Entscheidungsdatum
07.05.2019Norm
AsylG 2005 §9 Abs1Spruch
W277 2139646-1/14E
W277 2139646-2/9E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. ESCHLBÖCK, MBA, über die Beschwerden von XXXX alias XXXX , geb. am XXXX , StA. Somalia, vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17.10.2016, Zl. XXXX , und vom 06.02.2019, Zl. XXXX , zu Recht:
A)
I. Die Beschwerde vom 04.11.2016 wird als unbegründet abgewiesen.
II. Die Beschwerde vom 05.03.2019 wird als unbegründet abgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE
I. Verfahrensgang
1. Der Beschwerdeführer (in der Folge BF), ein Staatsangehöriger von Somalia, stellte nach illegaler Einreise in das Bundesgebiet am 18. 11.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz und wurde am 19.11.2015 durch die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt. Hierbei gab er an sein Land verlassen zu haben, weil die Terroristengruppe al Shabaab ihn rekrutieren hätte wollen. Zur Rückkehrbefürchtung gab er an, Angst um sein Leben zu haben.
2. Am 29.08.2016 wurde der BF durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: BFA) niederschriftlich einvernommen. Zu seinen Fluchtgründen brachte der BF im Wesentlichen vor, von der al Shabaab entführt worden zu sein. Nach einem Jahr wäre ihm die Flucht aus dem Areal der al Shabaab gelungen. Er sei daraufhin nach Mogadischu gereist, wo er sich drei Monate aufgehalten habe. Für den Fall einer Rückkehr habe er Angst von der Al Shabaab getötet zu werden.
3. Mit Bescheid des BFA vom 17.10.2016 wurde der Antrag des BF hinsichtlich des Status eines Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm.
§ 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt. I.) Unter Spruchpunkt II. wurde ihm gemäß § 8 Abs. 1 der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und ihm die befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 bis zum 17.10.2017 erteilt (Spruchpunkt III.).
Begründend wurde zu Spruchpunkt I. im Wesentlichen ausgeführt, dass der BF eine an asylrelevanten Merkmalen anknüpfende Bedrohung nicht habe glaubhaft machen können. Bei seinen Schilderungen hätten sich Unstimmigkeiten ergeben, die nicht auf einen selbst erlebten Sachverhalt, sondern auf ein Konstrukt zur Asylerlangung schließen lassen würden.
3.1. Das BFA stellte dem BF amtswegig einen Rechtsberater zur Seite
4. Gegen diesen Bescheid vom 17.10.2016 erhob der BF mit Schriftsatz vom 04.11.2016 (eingelangt am selben Tag) durch seinen Rechtsvertreter binnen offener Frist das Rechtsmittel der Beschwerde. Dabei wurde im Wesentlichen vorgebracht, dass sich die Behörde nicht hinreichend mit dem Vorbringen des BF auseinandergesetzt habe, da sie seine Schilderungen als nicht glaubhaft erachte. Verwiesen wurde auf das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation (in der Folge: LIB), wonach sich die Sicherheitslage im Zeitraum vom 7.2014 bis 6.2015 im Bezirk Baraawe verschlechtert habe.
5. Am 11.09.2017 brachte der BF einen Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung ein, welchem mit Bescheid des BFA vom 19.10.2017, Zl. XXXX , stattgegeben und dem BF gemäß § 8 Abs. 4 AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 17.10.2019 erteilt wurde.
6. Am 08.11.2018 übermittelte die belangte Behörde dem BVwG eine Mitteilung eines grenzpolizeilichen Unterstützungsbeamten vom Flughafen Thessaloniki in Griechenland, welcher zu entnehmen ist, dass der BF am 04.11.2018 durch die griechische Grenzpolizei in Gewahrsam genommen worden sei. Am darauffolgenden Tag sei der BF einem Ermittlungsrichter aufgrund eines eingeleiteten Strafverfahrens hinsichtlich des Ausweismissbrauches und der versuchten Schlepperei vorgeführt worden.
6.1. Mit Schreiben vom 26.02.2019 erging auf Nachfrage des BVwG, die Mitteilung des BFA, dass der BF von den Vorwürfen durch das Gericht in Thessaloniki freigesprochen worden sei.
7. Am 04.02.2019 wurde der BF wegen der beabsichtigten Aberkennung seines Status des subsidiär Schutzberechtigten vor dem BFA niederschriftlich einvernommen. Auf Vorhalt, dass sich die allgemeine Sicherheitslage im Herkunftsstaat Somalia grundlegend geändert hätte und nunmehr eine verbesserte Versorgungssicherheit prognostiziert werde, gab der BF an, dass er nicht aus Somalia ausreiste, weil er nichts zu essen gehabt habe. Er hätte ein gutes Leben in Somalia gehabt und zu essen. Wenn Mogadischu sicher wäre, wäre er freiwillig aus Österreich ausgereist. Er sei nicht wegen "Hunger", sondern wegen der al Shabaab ausgereist. Befragt zu seinen Familienangehörigen, gab er an, dass seine Schwester, seine Mutter und sein Vater jetzt im Bezirk Hodan in Mogadischu leben. Er stehe in Kontakt zu seinen Eltern und den Geschwistern. Eine Tante mütterlicherseits sei in Baraawe wohnhaft, seine vier Onkel väterlicherseits würden in Mogadischu wohnen. Er sei etwa vier- oder fünfmal seit seiner Einreise nach Österreich ausgereist um in Schweden, Belgien, Griechenland und Äthiopien Urlaub zu machen. In Äthiopien sei er vom 02.12.2018 bis 16.01.2019 gewesen, der in London wohnhafte Bruder habe ihm das finanziert. Er gehe keiner Beschäftigung in Österreich nach, sei arbeitsuchend und bekomme sein Geld vom Sozialamt. Er habe im Bundesgebiet nur somalische Freunde und besuche derzeit keinen Deutschkurs.
8. Mit dem im Spruch genannten Bescheid des BFA vom 06.02.2019 wurde der mit Bescheid vom 17.10.2016, Zl. XXXX , zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten gem. § 9 Abs. 1 AsylG 2005 von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt I.) und die befristete Aufenthaltsberechtigung gem. § 9 Abs. 4 leg.cit. entzogen (Spruchpunkt II.). Unter Spruchpunkt III. wurde ihm ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gem. § 57 leg.cit. nicht erteilt und gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.), sowie die Zulässigkeit seiner Abschiebung nach Somalia festgestellt (Spruchpunkt V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkt VI.).
Folgende Feststellungen wurden dem Bescheid im Wesentlichen zu Grunde gelegt: Die Identität des BF stehe nicht fest. Er sei ein lediger, kinderloser, somalischer Staatsbürger moslemischen Glaubens und gehöre der Volksgruppe der Ashraf an. Er stamme aus Baraawe, habe jedoch vor seiner Ausreise in Mogadischu gelebt. Er sei gesund und arbeitsfähig.
Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass sich die Lage im Herkunftsstaat wesentlich verbessert habe. Er könne vor Ort auf die Unterstützung zahlreicher Hilfsorganisationen zurückgreifen. Der BF sei im Jahre 2015 jung nach Österreich gekommen und es seien keine Gründe ersichtlich, warum er nun als gereifter, junger Mann nicht nach Mogadischu zurückkehren könne, zumal er dort drei Monate lang vor seiner Ausreise aus Somalia gelebt habe und auch seine Eltern und seine Schwester dort aufhältig seien. Zu diesen würde er nach wie vor den Kontakt pflegen und sie könnten ihn bei der Begründung einer neuen Existenz unterstützen. Da er sein Leben in Österreich auch ohne familiäre Bindung bzw. ein soziales Netzwerk geführt haben könne, zeuge dies von einer guten Anpassungsfähigkeit seiner Person, weshalb er auch in der Lage sei, in seiner Heimat eine neue Existenz mit Hilfe seiner Familie aufzubauen.
In der rechtlichen Beurteilung stützte sich die belangte Behörde im Wesentlichen darauf, dass dem BF der Status des subsidiär Schutzberechtigten aufgrund der damaligen Versorgungslage sowie den allgemeinen Lebensbedingungen in Somalia in Bezug auf die Verwirklichung sozialer und wirtschaftlicher Bedürfnisse zuerkannt worden sei. Die Versorgungslage habe sich aufgrund der Regenfälle wieder entspannt, er könne auf die Unterstützung zahlreicher Hilfsorganisationen zurückgreifen.
8.1. Das BFA stellte dem BF amtswegig einen Rechtsberater zur Seite.
9. Gegen diesen Bescheid erhob der BF erhob durch seine Rechtsvertretung binnen offener Frist das Rechtsmittel der Beschwerde und gab im Wesentlichen an, dass die maßgeblichen Gründe für die Gewährung des subsidiären Schutzes weiterhin vorlägen. Die Sicherheitslage sei in Hinblick auf die aktuellen Länderberichte als äußerst prekär einzustufen. Obzwar Mogadischu unter der Kontrolle von AMISOM sei, habe sich an den Gründen, die zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten geführt haben, im Wesentlichen nichts geändert. Für den Fall einer Rückkehr drohe dem BF die Gefahr einer unmenschlichen Behandlung im Sinne des Art. 3
EMRK.
10. Das Bundesverwaltungsgericht beraumte zwecks Erörterung der aktuellen Länderberichte zur aktuellen Lage in Somalia unter Zusammenführung beider Verfahren eine mündliche Verhandlung am 16.04.2019 an.
10.1. Die diesbezügliche Ladung wurde dem BF an der im Zentralen Melderegister angeführten Adresse (Beilage./A) sowie der Beschwerdeführervertretung (in der Folge: BFV) durch nachweisliche Hinterlegung (Beilage./C) zugestellt, und es wurde darauf hingewiesen, dass die Verhandlung in seiner Abwesenheit durchgeführt werden kann, wenn er unentschuldigt die Verhandlung versäumen sollte. Der Ladung wurde zudem das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 12.01.2018, in der aktualisierten Fassung vom 17.09.2018, sowie die Anfragendokumentation der Staatendokumentation vom 11. Mai 2018 beigefügt und die Möglichkeit zur schriftlichen Stellungnahme bis zum 09.04.2019 eingeräumt. Diese Möglichkeit haben der BF sowie der BFV nicht wahrgenommen.
10.2. Mit Schreiben vom 14.11.2016 zu Zl. XXXX und 01.04.2019 zu Zl. XXXX und XXXX teilte die belangte Behörde mit, dass ein informierter Vertreter aus dienstlichen und personellen Gründen nicht an der Verhandlung teilnehmen könne.
11. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 16.04.2019 in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Somali eine öffentliche, mündliche Verhandlung durch. Der BF blieb der Verhandlung unentschuldigt fern, sein Rechtsvertreter ist erschienen. Diesem wurde die ordnungsgemäße Ladung des BF vorgehalten (Niederschrift der Verhandlung vom 16.04.2019; in der Folge: NSV, S. 2 f.). Der BFV konnte den BF fernmündlich nicht erreichen bzw. Auskünfte über den Grund seiner Abwesenheit nennen. In der Verhandlung wurden -wie in der Ladung angegeben- die Beschwerdeverfahren mit mündlichem Beschluss zur gemeinsamen Verhandlung gemäß § 17 VwGVG iVm. § 39 Abs. 2 AVG zusammengeführt.
Der bisherige Verfahrensablauf wurde zusammengefasst sowie die aktuellen Länderberichte zur Lage im Herkunftsstaat, insbesondere zur veränderten Versorgungslage im gesamten Land zur gebesserten Sicherheitslage in Mogadischu, erörtert. Schließlich wurde dem Beschwerdevertreter überdies die Möglichkeit der Abgabe einer diesbezüglichen Stellungnahme bis 26.04.2019 gewährt. Es wurde erörtert, dass der BF keine Deutschzertifikate vorgelegt hat. Der BFV beantragte, dass der BF die Möglichkeit erhält, sein Privatleben nochmals erörtern zu können.
11.1. Bezugnehmend auf den in der Verhandlung gestellten Antrag wurde seitens BVwG mit Schreiben vom 16.04.2019 dem BF sowie dem BFV nachweislich eine Aufforderung zur Bekanntgabe und Urkundenvorlage zugestellt. Hierbei wurde dem BF aufgetragen bis zum 26.04.2019 sämtliche Integrationsschritte, welche er in Österreich gesetzt hat sowie sämtliche Integrationsunterlagen vorzulegen.
11.1.1. Der BF ist dieser Aufforderung nicht nachgekommen.
11.2. Eine Stellungnahme zu den Länderberichten wurde seitens BF und der Rechtsvertretung bis zur angegebenen Frist nicht nachgereicht.
12. Das Bundesverwaltungsgericht führte eine Strafregisterabfrage durch. Es scheint keine Verurteilung auf.
II. Für das Bundesverwaltungsgericht ergibt sich daraus wie folgt:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person des BF
Der BF ist ein volljähriger Staatsangehöriger von Somalia, Zugehöriger des Clans der Ashraf und muslimisch-sunnitischen Glaubens. Er ist ledig und kinderlos.
Im Herkunftsstaat lebte er gemeinsam mit seinen Eltern und Geschwistern in Baraawe und besuchte dort acht Jahre die Schule. Er arbeitete im Geschäft seines Vaters und half im Verkauf aus. Vor seiner Ausreise lebte er drei Monate in Mogadischu.
Der BF steht in Kontakt zu seinen in Mogadischu, Bezirk Hodan, lebenden Eltern und seiner Schwester. Der BF hat im Herkunftsstaat auch weitere Verwandte in Form von vier Onkeln väterlicherseits, die in Mogadischu leben bzw. einer Tante mütterlicherseits, die in Baraawe wohnhaft ist. Eine Unterstützung des Beschwerdeführers durch die Familienangehörigen in Somalia kann nicht ausgeschlossen werden.
Er steht im Kontakt mit seinem in London lebenden Bruder, welcher ihm den vom 02.12.2018 bis 16.01.2019 dauernden Urlaub in Äthiopien finanzierte. Zudem reiste der BF während seines Aufenthaltes im Bundesgebiet auf Urlaubsreisen nach Schweden, Belgien, Griechenland. Dies finanzierte er mit dem Geld vom Sozialamt, welches er für Kleidung und Nahrung erhalten hat.
Am 04.11.2018 wurde der BF durch die griechische Grenzpolizei in Gewahrsam genommen und am darauffolgenden Tag einem Ermittlungsrichter aufgrund eines eingeleiteten Strafverfahrens hinsichtlich des Ausweismissbrauches und der versuchten Schlepperei vorgeführt. Von den Vorwürfen wurde er durch das Gericht in Thessaloniki freigesprochen. Er ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten und in seinem Herkunftsstaat weder vorbestraft noch hatte er dort Probleme mit den Behörden.
Er ist nicht Mitglied in einem Verein, einer religiösen Gruppe, oder einer sonstigen Organisation.
Der BF ist gesund und im erwerbsfähigen Alter.
1.2. Zum Fluchtvorbringen
Dem BF droht im Falle einer Rückkehr nach Somalia keine asylrelevante Verfolgung durch die al Shabaab.
Dem BF droht aus keinen anderen Gründen eine asylrelevante Verfolgung bzw. Bedrohung im Herkunftsstaat Somalia.
1.3. Zu den Gründen für die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten
Die Versorgungslage hat sich seit Gewährung des subsidiären Schutzes an den Beschwerdeführer mit Bescheid des BFA vom 17.10.2016 wesentlich geändert und es ist weiters von einer nachhaltigen Beruhigung der Lage in den Städten Mogadischu sowie Baraawe auszugehen.
1.4. Zur Lage im Herkunftsstaat
Das Bundesverwaltungsgericht brachte die Berichte und Informationen zur Lage in Somalia in das Verfahren ein und stellte sie den Parteien zur Wahrung des Parteiengehörs im Laufe des Verfahrens mehrmals zur Verfügung.
Aus den LIB 2018 zitierten Länderberichten ergibt sich zur Lage in Somalia Folgendes:
1.4.1. Allgemeine Versorgungslage
1.4.1.1. KI vom 17.9.2018 (Positiver Trend bei Versorgungslage)
Nach den überdurchschnittlichen Gu-Regenfällen 2018 wird die Getreideernte die größten Erträge seit 2010 einbringen. Die Lage bei der Nahrungsversorgung hat sich weiter verbessert (UN OCHA- UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (11.9.2018); vgl. UN OCHA 5.9.2018), dies gilt auch für Einkommensmöglichkeiten und Marktbedingungen (FSNAU 1.9.2018). Die Preise für unterschiedliche Grundnahrungsmittel haben sich in Mogadischu gegenüber dem Vorjahr drastisch verbilligt und liegen nunmehr unter dem Fünfjahresmittel. Dies betrifft namentlich Bohnen (cowpea), rotes Sorghum und Mais (FEWS NET - Famine Early Warning Systems Network (31.8.2018): Somalia Price Bulletin, August 2018).
Insgesamt hat sich die Ernährungssituation verbessert, auch wenn es im ganzen Land noch eine hohe Rate an Unterernährung gibt - speziell unter IDPs (UN OCHA 11.9.2018). Die Dürre ist zwar offiziell vorbei, es braucht aber mehr als eine gute Regenzeit, bevor sich die Menschen davon erholen (UN OCHA - UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (2.5.2018): OCHA Somalia Flash Update #3 - Humanitarian impact of heavy rains | 2 May 2018). Vor allem vom Verlust ihres Viehs, von Überschwemmungen (im April/Mai 2018, Juba- und Shabelle-Täler) und vom Zyklon Sagar (Mai 2018, Nordsomalia) betroffene Gemeinden werden noch längere Zeit für eine Rehabilitation brauchen. Zwischen Februar und Juli 2018 konnten humanitäre Organisationen 1,9 Millionen Menschen pro Monat erreichen (UN OCHA 5.9.2018).
Die Stufe für akute Unterernährung hat sich verbessert. Die Zahl von an schwerer akuter Unterernährung Betroffenen ist nur bei zwei Gruppen kritisch: Bei den IDPs in Mogadischu und in der Guban Pastoral Livelihood in West-Somaliland (UN OCHA 5.9.2018). Allerdings werden auch noch andere Teile oder Gruppen Somalias als Hotspots genannt, wo Interventionen als dringend erachtet werden.
Dies sind im ländlichen Raum: Northern Inland Pastoral of Northeast (Teile von Sanaag, Sool und Bari); Hawd Pastoral of Northeast (Teile von Togdheer, Sool und Nugaal); Northwest Guban Pastoral (Teile von Awdal); der Bezirk Belet Weyne (Shabelle-Tal und agro-pastorale Teile); Agro-pastorale Teile und das Juba-Tal in Gedo; die Bezirke Mataban, Jalalaqsi und Buulo Burte in Hiiraan; Teile des Juba-Tals in Middle Juba. An Gruppen sind es die IDPs in Bossaso, Garoowe, Galkacyo, Qardho, Mogadischu, Baidoa, Kismayo und Doolow (FSNAU 1.9.2018). Überhaupt bleiben IDPs die am meisten vulnerable Gruppe (UN OCHA 11.9.2018).
In Nordsomalia werden aus einigen Gebieten immer noch Wasser- und Weidemangel berichtet, da die Gu-Regenzeit dort auch im Jahr 2018 nicht ertragreich ausgefallen ist. Es handelt sich um Teile der Regionen Bari und Nugaal (Puntland) sowie von Sool und Sanaag (Somaliland). Dort findet die Wasserversorgung teils immer noch mit Tanklastwagen statt, rund 48.000 Haushalte sind betroffen. Humanitäre Organisationen wie ACTED sind dort aktiv und konnten für über 31.000 Haushalte samt Vieh die Wasserversorgung wiederherstellen (ACTED (12.9.2018): Drought conditions continue to persist in Badhan district).
2018 waren es noch 5,4 Millionen gewesen (UN OCHA - UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (11.9.2018): Somalia - Humanitarian Snapshot (as of 11 September 2018). Von den 4,6 Millionen befinden sich ca. 1,4 Millionen auf IPC-Stufe 3 (IPC = Klassifizierung zur Sicherheit der Nahrungsmittelversorgung), weitere ca. 170.000 auf IPC-Stufe 4 (FSNAU 1.9.2018). Darunter scheinen sich viele Kinder zu finden. Ca. 240.000 Kinder gelten als akut unterernährt, weiter 55.000 als schwer unterernährt (UN OCHA - UN UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (2.9.2018): Somalia - Food security improving but recovery remains fragile).
Für die Deyr-Regenzeit 2018 (Oktober-Dezember) wird eine überdurchschnittliche Niederschlagsmenge prognostiziert (UN OCHA - UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (5.9.2018):
Humanitarian Bulletin Somalia, 1 August - 5 September 2018; vgl. FAO 6.9.2018). Damit wird auch eine weitere Verbesserung bei den Weideflächen und bei der Wasserverfügbarkeit und i.d.F. Verbesserungen bei der Viehzucht und in der Landwirtschaft einhergehen (FAO 6.9.2018). Zusätzliche Ernten und weiter verbesserte Marktbedingungen werden zu weiteren Verbesserungen führen (FSNAU - Food Security and Nutrition Analysis Unit / Famine Early Warning System Network (1.9.2018): FSNAU-FEWS NET 2018 Post Gu Technical Release)
Allerdings werden auch für das äthiopische Hochland höhere Niederschlagsmengen prognostiziert, was das Überschwemmungsrisiko entlang von Juba und Shabelle steigen lässt. Gegenwärtig sind einige Flussufer bzw. Flusseinfassungen beschädigt, was selbst bei normalen Regenmengen eine Gefahr darstellt (FAO 6.9.2018). Immerhin hat Somalia 2018 die schwersten Überschwemmungen seit 60 Jahren erlebt (WB - Worldbank (6.9.2018): World Bank's Flagship Infrastructure Project Launched in Somalia).
1.4.1.2. KI vom 3.5.2018 (Überdurchschnittliche Niederschläge, bessere Versorgungssicherheit prognostiziert)
Schon in den vor der Gu-Regenzeit gemachten Prognosen zeichnete sich eine Entspannung der Situation ab, obwohl damals nur unterdurchschnittliche Regenmengen prognostiziert wurden. Anfang 2018 wurde für Februar-Juni 2018 prognostiziert, dass die Bevölkerung in folgende IPC-Stufen (Klassifizierung zur Sicherheit der Nahrungsmittelversorgung) einzuordnen sein wird: 56% Stufe 1 (minimal); 22% Stufe 2 (stressed); 18% Stufe 3 (crisis); 4% Stufe 4 (emergency); 0% Stufe 5 (famine). IDP-Lager in Südsomalia wurden durchwegs mit Stufe 3 IPC prognostiziert; Städte in Lower und Middle Shabelle, Bay und Jubaland mit Stufe 2; Mogadischu mit Stufe 1. Landesweit zeigt sich, dass die Bevölkerung in den Städten besser versorgt ist, als jene auf dem Lande (FAO - FAO SWALIM / FSNAU (6.9.2018): Somalia Rainfall Outlook for 2018 Deyr (October-December) - Issued: 6 September 2018).
Verbesserungen bei Nahrungsmittelsicherheit und Ernährung sind auf die höhere Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln aus der Deyr-Ernte und aus der gestiegenen Milchproduktion zurückzuführen. Gleichzeitig wird die humanitäre Hilfe aufrechterhalten. Viele Haushalte können Nahrungsmittel mit von humanitären Akteuren zur Verfügung gestellten Geldmitteln oder Gutscheinen erwerben (FEWS NET - Famine Early Warning Systems Network (31.8.2018): Somalia Price Bulletin, August 2018). Im ersten Quartal 2018 bezogen monatlich 1,84 Millionen Menschen humanitäre Hilfe. Im letzten Quartal 2017 waren es noch 2,5 Millionen gewesen. Insgesamt erreicht die Unterstützung rund 70% der Menschen die sich auf oder über Stufe 3 IPC befinden (FEWS 4.2018a). Auch im Jahr 2018 wird humanitäre Hilfe weiterhin in großem Ausmaß erforderlich sein (FEWS 3.2018).
Der bereits eingetretene Rückgang an Hunger ist auch im Vergleich der Daten der beiden Deyr-Regenzeiten 2016/17 und 2017/18 zu erkennen (FEWS 3.2018):
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Nunmehr ist es im April 2018 in fast allen Landesteilen zu mittleren bis starken Regenfällen gekommen (FAO 27.4.2018). In fast ganz Somalia lag die Niederschlagsmenge der Gu-Regenzeit bis zum 20.4.2018 bei 200% des mehrjährigen Durchschnitts. Nur im Nordosten blieben die Niederschläge unterdurchschnittlich (FEWS 4.2018a). Allerdings werden die Niederschläge bis Juni weiter anhalten (FEWS 4.2018a; vgl. FAO 27.4.2018), auch wenn mit einem Rückgang der Niederschlagsmengen gerechnet wird (FEWS 4.2018a).
Für den Zeitraum Juni-September 2018 wurde eine deutliche Entspannung bei der Nahrungsmittelversorgung angekündigt. Nur noch für Hilfsorganisationen leicht zugängliche Gebiete im Nordwesten werden unter Stufe 4 IPC (emergency) eingestuft, der große Rest des Landes fällt in die Stufen 1-3, Süd-/Zentralsomalia gänzlich (bis auf IDP-Konzentrationen) in die Stufen 1-2 (FEWS 4.2018b).
Aufgrund der überdurchschnittlichen Niederschläge in der Gu-Regenzeit Anfang 2018 wird erwartet, dass sich die Versorgungssicherheit mit Nahrungsmitteln in einigen Teilen Südsomalias noch weiter verbessern wird, als zu Jahresbeginn bereits prognostiziert. Zwar wurden in von Überflutungen betroffenen Gebieten Teile der Ernte vernichtet, jedoch sind die Bedingungen insgesamt so günstig, dass mit einer überdurchschnittlichen Ernte zu rechnen ist (FEWS 4.2018b). Die Felder befinden sich in gutem Zustand. In der Landwirtschaft gibt es Arbeitsmöglichkeiten auf Normalniveau (FEWS 4.2018a).
In den meisten Gebieten haben sich Weidegründe und Wasserverfügbarkeit verbessert (FEWS 4.2018a; vgl. FEWS 4.2018b), der Zustand der Tiere hat sich normalisiert. Allerdings bleibt die durchschnittliche Herdengröße noch hinter dem Normalzustand zurück. Arme Nomaden in Nord- und Zentralsomalia werden weiterhin über zu wenig Vieh verfügen. Dort wird Stufe 3 IPC (crisis) vermutlich weiter vorherrschen (FEWS 4.2018b).
Der Handelspreis für 1kg Sorghum ist in Baidoa im ersten Quartal 2018 um 37% eingebrochen, jener für 1kg Mais in Qoryooley um 32%. Auch bei armen Haushalten verbessert sich die Versorgungssicherheit mit Nahrungsmitteln, sie haben nun auf normalem Niveau Zugang zu Arbeit in der Landwirtschaft und die Nahrungsmittelpreise haben sich ebenfalls normalisiert. Mit dem Tageseinkommen können nunmehr 10-18kg lokalen Getreides erstanden werden - 20%-60% mehr als noch vor einem Jahr (FEWS 4.2018a).
1.4.2. Grundversorgung/Wirtschaft
Generell hätte Somalia großes wirtschaftliches Potential, sei es im Agro-Business, in der Viehzucht, der Fischerei oder im Handel, bei erneuerbaren oder anderen Energiequellen. Außerdem verfügt Somalia über sehr unternehmerische Staatsbürger, sowohl im Land als auch in der Diaspora. Dieses Potential wäre vorhanden (UNSOM 13.9.2017). Die Diaspora investiert auch seit mehreren Jahren auf unterschiedliche Art in ganz Somalia (SHU - Shuraako (16.6.2016): Somali Diaspora Investment Survey Report). Laut Schätzungen überweist die Diaspora pro Jahr mehr als 1,3 Milliarden USDollar in die Heimat. Damit ist die somalische Wirtschaft aber gleichzeitig eine der am meisten von Remissen abhängigen Ökonomien der Welt (SHU 16.6.2017). Doch noch gehört Somalia zu den ärmsten Ländern der Erde. Ein erheblicher Teil der Bevölkerung kann sich nicht ausreichend mit Lebensmitteln und Trinkwasser versorgen (AA - Auswärtiges Amt (1.1.2017): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia
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AA - Auswärtiges Amt (4.2017b): Somalia - Wirtschaft). Periodisch wiederkehrende Dürreperioden mit Hungerkrisen und die äußerst mangelhafte Gesundheitsversorgung sowie der mangelhafte Zugang zu sauberem Trinkwasser und das Fehlen eines funktionierenden Abwassersystems machen Somalia seit Jahrzehnten zum Land mit dem größten Bedarf an internationaler Nothilfe (AA 1.1.2017; vgl. AA 4.2017b). Das Land ist also in hohem Grade von Hilfe abhängig (UNSOM
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United Nations Assistance Mission in Somalia (13.9.2017): SRSG Keating Briefing to the Security Council). 43% der somalischen Bevölkerung leben in extremer Armut von weniger als einem US-Dollar pro Tag (UNHRC 6.9.2017). Fehlende Daten machen es schwierig, die makro-ökonomische Situation Somalias ausreichend beschreiben zu können. Schätzungen zufolge ist das BIP im Jahr 2015 um 5% gestiegen, im Jahr 2016 um 6%. Die Prognose für 2017 lautet auf ein Wachstum von 2,5%. Dabei ist dieses Wachstum vor allem im urbanen Raum entstanden und von Konsum, Remissen und Gebergeldern abhängig (WB 18.7.2017).
Zugang zu Bildung und Arbeit stellt in vielen Gebieten eine Herausforderung dar (ÖB 9.2016). Das gegebene Wachstum des BIP ist in Somalia ein urbanes Phänomen, getrieben vom Konsum, von Hilfen aus dem Ausland und von Überweisungen aus der Diaspora. Dabei wirkt sich das von al Shabaab im Juni 2017 in drei Bundesstaaten ausgesprochene Verbot der Verwendung des Somali Shilling negativ aus, der Kurs der Währung ist gefallen (UNSC 5.9.2017; vgl. SEMG 8.11.2017). Mit ein Grund für das Verbot der al Shabaab war sicherlich das nicht regulierte und nicht genehmigte Nachdrucken von Banknoten durch die State Bank of Puntland (SEMG - Somalia and Eritrea Monitoring Group (8.11.2017): Report of the SEMG on Somalia). Es gibt unterschiedliche Zahlen darüber, wie hoch die Jugendarbeitslosigkeit in Somalia ist. Am Human Development Index 2012 wurde die allgemeine Arbeitslosigkeit mit 54% angegeben, für Jugendliche (14-29jährige) mit 67% (ÖB 9.2016; vgl. SHU Shuraako (16.6.2017): Diaspora Investments Fuel Economies in Fragile States). UNDP gab die Zahl im Jahr 2012 mit 67% an. Bei der aktuellen Studie aus dem Jahr 2016 gaben aber nur 14,3% der befragten Jugendlichen (Mogadischu 6%, Kismayo 13%, Baidoa 24%) an, gegenwärtig arbeitslos zu sein. Dies kann auf folgende Gründe zurückzuführen sein: a) dass die Situation in diesen drei Städten anders ist, als in anderen Teilen Somalias; b) dass die wirtschaftliche Entwicklung seit 2012 die Situation verbessert hat; c) dass es nun mehr Unterbeschäftigte gibt; d) dass die Definition von "arbeitslos" unklar ist (z.B. informeller Sektor) (IOM 2.2016). Außerdem sind nach anderen Angaben viele Männer aufgrund ihres Khat-Konsums mehr oder weniger berufsunfähig - ein Grund, warum oft Frauen als Familienerhalterinnen einspringen müssen (SZ - Süddeutsche Zeitung (13.2.2017): Wo Mütter die Wirtschaft schmeißen). All dies bedeutet jedenfalls, dass man die Arbeitslosigkeit in Somalia und in Mogadischu nicht beziffern kann (LI - Landinfo (1.4.2016): Somalia - Relevant social and economic conditions upon return to Mogadishu). Insgesamt sind zuverlässige Daten zur Wirtschaft unmöglich zu erhalten bzw. zu verifizieren (ÖB 9.2016). Außerdem haben sich bisherige Studien darüber, wie Menschen in Mogadischu ihren Lebensunterhalt bestreiten, auf die am meisten vulnerablen Gruppen der Stadt konzentriert: Auf IDPs und Arme (urban poor). Für diese Gruppen ist es charakteristisch, dass sie humanitäre Unterstützung erhalten. Sie stellen etwa 20% der Bevölkerung von Mogadischu. Diese Gruppen profitieren nur zu einem äußerst geringen Anteil von Remissen (2% der Befragten; somalische Gesamtbevölkerung: 30%). Die Männer dieser Bevölkerungsgruppen arbeiten oft im Transportwesen, am Hafen und als Bauarbeiter; Frauen arbeiten als Hausangestellte. Eine weitere Einkommensquelle dieser Gruppen ist der Kleinhandel - v.a. mit landwirtschaftlichen Produkten. Zusätzlich erhalten sie Nahrungsmittelhilfe und andere Leistungen über wohltätige Organisationen (LI 1.4.2016).
Seitens der Regierung gibt es für Arbeitslose jedenfalls keinerlei Unterstützung (LI 1.4.2016). In einer Studie von IOM gaben arbeitslose Jugendliche (14-30 Jahre) an, in erster Linie von der Familie in Somalia (60%) und von Verwandten im Ausland (27%) versorgt zu werden (IOM 2.2016). Insgesamt ist das traditionelle Recht (xeer) ein soziales Sicherungsnetz, eine Art der Sozial- und Unfallversicherung. Neben der Kernfamilie scheint der Jilib [Anm.:
in etwa die unterste Ebene des Clansystems] maßgeblich für die Abdeckung von Notfällen verantwortlich zu sein. Wenn eine Person Unterstützung braucht, dann wendet sie sich an den Jilib oder - je nach Ausmaß - an untere Ebenen (z.B. Großfamilie) (SEM - Staatssekretariat für Migration (Schweiz) (31.5.2017): Focus Somalia - Clans und Minderheiten).
2015 wurde ein Wirtschaftsaufschwung am Hafen Mogadischus registriert. Dank der reduzierten Bedrohung durch Piraterie und die dadurch verbesserte Sicherheitslage interessieren sich immer mehr Investoren für Mogadischu. Die somalische Wirtschaft ist jedoch im Allgemeinen weiterhin fragil. Dies hängt mit der schmalen Wirtschaftsbasis zusammen. Die Mehrheit der Bevölkerung ist nach wie vor von der Tierhaltung und Fischerei abhängig und damit externen und Umwelt-Einflüsse besonders ausgesetzt (ÖB - Österreichische Botschaft Nairobi (9.2016): Asylländerbericht Somalia). Es kann angenommen werden, dass es in Mogadischu viel mehr Arbeitsmöglichkeiten gibt, als an anderen Orten Somalias. Der ökonomische Wiederaufbau verlangt sowohl nach erfahrenen, ausgebildeten Arbeitskräften, als auch nach jungen Menschen ohne Bildung und Arbeitserfahrung (LI 1.4.2016). In der Stadt gibt es eine steigende Nachfrage an Hilfsarbeitern. Früher hatten die nicht-Ausgebildeten größere Schwierigkeiten, eine Arbeit zu finden. Mit der steigenden Kaufkraft der Bevölkerung steigt aber auch die Nachfrage nach Dienstleistungen, z.B. nach Reinigungskräften oder anderer Hausarbeit. Mit der zunehmenden Sicherheit in Mogadischu sind auch aus anderen Teilen des Landes unausgebildete Arbeitskräfte auf der Suche nach Arbeit in die Hauptstadt gekommen (IOM 2.2016; vgl. LI 1.4.2016). Dementsprechend sind unqualifizierte Arbeitskräfte, bei denen es nur um physische Kraft geht (Bauwirtschaft, Hafenarbeiter etc.) in Mogadischu zahlreich verfügbar. Junge Kandidaten werden bevorzugt (IOM 2.2016). Einen großen Bedarf gibt es an folgenden ausgebildeten Kräften und Fähigkeiten - bzw. womöglich auch an Ausbildungswilligen: Handwerker (Tischler, Maurer, Schweißer etc.); im Gastgewerbe (Köche, Kellner etc.); Schneider; Ingenieure; medizinisches Personal;
fortgeschrittene IT- und Computerkenntnisse; Agrarfachwissen;
Lehrkräfte auf allen Ebenen. Einen Bedarf gibt es auch an folgenden Arbeitskräften und Fähigkeiten: Mechaniker, Elektriker, Installateure, Fahrer von Spezialfahrzeugen; Betriebswirte und Buchhalter; Verkauf und Marketing; Englisch-Sprechern; IT- und Computerkenntnisse (IOM 2.2016). Der Mangel an Fachkräften ist so groß, dass in manchen Bereichen auf Gastarbeiter zurückgegriffen wird (z.B. im Gastgewerbe auf Kenianer und Somaliländer; oder im Baugewerbe auf Handwerker aus Bangladesch) (LI 1.4.2016; vgl. IOM 2.2016). Fast alle in der Studie von IOM befragten Arbeitgeber haben angegeben, dass sie mittelfristig mehr Personal einstellen wollen (IOM 2.2016). Weil freie Arbeitsplätze oft nicht breit beworben werden und die Arbeitgeber den Clan und die Verwandtschaft eher berücksichtigen als erworbene Fähigkeiten, haben Bewerber ohne richtige Verbindungen oder aus Minderheiten sowie Frauen (IOM 2.2016; vgl. DIS 9.2015), Witwen und Migranten ohne Familien schlechtere Chancen (DIS - Danish Immigration Service (9.2015):
Country of Origin Information for Use in the Asylum Determination Process; Report from the Danish Immigration Service's fact finding mission to Nairobi, Kenya and Mogadishu, Somalia; 2-12 May 2015). Arbeitssuchende greifen also auf ihre privaten Netzwerke zurück. Größere Firmen platzieren Jobangebote auch an Hauswänden oder in lokalen Medien. Öffentliche Stellen greifen auch auf Onlinemedien zurück (z.B. baidoanews.net oder somalijobs.net). Männliche Hilfsarbeiter stellen ihre Arbeitskraft frühmorgens an bestimmten Plätzen zur Verfügung (Mogadischu: Bakara; Baidoa: Kilo 7; Kismayo:
Golol Place) (IOM - Internationale Organisation für Migration (2.2016): Youth, Employment and Migration in Mogadishu, Kismayo and Baidoa).
Der militärische Erfolg gegen al Shabaab in Mogadischu hat dazu geführt, dass viele Somali aus der Diaspora zurückgekehrt sind (BS 2016; vgl. LI 1.4.2016). Die Rückkehrer haben investiert und gleichzeitig eine wachsende Nachfrage geschaffen (LI 1.4.2016). Außerdem traten neue Investoren in den Vordergrund, z.B. die Türkei (BS 2016; vgl. LI 1.4.2016), China und die Golf-Staaten (LI 1.4.2016). Die Wirtschaft von Mogadischu hat begonnen zu wachsen. Dies wird angesichts des Baubooms am offensichtlichsten (BS 2016). Heute ist Mogadischu vom Wiederaufbau, ökonomischer Wiedererholung und Optimismus gekennzeichnet (LI 1.4.2016). Supermärkte, Restaurants und Hotels wurden neu geöffnet. Auch in anderen, der al Shabaab abgerungenen Städten steigt die Zahl wirtschaftlicher Aktivitäten (BS 2016). Viele UN-Agenturen (bspw. UN-Habitat, UNICEF, UNHCR) sind tatkräftig dabei das Land wiederaufzubauen (ÖB 9.2016). Die UNO betreibt in Somalia gegenwärtig 18 auf Jugendliche zugeschnittene Programme und hat dort 28 Mio. US-Dollar investiert. Sieben dieser Programme unterstützen die (Berufs-)Ausbildung um die Jugendarbeitslosigkeit zu senken (UNSC 5.9.2017). Der Somalia Stability Fund betreibt Infrastrukturprojekte in Hobyo, Xudur und Berdale - dadurch wurden Arbeitsplätze geschaffen. UNDP und UNIDO unterstützen Jugendliche in Jubaland, um deren Arbeitschancen zu erhöhen - etwa durch Ausbildung, Mikrokredite. In Afmadow wurde mit Unterstützung von USAID ein neuer Markt eröffnet. USAID unterstützt auch den Wiederaufbau auf Gemeindeebene, u.a. in den Bezirken Kismayo, Baardheere und Diinsoor (UNSC 5.9.2017).
Das meiste Einkommen lukriert Somalia mit Viehexport, Häuten, Fisch, Holzkohle und Bananen. Ein Schlüsselelement der Wirtschaft ist der Telekommunikationsbereich. Außerdem sind seit dem Rückzug der al Shabaab aus Mogadischu einige Bereiche stark gewachsen: Die öffentliche Verwaltung; internationale Organisationen; Botschaften; der Bausektor; und der Dienstleistungsbereich (Hotels, Restaurants, Transportsektor, Schulen, Spitäler etc.) (LI 1.4.2016). Viele Bereiche liegen in den Händen privater Anbieter (LI 1.4.2016; vgl. BS 2016). Neben Schulen und Spitälern wird beispielsweise auch die Steuer von einer Privatfirma eingehoben. Berechnungen zufolge ist die somalische Wirtschaft ständig gewachsen; für 2014 schätzt der IWF das Wachstum auf 3,7% (LI 1.4.2016). Ein potentieller Wachstumssektor wäre auch die Fischindustrie. Die somalischen Hoheitsgewässer beherbergen einige der reichsten Fischgründe der Welt. Es mangelt aber noch an Ausbildung für Fischer, an Ausrüstung und Regulierungen. OXFAM und die EU unterstützen den diesbezüglichen Ausbau der Kapazitäten (OXFAM 30.9.2015). Aufgrund der Tatsache, dass bereits eine Anzahl von somalischen Flüchtlingen bereit ist, freiwillig zurückzukehren, besteht eine berechtigte Hoffnung das Land als zunehmend sicherer und bewohnbarer zu qualifizieren (ÖB 9.2016).
1.4.3. Baraawe
Den LIB 2018 ist zu entnehmen, dass der Bundesstaat South West State (SWS) im Dezember 2017 begonnen hat, ua. Bezirksräte in Baraawe aufzustellen. (UNAMIS - UN Assistance Mission in Somalia (20.12.2017): Devolution moves ahead in Somalia's south west state with formation of district councils in Baidoa and Baraw). Der Regierung ist es mit internationaler Unterstützung gelungen, eine eigene kleine Armee aufzubauen, die South West State Special Police Force (SWSSPF) (BFA - BFA Staatendokumentation (8.2017): Fact Finding Mission Report Somalia. Sicherheitslage in Somalia. Bericht zur österreichisch-schweizerischen FFM).
Darüber hinaus ist dem LIB zu entnehmen, dass "aus der Stadt Baraawe seit Monaten keine Meldungen mehr über relevante Gefechte kommen".
"Die Stadt scheint ruhig zu sein, es gibt einen Stützpunkt der AMISOM. Am Stützpunkt Bali Doogle sind größere Kräfte der SNA stationiert, darunter die Spezialeinheit Danaab. Außerdem befinden sich dort ein Ausbildungsstützpunkt der USA sowie eine Drohneneinsatzbasis (BFA 8.2017)."
Die Straßenverbindung von Baidoa nach Mogadischu ist - sowohl in den Städten entlang der Route als auch außerhalb - hinsichtlich von Übergriffen unterschiedlicher Akteure anfällig. Die Achse Shalambood-Qoryooley bildet hinsichtlich einer besseren Absicherung der Hauptstraße von Mogadischu in Richtung Baraawe das Limit für AMISOM. Weiter südlich hat al Shabaab einen besseren Zugriff auf diese Route (BFA 8.2017).
1.4.4. Mogadischu
Mogadischu bleibt weiterhin unter Kontrolle von Regierung und AMISOM (AI - Amnesty International (22.2.2017): Amnesty International Report 2016/17 - The State of the World's Human Rights - Somalia).
Die Stadtverwaltung von Mogadischu ist verhältnismäßig präsent und aktiv (BFA - BFA Staatendokumentation (8.2017): Fact Finding Mission Report Somalia. Sicherheitslage in Somalia. Bericht zur österreichisch-schweizerischen FFM). Schritte von Stadt- und Bundesregierung haben bei der Sicherheitslage zu einer Verbesserung geführt - speziell durch die Aufstellung der Mogadishu Stabilization Mission (MSM).
Die Zahl von Angriffen der al Shabaab im jeweiligen Ramadan ist von 269 im Jahr 2015 auf 208 im Jahr 2017 zurückgegangen. Andererseits scheint sich die al Shabaab aufgrund der Erfolge der Sicherheitskräfte zunehmend auf Sprengstoffanschläge zu verlegen, welche unter der Zivilbevölkerung ein höheres Maß an Schaden verursachen (UNSC - UN Security Council (5.9.2017): Report of the Secretary-General on Somalia). Regelmäßig kommt es zu sogenannten komplexen Anschlägen in Mogadischu, wobei ein Sprengstoffanschlag mit dem Einsatz einiger weniger bewaffneter Selbstmordkämpfer kombiniert wird. Ziele sind i.d.R. Hotels oder Restaurants, die häufig von Behördenbediensteten oder Sicherheitskräften frequentiert werden (SEMG - Somalia and Eritrea Monitoring Group (8.11.2017):
Report of the SEMG on Somalia).
Der Einsatz von Artillerie (Mörsern) mit Ziel Mogadischu ist wieder im Steigen begriffen. Im ersten Halbjahr 2017 kam es zu zwölf derartigen Angriffen, im Gesamtjahr 2016 waren es 17 (SEMG 8.11.2017). Am 12.6. und am 4.7.2017 wurden insgesamt neun Mörsergranaten auf Stadtgebiet abgeschossen (UNSC - UN Security Council (5.9.2017): Report of the Secretary-General on Somalia). Dabei verfügt al Shabaab nunmehr auch über schwere, von AMISOM erbeutete Mörser (120mm), was ihre Möglichkeiten erweitert (SEMG 8.11.2017).
Es ist höchst unwahrscheinlich, dass al Shabaab wieder die Kontrolle über Mogadischu erlangt (DIS - Danish Immigration Service (9.2015):
Country of Origin Information for Use in the Asylum Determination Process; Report from the Danish Immigration Service's fact finding mission to Nairobi, Kenya and Mogadishu, Somalia; 2-12 May 2015; vgl. EASO - European Asylum Support Office (2.2016): Somalia Security Situation).
Es gibt in der Stadt auch kein Risiko mehr, von der al Shabaab zwangsrekrutiert zu werden (BFA 8.2017; vgl. UKUT - United Kingdom Upper Tribunal (Immigration and Asylum Chamber) (3.10.2014): UK Country Guidance Case. MOJ & Ors (Return to Mogadishu) (Rev 1) (CG) [2014] UKUT 442 (IAC), vgl. EGMR 10.9.2015).
Es besteht zwar gemäß mehreren Berichten kein Risiko, alleine aufgrund der eigenen Clanzugehörigkeit angegriffen zu werden. Trotzdem sind Clan und Clanzugehörigkeit in Mogadischu nach wie vor relevant (SEM - Staatssekretariat für Migration (Schweiz) (31.5.2017): Focus Somalia - Clans und Minderheiten).
Die Sicherheitslage hat sich also verbessert (UNSOM 13.9.2017; vgl. UNNS - UN News Service (13.9.2017): Somalia facing complex immediate and long-term challenges), bleibt aber volatil (UNSC - UN Security Council (5.9.2017): Report of the Secretary-General on Somalia). Die MSM hat einige Erfolge verzeichnet, darunter Maßnahmen zur Entwaffnung von Milizen und Zivilisten.
Auch die Polizei in Mogadischu funktioniert merklich besser, als vor drei oder vier Jahren. Das Polizeikontingent der AMISOM ist aktiv. Es werden in der ganzen Stadt regelmäßig Patrouillen durchgeführt. Zusätzlich befinden sich Stützpunkte der Armee an neuralgischen Punkten der Stadt.
Auch die National Intelligence and Security Agency (NISA) und ihre Spezialeinheiten werden in Mogadischu eingesetzt.
Der wichtigste Faktor in Mogadischu ist aber die Präsenz der AMISOM. Sie ist in Mogadischu mit je einem Bataillon aus Uganda und Burundi, mit dem militärischen Stab und mit rund 300 Polizisten präsent. In einem gewissen Ausmaß stellt sie für al Shabaab einen Abschreckungsfaktor dar. Sie macht es für AS schwieriger, in die Stadt zu gelangen (BFA 8.2017). Auch die Regierung zeigt einige Bemühungen, die Sicherheit in der Stadt zu verbessern. Allerdings sind diese ungenügend; korrupte, unbezahlte Soldaten und unzufriedene Clans in der Peripherie ermöglichen es der al Shabaab, Mogadischu zu infiltrieren (ICG - International Crisis Group (20.10.2017): Managing the Disruptive Aftermath of Somalia's Worst Terror Attack).
Mogadischu ist folglich nicht absolut abgeschottet (BFA 8.2017). Der Amniyat ist schon seit Jahren in der Stadt aktiv und konnte Sicherheitsstrukturen unterwandern (ICG 20.10.2017). Insgesamt reicht die in Mogadischu gegenwärtig gegebene Stärke der unterschiedlichen Sicherheitskräfte nicht aus, um eine flächeneckende Präsenz sicherzustellen. Al Shabaab hingegen verfügt eindeutig über eine Präsenz in der Stadt (BFA 8.2017). Diese Präsenz ist aber keine offen militärische, sondern eine verdeckte (DIS - Danish Immigration Service/Danish Refugee Council (3.2017): South and Central Somalia Security Situation, al-Shabaab Presence, and Target Groups. Report based on interviews in Nairobi, Kenya, 3 to 10 December 2016). Diese ist in den Außenbezirken stärker, als in den inneren.
Zentral-Mogadischu ist relativ konsolidiert. Gleichzeitig hängt die Präsenz der Gruppe auch von der Tageszeit ab. Die nördlichen Bezirke - v.a. Dayniile und Heliwaa - werden in der Nacht von al Shabaab kontrolliert (BFA 8.2017).
Insgesamt scheint sich die al Shabaab bei der Durchführung von Attentaten von Quantität auf Qualität verlegt zu haben. Dabei sucht die al Shabaab ihre Ziele v.a. im Bereich der Regierung. Für die Zivilbevölkerung ist das größte Risiko, zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein (DIS 3.2017; vgl. LI - Landinfo (1.4.2016):
Somalia - Relevant social and economic conditions upon return to Mogadishu). Ob Mogadischu als sicher oder unsicher bezeichnet wird, hängt maßgeblich von der subjektiven Wahrnehmung und von persönlichen Erfahrungen ab (BFA 8.2017).
Die Situation in Mogadischu ist nicht derartig, dass jeder Mensch in der Stadt einem Risiko entsprechend Artikel 3 EMRK ausgesetzt wäre (EGMR - Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte (10.9.2015):
R.H. v. Sweden, Application no. 4601/14, Council of Europe: ECHR; vgl. UKUT - United Kingdom Upper Tribunal (Immigration and Asylum Chamber) (3.10.2014): UK Country Guidance Case. MOJ & Ors (Return to Mogadishu) (Rev 1) (CG) [2014] UKUT 442 (IAC).
Mindestens einmal pro Monat kommt es zu einem signifikanten Sprengstoffanschlag. Tödliche, von al Shabaab inszenierte Zwischenfälle ereignen sich regelmäßig. Pro Monat töten die Islamisten ca. 20 Personen in Mogadischu. Dabei richten sich die Aktivitäten vorwiegend gegen die Regierung. Zusätzlich sind neben der al Shabaab auch andere Akteure für Mode und Attentate verantwortlich (BFA 8.2017). Bis in den Oktober 2017 hat Mogadischu eine moderate Verbesserung der Sicherheitslage erlebt. Die Zahl an Attentaten und Anschlägen ging zurück, die Sicherheitskräfte konnten einige Angriffe erfolgreich verhindern (ICG - International Crisis Group (20.10.2017): Managing the Disruptive Aftermath of Somalia's Worst Terror Attack). Andererseits schien sich al Shabaab später aus taktischen Überlegungen heraus auf Mogadischu zu konzentrieren. Dort sollen Anschläge - speziell auf sogenannte "soft targets" (z.B. Hotels und Märkte) - verstärkt werden (UNHRC 6.9.2017). In welche Richtung sich die Sicherheitslage mittelfristig entwickeln wird, ist schwer einschätzbar (BFA 8.2017).
An der im September 2015 dargestellten Situation hat sich gemäß der Informationen der Fact Finding Mission 2017 nichts Wesentliches geändert (BFA - BFA/SEM Fact Finding Mission Somalia (3./4.2017):
Informationen aus den Protokollen der FFM):
In Mogadischu lebten einer Schätzung im Jahr 2014 zufolge ca. 1,65 Millionen Menschen (UNFPA - United Nations Population Fund (10.2014): Population Estimation Survey 2014 - Somalia). Im Vergleich dazu meldete die ACLED-Datenbank im Jahr 2016 insgesamt 120 Zwischenfälle, bei welchen gezielt Zivilisten getötet wurden (Kategorie "violence against civilians"). Bei 102 dieser 120 Vorfälle wurde jeweils ein Zivilist oder eine Zivilistin getötet. Im Jahr 2017 waren es 217 derartige Vorfälle (davon 186 mit je einem Toten).
1.4.5. Zu den Aktivitäten von Al Shabaab (AS)
Ziel der al Shabaab ist es, die somalische Regierung und ihre Alliierten aus Somalia zu vertreiben und in Groß-Somalia ein islamisches Regime zu installieren. Außerdem verfolgt al Shabaab auch eine Agenda des globalen Dschihads und griff im Ausland Ziele an (EASO 2.2016). Je höher der militärische Druck auf al Shabaab anwächst, je weniger Gebiete sie effektiv kontrollieren, desto mehr verlegt sich die Gruppe auf asymmetrische Kriegsführung (Entführungen, Anschläge, Checkpoints) und auf Drohungen. Al Shabaab wird bei der Anwendung dieser Taktik immer besser und stärker. Dabei ist auch die al Shabaab in ihrer Entscheidungsfindung nicht völlig frei. Die Gruppe unterliegt durch die zahlreichen Verbindungen z.B. zu lokalen Clan-Ältesten auch gewissen Einschränkungen (- BFA - BFA Staatendokumentation (8.2017): Fact Finding Mission Report Somalia. Sicherheitslage in Somalia. Bericht zur österreichisch-schweizerischen FFM).
Seit 2011 wurden die militärischen Kapazitäten der al Shabaab durch AMISOM und somalische Kräfte sowie durch innere Streitigkeiten beachtlich dezimiert (UKHO - UK Home Office (7.2017): Country Policy and Information Note Somalia (South and Central): Fear of Al Shabaab). Die al Shabaab stellt aber weiterhin eine potente Bedrohung dar (UNSC - UN Security Council (9.5.2017): Report of the Secretary-General on Somalia). Die Stärke der al Shabaab wird im Schnitt mit ungefähr 7.000 Mann beziffert (BFA 8.2017; vgl. LI 20.12.2017). Die Gruppe ist technisch teilweise besser ausgerüstet als die SNA und kann selbst gegen AMISOM manchmal mit schweren Waffen eine Überlegenheit herstellen. Außerdem verfügt die al Shabaab mit dem Amniyad über das landesweit beste Aufklärungsnetzwerk (BFA 8.2017). Die Gruppe hat sich bei Rückschlägen in der Vergangenheit als resilient und anpassungsfähig erwiesen. Der innere Kern blieb allzeit geeint, auch wenn es bei al Shabaab zu Streitigkeiten und Fraktionierung gekommen ist. Die taktische Entwicklung der Gruppe; ihre wachsenden Fähigkeiten; und die Ausführung komplexer Angriffe auf städtische und ländliche Ziele hat dies jedenfalls bewiesen (UNSC 9.5.2017). In der Vergangenheit hat die Gruppe auch eine konventionell-militärische Bedrohung dargestellt, etwa beim Angriff auf einen kenianischen Stützpunkt bei Kulbiyow im Jänner 2017. Beim Überrennen von AMISOM-Stützpunkten ist al Shabaab auch an schwere Waffen gelangt (SEMG 8.11.2017).
Die Regionalhauptstadt Buale (Middle Juba) sowie die Bezirkshauptstädte Saakow, Jilib (Middle Juba), Jamaame (Lower Juba), Sablaale, Kurtunwaarey (Lower Shabelle), Diinsoor (Bay), Tayeeglow (Bakool), Ceel Buur, Ceel Dheere (Galgaduud) befinden sich unter Kontrolle der al Shabaab. Alle anderen Regional- und Bezirkshauptstädte werden von anti-al-Shabaab-Truppen gehalten. Viele der Städte sind gleichzeitig auch Garnisonsstädte der AMISOM (BFA 8.2017). Eine andere Quelle nennt ebenfalls die o.g. Städte als unter Kontrolle der al Shabaab befindlich, fügt aber die Stadt Xaradheere (Mudug) hinzu und zieht Diinsoor ab (LI 20.12.2017).
In ihrem Gebiet hält al Shabaab vor allem in Städten und größeren Dörfern eine permanente Präsenz aufrecht. Abseits davon operiert al Shabaab in kleinen, mobilen Gruppen (LI 20.12.2017). Die Gruppe verfügt nicht nur über Kämpfer und Agenten, sie kann auch auf Sympathisanten zurückgreifen (NLMBZ - (Niederlande) Ministerie von Buitenlandse Zaken (11.2017): Algemeen Amtsbericht Zuid- en Centraal- Somalië). Nominell ist die Reichweite der al Shabaab in Süd-/Zentralsomalia damit unbegrenzt. Sie ist in den meisten Landesteilen offen oder verdeckt präsent. Die Gruppe ist in der Lage, überall zuschlagen zu können (BFA 8.2017). Die al Shabaab übt über das Jubatal Kontrolle aus und kann sich auch in vielen anderen Gebieten Süd-/Zentralsomalias frei bewegen (USDOS - US Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 Somalia). Al Shabaab beherrscht weiterhin große Teile des ländlichen Raumes in Süd-/Zentralsomalia, v.a. in Bay, Gedo, Lower Shabelle und Middle Juba (AI 22.2.2017; vgl. BFA 8.2017). Auch rund um Städte in Süd-/Zentralsomalia, die von nationalen oder regionalen Sicherheitskräften und/oder AMISOM gehalten werden (SEMG 8.11.2017), kontrolliert al Shabaab den ländlichen Raum und wichtige Versorgungsstraßen (SEMG 8.11.2017; vgl. UKHO 7.2017). Dadurch gelingt es der Gruppe, große Teile der Bevölkerung von einer Versorgung abzuschneiden (SEMG 8.11.2017).
Die al Shabaab übt auch über manche Orte, die eigentlich der Jurisdiktion der Regierung angehören, ein Maß an Kontrolle aus:
Humanitäre Organisationen und Empfänger humanitärer Hilfe werden besteuert oder in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt (SEMG 8.11.2017). Es gelingt der al Shabaab selbst nominell sichere Teile Mogadischus zu infiltrieren (BFA 8.2017). Außerdem verfügt die Gruppe in vielen Teilen Somalias über Verbindungen in alle Gesellschaftsebenen und -Bereiche (SEMG 8.11.2017). Generell variiert die Präsenz der al Shabaab konstant (BFA 8.2017).
Völkerrechtlich kommen der al Shabaab als de facto-Regime Schutzpflichten gegenüber der Bevölkerung in den von ihnen kontrollierten Gebieten gemäß des 2. Zusatzprotokolls zu den Genfer Konventionen zu (AA 1.1.2017). Staatlicher Schutz ist in der Gebieten der al Shabaab nicht verfügbar (UKHO 7.2017).
Die Fähigkeit der al Shabaab, in den von ihr beherrschten Gebieten eine effektive Verwaltung zu betreiben, ist ungebrochen. Zusätzlich verfügt die Gruppe über Kapazitäten, um in neu eroberten Gebieten unmittelbar Verwaltungen zu installieren (BFA 8.2017). Die Gebiete der al Shabaab werden als relativ sicher beschrieben. Dort herrscht Frieden und eine Absenz an Clan-Konflikten (UNSOM - United Nations Assistance Mission in Somalia (18.9.2017): Countering Al-Shabaab Propaganda and Recruitment Mechanisms in South Central Somalia). In den von ihr kontrollierten Gebieten verfügt die al Shabaab über effektive Verwaltungsstrukturen, eine Art von Rechtsstaatlichkeit und eine effektive Polizei. Die Verwaltung der al Shabaab wurzelt auf zwei Grundsätzen: Angst und Berechenbarkeit (BFA 8.2017).
Die al Shabaab finanziert sich über unterschiedliche Steuern. Allein aus Abgaben auf den (illegalen) Holzkohlehandel lukriert die Gruppe pro Jahr - nach konservativen Schätzungen - 10 Millionen US-Dollar.
Auch von anderen Wirtschaftstreibenden werden Steuern eingehoben: In Mogadischu reicht die Spannweite von zehn US-Dollar monatlich für einfache Markthändler bis zu 70.000 US-Dollar für große Firmen. Im ländlichen Raum werden auch Viehmärkte besteuert. Außerdem verlangt al Shabaab entlang von Hauptverbindungsstraßen Gebühren und hebt den Zakat ein (SEMG 8.11.2017). Die Zahlung der Abgaben erfolgt in der Form von Geld, Tieren, landwirtschaftlichen Produkten oder anderen Werten. Die Höhe der Besteuerung hat in den vergangenen Jahren kontinuierlich zugenommen (LI 20.12.2017).
Einerseits zwingt al Shabaab mancherorts Kinder zum Besuch der eigenen Madrassen; andererseits konnte z.B. in einem ländlichen Ort in Middle Juba eine neue Schule eröffnet werden, die sogar Englisch im Lehrplan hat. Dafür musste die Gemeinde aber eine Sonderabgabe leisten (SEMG - Somalia and Eritrea Monitoring Group (8.11.2017):
Report of the SEMG on Somalia).
Die Menschen auf dem Gebiet der al Shabaab sind einer höchst autoritären und repressiven Herrschaft unterworfen. Während dies zwar einerseits zur Stärkung der Sicherheit beiträgt (weniger Kriminalität und Gewalt durch Clan-Milizen) (BS - Bertelsmann Stiftung (2016): BTI 2016 - Somalia Country Report), versucht al Shabaab alle Aspekte des öffentlichen und privaten Lebens der Menschen zu kontrollieren (BS 2016; vgl. DIS - Danish Immigration Service (9.2015): Country of Origin Information for Use in the Asylum Determination Process; Report from the Danish Immigration Service's fact finding mission to Nairobi, Kenya and Mogadishu, Somalia; 2-12 May 2015). Alle Bewohner der Gebiete von al Shabaab müssen strenge Vorschriften befolgen, z.B. Kleidung, Eheschließung, Steuerzahlung, Teilnahme an militärischen Operationen, Rasieren, Spionieren, Bildung etc. (DIS - Danish Immigration Service (9.2015):
Country of Origin Information for Use in the Asylum Determination Process; Report from the Danish Immigration Service's fact finding mission to Nairobi, Kenya and Mogadishu, Somalia; 2-12 May 2015). Mit den damit verbundenen harten Bestrafungen wurde ein generelles Klima der Angst geschaffen (BS - Bertelsmann Stiftung (2016): BTI 2016 - Somalia Country Report). Das Brechen von Vorschriften kann zu schweren Strafen bis hin zum Tod führen (DIS - Danish Immigration Service (9.2015): Country of Origin Information for Use in the Asylum Determination Process; Report from the Danish Immigration Service's fact finding mission to Nairobi, Kenya and Mogadishu, Somalia; 2-12 May 2015).
Die al Shabaab hat im Juni 2017 für die Bundesstaaten Galmudug, Puntland und Hirshabelle ein Verbot der Verwendung des Somali Shilling ausgerufen. Wirtschaftstreibende weichen daher teilweise auf den US-Dollar und den Äthiopischen Birr aus (UNSC 5.9.2017).
1.4.6. Rückkehrspezifische Grundversorgung
Viele Angehörige der somalischen Diaspora wagen in diesen Tagen die Rückkehr. In der Hauptstadt lässt sich die Aufbruch-Stimmung an unzähligen Baustellen und an neuen Straßen, Cafés und Geschäften ablesen. Ausländische Diplomaten, Berater und Helfer strömen ins Land. Botschaften werden gebaut. Doch die meisten Ausländer verschanzen sich hinter hohen Sprengschutzmauern auf dem geschützten Flughafengelände (DW - Deutsche Welle (27.9.2017): Somalia zwischen Staatsaufbau und Anti-Terror-Kampf). Alleine aus der Region zählte der UNHCR im Ze