TE Vwgh Erkenntnis 1999/3/25 98/07/0148

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Veröffentlicht am 25.03.1999
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Index

L66508 Flurverfassung Zusammenlegung landw Grundstücke
Flurbereinigung Vorarlberg;
001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
19/05 Menschenrechte;
40/01 Verwaltungsverfahren;
80/06 Bodenreform;

Norm

AVG §56;
AVG §66 Abs4;
AVG §68 Abs1;
B-VG Art140 Abs6;
B-VG Art140;
B-VG Art49 Abs1;
B-VG Art7 Abs1;
FlVfGG §15 Abs1;
FlVfGG §21;
FlVfGG §31 Abs2;
FlVfGG §34;
FlVfGG §35 Abs1;
FlVfGG §36 Abs1;
FlVfLG Vlbg 1979 §31 Abs1;
FlVfLG Vlbg 1979 §32 Abs1;
FlVfLG Vlbg 1979 §36 Abs7;
FlVfLG Vlbg 1979 §71;
FlVfLG Vlbg 1979 §73;
FlVfLG Vlbg 1979 §80;
FlVfLG Vlbg 1979 §84 Abs1;
MRK Art6;
VwGG §39;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Hargassner, Dr. Bumberger, Dr. Pallitsch und Dr. Beck als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hofmann, über die Beschwerde der IT in G, vertreten durch Dr. Wilfried Ludwig Weh, Rechtsanwalt in Bregenz, Wolfeggstraße 1, gegen den Bescheid des Landesagrarsenates beim Amt der Vorarlberger Landesregierung vom 10. März 1998, Zl. LAS-210-457, betreffend Aufnahme in die Mitgliederliste einer Agrargemeinschaft, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Den Beschwerdeschriften und der ihnen angeschlossenen Ablichtung des angefochtenen Bescheides ist Folgendes zu entnehmen:

Mit Regulierungs- und Hauptteilungsplan der Agrarbezirksbehörde Bregenz (AB) vom 20. Dezember 1976 wurde die Agrargemeinschaft Götzis reguliert, wobei ihr in diesem Bescheid auch eine Verwaltungssatzung gegeben wurde, die zum Stichtag 1. Jänner 1977 eine Mitgliederliste enthält, in welcher unter laufender Nummer 223 die Mutter der Beschwerdeführerin aufschien.

In der Folge wurde von der Vollversammlung der genannten Agrargemeinschaft eine neue Verwaltungs- und Nutzungssatzung beschlossen, welche mit Bescheid der AB vom 7. November 1979 aufsichtsbehördlich genehmigt wurde und am 1. Juli 1979 in Kraft trat. Zu diesem Zeitpunkt war die Mutter der Beschwerdeführerin bereits verstorben, der Vater der Beschwerdeführerin war schon im Jahre 1974 verstorben.

Die mit Bescheid der AB vom 20. Dezember 1976 der Agrargemeinschaft beigegebene Satzung knüpfte den Anspruch auf Aufnahme in die Mitgliederliste - unter der Bedingung des Vorliegens der Voraussetzungen für die tatsächliche Ausübung von Nutzungsrechten - u.a. an die eheliche Abstammung des Aufnahmewerbers von einem männlichen Mitglied. Die mit Bescheid der AB vom 7. November 1979 aufsichtsbehördlich genehmigte Satzung stellte den Erwerb der Mitgliedschaft Bewerbern ohne Unterschied des Geschlechtes offen, die ihre eheliche Abstammung von einem männlichen Mitglied nachweisen könnten.

Nachdem die Beschwerdeführerin am 16. Dezember 1996 bei der Agrargemeinschaft ihre Aufnahme als Mitglied beantragt hatte, erhielt sie von der Agrargemeinschaft die Antwort, dass die seinerzeit durch die Aufsichtsbehörde genehmigten Satzungen in Überarbeitung seien, weil der Genehmigungsbescheid betreffend einer Satzungsbestimmung durch den Verfassungsgerichtshof aufgehoben worden sei.

In ihrer Vollversammlung vom 25. April 1997 beschloss die Agrargemeinschaft nach der ihren Mitgliedern vorgetragenen Ansicht, das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 12. Dezember 1994, B 2083/93, 1545/94, VfSlg. 13.975/1994, mache es erforderlich, in bestehenden Satzungen Bestimmungen zu beseitigen, die hinsichtlich des Geschlechtes eine Ungleichbehandlung bewirkten, eine Satzungsänderung, nach welcher die Verwaltungs- und Nutzungssatzung der genannten Agrargemeinschaft im hier interessierenden Umfang folgende Bestimmungen erhielt:

"Besitz der Mitgliedschaft

§ 3

Mitglieder der Agrargemeinschaft Götzis sind die von der Agrarbezirksbehörde Bregenz mit Bescheid vom 20.12.1976, Zl II-433/76, gemäß § 55 Flurverfassungsgesetz als Parteien festgestellten nutzungsberechtigten Personen (Stichtag der Rechtskraft der Satzung mit Bescheid der Agrarbezirksbehörde Bregenz vom 07.11.1979, Zl AGR-137/2, rückwirkend auf 01.07.1979), sowie jene Personen, denen die Agrargemeinschaft gemäß den Bestimmungen dieser Satzung die Mitgliedschaft zuerkennt. Die Mitgliederliste ist nach Maßgabe der nachfolgenden Bestimmungen über Erwerb und Verlust der Mitgliedschaft auf dem Laufenden zu halten.

Erwerb der Mitgliedschaft

§ 4

1. Der Ausschuss hat die Mitgliedschaft zuzuerkennen, wenn folgende Voraussetzungen nach dieser Satzung erfüllt sind:

a) Bewerbern ohne Unterschied des Geschlechtes, die ihre direkte Abstammung (Sohn, Tochter) von einem Mitglied (Stichtag 01.07.1979) nachweisen.

b)

Österreichische Staatsbürgerschaft

c)

Ordentlicher Wohnsitz im Gemeindegebiet Götzis

d)

Mindestalter 21 Jahre

              2.              Der Antrag auf Zuerkennung der Mitgliedschaft ist schriftlich zu stellen und ...

Ruhen der Mitgliedschaft

§ 5

              1.              Die Mitgliedschaft ruht bei Mitgliedern, die ihren örtlichen Wohnsitz im Gemeindegebiet Götzis aufgegeben haben, auf die Dauer des veränderten Wohnsitzes.

2.

...

3.

...

Mitgliederliste

§ 7

Die Mitglieder (§ 3) sind von der Agrargemeinschaft in einer Mitgliederliste (Kartei) zu führen. In der Mitgliederliste ist jede Änderung im Mitgliederstand zu verzeichnen."

Mit Bescheid vom 2. Juli 1997 wurde diese Satzungsänderung von der AB aufsichtsbehördlich genehmigt.

Nachdem der Beschwerdeführerin in der Folge von der Agrargemeinschaft mitgeteilt wurde, dass sie als Mitglied nicht aufgenommen werden könne, weil die Voraussetzungen nach § 4 Abs. 1 lit. a der mit Bescheid der AB vom 2. Juli 1997 genehmigten Satzungen nicht gegeben seien, wandte sich die Beschwerdeführerin an die AB mit dem Ersuchen um bescheidmäßige Entscheidung über ihren Aufnahmeantrag.

Mit Bescheid vom 21. November 1997 wurde das Begehren der Beschwerdeführerin von der AB mit der Begründung abschlägig beschieden, dass schon durch die mit Bescheid der AB vom 7. November 1979 mit 1. Juli 1979 aufsichtsbehördlich genehmigten Satzungsänderungen auf Grund der Vollversammlungen vom 10. November 1978 und 20. Oktober 1979 die mit Bescheid der AB vom 20. Dezember 1976 aufsichtsbehördlich genehmigte Verwaltungssatzung außer Kraft getreten sei. Die mit der mit Bescheid vom 2. Juli 1997 aufsichtsbehördlich genehmigten Satzung vorgenommene Stichtagsregelung mit der Festlegung des 1. Juli 1979 als maßgebendem Stichtag sei daher nicht willkürlich, sondern unter Bezugnahme auf den Bescheid der AB vom 7. November 1979 erfolgt. Auch der Verfassungsgerichtshof gehe in seinem Erkenntnis vom 12. Dezember 1994 davon aus, dass an aufsichtsbehördlich genehmigte Satzungen alle Behörden gebunden seien.

In ihrer gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung machte die Beschwerdeführerin geltend, dass die Ausgrenzung solcher Personen, deren Vorfahren vor dem 1. Juli 1979 verstorben seien, von der Mitgliedschaft in der Agrargemeinschaft in der aktuellen Satzung einen Widerspruch zum Gleichheitssatz bedeute, welcher die betroffene Satzungsbestimmung als nichtig aus den im Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 12. Dezember 1994, B 2083/93, B 1545/94, dargelegten Erwägungen erkennen lasse. Wenn die Agrargemeinschaft erreichen wolle, dass die Zahl ihrer Mitglieder weniger rasch ansteige, dann dürfe sie dieses Ziel nicht mit Kriterien verfolgen, welche einzelne Personen zu Gunsten anderer benachteiligten.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung der Beschwerdeführerin mit der Begründung ab, dass diese von "zwei" ehemaligen Mitgliedern der Agrargemeinschaft abstamme, die im Mitgliedsverzeichnis, welches zum Stichtag 1. Juli 1979 anzulegen gewesen sei, jedoch nicht aufschienen, weil sie beide vor diesem Stichtag verstorben seien. Dass die Agrargemeinschaft das Ableben von Mitgliedern vor diesem Stichtag zum Kriterium genommen habe, mit welchem die Zahl der Mitglieder begrenzt werde, könne nicht als diskriminierend angesehen werden, zumal die getroffene Regelung in der Verwaltungs- und Nutzungssatzung geschlechtsneutral abgefasst sei.

Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, welcher deren Behandlung jedoch mit seinem Beschluss vom 9. Juni 1998, B 910/98, abgelehnt und sie über nachträglichen Antrag mit Beschluss vom 28. September 1998 dem Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG zur Entscheidung abgetreten hat.

Vor diesem Gerichtshof begehrt die Beschwerdeführerin die Aufhebung des angefochtenen Bescheides mit der Erklärung, sich durch diesen Bescheid u.a. auch in ihrem Recht auf Mitgliedschaft in der Agrargemeinschaft Götzis als verletzt anzusehen. Die Beschwerdeführerin trägt vor, dass die Stichtagsregelung in der mit Bescheid der AB vom 2. Juli 1997 aufsichtsbehördlich genehmigten Satzung der Agrargemeinschaft nichtig im Sinne des § 879 ABGB und deshalb von den Agrarbehörden rechtens nicht anzuwenden gewesen sei. Zu einer Satzungsänderung habe kein Anlass bestanden, weil die bestehende Satzung mit der Maßgabe anzuwenden gewesen sei, dass das Erfordernis der Männlichkeit jenes Mitgliedes, von welchem der Bewerber seine Abstammung herleite, zu entfallen gehabt habe. Die Agrarbehörden hätten das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 12. Dezember 1994, B 2083/93, B 1545/94, missverstanden und eine diskriminierende Satzungsvorschrift durch eine andere diskriminierende Satzungsvorschrift ersetzt. Jede Bejahung einer Stichtagsregelung impliziere nämlich, dass die Schlechterbehandlung von Frauen bis zu einem bestimmten Zeitpunkt gerechtfertigt gewesen sei. Noch im Jahre 1997 eine Diskriminierung von Frauen zu beschließen, verstoße jedenfalls gegen geltendes Recht und sei abwegig. Wie sehr noch "atavistische Zustände" herrschten, ergebe sich auch daraus, dass in der belangten Behörde "drei Nichtjuristen und keine Frau gesessen" seien, als sie den angefochtenen diskriminierenden Bescheid beschlossen habe. Wenn in der Begründung des angefochtenen Bescheides erklärt werde, dass die neu getroffene Regelung in der Verwaltungs- und Nutzungssatzung geschlechtsneutral abgefasst sei, dann stelle dies eine "unnachahmliche Umdeutung der Realität" dar, weil die Stichtagsregelung in Wahrheit zum Inhalt habe, dass geschlechtsdiskriminierende Regelungen bis zum Stichtag 1. Juli 1979 aufrecht zu bleiben hätten. Das Protokoll der zur Beschlussfassung über die Satzungsänderung führenden Vollversammlung der Agrargemeinschaft gebe offen zu, dass die Satzung aus Anlass konkreter Ansuchen geändert werde, womit eine "intentionale Diskriminierung von vier Frauen" während bereits laufender Verfahren stattgefunden habe. Die nachträgliche Satzungsänderung allein zu dem Zweck, die Ansuchen von vier Frauen durch die nachträgliche Erlassung einer neuerlich sexuell diskriminierenden Regelung zu hintertreiben, sei nichtig, weil sittenwidrig. Unter Zugrundelegung der allein gültigen Satzung vor der sittenwidrigen Satzungsänderung im Jahr 1997 nach Maßgabe der Beseitigung des Wortes "männlichen" vor dem Wort Mitglied ergebe sich ein Rechtsanspruch der Beschwerdeführerin auf Aufnahme ins Anteilsbuch der Agrargemeinschaft.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 84 Abs. 1 des Vorarlberger Flurverfassungsgesetzes, LGBl. Nr. 2/1979 (FlVG), steht den Agrarbehörden auch außerhalb eines Verfahrens nach § 83 (Zusammenlegungs-, Flurbereinigungs-, Teilungs- oder Regulierungsverfahren) die Entscheidung über die Frage zu, ob in einem gegebenen Falle eine Agrargemeinschaft im Sinne dieses Gesetzes vorhanden ist, auf welches Gebiet sie sich erstreckt, wer Eigentümer der agrargemeinschaftlichen Grundstücke ist, ferner die Entscheidung über den Bestand oder Nichtbestand sowie den Umfang von Anteilsrechten an agrargemeinschaftlichen Grundstücken und über die Frage, ob Gemeindegut oder Gemeindevermögen vorliegt.

Die im Beschwerdefall strittige Frage eines Rechtsanspruches der Beschwerdeführerin auf Zuerkennung ihrer Mitgliedschaft zur Agrargemeinschaft stellt, wie der Verwaltungsgerichtshof in vergleichbaren Fällen bereits ausgesprochen hat, die Agrarbehörde vor die Aufgabe, im Sinne des § 84 Abs. 1 FlVG eine Entscheidung über den Bestand von Anteilsrechten an agrargemeinschaftlichen Grundstücken zu treffen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 19. November 1998, 98/07/0094, ebenso wie den hg. Beschluss vom 29. Oktober 1998, 98/07/0122, 0123).

Dass die Satzungen der Agrargemeinschaft Götzis in ihrer mit Bescheid der AB vom 2. Juli 1997 genehmigten Fassung - ebenso wie in ihrer vor dieser Satzungsänderung bestandenen Fassung - einen Anspruch der Beschwerdeführerin auf Mitgliedschaft zur Agrargemeinschaft nicht einräumten, ist nach dem Wortlaut der betroffenen Satzungen eindeutig und wird auch von der Beschwerdeführerin nicht in Abrede gestellt. Stand der Zuerkennung ihrer Mitgliedschaft zur Agrargemeinschaft nach der alten Fassung der Satzungen der Umstand entgegen, dass die Beschwerdeführerin nicht von einem männlichen Mitglied der Agrargemeinschaft abstammt, so scheiterte eine Mitgliedschaft der Beschwerdeführerin zur Agrargemeinschaft nach der neuen Satzung an dem Umstand, dass ihre Mutter zum Zeitpunkt des festgelegten Stichtages 1. Juli 1979 wegen zuvorigen Ablebens nicht mehr Mitglied der Agrargemeinschaft gewesen war.

Die Beschwerdeführerin sieht den angefochtenen Bescheid dessen ungeachtet aber als rechtswidrig an, weil sie meint, dass die belangte Behörde die mit Bescheid der AB vom 2. Juli 1997 genehmigte Änderung der Satzung ihres diskriminierenden Inhaltes wegen als nichtig betrachten und nicht hätte anwenden dürfen, sondern die vor der Satzungsänderung bestandene Satzung unter gedanklicher Eliminierung des Erfordernisses der Männlichkeit jenes Agrargemeinschaftsmitgliedes, von welchem ein Aufnahmewerber abstammen müsse, ihrer Entscheidung hätte zugrunde legen müssen. Zur Rechtfertigung dieses Ansinnens beruft sich die Beschwerdeführerin auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 12. Dezember 1994, B 2083/93, B 1545/94.

Der Verwaltungsgerichtshof vertritt in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, dass Satzungen von Agrargemeinschaften Bestandteile ihres Regulierungsplanes sind und mit diesem ihre Rechtskraftwirkung entfalten und dass auch die Genehmigung einer Änderung von Verwaltungssatzungen einer Agrargemeinschaft einen Akt der Regulierung darstellt (vgl. die hg. Beschlüsse vom 8. April 1997, 94/07/0123, und vom 15. Jänner 1998, 97/07/0162), was zur Folge hat, dass genehmigte Satzungen von Agrargemeinschaften in der Auswirkung der Rechtskraft ihres Genehmigungsbescheides nicht mehr überprüft werden können und damit auch dann beachtlich sind, wenn sie gegen das Gesetz verstoßen (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 19. April 1994, 90/07/0074, vom 23. Mai 1996, Slg. N.F. Nr. 14.470/A, vom 19. September 1996, 95/07/0215, und vom 26. Mai 1998, 97/07/0142).

Diese in der verwaltungsgerichtlichen Judikatur einhellig bejahte Bindung aller Behörden sowie der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechtes an rechtskräftig genehmigte Satzungen von Agrargemeinschaften hat auch der Verfassungsgerichtshof in seinem von der Beschwerdeführerin ins Treffen geführten Erkenntnis vom 12. Dezember 1994, B 2083/93, B 1545/94, unter Hinweis auf Judikate des Verwaltungsgerichtshofes anerkannt. Der Verfassungsgerichtshof hat im genannten Erkenntnis allerdings gemeint, dass die zu bejahende Bindung weder die Verwaltungsbehörden noch ihn einer Untersuchung enthebe, mit welchem Text die Satzung dem Rechtsbestand angehöre und welcher normative Satzungsinhalt sich daraus ergebe. Da sich aus der vom Vorarlberger Flurverfassungsgesetz verfügten Konstruktion der Organisation der Agrargemeinschaften und der Zuweisung öffentlicher Aufgaben an sie ergebe, dass für die sie konstituierenden Rechtsakte dieselben grundrechtlichen Schranken gälten wie sonst für generelle staatliche Normen, müssten auch solche Satzungen dem Gleichheitsgrundsatz entsprechen, weshalb diesem Verfassungsgebot zuwiderlaufende Satzungsbestimmungen mangels eines besonderen Normenkontrollverfahrens als nichtig im Sinne des § 879 ABGB zu behandeln seien. Eine solche Nichtigkeit erblickte der Verfassungsgerichtshof im Fall seines zitierten Erkenntnisses in solchen Satzungsbestimmungen von Agrargemeinschaften, nach denen bei Töchtern von Mitgliedern während der Zeit ihrer Verheiratung die Mitgliedschaft ruhen sollte. Eine solche Satzungsvorschrift unterscheide zwischen Töchtern und Söhnen und damit zwischen Männern und Frauen, ohne dass für diese Diskriminierung der Frauen ein sachlicher Grund erkennbar wäre. Dass die Reduzierung oder die Verhinderung des Ansteigens der Anzahl der Mitglieder von Agrargemeinschaften erforderlich sei, möge sein, dürfe aber nicht durch die Ausgrenzung allein von Frauen erreicht werden, weil hiefür jede sachliche Rechtfertigung fehle.

Mit diesem Erkenntnis hat der Verfassungsgerichtshof zum einen die Bindung der Verwaltungsbehörden und der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechtes an das Regelwerk von Satzungen bejaht, zum anderen aber gleichzeitig den Verwaltungsbehörden ebenso wie den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechtes die als Obliegenheit postulierte Möglichkeit eröffnet, das Regelwerk, an welches die bejahte Bindung besteht, auf seine Übereinstimmung mit dem Grundrechtskatalog, insbesondere auch hinsichtlich des Sachlichkeitsgebotes (siehe hiezu die kritischen Bemerkungen von Walter, Die Funktion der Höchstinstanzen im Rechtsstaat Österreich, ÖRZ 1999, 58 ff, 64), zu überprüfen und im Widerspruch zum Grundrechtskatalog befundene Teile des Regelungswerkes - ungeachtet der Rechtskraft des das gesamte Regelungswerk genehmigenden aufsichtsbehördlichen Bescheides - von der bejahten Bindungswirkung als ausgenommen zu betrachten. Ob der Verwaltungsgerichtshof sich in der Lage sieht, dem Verfassungsgerichtshof auf einem solchen Weg von Gesetzesanwendung zu folgen, muss im vorliegenden Beschwerdefall indessen nicht entschieden werden, weil den mit Bescheid der AB vom 2. Juli 1997 genehmigten Satzungen der Agrargemeinschaft ein Verstoß gegen den Grundrechtskatalog entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin nämlich nicht anhaftet. Dem in der Beschwerdeschrift entfalteten Engagement wider die Diskriminierung der Frau fehlt es an einem Sachverhalt, der geeignet wäre, dem gezeigten Einsatz Sinn zu verleihen. Dass die Beschwerdeführerin in ihrem Anspruch auf Mitgliedschaft zur Agrargemeinschaft ihres Geschlechtes wegen durch die Satzungen diskriminiert wäre, ist nämlich nicht zu erkennen.

Eine solche Diskriminierung der Person der Beschwerdeführerin sahen die Satzungen schon in ihrer Fassung vor der mit Bescheid der AB vom 2. Juli 1997 genehmigten Änderung nicht vor. Auch ein männlicher Aufnahmewerber wäre mit seinem Anspruch auf Zuerkennung der Mitgliedschaft gescheitert, wenn er seine Abstammung nicht von einem männlichen, sondern von einem weiblichen Mitglied der Agrargemeinschaft abgeleitet hätte. Eine Diskriminierung enthielt die alte Fassung der Satzungen somit nicht hinsichtlich potentieller Aufnahmewerber, sondern hinsichtlich weiblicher Mitglieder der Agrargemeinschaft insofern, als aus deren Mitgliedschaft ihre Nachfahren welchen Geschlechtes immer keinen Anspruch auf Zuerkennung der Mitgliedschaft an sie ableiten konnten. Eine Diskriminierung der Person der Beschwerdeführerin wegen ihres Geschlechtes wäre daraus nicht unmittelbar abzuleiten gewesen. Mit der Beseitigung der die weiblichen Mitglieder der Agrargemeinschaft in der dargestellten Weise tatsächlich diskriminierenden Regelung der alten Satzung durch die mit Bescheid der AB vom 2. Juli 1997 genehmigte Satzungsänderung aber ist, wie dies die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid zutreffend erkannt hat, jegliches geschlechtsspezifisch diskriminierende Element in den Satzungen weggefallen. Nach den Satzungen in der von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid heranzuziehenden Fassung wäre ein männlicher Aufnahmewerber, der seine Mitgliedschaft auf die Abstammung von einem männlichen Agrargemeinschaftsmitglied gestützt hätte, mit seinem Begehren in gleicher Weise gescheitert wie die Beschwerdeführerin, wenn das Mitglied, von welchem er abstammte, zum 1. Juli 1979 zufolge vorherigen Ablebens an der Agrargemeinschaft nicht mehr anteilsberechtigt gewesen war. Aus dem Umstand, dass die Verwaltungssatzungen aus Anlass der Aufnahmebegehren von vier Frauen in der vorgenommenen Weise geändert worden waren, eine Diskriminierung von Frauen abzuleiten, ist schon deswegen verfehlt, weil auch vier Männer mit Aufnahmebegehren bei Vorliegen gleicher Sachverhaltskonstellation auf der Basis der geänderten Satzungen gescheitert wären.

Stichtagsregelungen der Art, dass der Eintritt von Rechtsfolgen daran geknüpft wird, dass zu einem bestimmten Tag ein bestimmter Sachverhalt verwirklicht war, bringen wohl, wie der Beschwerdeführerin zugestanden sei, ein Element des Zufälligen in der Auslösung von Rechtsfolgen mit sich, sind aber unverzichtbarer Bestandteil jedes Normsetzungsverfahrens. Das Inkrafttreten von Bundesgesetzen nach Maßgabe des Art. 49 Abs. 1 B-VG hat Zufallseffekte in den dadurch ausgelösten Rechtsfolgen für die Normunterworfenen ebenso zur Folge wie Absprüche des Verfassungsgerichtshofes nach Art. 140 Abs. 6 B-VG. Ein Verstoß der in der mit Bescheid der AB vom 2. Juli 1997 genehmigten Satzungsänderung enthaltenen Stichtagsregelung gegen das Sachlichkeitsgebot kann zur Verfolgung des auch im mehrfach zitierten Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 12. Dezember 1994 als rechtens denkbar zu verfolgenden Zieles einer Verhinderung des Ansteigens der Anzahl der Mitglieder einer Agrargemeinschaft nicht erkannt werden. Im Beschwerdefall kommt hinzu, dass in der mit Bescheid der AB vom 2. Juli 1997 genehmigten Satzungsänderung ein Stichtag festgelegt worden war, der mit dem 1. Juli 1979 einen Termin gewählt hatte, der einen sachlichen Anknüpfungspunkt in der Bezugnahme auf jenes Datum erkennen lässt, mit dem die bislang in Kraft gestandene Satzung in Kraft getreten war.

Selbst wenn man auf der Basis des genannten Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes vom 12. Dezember 1994 die Möglichkeit einer Bindungsfreiheit der belangten Behörde an Bestimmungen rechtskräftig genehmigter Satzungen als rechtlich möglich ansehen wollte, wäre für die Beschwerdeführerin im vorliegenden Fall daraus nichts zu gewinnen gewesen, weil auch die vom Verfassungsgerichtshof unterstellten Voraussetzungen für eine rechtliche Möglichkeit partieller Bindungsfreiheit von den rechtskräftig genehmigten Satzungen im Beschwerdefall zu verneinen gewesen wären.

Da das Beschwerdevorbringen somit schon aufzeigt, dass die von der Beschwerdeführerin gerügte Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung abzuweisen.

Die Durchführung der von der Beschwerdeführerin beantragten mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof war schon deswegen entbehrlich, weil die angefochtene Entscheidung vom Landesagrarsenat und damit einem Tribunal im Sinne des Art. 6 MRK stammt (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom 15. Jänner 1998, 97/07/0219). Dass es der Tribunalqualität eines Agrarsenates abträglich wäre, wenn ihm kein weibliches Mitglied angehört, wurde in der Judikatur des EGMR, soweit überblickbar, bislang noch nicht ausgesprochen. Was an dem von der Beschwerdeführerin gleichfalls gerügten Umstand, dass dem Agrarsenat "drei Nichtjuristen" angehören, "atavistisch" und offenbar auch diskriminierungseignend sein soll, vermag der Verwaltungsgerichtshof nicht nachzuvollziehen.

Wien, am 25. März 1999

Schlagworte

Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1999:1998070148.X00

Im RIS seit

21.02.2002
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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