TE Vfgh Erkenntnis 2019/2/25 E3632/2018

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Veröffentlicht am 25.02.2019
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
AsylG 2005 §3, §8, §10
FremdenpolizeiG 2005 §46, §52, §55 Abs1a

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Abweisung des Antrags eines Staatsangehörigen von Gambia auf internationalen Schutz und Erlassung einer Rückkehrentscheidung betreffend Asyl und subsidiären Schutz; mangelhafte Begründung, warum der Beschwerdeführer – vor dem Hintergrund der Länderfeststellungen – keine Gefahr auf Grund seiner Homosexualität zu gewärtigen hat

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander gemäß ArtI Abs1 BVG zur Durchführung des internationalen Abkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.856,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I.        Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1.       Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Gambia, stellte am 25. Jänner 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Im Zuge der Erstbefragung sowie der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: BFA) gab der Beschwerdeführer übereinstimmend als Fluchtgrund an, eine gleichgeschlechtliche Beziehung zu einem Europäer gehabt zu haben. Sein Vater habe von der Beziehung erfahren, sei damit nicht einverstanden gewesen und habe gedroht, ihn in eine Koranschule zu schicken, in der auch gefoltert werde. Bei einer Rückkehr nach Gambia befürchte der Beschwerdeführer, dass ihm auf Grund seiner Homosexualität Folter und Tod drohen würden.

2.       Mit Bescheid des BFA vom 10. August 2017 wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß §3 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I) und hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß §8 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II) abgewiesen. Dem Beschwerdeführer wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §57 AsylG 2005 nicht erteilt. Gemäß §10 Abs1 Z3 AsylG 2005 iVm §9 BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß §52 Abs2 Z2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (in der Folge: FPG) erlassen und weiters festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß §46 FPG nach Gambia zulässig ist (Spruchpunkt III). Ferner wurde ausgesprochen, dass einer Beschwerde gegen diese Entscheidung gemäß §18 Abs1 Z3 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt werde, und gemäß §55 Abs1a FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe.

3.       Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde des Beschwerdeführers wies das Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 1. August 2018 mit Erkenntnis vom 6. August 2018 als unbegründet ab. Das Bundesverwaltungsgericht stellte im Hinblick auf das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers sowie im Hinblick auf die allgemeine Lage in Gambia fest, dass der Beschwerdeführer auf Grund seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung nicht verfolgt würde. Im Verfahren seien auch keine Umstände bekannt geworden, die nahelegen würden, dass bezogen auf den Beschwerdeführer ein "reales Risiko" einer gegen Art2 oder 3 EMRK verstoßenden Behandlung bzw der Todesstrafe bestehe.

4.       Gegen diese Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Entscheidung, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, beantragt wird. Begründend wird dazu im Wesentlichen ausgeführt, dass sich das Bundesverwaltungsgericht nicht hinreichend mit der Homosexualität des Beschwerdeführers auseinandergesetzt habe. Insbesondere habe das Bundesverwaltungsgericht nicht fachgerecht begründet, dass dem Beschwerdeführer keine Gefahr im Fall einer Rückkehr in den Herkunftsstaat drohe.

5.       Das Bundesverwaltungsgericht legte die Gerichts- und die Verwaltungsakten der belangten Behörde im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht vor, sah jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift ab.

II.      Erwägungen

1.       Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.

2.       Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

3.       Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:

3.1.    Das Bundesverwaltungsgericht traf auf den Seiten 16 und 17 seine Entscheidung gestützt auf einen Asylländerbericht der österreichischen Botschaft Dakar und Länderfeststellungen zur Verfolgungslage Homosexueller in Gambia. Nach diesen Feststellungen ist Homosexualität in Gambia strafbar und wird mit Gefängnisstrafen von mehreren Jahren geahndet, die bis zu einer Haft von 14 Jahren führen können. Am 9. Oktober 2014 trat ein Gesetz in Kraft, das bei "schwerer Homosexualität" eine Strafe von bis zu lebenslanger Haft vorsieht. Eine Gesetzesnovellierung führe die Straftat der verstärkten Homosexualität ein, unter der das Gesetz u.a. homosexuelle "Wiederholungstäter", homosexuelle Handlungen mit Minderjährigen (unter 18 Jahren), Schutzbefohlenen, Behinderten, drogenabhängigen bzw HIV-infizierten Personen verstehe. Hohe Repräsentanten des gambischen Staates hätten die Bevölkerung in öffentlichen Reden zur Anzeige Homosexueller aufgerufen. Das Vorgehen der gambischen Behörden scheine sich eher zu verschärfen. Generell werde Homosexualität als unafrikanisch und Versuch des Westens gesehen, die lokale Kultur zu pervertieren. Auch abseits der Gesetzeslage sei die gesellschaftliche Akzeptanz der Homosexualität praktisch nicht gegeben und öffentliches Zurschautragen stoße auf Ablehnung. Homosexuelle Personen würden stark von der Gesellschaft diskriminiert und nicht vom Anti-Diskriminierungsgesetz geschützt.

3.2.    Die Beweiswürdigung des Bundesverwaltungsgerichtes erschöpft sich in einer kurzen Wiedergabe von – nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichtes widersprüchlichen – Aussagen des Beschwerdeführers im Hinblick auf seine sexuelle Orientierung. Diese beziehen sich im Wesentlichen auf die Reaktion des Vaters des Beschwerdeführers auf seine Homosexualität sowie auf die Fragen, ob der Beschwerdeführer homo- oder bisexuell sei und wann er seine ersten homosexuellen Erfahrungen gesammelt habe. Nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes habe der Beschwerdeführer das Geschehen, seine Gefühlslage, aber auch sein Verhältnis zu seinem Vater in zentralen Punkten auf unterschiedliche Weise geschildert. Besonders hebt das Bundesverwaltungsgericht hervor, dass der Beschwerdeführer im Zuge der Beantwortung der Frage, was Homosexuellen in Gambia drohe, die angeblich bis zur Ermordung gehende Verfolgung Homosexueller nicht erwähnt habe. Dies erwecke "den Eindruck, dass ihm diese Gefahr selbst nicht droht, weil er über etwas spricht, was ihn offensichtlich selbst nicht betrifft."

3.3.    Diese Ausführungen sind in wesentlichen Punkten nicht nachvollziehbar. Die bloß Nuancen betreffenden Abweichungen in den Aussagen des Beschwerdeführers lassen jedenfalls nicht den – vom Bundesverwaltungsgericht angenommenen – Schluss zu, dass das Vorbringen insgesamt unglaubwürdig sei (vgl VfGH 13.3.2013, U1175/2012 ua; 21.2.2014, U2600/2013). Das Bundesverwaltungsgericht vermag auf Basis der von ihm als Begründung herangezogenen widersprüchlichen Aussagen des Beschwerdeführers – die keine Zweifel an seiner homosexuellen Orientierung an sich hervorrufen – nicht substantiiert zu begründen, weshalb es die vom Beschwerdeführer vorgebrachte Furcht vor Folter in Gambia auf Grund seiner Homosexualität als nicht schlüssig erachtet. Darüber hinaus ist nicht nachvollziehbar, weshalb sich das Bundesverwaltungsgericht mit den Ergebnissen seiner Länderfeststellungen im Hinblick auf die Verfolgungslage Homosexueller in Gambia im Rahmen der rechtlichen Beurteilung (Nichtgewährung von Asyl bzw subsidiärem Schutz) nicht auseinandersetzt – insbesondere hinsichtlich der Frage, ob dem Beschwerdeführer ein "reales Risiko" einer gegen Art2 oder 3 EMRK verstoßenden Behandlung bzw der Todesstrafe drohe. Aus diesen Gründen hat das Bundesverwaltungsgericht seine Entscheidung mit Willkür belastet.

III.    Ergebnis

1.       Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander gemäß ArtI Abs1 BVG zur Durchführung des internationalen Abkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung verletzt worden.

2.       Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

3.       Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

4.       Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 240,– enthalten.

Schlagworte

Asylrecht, Entscheidungsbegründung, Homosexualität

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2019:E3632.2018

Zuletzt aktualisiert am

06.05.2019
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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