweigern, wenn das rechtliche Gehör eines der Ehegatten nicht gewahrt wurde, es sei denn, er ist mit der Entscheidung offenkundig einverstanden. Dabei handelt es sich um eine besondere Ausprägung des verfahrensrechtlichen ordre public (Fuchs in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG §§ 97–100 Rz 20). Ihrem Wortlaut nach stellt diese Bestimmung nicht auf die Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftsatzes oder eines gleichwertigen Schriftstücks ab, sondern knüpft die Versagung ganz allgemein daran, dass das rechtliche Gehör des Antragsgegners nicht gewahrt wurde. Diesem kann auch durch tatsächliches Zukommen des maßgeblichen Schriftstücks entsprochen sein, sofern sichergestellt ist, dass der Gegner zumindest die Möglichkeit gehabt hatte, seine Rechte im Verfahren vor dem Gericht des Erststaats effektiv wahrzunehmen (Neumayr in Burgstaller/Neumayr/ Geroldinger/Schmaranzer, Internationales Zivilver-
fahrensrecht, § 97 AußStrG Rz 29, 30).

2.2 Der Antragsgegner macht dazu primär eine unrichtige Anwendung der Regeln über die Verteilung der Beweislast durch das Rekursgericht bei einer non-liquet-Situation geltend. Versagungsgründe seien von Amts wegen wahrzunehmen; der Betroffene müsse sich nicht eigens darauf berufen, weswegen diesem auch nicht die Beweislast für das Vorliegen eines Versagungsgrundes auferlegt werden dürfe. Damit wendet sich der Antragsgegner gegen die Ansicht des Rekursgerichts, der ukrainische Scheidungsbeschluss, der samt Bestätigung der Rechtskraft und Übersetzung in die deutsche Sprache vorliegt, sei in Österreich anzuerkennen, weil der von ihm geltend gemachte Versagungsgrund des § 97 Abs 2 Z 2 AußStrG nicht nachgewiesen worden sei.

3.1 Richtig ist, dass nach herrschender Meinung von Amts wegen zu prüfen ist, ob ein in § 97 Abs 2 AußStrG genannter Versagungsgrund gegeben ist (vgl Fuchs aaO Rz 16 mwN).

Damit gilt – wie im außerstreitigen Verfahren allgemein – zwar der Untersuchungsgrundsatz. Das hat aber entgegen der Ansicht des Revisionsrekurswerbers keineswegs zur Folge, dass es für die Parteien keine Beweislast gibt. Die subjektive Beweislast, das ist die Verpflichtung der Parteien, den Beweis der für ihren Rechtsstandpunkt günstigen Tatsachen zu erbringen, wird nur durch die Verpflichtung des Gerichts ergänzt, auch ohne Parteienbehauptungen die zur Entscheidung erforderlichen Tatsachen zu erheben. Wird aber trotz des Untersuchungsgrundsatzes der Beweis für entscheidungserhebliche Tatsachen nicht erbracht, dann muss auch in den von diesem Grundsatz beherrschten Verfahren dem Gericht eine Regel an die Hand gegeben werden, nach der es zu bestimmen hat, zu wessen Lasten die Unmöglichkeit der Beweisführung geht. Es gelten dann die allgemeinen Beweislastregeln (10 Ob 36/05z; RS0008752; RS0006330 [T3]). Der Umstand, dass ein Sachverhalt trotz amtswegiger Untersuchungspflicht nicht aufgeklärt werden konnte, geht letztlich zu Lasten des Behauptenden (RS0008752 [T1]).

3.2 Fragen der Beweislastverteilung stellen sich (nur) dann, wenn ein Beweis für eine strittige, entscheidungswesentliche Tatsache nicht erbracht werden kann (RS0039875). Zu 3 Ob 125/13y und 3 Ob 126/13w wurde unter Bezugnahme auf den Meinungsstand in der Lehre bereits judiziert, die Beweislast dafür, dass einem englischen Insolvenzverfahren eine die Anerkennung der in diesem Verfahren ergangenen Entscheidung hindernde Gehörverletzung anhafte, komme der Partei zu, die sich darauf beruft. Diese Entscheidungen ergingen zwar zur EuInsVO, bringen aber ebenfalls den Grundsatz zum Ausdruck, dass bei amtswegiger Untersuchungspflicht unaufgeklärt gebliebene Umstände zum Nachteil der Partei ausschlagen, die sie für sich in Anspruch genommen hat. Auch ist der in diesen Entscheidungen herangezogene Versagungsgrund von der selben Wertung getragen wie jener nach § 97 Abs 2 Z 2 AußStrG, der – wie auch die übrigen Versagungsgründe – auf den mit dem KindRÄG 2001, BGBl I 2000/135, in das AußStrG eingefügten § 228a aF zurückgeht, sodass es entgegen der Argumentation des Antragsgegners keine aufzugreifende Fehlbeurteilung begründen kann, wenn das Rekursgericht unter Berufung auf die Entscheidung 3 Ob 125/13y zum Ergebnis gelangte, dass er den Nachweis des von ihm behaupteten Versagungsgrundes auf der Tatsachenebene nicht erbracht habe. Dass zur Frage, ob für ihn die Möglichkeit bestand, von der im Schreiben der ukrainischen Behörde vom 5. 1. 2016 angesprochenen Zustellung so rechtzeitig Kenntnis zu erlangen, dass er sich effektiv verteidigen hätte können, eine non-liquet Situation besteht, legt auch der Antragsteller zugrunde.

4.1 Ein Antragsgegner darf sich im Ursprungsstaat nicht passiv verhalten, um dadurch die Nichtanerkennungsfähigkeit zu bewirken (Neumayr aaO § 97 AußStrG Rz 29 mwN). Dazu stellte das Erstgericht bereits im zweiten Rechtsgang fest, dass der Revisionsrekurswerber eine Berufungsklage erhoben hat, der das Berufungsgericht der Stadt Kiew nicht Folge gab, weil die behauptete Verletzung von prozessualen Vorschriften zu keiner unrichtigen Erledigung der Sache geführt habe. Der Oberste Gerichtshof hat dazu in seinem in dieser Sache ergangenen Aufhebungsbeschluss zu 1 Ob 21/17w ausgeführt, dass sich der Antragsgegner in das Verfahren eingelassen hat. Im Einklang damit folgerte das Rekursgericht im dritten Rechtsgang, dass es eines formellen Nachweises über die Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks nach § 98 Abs 2 AußStrG nicht bedurft habe, der ja nur im Falle der Nichteinlassung zu erbringen ist.

4.2 Die Beantwortung einer Frage, die von einem Rechtsmittelgericht, das die Aufhebung verfügt hat, auf der Grundlage des gegebenen Sachverhalts abschließend entschieden wurde, kann nicht mehr in Zweifel gezogen werden. Abschließend erledigte Streitpunkte können im fortgesetzten Verfahren nicht mehr aufgerollt werden (RS0042031).

Eine Durchbrechung dieses Grundsatzes wird nur für Tatsachen anerkannt, die erst nach dem für die aufhebende Entscheidung maßgeblichen Zeitpunkt entstanden sind (RS0042031 [T3 und T19]). Solche wurden vom Revisionsrekurswerber nicht behauptet und liegen auch nicht vor.

4.3 In dem der Antragsgegner geltend macht, es hätte gemäß § 98 Abs 2 AußStrG eines formellen Nachweises über die Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks bedurft (dazu Nademleinsky/Neumayr, Internationales Familienrecht2 Rz 05.137; Fuchs aaO Rz 36), stellt er sich in Wahrheit gegen die vom Oberste Gerichtshof in derselben Sache in einem früheren Aufhebungsbeschluss ausgesprochene Rechtsansicht, an die auch dieser gebunden ist (RS0007010 ua).

5. Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 71 Abs 3 AußStrG).

Textnummer

E125677

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2019:0010OB00210.18S.0625.000

Im RIS seit

30.07.2019

Zuletzt aktualisiert am

14.07.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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