TE Vwgh Erkenntnis 1998/12/18 95/21/1028

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 18.12.1998
beobachten
merken

Index

19/05 Menschenrechte;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

FrG 1993 §37 Abs1;
FrG 1993 §37 Abs2;
FrG 1993 §54 Abs1;
MRK Art3;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Rosenmayr, Dr. Pelant und Dr. Enzenhofer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Ogris, über die Beschwerde des MF, geboren am 12. August 1978, vertreten durch Dr. Hermann Fromherz, Dr. Friedrich Fromherz und Mag. Dr. Wolfgang Fromherz, Rechtsanwälte in 4010 Linz, Graben 9, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 18. Juli 1995, Zl. St 226/95, betreffend Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.920,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem zitierten, im Instanzenzug ergangenen Bescheid stellte die belangte Behörde gemäß § 54 des Fremdengesetzes - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, fest, es bestünden keine stichhaltigen Gründe für die Annahme, daß der Beschwerdeführer in Liberia gemäß § 37 Abs. 1 oder Abs. 2 FrG bedroht sei; seine Abschiebung nach Liberia sei zulässig.

Begründend führte die belangte Behörde im wesentlichen aus, der Beschwerdeführer habe zur Begründung seines Antrages auf Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung nach Liberia auf seine vor dem Bundesasylamt gemachten Angaben verwiesen. Dort habe er ausgeführt, daß sein Vater im Jahr 1991 von unbekannten Personen auf dem Heimweg von der Farm erschossen worden wäre. Sein Onkel wäre aufgrund seiner Reisen durch Liberia des öfteren gefährdet gewesen und mit dem Umbringen bedroht worden. Am 10. Februar 1995 wären seine Mutter und seine drei Schwestern und sein Onkel von unbekannten Personen ermordet worden. In der Zeit von 1991 bis zu dem genannten Vorfall im Februar 1995 hätte er verschiedentlich Probleme gehabt, welche in den Bürgerkriegsereignissen begründet gewesen seien. Eine gezielte Verfolgung seiner Person bzw. seiner Angehörigen hätte jedoch nicht stattgefunden. Die Bürgerkriegswirrnisse hätten auch andere Dorfbewohner betroffen. Sein Dorf hätte sich in einer Zone befunden, in der keine Rebellengruppe Einfluß gehabt hätte. In diesem Dorf hätten sich auch Militärpersonen verschiedener Länder befunden. Außer den zeitweiligen Belastungen durch den Bürgerkrieg hätte es keine Probleme gegeben.

Daß der Beschwerdeführer in seinem Heimatland Gefahr laufen würde, dort einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe unterworfen zu werden, könne - so die belangte Behörde - diesem Vorbringen nicht entnommen werden. Daran ändere auch der Hinweis auf die dort herrschende Bürgerkriegssituation nichts. Ebensowenig sei aus seinem Vorbringen zu ersehen, daß in Liberia sein Leben oder seine Freiheit aus Gründen seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder seiner politischen Ansichten bedroht wäre. Eine Bürgerkriegssituation initiiere für sich allein noch keine Flüchtlingseigenschaft. Die von ihm behaupteten, von den Rebellengruppen des Charles Taylor ausgehenden Gefahren seien nicht unter § 37 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG subsumierbar. Diese Auseinandersetzungen hätten alle Bewohner seines Heimatstaates in gleicher Weise zu erdulden. Allgemein gehaltene Hinweise, wonach derzeit im Heimatstaat Krieg herrsche und er deshalb um sein Leben fürchten müßte, vermögen noch keine Gefährdung bzw. Bedrohung im Sinn des § 37 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG zu begründen.

Die vom Beschwerdeführer gegen diesen Bescheid erhobene Verfassungsgerichtshofbeschwerde wurde von diesem nach Ablehnung ihrer Behandlung dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten (Beschluß vom 25. September 1995, B 2557/95). Im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof beantragte der Beschwerdeführer, den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes oder wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten unter Verzicht

auf die Erstattung einer Gegenschrift vor.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Im Verfahren gemäß § 54 Abs. 1 FrG ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. etwa das Erkenntnis vom 25. September 1998, Zl. 95/21/0229) vom Antragsteller mit konkreten, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerten Angaben das Bestehen einer aktuellen, also im Fall seiner Abschiebung in den im Antrag genannten Staat dort gegebenen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten oder infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abwendbaren Gefährdung und/oder Bedrohung im Sinn des § 37 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG glaubhaft zu machen. Ebenso wie im Asylverfahren ist auch im Verfahren nach § 54 FrG die konkrete Einzelsituation in ihrer Gesamtheit, gegebenenfalls vor dem Hintergrund der allgemeinen Verhältnisse, in Form einer Prognose für den gedachten Fall der Abschiebung des Antragstellers in diesen Staat zu beurteilen.

Dem angefochtenen Bescheid ist zu entnehmen, daß die belangte Behörde zwar die Angaben des Beschwerdeführers ihrer rechtlichen Beurteilung zugrundegelegt, darauf aufbauend das Vorliegen einer Verfolgungsgefahr im Heimatstaat des Beschwerdeführers jedoch verneint hat. Der Prüfung des bekämpften Bescheides auf seine Rechtmäßigkeit war somit sachverhaltsmäßig zugrundezulegen, daß vorerst der Vater des Beschwerdeführers und in der Folge seine Mutter, sein Onkel und seine Geschwister offenkundig von Bürgerkriegsparteien ermordet wurden. Die Aussage, eine gezielte Verfolgung seiner Person bzw. seiner Angehörigen habe nicht stattgefunden, kann nur dahin interpretiert werden, daß von den Bürgerkriegsereignissen nicht nur er und seine (in der Folge getöteten) Familienangehörigen betroffen waren, sondern auch andere Staatsbürger. Ebenso kann seine Aussage, er sei abgesehen von den zeitweiligen Auswirkungen des Bürgerkriegs nie verfolgt worden, im Zusammenhalt mit den übrigen Angaben nur so gedeutet werden, daß er keiner speziell nur gegen ihn gerichteten Gefährdung ausgesetzt war. In eindeutiger Weise stellte der Beschwerdeführer auch in seiner Berufung gegen den abschlägigen erstinstanzlichen Bescheid den Zusammenhang zwischen der Ermordung seiner Familienmitglieder und dem Bürgerkrieg dar.

Der Verwaltungsgerichtshof sprach bereits im Erkenntnis vom 26. Juni 1997, Zl. 95/21/0294, - im übrigen die Bürgerkriegssituation in Liberia betreffend - aus, daß die Verfolgung einer Bevölkerungsgruppe durch eine andere bei Fehlen einer stabilen räumlichen Abgrenzung der Bürgerkriegsparteien eine hier maßgebliche Gefährdung des Einzelnen zur Folge haben kann. Führt demgemäß eine in einem Land gegebene Bürgerkriegssituation dazu, daß keine ausreichend funktionierende Ordnungsmacht mehr vorhanden und damit zu rechnen ist, daß ein dorthin abgeschobener Fremder - auch ohne Zugehörigkeit zu einer bestimmten Bürgerkriegspartei oder verfolgten Bevölkerungsgruppe - mit erheblicher Wahrscheinlichkeit der im § 37 Abs. 1 FrG umschriebenen Gefahr (im gesamten Staatsgebiet) unmittelbar ausgesetzt sein würde, so wäre dies im Rahmen eines Antrages gemäß § 54 FrG beachtlich. Dies wäre insbesondere dann der Fall, wenn aufgrund der bewaffneten Auseinandersetzungen eine derart extreme Gefahrenlage besteht, daß praktisch jedem, der in diesen Staat abgeschoben würde, Gefahren für Leib und Leben in einem Maß drohten, daß die Abschiebung im Licht des Art. 3 EMRK unzulässig erschiene. Vorliegend hat der Beschwerdeführer mit der Begründung seines am 22. Juni 1995 gemäß § 54 FrG gestellten Antrags, seine Familienangehörigen seien in Liberia ums Leben gekommen, weil dort Krieg herrsche, in ausreichender Weise eine Verbindung der vom Bürgerkrieg geprägten Situation in Liberia mit einer ihm drohenden Gefahr im Sinn des § 37 Abs. 1 FrG hergestellt.

Die belangte Behörde verkannte mit ihrer Ansicht, im Fall eines Bürgerkriegs könne eine Gefährdungssituation nicht angenommen werden, die Rechtslage. Das Vorhandensein einer inländischen Fluchtalternative legte sie ihrer Beurteilung nicht zugrunde, weshalb nicht unterstellt werden kann, es gebe räumlich stabil abgegrenzte Einflußzonen der Bürgerkriegsparteien und es könnte die Abschiebung des Beschwerdeführers in den für ihn sicheren Teil - so es einen solchen gäbe - erfolgen (zum letztgenannten Gesichtspunkt vgl. das hg. Erkenntnis vom 27. November 1998, Zl. 95/21/0344).

Dadurch, daß die belangte Behörde die Angaben des Beschwerdeführers als nicht ausreichend wertete, um eine ihm drohende Verfolgung in seinem Heimatstaat glaubhaft zu machen, belastete sie ihren Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit, weshalb dieser gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung die Vorlage des angefochtenen Bescheides in einfacher Ausfertigung (S 60,-- Stempelgebühr) ausreichte.

Wien, am 18. Dezember 1998

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1998:1995211028.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten