TE Lvwg Erkenntnis 2018/8/17 VGW-141/025/1882/2018

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Veröffentlicht am 17.08.2018
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Entscheidungsdatum

17.08.2018

Index

L92059 Altenheime Pflegeheime Sozialhilfe Wien
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz

Norm

WSHG §25
WSHG §26 Abs1
WSHG §34 Abs3
ASVG §330a

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Verwaltungsgericht Wien hat durch seinen Richter Dr. Frey über die Beschwerde der Frau A. B. vom 12.01.2018 gegen den Bescheid des Magistrates der Stadt Wien, Magistratsabteilung 40, Stabsstelle Sozialrechtlicher Support, vom 12.12.2017, Zahl ..., mit welchem die Kosten, die durch die Finanzierung der Pflege und Betreuung (einschließlich Lebensunterhalt) im Zeitraum von 18.02.2013 bis 31.12.2015 entstanden sind, gemäß §§ 25 iVm 26 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 3 des Wiener Sozialhilfegesetzes (WSHG), LGBl. für Wien Nr. 11/1973 in der geltenden Fassung, rückgefordert wurden,

zu Recht erkannt:

I. Der Beschwerde wird Folge gegeben, der angefochtene Bescheid aufgehoben und das Verfahren eingestellt.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

Mit dem angefochtenen Bescheid wird die Beschwerdeführerin verpflichtet, dem Sozialhilfeträger Fonds Soziales Wien (FSW) Ersatz zu leisten für die Kosten, die dem FSW durch die Finanzierung der Pflege und Betreuung (einschließlich Lebensunterhalt) entstanden sind, und zwar Kostenersatz, der aufgrund hinreichenden Vermögens zu leisten sei, für den Zeitraum vom 18.02.2013 bis 31.12.2015 in Höhe von EURO 101.543,52.

Rechtsgrundlagen seien die §§ 25 iVm § 26 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 3 des Wiener Sozialhilfegesetzes (WSHG), LGBl. für Wien Nr. 11/1973 in der geltenden Fassung.

Begründend führt die Verwaltungsbehörde – außer einer Wiedergabe einschlägiger Bestimmungen und einer Aufschlüsselung der genannten Beträge – Folgendes aus:

„Die Magistratsabteilung 40 hat als Behörde erster Instanz auf Antrag zu entscheiden, ob und in welcher Höhe der Empfänger der Hilfe dem Sozialhilfeträger Fonds Soziales Wien zum Ersatz der für ihn aufgewendeten Kosten verpflichtet ist. Inwieweit die Kostenersatzverpflichtung durch schon erfolgte Zahlungen erfüllt ist (allenfalls auch im Wege der Legalzession) sowie die Entscheidung sonstiger Streitigkeiten in Zusammenhang mit der Zahlung sind mangels sachlicher Zuständigkeit nicht Gegenstand dieses Verwaltungsverfahrens, sondern allenfalls eines anschließenden Verwaltungsvollstreckungsverfahrens.

Fest steht, dass Frau A. B. von 18.02.2013 bis 14.05.2013 im „Geriatriezentrum C.“ die Leistung „Stationäre Pflege und Betreuung – spezielle Leistung Remobilisation“ und seit 14.05.2013 im „D. Wien – E.“ die Leistung „Pflegeplatz – Allgemeine Pflege und Betreuung“, also Pflege im Sinne des § 15 WSHG unter Kostenbeteiligung des Fonds Soziales Wien als Träger der Pflege nach WSHG in Anspruch nimmt.

Frau A. B. war, zum Zeitpunkt der Antragstellung beim FSW, Eigentümerin einer Liegenschaft zu 48/1877 Anteilen an der Liegenschaft mit der EZ ... Grundbuch F., Bezirksgericht G..

Frau A. B. unterzeichnete am 18.1.2013 den Antrag auf Gewährung einer Förderung zum Zwecke der Pflege. In diesem Antrag ist festgehalten, dass sie zum Ersatz der für die aufgewendeten Kosten verpflichtet ist, soweit sie über hinreichendes Einkommen oder Vermögen verfügt oder hiezu gelangt.

Die Liegenschaft von Frau B. stellt hinreichendes Vermögen im Sinne des § 26 Abs. 1 Z 1 WSHG dar und war bei der Bemessung des Kostenersatzanspruches zu berücksichtigen.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH) bedeutet der Begriff „hinreichend“, dass der Hilfeempfänger auf Einkommen oder Vermögen greifen kann, ohne dass es ihm in Ansehung der Bestreitung des eigenen Lebensunterhaltes (bzw. seiner unterhaltsberechtigten Angehörigen) unzumutbar wäre.

Dabei ist die gleiche Grenze maßgebend, wie für die Beurteilung der Hilfsbedürftigkeit, weshalb auf die Regelungen über die Anrechenbarkeit vom Einkommen oder Vermögen zurückgegriffen werden kann (vgl. VwGH vom 29.4.2002, Zl. 98/03/0125 sowie vom 29.1.2010, Zl. 2009/10/0128).

Nach der Bestimmung des § 26 WSHG ist Frau B. somit verpflichtet, Ersatz für die Kosten der Pflege, Betreuung und des Lebensunterhalts zu leisten, die dem FSW durch die Finanzierung der an sie erbrachten Leistungen entstehen.

Der Kostenersatz für die stationäre Pflege und Betreuung war daher spruchgemäß zu bemessen.“

In der rechtzeitig erhobenen Beschwerde wird im Wesentlichen vorgebracht:

Das im bezeichneten Bescheid erwähnte Grundstück stehe nur im treuhänderischen Eigentum der Beschwerdeführerin. Dieses Grundstück könne daher nicht für die aufgelaufenen Kosten im Zusammenhang mit der Unterbringung und Pflege der Beschwerdeführerin haften.

In ihrer Stellungnahme vom 17.07.2018 führt die belangte Behörde aus:

„Seitens der MA 40 wird angemerkt, dass der Sachverhalt, in der im Betreff genannten Angelegenheit, geklärt ist.

Zur Lösung der Rechtsfrage wird seitens der MA 40 keine Stellungnahme abgegeben.“

Unbestritten steht aufgrund der Aktenlage folgender Sachverhalt fest:

Die Beschwerdeführerin nahm von 18.02.2013 bis 31.12.2015 stationäre Pflege unter Kostenbeteiligung des Fonds Soziales Wien als Träger der Pflege in Anspruch.

Die rechtliche Beurteilung ergibt Folgendes:

Die hier maßgeblichen Bestimmungen des ASVG lauten:

Verbot des Pflegeregresses

§ 330a. (Verfassungsbestimmung) Ein Zugriff auf das Vermögen von in stationären Pflegeeinrichtungen aufgenommenen Personen, deren Angehörigen, Erben/Erbinnen und Geschenknehmer/inne/n im Rahmen der Sozialhilfe zur Abdeckung der Pflegekosten ist unzulässig.

§ 707a (2) (Verfassungsbestimmung) § 330a samt Überschrift in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 125/2017 tritt mit 1.Jänner 2018 in Kraft. Ab diesem Zeitpunkt dürfen Ersatzansprüche nicht mehr geltend gemacht werden, laufende Verfahren sind einzustellen. Insoweit Landesgesetze dem entgegenstehen, treten die betreffenden Bestimmungen zu diesem Zeitpunkt außer Kraft. Nähere Bestimmungen über den Übergang zur neuen Rechtslage können bundesgesetzlich getroffen werden. Die Durchführungsverordnungen zu einem auf Grund dieser Bestimmung ergehenden Bundesgesetz sind vom Bund zu erlassen.

Der OGH hat dazu in seiner Entscheidung vom 30.04.2018, Zl. 1 Ob 62/18a, Nachstehendes ausgesprochen:

„Die in der Übergangbestimmung des § 707a Abs. 2 ASVG enthaltene Anordnung, dass laufende Verfahren einzustellen sind, ergänzt § 330a ASVG, der den Zugriff auf das Vermögen des davon erfassten Personenkreises ab 1. 1. 2018 verbietet, und macht unmissverständlich klar, dass diese Bestimmung auch in anhängigen Verfahren anzuwenden ist. Nur dadurch ist sichergestellt, dass das Verbot, ab diesem Zeitpunkt auf Vermögen zuzugreifen, lückenlos umgesetzt werden kann, worauf der Verfassungsgesetzgeber mit den Neuregelungen zweifellos abzielte (s das Wort „auch“ in der Erläuterungen zu § 707a ASVG). Die Übergangsregel des § 707a ASVG steht damit der Anwendung der geänderten Gesetzeslage im Rechtsmittelverfahren nicht nur nicht entgegen, sondern setzt gerade voraus, dass die neue Rechtslage zum Tragen kommt, solange das Verfahren über den Kostenregress noch nicht rechtskräftig beendet ist. …

Auch in der bisher zur neuen Rechtslage veröffentlichten Literatur besteht soweit Einigkeit, dass das in § 330a ASVG normierte Regressverbot jedenfalls dann greift, wenn ein Verfahren darüber zwar vor dem 1. 1. 2018 eingeleitet worden, aber bis zu diesem Stichtag keine Entscheidung über die Ersatzpflicht ergangen und rechtskräftig geworden ist (Pfeil, Umsetzungsfragen für das „Verbot des Pflegeregresses“, ÖZPR 2017/109, 184 [185]; Wetsch, Zivilrechtliches zur Abschaffung des Pflegeregresses, Zak 2017, 364 [365]; Hiesel, Die Abschaffung des Pflegeregresses, ÖZPR 2017/88, 152 [153]; vgl. auch Fucik/Mondel, Was bedeutet die Abschaffung des „Pflegeregresses“ für zivilgerichtliche Verfahren?, SWK 2017/36, 1561 [1562]).

Als Ergebnis ist daher festzuhalten, dass das Verbot des § 330a ASVG bereits vor dem 1. 1. 2018 verwirklichte Sachverhalte erfasst und das geänderte Recht von Amts wegen auch noch im Rechtsmittelverfahren anzuwenden ist.“

Im Hinblick auf die genannten Verfassungsbestimmungen und die zitierte höchstgerichtliche Rechtsprechung ist die Vorschreibung eines Kostenersatzes für Leistungen der Mindestsicherung bei stationärer Pflege wegen hinreichenden Vermögens im vorliegenden Fall unzulässig.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Gemäß § 24 Abs. 2 VwGVG konnte eine Verhandlung entfallen, da bereits auf Grund der Aktenlage feststand, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist.

Eine mündliche Verhandlung wurde von beiden Verfahrensparteien nicht beantragt.

Von einer öffentlichen mündlichen Verhandlung war auch deshalb abzusehen, da der für diese Entscheidung relevante Sachverhalt unbestritten blieb und im Ergebnis nur die rechtliche Beurteilung zu überprüfen war. Aus diesem Grund stehen die in § 24 Abs. 4 VwGVG genannten Bestimmungen der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union einem Entfall der Verhandlung nicht entgegen, zumal der Akt erkennen lässt, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt.

Dies entspricht insbesondere auch der Rechtsprechung des EGMR, der (siehe etwa das Urteil vom 18. Juli 2013, Nr 56422/09, Schädler-Eberle /Liechtenstein, Rz 97 ff) ebenfalls ausgesprochen hat, dass eine Verhandlung nicht geboten ist, wenn etwa keine Fragen der Beweiswürdigung auftreten oder die Tatsachenfeststellungen nicht bestritten sind, sodass eine Verhandlung nicht notwendig ist und das Gericht aufgrund des schriftlichen Vorbringens und der schriftlichen Unterlagen entscheiden kann. Die staatlichen Behörden können auch auf Aspekte der Effizienz und Verfahrensökonomie Rücksicht nehmen und auf das Gebot der angemessenen Verfahrensdauer Bedacht nehmen (vgl. anknüpfend an diese Rechtsprechung auch die Erkenntnisse vom 29. Jänner 2014, Zl. 2013/03/0004, mwN, sowie vom 16. Oktober 2013, Zl. 2012/04/0086; VwGH 16.11.2015, Zl. Ra 2015/11/0091).

Die ordentliche Revision ist zulässig, da eine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Es fehlt – soweit ersichtlich – an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Rechtsfrage, ob ab 01.01.2018 die Vorschreibung eines Kostenersatzes für Leistungen der Mindestsicherung bei stationärer Pflege zulässig ist.

Schlagworte

Sozialrecht; Sozialhilfe; Kostenbeitrag; Kostenersatz; Vermögen; Pflegeregress; Pflegeleistung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGWI:2018:VGW.141.025.1882.2018

Zuletzt aktualisiert am

25.06.2019
Quelle: Landesverwaltungsgericht Wien LVwg Wien, http://www.verwaltungsgericht.wien.gv.at
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