RS Vfgh 2019/6/14 G396/2018

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Veröffentlicht am 14.06.2019
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Index

L0015 LVerwaltungsgericht

Norm

B-VG Art87 Abs2
B-VG Art88 Abs2
B-VG Art97 Abs2
B-VG Art130 Abs2 Z3
B-VG Art131 Abs5
B-VG Art134 Abs7
B-VG Art135 Abs1
B-VG Art140 Abs1 Z1 lita
Wr Verwaltungsgericht-DienstrechtsG §11Abs1
RStDG §111, §209
VfGG §7 Abs1

Leitsatz

Keine Verfassungswidrigkeit einer Bestimmung des Wr Verwaltungsgericht-DienstrechtsG betreffend die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts als Disziplinargericht für die Mitglieder des Verwaltungsgerichts Wien

Rechtssatz

Abweisung eines - zulässigen - Antrags des Bundesverwaltungsgerichts (BVwG) auf Aufhebung von §11 Abs1 Wr Verwaltungsgericht-DienstrechtsG - VGW-DRG idF LGBl 47/2018 (Gerichtsantrag).

Ungeachtet der verfassungsrechtlichen Vorgaben der Art87 Abs2, Art88 Abs2, Art130 und Art135 Abs1 B-VG, wie sie bereits in der Entscheidung vom 14.06.2018, G29/2018, G108/2018, ausgesprochen wurden, ergibt sich die Zulässigkeit der (erstinstanzlichen) Betrauung eines Verwaltungsgerichtes mit den disziplinarrechtlichen Angelegenheiten von Richtern auch aus Art130 Abs2 Z3 B-VG. Dieser sieht vor, dass die Verwaltungsgerichte zur Entscheidung über Streitigkeiten in dienstrechtlichen Angelegenheiten der öffentlichen Bediensteten als zuständig erklärt werden können.

Die Mitglieder des Verwaltungsgerichts Wien (VGW - LVwG) stehen in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zu einer Gebietskörperschaft, sind Beamte und somit "öffentlich Bedienstete" iSd B-VG. Vom Begriff der "Streitigkeiten in dienstrechtlichen Angelegenheiten" in Art130 Abs2 Z3 B-VG ist das Disziplinarrecht jedenfalls erfasst, geht es doch um die disziplinarrechtliche Verantwortung der Richter in Ausübung ihrer Tätigkeit. Art130 Abs2 Z3 B-VG sieht somit die erstinstanzliche Betrauung der Verwaltungsgerichte mit die Mitglieder der Verwaltungsgerichte betreffenden Streitigkeiten in dienstrechtlichen Angelegenheiten vor.

Kein Verstoß des §11 Abs1 VGW-DRG, nach dem ein anderes Gericht als Disziplinargericht tätig wird gegen Art88 und Art135 B-VG oder Art130 B-VG:

Abgesehen von den bereits verfassungsgesetzlich vorgegebenen Unterschieden zwischen der ordentlichen Gerichtsbarkeit und der Verwaltungsgerichtsbarkeit kann auf Grund der für die Richter der ordentlichen Gerichtsbarkeit sowie der Verwaltungsgerichtsbarkeit gleichermaßen geltenden richterlichen Garantien im Wesentlichen ein einheitliches - verfassungsrechtliches - Richterbild abgeleitet werden. Der Verfassungsgesetzgeber hat sich bei der Einführung der Verwaltungsgerichtsbarkeit durch Verweise auf Bestimmungen betreffend die ordentliche Gerichtsbarkeit an dieser orientiert. Dieses Verständnis kommt auch dadurch zum Ausdruck, dass das Richter- und Staatsanwaltschaftsdienstgesetz (RStDG) auf die Richter des BVwG und des Bundesfinanzgerichtes (BFG) ebenfalls Anwendung findet.

Dass die Wahrung der disziplinarrechtlichen Verantwortung nicht jenem Gericht übertragen wird, an dem die betroffenen Richter tätig sind, entsprach bereits der vom Verfassungsgesetzgeber des Jahres 1920 vorgefundenen Rechtslage. Gemäß - dem heute geltenden - §111 RStDG bestehen in der ordentlichen Gerichtsbarkeit zwischen den Oberlandesgerichten Wien und Graz sowie Linz und Innsbruck hinsichtlich der Disziplinargerichtsbarkeit jeweils wechselseitige Zuständigkeiten. In den Materialien zu §111 RStDG wird die Abkehr davon, dass das jeweilige Oberlandesgericht für den eigenen Sprengel als Disziplinargericht zuständig ist, mit dem Ausschluss des Anscheins möglicher Befangenheiten begründet. In diesem Sinne sieht §209 Z5 RStDG wechselseitige Zuständigkeiten zwischen dem BVwG und dem BFG vor. Im Hinblick darauf, dass im Wesentlichen ein einheitliches verfassungsrechtliches Richterbild besteht und die ordentliche Gerichtsbarkeit zum Zeitpunkt der Einrichtung der Verwaltungsgerichte mit §111 RStDG eine §11 Abs1 VGW-DRG vergleichbare Regelung vorgesehen hat, bestehen keine Bedenken dagegen, dass ein Verwaltungsgericht als Disziplinargericht für Richter eines anderen Verwaltungsgerichtes tätig wird.

Nach Art131 Abs5 iVm Art97 Abs2 B-VG ist es möglich, durch Landesgesetz das BVwG mit Angelegenheiten des selbständigen Wirkungsbereiches der Länder zu betrauen, sofern die Zustimmung der Bundesregierung eingeholt wird. Da die Mitglieder der Verwaltungsgerichte von Verfassungs wegen Landesbedienstete sind, handelt es sich bei der Regelung des diese betreffenden Disziplinarrechts und der diesbezüglichen Zuständigkeiten gemäß Art21 Abs1 iVm Art131 Abs5 B-VG um eine in den selbständigen Wirkungsbereich der Länder fallende Angelegenheit. Unter dem Gesichtspunkt des Art131 Abs5 iVm Art97 Abs2 B-VG ist daher bei Vorliegen der Zustimmung der Bundesregierung eine §11 Abs1 VGW-DRG entsprechende Regelung unbedenklich.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Verwaltungsgericht Zuständigkeit, Landesverwaltungsgericht, Bundesverwaltungsgericht, Disziplinarrecht Verfahren, Dienstrecht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2019:G396.2018

Zuletzt aktualisiert am

06.08.2020
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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