TE Vwgh Erkenntnis 1999/3/8 98/01/0255

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Veröffentlicht am 08.03.1999
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
24/01 Strafgesetzbuch;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Staatsbürgerschaft;
90/01 Straßenverkehrsordnung;

Norm

AVG §37;
StbG 1965 §10 Abs1 Z6 idF 1983/170;
StbG 1985 §10 Abs1 Z6;
StGB §113;
StVO 1960 §5;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Wetzel und die Hofräte Dr. Bachler, Dr. Rigler, Dr. Schick und Dr. Pelant als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Böhm, über die Beschwerde des H Ö in H, vertreten durch Dr. Ernst Hagen und Dr. Günther Hagen, Rechtsanwälte in 6850 Dornbirn, Goethestraße 5, gegen den Bescheid der Vorarlberger Landesregierung vom 17. April 1998, Zl. Ia 370-283/93, betreffend Verleihung und Erstreckung der Verleihung der Staatsbürgerschaft, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Land Vorarlberg hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid vom 17. April 1998 hat die Vorarlberger Landesregierung den Antrag des Beschwerdeführers, eines am 1. November 1950 geborenen türkischen Staatsangehörigen, auf Verleihung der Staatsbürgerschaft "gemäß §§ 10, 11a, 12, 13 und 14" des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985, BGBl. Nr. 311 (StbG), und die Anträge der Gattin und der Kindern des Beschwerdeführers auf Erstreckung der Verleihung der Staatsbürgerschaft gemäß §§ 16, 17 und 18 StbG abgewiesen.

Der Beschwerdeführer habe seit 31. Dezember 1982 ununterbrochen seinen Hauptwohnsitz in Österreich. Er sei seit 5. Dezember 1994 beim Amt der Landeshauptstadt Bregenz beschäftigt und seit 1. Mai 1997 als Sozialarbeiter tätig. Mit Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom 5. Dezember 1991 sei der Beschwerdeführer wegen des Vergehens der versuchten Nötigung gemäß §§ 15 und 105 Abs. 1 StGB zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen verurteilt worden, weil er im Verlauf einer Veranstaltung eine Person durch gefährliche Drohung mit einer Körperverletzung zur Unterlassung weiterer Tätigkeiten zu nötigen versucht und diese Person dadurch in Furcht und Unruhe versetzt habe. Weiters sei der Beschwerdeführer am 18. Dezember 1990 wegen Übertretung von § 5 Abs. 1 StVO und am 16. Juni 1994 wegen Übertretung von § 5 Abs. 2 StVO bestraft worden. Hiebei seien Geldstrafen von S 12.000,-- und S 15.000,-- verhängt worden. Wegen der versuchten Nötigung sei über den Beschwerdeführer auch ein Waffenverbot verhängt worden; aufgrund der Übertretungen von § 5 StVO sei dem Beschwerdeführer jeweils der Führerschein für die Dauer von fünf bzw. sieben Monaten entzogen worden. Bei den Straftaten des Beschwerdeführers handle es sich um gravierende Verstöße gegen die österreichische Rechtsordnung. Dies werde auch durch das verhängte Waffenverbot und den zweimaligen Entzug der Lenkerberechtigung verdeutlicht. Die vom Beschwerdeführer gezeigte negative Einstellung zu den Rechtsgütern der Sicherheit von Personen und des Schutzes der Gesundheit lasse den Schluß zu, daß er auch in Zukunft wesentliche Vorschriften mißachten werden. Ein Freund des Beschwerdeführers habe vorgebracht, daß die versuchte Nötigung auf einen Streit des Beschwerdeführers mit rechtsgerichteten, antidemokratischen Türken zurückzuführen wäre. Bei den Übertretungen des § 5 StVO hätte sich der Beschwerdeführer jeweils in einem psychischen Ausnahmezustand befunden. Einmal wäre eine Rauferei mit rechtsgerichteten türkischen Landsleuten vorangegangen, im anderen Fall hätte eine akute eheliche Beziehungskrise bestanden. Dieses Vorbringen könne das Verhalten des Beschwerdeführers nicht rechtfertigen oder entschuldigen. Die aufgezeigten Umstände ließen erkennen, daß der Beschwerdeführer in kritischen Situationen Gefahr laufe, in einer von der Rechtsordnung verpönten Weise zu reagieren. Nach der Lebenserfahrung seien kritische Situationen auch in Zukunft nicht auszuschließen. Der Beschwerdeführer werde daher erst in der Zukunft beweisen müssen, in der Lage zu sein, sich rechtskonform zu verhalten.

Über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 6 zweiter Fall StbG darf die Staatsbürgerschaft einem Fremden nur verliehen werden, wenn er nach seinem bisherigen Verhalten Gewähr dafür bietet, keine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit zu bilden. Hiebei handelt es sich um eine zwingende Verleihungsvoraussetzung; bei der Beurteilung, ob sie vorliegt, ist der Behörde kein Ermessen eingeräumt (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 17. Dezember 1997, Zl. 96/01/1138). Daher geht das Vorbringen, die belangte Behörde habe das Ermessen unrichtig geübt und im Rahmen der Ermessensentscheidung die Flüchtlingseigenschaft des Beschwerdeführers nicht berücksichtigt, ins Leere.

Bei der Klärung der Frage, ob die Verleihungsvoraussetzung des § 10 Abs. 1 Z. 6 zweiter Fall StbG gegeben ist, ist vom Gesamtverhalten des Einbürgerungswerbers, welches wesentlich durch das sich aus der Art, Schwere und Häufigkeit der von ihm begangenen Straftaten ergebende Charakterbild bestimmt ist, auszugehen. Hiebei stellt der Gesetzgeber nicht auf formelle Gesichtspunkte ab, sondern ist es lediglich maßgebend, ob es sich um Rechtsbrüche handelt, die den Schluß rechtfertigen, daß der Betreffende auch in Zukunft wesentliche, zum Schutz vor Gefahren für das Leben, die Gesundheit, die Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung erlassene Vorschriften mißachten werde (vgl. auch dazu das bereits zitierte hg. Erkenntnis vom 17. Dezember 1997). Dies gilt auch für Verstöße gegen Vorschriften, die der Sicherheit des Straßenverkehrs dienen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 13. Mai 1998, Zl. 97/01/0242).

Nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes durfte die belangte Behörde auch die vom Beschwerdeführer begangene versuchte Nötigung in ihre Beurteilung einbeziehen, obwohl die aufgrund dieses Deliktes verhängte Geldstrafe bereits getilgt ist (vgl. etwa das Erkenntnis vom 25. Februar 1998, Zl. 96/01/0177). Das einzige vom Beschwerdeführer dagegen vorgebrachte Argument, daß diese Judikatur im Hinblick auf § 113 StGB mit dem Grundsatz der "Einheitlichkeit der Rechtsordnung" nicht im Einklang stehe, bietet keine Veranlassung, von dieser ständigen Judikatur abzugehen. Gemäß § 113 StGB ist jemand zu bestrafen, der einem anderen in einer für einen Dritten wahrnehmbaren Weise eine strafbare Handlung vorwirft, für die die Strafe schon vollzogen oder wenn auch nur bedingt nachgesehen oder nachgelassen oder für die der Ausspruch der Strafe vorläufig aufgeschoben worden ist. Gemäß § 114 Abs. 1 leg. cit. ist eine solche Tat gerechtfertigt, wenn dabei eine Rechtspflicht erfüllt oder ein Recht ausgeübt wird. Der vom Gesetz angeordneten Verwertung von strafbaren Handlungen im Rahmen von behördlichen Verfahren, wie etwa gemäß § 10 StbG, steht § 113 StGB nicht entgegen. Überdies stellt diese Bestimmung nicht auf den Eintritt der Tilgung einer Verurteilung, sondern auf den Vollzug bzw. das (vorläufige) Absehen vom Vollzug einer verhängten Strafe ab.

Die belangte Behörde hat ihre negative Prognose über das künftige Verhalten des Beschwerdeführers nur auf dessen versuchte Nötigung und die beiden Übertretungen von § 5 StVO gestützt. Feststellungen über die näheren Tatumstände traf sie nur insofern, als sie ausführte, der Beschwerdeführer habe "im Verlaufe einer Veranstaltung eine Person durch gefährliche Drohung mit einer Körperverletzung zur Unterlassung weiterer Tätigkeiten zu nötigen versucht(e) und diese Person dadurch in Furcht und Unruhe versetzt". Feststellungen zum Tathergang der Übertretungen des § 5 StVO (Tatzeitpunkt, Alkoholisierungsgrad) fehlen zu Gänze. Die belangte Behörde hat sich mit den Tatumständen nur insoweit auseinandergesetzt, als sie das oben wiedergegebene Vorbringen eines Freundes des Beschwerdeführers nicht für geeignet hielt, eine positive Zukunftsprognose zu rechtfertigen.

Die gerichtlich strafbare Handlung wurde nach Ausweis des Aktes - eine Feststellung über den Tatzeitpunkt fehlt - bereits am 10. November 1990, somit siebeneinhalb Jahre vor Erlassung des angefochtenen Bescheides begangen. Dabei ist es beim Versuch geblieben. Das Gericht fand mit einer relativ geringen Geldstrafe (Strafrahmen: Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr) das Auslangen. Die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg erhob bereits am 23. Dezember 1993 in Kenntnis dieser Straftat keinen Einwand gegen die Einbürgerung und hielt diese Stellungnahme auch am 16. August 1996 aufrecht. Die Bestrafungen wegen der Übertretungen von § 5 StVO liegen bereits siebeneinhalb und mehr als vier Jahre zurück. Es ist zwar richtig, daß es sich bei Übertretungen dieser Vorschrift um schwerwiegende Verwaltungsübertretungen handelt, doch kann auch bei derartigen Delikten nicht von vornherein das Fehlen der Verleihungsvoraussetzung gemäß § 10 Abs. 1 Z. 6 StbG angenommen werden. Die belangte Behörde hätte vielmehr auf Grundlage von konkreten Feststellungen über die Art und Weise der Tatbegehung zu begründen gehabt, warum sie unter Berücksichtigung der Tatsache, daß sich der Beschwerdeführer seit mehr als 15 Jahren in Österreich aufhält und er sich seit mehr als vier Jahren wohl verhalten hat, zur Ansicht gelangte, der Beschwerdeführer biete keine Gewähr dafür, keine Gefahr für die öffentlich Ruhe, Ordnung oder Sicherheit zu bilden. Daß sie dies unterlassen hat, stellt einen Verfahrensmangel dar. Der Hinweis darauf, daß aufgrund der gerichtlich strafbaren Handlung auch ein Waffenverbot verhängt worden und aufgrund der Übertretungen von § 5 StVO jeweils auch die Lenkerberechtigung entzogen worden sei, kann eine Auseinandersetzung der belangten Behörde mit den konkreten Straftaten des Beschwerdeführers aus staatsbürgerschaftsrechtlicher Sicht nicht ersetzen.

Es sei hinzugefügt, daß der Beschwerdeführer erstmals in einer Ergänzung der Beschwerde vorgebracht hat, als ehrenamtlicher Bewährungshelfer tätig zu sein. Da der Beschwerdeführer ein derartiges Vorbringen im Verwaltungsverfahren nicht erstattet hat, kann der Behörde nicht zum Vorwurf gemacht werden, dazu kein Ermittlungsverfahren durchgeführt zu haben. Das Vorbringen ist somit als Neuerung im verwaltungsgerichtlichen Verfahren unbeachtlich.

Der angefochtene Bescheid war gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 8. März 1999

Schlagworte

Begründung BegründungsmangelSachverhalt Sachverhaltsfeststellung Materielle Wahrheit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1999:1998010255.X00

Im RIS seit

12.06.2001

Zuletzt aktualisiert am

28.04.2011
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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