TE Vwgh Erkenntnis 2019/6/17 Ro 2019/20/0002

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 17.06.2019
beobachten
merken

Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §20
AsylG 2005 §20 Abs1
AsylG 2005 §20 Abs2
VwGG §42 Abs2 Z1
VwGVG 2014 §28 Abs3

Betreff

?

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler, den Hofrat Mag. Eder und die Hofrätin Mag. Schindler als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kieslich, über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl in 1030 Wien, Modecenterstraße 22, gegen den am 24. Juli 2018 mündlich verkündeten und mit 31. Oktober 2018 schriftlich ausgefertigten Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts, Zl. W131 2131438-1/22E, betreffend Zurückverweisung nach dem VwGVG in Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (Mitbeteiligter: M H A in H), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 Der Mitbeteiligte, ein Staatsangehöriger von Afghanistan, stellte am 11. Jänner 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005).

2 Bei seiner Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) gab der Mitbeteiligte an, sein Vater und sein Bruder seien von den Taliban umgebracht worden, weshalb er in den Iran geflüchtet sei. Dort sei er schlecht behandelt worden. Er habe keine Dokumente besessen. Weil er während des Ramadan tagsüber das Lebensmittelgeschäft seines Arbeitgebers geöffnet gehabt habe, sei die Polizei gekommen und habe ihn festgenommen. Der Mitbeteiligte sei dann nochmals angehalten worden und es sei ihm mitgeteilt worden, dass er entweder zurück nach Afghanistan oder in den Krieg nach Syrien gehen müsse.

3 Das BFA wies den Antrag des Mitbeteiligten mit Bescheid vom 20. Juli 2016 sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab. Unter einem sprach es aus, dass ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt werde, erließ gegen den Mitbeteiligten eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei und legte die Frist für die freiwillige Ausreise mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.

4 Gegen diesen Bescheid des BFA erhob der Mitbeteiligte Beschwerde.

5 Nach einer vorangegangen Beschwerdeergänzung legte der Mitbeteiligte am 11. Juni 2018 dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) unter anderem auch eine Taufbescheinigung der persischen Christengemeinde in Wien und eine Austrittserklärung aus der Islamischen Glaubensgemeinschaft vor.

6 Am 20. Juli 2018 langte beim BVwG eine weitere Beschwerdeergänzung ein. Darin brachte der Mitbeteiligte (erstmals) vor, bisexuell zu sein und dies bereits im Iran im Geheimen ausgelebt zu haben. Seine bisherigen Fluchtgründe seien noch immer aufrecht, die sexuelle Orientierung und die daran anknüpfende Furcht vor Verfolgung würden hinzutreten. Dem Mitbeteiligten sei es bisher nicht möglich gewesen, sich offen über seine Bisexualität zu äußern. Bei seiner Einvernahme vor dem BFA sei erschwerend hinzugekommen, dass er zu der anwesenden Dolmetscherin nicht das nötige Vertrauen habe fassen können, um sich als bisexueller Mann zu offenbaren.

7 Am 23. Juli 2018 langte beim BVwG eine Vollmachtsbekanntgabe samt Stellungnahme des Mitbeteiligten ein, in der er vorbrachte, dass die primären Fluchtgründe seine sexuelle Orientierung und die lange Abwesenheit aus der Heimat seien. Es werde ersucht, die Konversion nicht als primären Fluchtgrund zu erachten. 8 Im Anschluss an die Verhandlung über die Beschwerde am 24. Juli 2018 behob das BVwG gestützt auf § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG mit mündlich verkündetem Beschluss den Bescheid und verwies die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das BFA zurück, ohne weitere Verfahrensschritte zu setzen. Die Revision erklärte das BVwG gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für zulässig. 9 Am 31. Oktober 2018 erfolgte über Antrag des BFA die schriftliche Ausfertigung dieses mündlich verkündeten Beschlusses. 10 In seiner Begründung führte das BVwG aus, der Mitbeteiligte sei in der ersten Instanz nicht entsprechend über seine Rechte gemäß § 20 Abs. 1 AsylG 2005 belehrt worden. Deshalb habe er nicht gewusst, dass er bei Asylgründen im Zusammenhang mit der sexuellen Selbstbestimmung das Recht habe, durch einen Organwalter desselben Geschlechtes einvernommen zu werden und dieses Recht auch die Dolmetscher umfasse. Das Ermittlungsverfahren der Behörde sei mangelhaft, weil es die Behörde aufgrund des aufgezeigten Manuduktionsfehlers unterlassen habe, Ermittlungen zum vorgebrachten Fluchtgrund der Bisexualität durchzuführen. Um sicherzustellen, dass der Mitbeteiligte (auch) bei seinem Fluchtgrund der Bisexualität den Instanzenzug an ein Gericht für ein wirksames Rechtsmittel auch in Tatsachenfragen habe, sei die Aufhebung und Zurückverweisung zweckmäßig bzw. unionsrechtlich (Verweis auf Art. 41 und 47 GRC) geboten.

11 Die Zulassung der Revision begründete das BVwG damit, dass zum Entscheidungszeitpunkt des Beschlusses am 24. Juli 2018 keine "gefestigte" Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage vorgelegen sei, in welcher Weise der Mitbeteiligte gemäß § 20 Abs. 1 AsylG 2005 anzuleiten gewesen wäre, um das nachweisliche "In-Kenntnis-Setzen" im Sinne von § 20 Abs. 1 AsylG 2005 zu gewährleisten, welches gemäß dem Verwaltungsgerichtshof auch für "Dolmetschpersonen" auf Behördenseite gelte (Verweis auf VwGH 3.12.2003, 2001/01/0402). 12 Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende Amtsrevision, die zusammengefasst geltend macht, der Verwaltungsgerichtshof habe zu den Belehrungen gemäß § 20 AsylG 2005 festgehalten, dass der Behörde die Verletzung dieser Belehrungspflicht nicht zum Vorwurf gemacht werden könne, wenn der Asylwerber ein entsprechendes Vorbringen erst im Beschwerdeverfahren erstatte (Verweis auf VwGH 10.8.2018, Ra 2018/20/0314). Da der Mitbeteiligte zunächst kein Vorbringen im Sinne des § 20 AsylG 2005 erstattet habe, könne auch keine Belehrungspflicht vorliegen. Somit weiche das BVwG von der (bereits zitierten) Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ab, welche nach Beschlusserlassung ergangen sei.

Ferner seien die Voraussetzungen für eine Aufhebung und Zurückverweisung gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG nicht vorgelegen. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshof führe nicht jede Verletzung der Verfahrensvorschriften sowie jegliche Ermittlungsmängel zu einer Zurückverweisung an die Behörde (Verweis auf VwGH 26.6.2014, Ro 2014/03/0063). Das BVwG begründe nicht, warum im gegenständlichen Fall die Zurückverweisung im Interesse der Raschheit gelegen sei: Die Beschwerde sei seit zwei Jahren anhängig gewesen. Das BVwG habe eine mündliche Verhandlung durchgeführt und es habe die Möglichkeit bestanden, den Mitbeteiligten zum erstmals im Beschwerdeverfahren geäußerten Vorbringen zu befragen. Es wäre im Interesse der Raschheit und Kostenersparnis gelegen, wenn das BVwG eine inhaltliche Entscheidung getroffen hätte, zumal für die mündliche Verhandlung bereits Zeit und Kosten angefallen seien. Dies auch vor dem Hintergrund, dass eine fehlerhafte Einvernahme im Sinne des § 20 AsylG 2005 nur einen Verfahrensmangel darstelle, der durch die mündliche Verhandlung saniert werden könne (Verweis auf VwGH 6.9.2018, Ra 2018/18/0191). Daher hätte das BVwG durch die Befragung des Mitbeteiligten und der bereits geladenen Zeugen klären können, ob eine Verfolgung vorliege. Indem das BVwG trotzdem eine zurückverweisende Entscheidung getroffen habe, obwohl keine krassen oder besonders gravierenden Ermittlungsmängel vorgelegen seien und es bereits eine mündliche Verhandlung durchgeführt habe, weiche es von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ab.

13 Im Übrigen fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, ob ein Vorbringen von nichtsexuellen Verfolgungshandlungen aufgrund der sexuellen Orientierung unter § 20 AsylG 2005 falle.

14 Der Mitbeteiligte erstattete keine Revisionsbeantwortung.

15 Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

16 Die (Amts-) Revision ist zulässig und begründet, weil das BVwG von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen ist.

17 Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom 10. August 2018, Ra 2018/20/0314, auf dessen Entscheidungsgründe gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen wird, zu einem in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht ähnlich gelagerten Fall ausgeführt, dass § 20 AsylG 2005 nach seinem Wortlaut nicht zur Anwendung gelange, wenn der Asylwerber das auf eine (behauptete) Homosexualität Bezug nehmende Vorbringen erst im Beschwerdeverfahren erstattet hat.

18 Weiters hat der Verwaltungsgerichtshof in dem genannten Erkenntnis festgehalten, dass mangels Ermittlungsmängel die Voraussetzungen für eine auf § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG gestützte Behebung und Zurückverweisung nicht vorliegen. Es bestehe keine Verpflichtung der Behörde, Feststellungen zu Themen zu treffen, zu denen der Asylwerber keinerlei Vorbringen erstattet habe und wofür keine konkreten Anhaltspunkte erkennbar seien. 19 Diese Überlegungen sind auch auf den vorliegenden Fall zu übertragen, in dem der Mitbeteiligte erst im Laufe des bereits seit zwei Jahren anhängigen Beschwerdeverfahrens ein Vorbringen zu seiner (behaupteten) Bisexualität erstattete, und führen dazu, dass das BVwG seine Entscheidung mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet hat. Der angefochtene Beschluss war somit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

20 Die in der Revision aufgeworfene Rechtsfrage, ob ein Vorbringen von nichtsexuellen Verfolgungshandlungen aufgrund der sexuellen Orientierung unter § 20 AsylG 2005 falle, braucht hier daher nicht näher geprüft werden.

Im Übrigen wird das BVwG der Vollständigkeit halber darauf hingewiesen, dass in der die Erstbefragung betreffenden Niederschrift vom 11. Jänner 2016 vermerkt wurde, dass dem Mitbeteiligten ein Merkblatt ausgehändigt wurde, in dem auch die Rechte von Asylwerbern wiedergegeben waren.

Wien, am 13. Juni 2019

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2019:RO2019200002.J00

Im RIS seit

25.07.2019

Zuletzt aktualisiert am

25.07.2019
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten