TE Vwgh Erkenntnis 2019/5/28 Ra 2018/05/0188

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Veröffentlicht am 28.05.2019
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Index

L37153 Anliegerbeitrag Aufschließungsbeitrag Interessentenbeitrag Niederösterreich
L82003 Bauordnung Niederösterreich
20/05 Wohnrecht Mietrecht
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

AVG §6
AVG §9
BauO NÖ 2014 §6 Abs1 Z1
WEG 2002 §16 Abs2
WEG 2002 §18
WEG 2002 §18 Abs1
WEG 2002 §18 Abs2
WEG 2002 §2 Abs5

Betreff

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Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger und die Hofräte Dr. Enzenhofer und Dr. Moritz sowie die Hofrätinnen Dr. Pollak und Mag. Rehak als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Wölfl, über die Revision des Stadtrates der Stadtgemeinde P, vertreten durch Dr. Peter Gatternig und Mag. Karl Gatternig, Rechtsanwälte in 1010 Wien, Renngasse 9, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich vom 22. März 2018, Zl. LVwG-AV-259/001-2018, betreffend Aufhebung einer Baubewilligung (weitere Partei: Niederösterreichische Landesregierung; mitbeteiligte Parteien: 1. Dr. R W in P, und

2. Mag. A P in W), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

I.

1 Die mitbeteiligten Parteien sind Miteigentümer einer in P. gelegenen, näher bezeichneten Liegenschaft, auf der ein Wohnhaus errichtet ist, und als solche Wohnungseigentümer.

2 Mit der mit 20. Juli 2017 datierten, am 4. September 2017 bei der Baubehörde eingelangten Eingabe beantragte die Eigentümergemeinschaft der genannten Liegenschaft (im Folgenden: Eigentümergemeinschaft), vertreten durch die gemeinnützige Bau-, Wohn- und Siedlungsgenossenschaft mbH A. als Verwalterin im Sinne des Wohnungseigentumsgesetz 2002 - WEG 2002 (im Folgenden: Verwalterin), die Erteilung der baubehördlichen Bewilligung für den Einbau eines Treppenschrägaufzuges zur Personenbeförderung in dem auf dieser Liegenschaft bestehenden Wohngebäude. 3 Mit Bescheid des Bürgermeisters der Stadtgemeinde P. (im Folgenden: Bürgermeister) vom 6. November 2017 wurde der Verwalterin gemäß § 4 NÖ Aufzugsordnung 2016 (im Folgenden: NÖ AO 2016) iVm § 23 Abs. 1 NÖ Bauordnung 2014 (NÖ BO 2014) die baubehördliche Bewilligung für den Einbau eines Treppenschrägaufzuges in das Wohngebäude erteilt.

4 Mit Bescheid des Stadtrates der Stadtgemeinde P. (im Folgenden: Stadtrat) vom 22. Jänner 2018 wurde der gegen den Bescheid des Bürgermeisters erhobenen Berufung der mitbeteiligten Parteien insoweit stattgegeben, als statt der Verwalterin als Bauwerberin und Bescheidadressatin die genannte Eigentümergemeinschaft "festgehalten" und weiters ausgesprochen wurde, dass inhaltlich der Berufung jedoch keine Folge gegeben und die erstinstanzlich erteilte Baubewilligung vollinhaltlich aufrecht erhalten werde.

5 Begründend führte der Stadtrat (u.a.) aus, dass sich aus dem Ansuchen um Erteilung einer Baubewilligung ergebe, dass Bauwerber die Eigentümergemeinschaft und nicht deren Verwalterin sei. Die Bezeichnung der Bauwerberin und Bescheidadressatin sei daher im Sinne der Ausführungen der Berufung und auf Basis des Bauansuchens auf die Eigentümergemeinschaft richtigzustellen und insoweit der Berufung Folge zu geben.

6 Wenn die mitbeteiligten Parteien zu Recht geltend machten, dass der Bürgermeister den erstinstanzlichen Bescheid wegen Befangenheit nicht hätte erlassen dürfen, so liege ein Verfahrensmangel vor, der durch ein Rechtsmittel geltend gemacht werden könne, dies allerdings nur dann mit Erfolg, wenn Bedenken gegen die sachliche Richtigkeit des Bescheides bestünden. Weiters werde der Mangel, dass ein befangener Organwalter an der Erlassung des unterinstanzlichen Bescheides mitgewirkt habe, schon durch die - ausreichend begründete - Sachentscheidung der unbefangenen Berufungsbehörde saniert und könne im gegenständlichen Fall der Stadtrat als Berufungsinstanz in der Sache selbst entscheiden. 7 Die ordnungsgemäße Vertretung durch die Verwalterin der im Bauansuchen als Bauwerber angeführten Eigentümergemeinschaft sei nachgewiesen. Für die Baubehörde gelte der Verwalter als berechtigtes Organ der Eigentümergemeinschaft. Der Baubehörde obliege es nicht, zu überprüfen, ob der Verwalter allenfalls seine Befugnisse verletzt und eventuell nötige Beschlüsse der Eigentümergemeinschaft nicht eingeholt habe oder diese nicht rechtswirksam zustande gekommen seien. Die Baubehörde habe daher zu Recht über Antrag des Verwalters das gegenständliche Bauverfahren eingeleitet und durchgeführt. Im Übrigen sei festzuhalten, dass ein Baubewilligungsbescheid noch keine Veränderungen an allgemeinen Teilen der Liegenschaft im Sinne des § 29 WEG 2002 herbeiführe, sondern nur die Möglichkeit zu einem solchen Vorgehen eröffnet werde. Daher sei ein Verwalter, auch wenn er Kenntnis von der Anfechtung eines Beschlusses der Eigentümergemeinschaft habe, berechtigt, vor rechtskräftiger Entscheidung über einen Antrag einzelner Wohnungseigentümer auf Aufhebung eines solchen Beschlusses, wenn er der Meinung sei, dass es nicht zur Aufhebung kommen werde, das Bauansuchen schon vorab einzureichen, damit im Falle der von ihm erwarteten rechtskräftigen Bestätigung eines solchen Beschlusses mit den Bauarbeiten sofort begonnen werden könne. Abschließend werde noch festgehalten, dass die mitbeteiligten Parteien mit ihrem Hinweis auf die Gestaltung des Einreichformulars der Stadtgemeinde P. keinen Verfahrensmangel aufzeigen könnten.

8 Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis wurde (unter Spruchpunkt 1.) der von den mitbeteiligten Parteien gegen diesen Berufungsbescheid erhobenen Beschwerde gemäß § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG Folge gegeben und dieser Bescheid ersatzlos behoben sowie (unter Spruchpunkt 2.) eine ordentliche Revision für unzulässig erklärt.

9 Dazu führte das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich (im Folgenden: Verwaltungsgericht) im Wesentlichen aus, dass es sich bei der Baubewilligung um einen antragsbedürftigen Verwaltungsakt handle, der nur dann rechtmäßig sei, wenn ein auf Erlassung gerichteter, von einer hiezu legitimierten Partei gestellter Antrag vorliege. Im konkreten Fall sei die Antragstellung - wie sich zum einem aus dem Antrag selbst und zum anderen aus der Baubeschreibung ergebe - durch die Eigentümergemeinschaft der verfahrensgegenständlichen Liegenschaft erfolgt und auch der Berufungsbescheid ausdrücklich an sie adressiert.

10 Bei der Eigentümergemeinschaft handle es sich nach § 18 WEG 2002 um eine juristische Person mit Teilrechtsfähigkeit, nämlich mit Rechtsfähigkeit nur auf dem Gebiet der Verwaltung der Liegenschaft. Zu den Aufgaben der Hausverwaltung gehörten insbesondere die Durchführung von Instandsetzungsarbeiten; nicht hingegen, weil der ordentlichen Verwaltung nach § 833 ABGB nicht zuordenbar, wichtige Veränderungen baulicher Art, worunter Baumaßnahmen zu verstehen seien, die über den bloßen Erhaltungszweck hinausgingen. Zur ordentlichen Verwaltung gehöre jedenfalls nicht die Beseitigung eines vorschriftswidrigen Baues oder die Einbringung eines Bauansuchens. Schon davon ausgehend erweise sich der Antrag - mangels Zuordenbarkeit zu dem Bereich, in dem der Eigentümergemeinschaft Rechtsfähigkeit zukomme - als unzulässig. Hinzu komme, dass die insoweit klare, zu keinem Zweifel Anlass gebende Formulierung der Einreichunterlagen verwehre, das Anbringen in ein solches der einzelnen Wohnungseigentümer umzudeuten (Hinweis auf VwGH 9.9.2013, 2012/17/0025).

11 Im Hinblick darauf, dass die Eigentümergemeinschaft nicht zur Einbringung eines Bauansuchens legitimiert gewesen sei, sei der Beschwerde bereits aus diesem Grund Erfolg beschieden und der Bescheid des Stadtrates ersatzlos zu beheben.

12 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision.

13 Die erstmitbeteiligte Partei erstattete im eigenen Namen sowie namens der zweitmitbeteiligten Partei eine Revisionsbeantwortung.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

14 Die Revision erweist sich in Anbetracht der mit ihrem Vorbringen gemäß § 28 Abs. 3 VwGG aufgeworfenen Rechtsfrage der Antragslegitimation einer Eigentümergemeinschaft nach dem WEG 2002 in einem baubehördlichen Bewilligungsverfahren als zulässig. Ihr kommt auch Berechtigung zu.

15 Die Revision bringt (u.a.) vor, das Verwaltungsgericht habe die Frage der Rechtsfähigkeit der Eigentümergemeinschaft und die Frage, ob eine Eigentümergemeinschaft ein Bauansuchen einbringen könne, rechtlich falsch gelöst. Der Oberste Gerichtshof habe in seiner Entscheidung OGH 18.5.2016, 5 Ob 216/15y, festgehalten, dass die Entscheidungskompetenz für Veränderungen an allgemeinen Teilen der Liegenschaft, wenn die Veränderung gemeinschaftlichen Interessen diene, grundsätzlich der Eigentümergemeinschaft zustehe und lediglich bei Maßnahmen im alleinigen Interesse eines oder einer geringen Zahl von Wohnungseigentümern diese Kompetenz nicht gegeben sei. Da die mitbeteiligten Parteien weder in ihrer Berufung noch in ihrer Beschwerde an das Verwaltungsgericht aufgezeigt hätten, dass die vorliegende Maßnahme nur einen einzelnen oder wenige Wohnungseigentümer begünstige und diesen einen Vorteil bringe, hätte das Verwaltungsgericht schon aus diesem Grund die Zuständigkeit der Eigentümergemeinschaft als gegeben ansehen müssen.

16 Dieses Vorbringen führt die Revision zum Erfolg:

Das Verwaltungsgericht hatte seiner Entscheidung die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses zugrunde zu legen (vgl. etwa VwGH 27.2.2019, Ra 2018/05/0001, mwN).

17 Die §§ 1, 2 und 4 NÖ AO 2016 in der hier maßgeblichen Stammfassung LGBl. Nr. 9/2017 haben auszugsweise folgenden Wortlaut:

"§ 1

Geltungsbereich

(1) Die Bestimmungen dieses Gesetzes gelten für überwachungsbedürftige Hebeanlagen in baulicher Verbindung mit Bauwerken als Ergänzung der NÖ Bauordnung 2014, LGBl. Nr. 1/2015 in der geltenden Fassung (im Folgenden: NÖ BO 2014).

..."

"§ 2

Begriffsbestimmungen

(1) Überwachungsbedürftige Hebeanlagen umfassen Aufzüge, Fahrtreppen und Fahrsteige.

(2) Aufzüge sind Hebezeuge, die zwischen festgelegten Ebenen mittels Lastträgern verkehren, die sich an starren, gegenüber der Horizontalen um mehr als 15 Grad geneigten Führungen fortbewegen.

Hebezeuge, die sich nicht an starren Führungen entlang, aber in einer räumlich vollständig festgelegten Bahn fortbewegen (z. B. Aufzüge mit Scherenhubwerk), gelten ebenfalls als Aufzüge im Sinne dieses Gesetzes.

Aufzüge werden unterteilt in:

...

3. Treppenschrägaufzüge: Dies sind Hebezeuge für Personen mit Sessel, Stehplattform oder Rollstuhlplattform, die in einer geneigten Ebene entlang einer Treppe (Stiege) oder einer zugänglichen geneigten Oberfläche fahren und vorwiegend für die Verwendung durch Personen mit eingeschränkter Mobilität bestimmt sind.

..."

"§ 4

Bewilligungspflicht, Verfahren

(1) Der Einbau sowie jede wesentliche Änderung einer überwachungsbedürftigen Hebeanlage bedürfen der Bewilligung der Baubehörde.

...

(4) Für das Verfahren gelten die Bestimmungen der NÖ BO 2014 für das Bewilligungsverfahren sinngemäß. Zusätzlich ist § 5 (Antragsbeilagen, Vorprüfung) und § 6 (Abnahmeprüfung, Anlagenbuch) zu entsprechen.

Dem Vorhaben darf insbesondere keine Bestimmung

-

dieses Gesetzes oder

-

einer Durchführungsverordnung zu diesem Gesetz

entgegen stehen.

§ 23 Abs. 2, § 24 Abs. 1 bis 5, 7 und 8 sowie § 30 Abs. 4

NÖ BO 2014 gelten sinngemäß.

..."

18 § 6 NÖ BO 2014 in der hier maßgeblichen Fassung

LGBl. Nr. 50/2017 und § 18 NÖ BO 2014 in der Fassung

LGBl. Nr. 12/2018 lauten auszugsweise:

"§ 6

Parteien und Nachbarn

(1) In Baubewilligungsverfahren und baupolizeilichen Verfahren nach § 34 Abs. 2 und § 35 haben Parteistellung:

1.

der Bauwerber und der Eigentümer des Bauwerks

2.

der Eigentümer des Baugrundstücks

..."

"§ 18

Antragsbeilagen

(1) Dem Antrag auf Baubewilligung sind anzuschließen:

1. Angaben über das Grundeigentum und Nachweis des Nutzungsrechtes, wenn das Grundstück nicht oder nicht ausschließlich im Eigentum des Antragstellers steht:

a)

Zustimmung des Grundeigentümers oder

b)

Zustimmung der Mehrheit nach Anteilen bei Miteigentum,

sofern es sich nicht um Zu- oder Umbauten innerhalb einer selbständigen Wohnung, einer sonstigen selbständigen Räumlichkeit oder auf einem damit verbundenen Teil der Liegenschaft im Sinn des § 1 oder § 2 des Wohnungseigentumsgesetzes 2002, BGBl. I Nr. 70/2002 in der Fassung BGBl. I Nr. 87/2015, handelt, oder

..."

19 Das WEG 2002, BGBl. I Nr. 70, in der Fassung BGBl. I Nr. 114/2002 (Kundmachung des Bundeskanzlers betreffend die Berichtigung von Druckfehlern im Bundesgesetzblatt) und der weiteren hier maßgeblichen Fassung BGBl. I Nr. 87/2015 lautet in den §§ 2, 18, 20, 28 und 29 (zum Teil) auszugsweise wie folgt:

"Begriffsbestimmungen

§ 2. ...

(5) Wohnungseigentümer ist ein Miteigentümer der Liegenschaft, dem Wohnungseigentum an einem darauf befindlichen Wohnungseigentumsobjekt zukommt. Alle Wohnungseigentümer bilden zur Verwaltung der Liegenschaft die Eigentümergemeinschaft; sie ist eine juristische Person mit Rechtsfähigkeit in dem durch § 18 Abs. 1 und 2 umschriebenen Umfang.

..."

"Rechtsfähigkeit und Vertretung der Eigentümergemeinschaft

§ 18. (1) Die Eigentümergemeinschaft kann in Angelegenheiten der Verwaltung der Liegenschaft Rechte erwerben und Verbindlichkeiten eingehen sowie klagen und geklagt werden. Für Klagen gegen die Eigentümergemeinschaft ist das Gericht örtlich zuständig, in dessen Sprengel die Liegenschaft gelegen ist. Bei diesem Gericht kann auch ein Wohnungseigentümer von der Eigentümergemeinschaft geklagt werden. Forderungen gegen die Eigentümergemeinschaft können gegen die einzelnen Wohnungseigentümer nur nach Maßgabe des Abs. 4 zweiter Satz und nur durch gesonderte Klagsführung geltend gemacht werden.

(2) Die Wohnungseigentümer können der Eigentümergemeinschaft aus ihrem Miteigentum erfließende Unterlassungsansprüche sowie die Liegenschaft betreffende Gewährleistungs- und Schadenersatzansprüche abtreten, wodurch die Eigentümergemeinschaft diese Ansprüche erwirbt und in eigenem Namen geltend machen kann. Unterlässt die Eigentümergemeinschaft die Geltendmachung eines ihr abgetretenen Anspruchs und droht dadurch eine Frist für die Anspruchsverfolgung abzulaufen, so kann der betreffende Wohnungseigentümer den Anspruch für die Eigentümergemeinschaft geltend machen.

..."

"Aufgaben und Befugnisse des Verwalters

§ 20. (1) Der Verwalter ist verpflichtet, die gemeinschaftsbezogenen Interessen aller Wohnungseigentümer zu wahren und Weisungen der Mehrheit der Wohnungseigentümer zu befolgen, soweit diese nicht gesetzwidrig sind. Dem Verwalter steht die Verwaltung der Liegenschaft und dabei insbesondere auch die nach außen unbeschränkbare Vertretung der Eigentümergemeinschaft zu; im Rahmen dieser Vertretung ist er auch zur Bestellung eines berufsmäßigen Parteienvertreters befugt.

..."

"Ordentliche Verwaltung

§ 28. (1) In Angelegenheiten der ordentlichen Verwaltung der Liegenschaft entscheidet - unbeschadet der Rechte des einzelnen Wohnungseigentümers nach § 30 - die Mehrheit der Wohnungseigentümer. Zu diesen Angelegenheiten gehören insbesondere:

1. die ordnungsgemäße Erhaltung der allgemeinen Teile der Liegenschaft im Sinne des § 3 MRG, einschließlich der baulichen Veränderungen, die über den Erhaltungszweck nicht hinausgehen, und der Behebung ernster Schäden des Hauses in einem Wohnungseigentumsobjekt,

..."

"Außerordentliche Verwaltung

§ 29. (1) Über Veränderungen an den allgemeinen Teilen der Liegenschaft, die über die in § 28 genannten Angelegenheiten hinausgehen, wie etwa nützliche Verbesserungen oder sonstige über die Erhaltung hinausgehende bauliche Veränderungen, entscheidet die Mehrheit der Wohnungseigentümer, doch kann jeder der Überstimmten mit einem gegen die übrigen Wohnungseigentümer zu richtenden Antrag die gerichtliche Aufhebung des Mehrheitsbeschlusses verlangen. Die Antragsfrist beträgt drei Monate, bei unterbliebener Verständigung des Wohnungseigentümers von der beabsichtigten Beschlussfassung und von ihrem Gegenstand (§ 25 Abs. 2) hingegen sechs Monate und beginnt mit dem Anschlag des Beschlusses im Haus gemäß § 24 Abs. 5.

(2) Das Gericht hat den Mehrheitsbeschluss aufzuheben, wenn

1. die Veränderung den Antragsteller übermäßig beeinträchtigen würde oder

2. die Kosten der Veränderung - unter Berücksichtigung auch der in absehbarer Zeit anfallenden Erhaltungsarbeiten - nicht aus der Rücklage gedeckt werden könnten.

(3) Eine Aufhebung des Mehrheitsbeschlusses aus dem Grund des Abs. 2 Z 2 hat nicht stattzufinden, wenn der nicht gedeckte Kostenanteil von der beschließenden Mehrheit getragen wird oder wenn es sich um eine Verbesserung handelt, die auch unter Berücksichtigung der fehlenden Kostendeckung in der Rücklage allen Wohnungseigentümern eindeutig zum Vorteil gereicht.

(4) Würde die Veränderung nur zu einer Beeinträchtigung des Antragstellers führen, die finanziell ausgeglichen werden kann, so hat das Gericht auszusprechen, dass die Veränderung nur gegen Entrichtung einer ziffernmäßig festzusetzenden angemessenen Entschädigung vorgenommen werden darf.

(5) Im Übrigen gelten für Angelegenheiten der

außerordentlichen Verwaltung die §§ 834 und 835 ABGB.

(6) Unbeschadet seiner unbeschränkbaren Vertretungsbefugnis (§ 20 Abs. 1) darf der Verwalter Maßnahmen der außerordentlichen Verwaltung nur auf Grund eines Beschlusses nach Abs. 1 durchführen."

20 Die Frage der Partei- und Prozessfähigkeit ist gemäß § 9 AVG - sofern in den Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmt ist - unter Heranziehung der Bestimmungen des bürgerlichen Rechts über die Rechts- und Handlungsfähigkeit zu beurteilen. Zu den "Vorschriften des bürgerlichen Rechts" zählen auch die Regelungen des WEG 2002 über die (Teil-)Rechtsfähigkeit der Eigentümergemeinschaft (vgl. etwa VwGH 28.3.2017, 2013/06/0163, und VwGH 1.8.2018, Ro 2016/06/0026).

21 Bei der Eigentümergemeinschaft handelt es sich gemäß § 2 Abs. 5 WEG 2002 um eine juristische Person mit Rechtsfähigkeit in dem durch § 18 Abs. 1 und Abs. 2 WEG 2002 umschriebenen Umfang. Aus § 18 Abs. 1 WEG 2002 ergibt sich, dass - abgesehen von den Fällen des § 18 Abs. 2 WEG 2002 - die Rechtsfähigkeit der Eigentümergemeinschaft auf Angelegenheiten der Verwaltung der Liegenschaft beschränkt ist. Nur in diesen Angelegenheiten kann die Eigentümergemeinschaft als solche Rechte erwerben und Verbindlichkeiten eingehen sowie klagen und geklagt werden (vgl. § 18 Abs. 1 WEG 2002). Diese Einschränkung ist auch für die Parteifähigkeit in Verwaltungsverfahren zu beachten (vgl. auch dazu VwGH 1.8.2018, Ro 2016/06/0026).

22 Aus § 9 AVG iVm § 18 WEG 2002 folgt somit, dass auch im Bereich des öffentlichen Rechts die Rechts- und Handlungsfähigkeit der Eigentümergemeinschaft auf die Angelegenheiten der Verwaltung der Liegenschaft beschränkt ist und nicht die Ausübung von Eigentümerrechten erfasst. Die Verwaltungshandlungen für die Eigentümergemeinschaft sind einerseits von bloßen Besitz- oder Gebrauchshandlungen einzelner Teilhaber, andererseits von den Verfügungen über das Gemeinschaftsgut oder einzelne Anteile daran zu unterscheiden. Die Abgrenzung zwischen Verwaltungshandlungen und Verfügungen ist dabei nach den Auswirkungen auf das gemeinschaftliche Gut bzw. die Anteile der Miteigentümer zu ziehen. Zur Verwaltung gehört alles, was gemeinschaftliche Interessen bei der Nutzung und Erhaltung des Gemeinschaftsgutes beeinträchtigen könnte, während eine Verfügung die Substanz der Gemeinschafts- oder Anteilsrechte verändert (vgl. zum Ganzen nochmals VwGH 1.8.2018, Ro 2016/06/0026, mwN, und Prader, WEG 20025 (2018) § 18 E 221).

23 Gemäß § 6 Abs. 1 Z 1 NÖ BO 2014 haben der Bauwerber und der Eigentümer des Bauwerks (u.a.) in Baubewilligungsverfahren Parteistellung. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichtes kann in einem Baubewilligungsverfahren nach der NÖ BO 2014 (auch) eine Eigentümergemeinschaft im Sinne des § 18 WEG 2002 als Bauwerber auftreten, ist sie doch eine juristische Person und kennt die NÖ BO 2014 keine Schranken, die dagegen sprechen (vgl. etwa W. Pallitsch/ Ph. Pallitsch/W. Kleewein, Niederösterreichisches Baurecht10 (2017) 125). In einem solchen Fall ist jedoch in Anbetracht der Beschränkung der Rechts- und Handlungsfähigkeit der Eigentümergemeinschaft auf die Angelegenheiten der Verwaltung der Liegenschaft zu prüfen, ob die von der Eigentümergemeinschaft bei der Baubehörde beantragte Maßnahme in den Bereich der Verwaltung der Liegenschaft fällt.

24 Verwaltungshandlungen zeichnen sich dadurch aus, dass sie ein gemeinschaftliches Vorgehen erfordern, weil es um die Interessen aller Gemeinschafter geht, und es gehört zu ihnen alles, was die gemeinschaftlichen Interessen bei der Nutzung und Erhaltung des Gemeinschaftsguts beeinträchtigen könnte, während eine Verfügung in die Substanz der Gemeinschaftsrechte oder Anteilsrechte eingreift. Wenn Maßnahmen ausschließlich allgemeine Teile betreffen, ist daher zur Abgrenzung zwischen der Verwaltung und einer Änderung im Sinne des § 16 Abs. 2 WEG 2002 danach zu differenzieren, ob eine Maßnahme im alleinigen Interesse eines Wohnungseigentümers oder im Gemeinschaftsinteresse gelegen ist. Dient die Veränderung gemeinschaftlichen Interessen, kommt die Entscheidungskompetenz grundsätzlich der Eigentümergemeinschaft zu. Dient sie dagegen der Umsetzung bloß individueller Interessen, bedarf es nach § 16 Abs. 2 WEG 2002 der Zustimmung aller übrigen Wohnungseigentümer. So hat der OGH im Fall eines Beschlusses der Eigentümergemeinschaft, der die Umgestaltung einer - zu den allgemeinen Teilen der Liegenschaft gehörenden - Hoffläche des Hauses durch die Errichtung eines Holzstegs samt Fahrradständer zum Gegenstand hatte, ausgeführt, dass diese Maßnahme nur dann der Wahrnehmung der gemeinschaftlichen Interessen dienen könne, wenn der zu errichtende Holzsteg samt Fahrradabstellplatz zur Benützung durch alle Mit- und Wohnungseigentümer offen stehe. Diene hingegen die Errichtung des Holzstegs nicht der Wahrnehmung gemeinschaftlicher Interessen, dann könne diese Maßnahme nicht als Verwaltung qualifiziert werden (vgl. zum Ganzen OGH 18.5.2016, 5 Ob 216/15y).

25 Das Verwaltungsgericht hat im angefochtenen Erkenntnis zu dem hier in Rede stehenden Einbau eines Treppenschrägaufzuges in das Wohngebäude keine näheren Feststellungen getroffen und sich in Verkennung der Rechtslage nicht damit auseinandergesetzt, in welchem Interesse dieser Einbau gelegen ist, ob der Treppenschrägaufzug der Benützung durch alle Mit- und Wohnungseigentümer offen steht und ob dessen Einbau der Wahrnehmung der gemeinschaftlichen Interessen dient. 26 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben, wobei sich ein Eingehen auf das weitere Revisionsvorbringen erübrigt.

Wien, am 28. Mai 2019

Schlagworte

Rechtsfähigkeit Parteifähigkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2019:RA2018050188.L00

Im RIS seit

22.07.2019

Zuletzt aktualisiert am

22.07.2019
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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