TE Vwgh Erkenntnis 2019/3/26 Ra 2018/19/0603

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 26.03.2019
beobachten
merken

Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 2005 §18;
AsylG 2005 §3 Abs1;
AVG §37;
AVG §39 Abs2;
AVG §45 Abs2;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zens sowie den Hofrat Dr. Pürgy und die Hofrätin Dr.in Lachmayer als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Friedwagner, über die Revision des M Y B in L, vertreten durch Dr. Gerhard Mory, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Wolf-Dietrich-Straße 19/5, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 20. September 2018, W253 2134707- 1/15E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte am 17. Mai 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Zu seinem Fluchtgrund brachte der Revisionswerber zusammengefasst vor, durch die Taliban bedroht zu werden.

2 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies diesen Antrag des Revisionswerbers mit Bescheid vom 19. August 2016 sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab, erteilte keine Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass die Abschiebung des Revisionswerbers nach Afghanistan zulässig sei. Die Frist für eine freiwillige Ausreise wurde mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt.

3 Gegen diesen Bescheid erhob der Revisionswerber Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht (BVwG).

Mit E-Mail vom 4. Mai 2018 teilte der Revisionswerber mit, dass er zum Christentum konvertieren wolle und einen Taufkurs der evangelischen Pfarrgemeinde in T besuche. Zudem legte der Revisionswerber eine seelsorgerliche Stellungnahme der evangelischen Pfarrerin vor. Mit Eingabe vom 16. Mai 2018 erfolgten ergänzende Ausführungen zur Konversion des Revisionswerbers und wurde die zeugenschaftliche Einvernahme der den Revisionswerber betreuenden evangelischen Pfarrerin beantragt. Schließlich wurde in einem weiteren Schreiben mitgeteilt, dass die Taufe des Revisionswerbers am 22. September 2018 stattfinden werde.

4 Mit Erkenntnis vom 20. September 2018 wies das BVwG die Beschwerde des Revisionswerbers - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 8. Mai 2018 - als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

In der Begründung führte das BVwG hinsichtlich der behaupteten Konversion im Wesentlichen aus, der Revisionswerber habe nicht glaubhaft machen können, seinen vermeintlichen christlichen Glauben aus innerer Überzeugung zu führen. Vielmehr bestehe der Eindruck, dass die Behauptung vom Islam abgefallen und nunmehr Christ zu sein, lediglich aus "asyltaktischen Gründen" aufgestellt worden sei.

5 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen dieses Erkenntnis erhobene Revision nach Einleitung des Vorverfahrens - eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

6 Die Revision bringt zur Begründung ihrer Zulässigkeit unter anderem vor, das BVwG hätte die beim ersten Verhandlungstermin entschuldigter Weise verhinderte Pfarrerin der evangelischen Kirchen als Zeugin befragen müssen. Das BVwG habe zudem die vorgelegte seelsorgerliche Stellungnahme der Pfarrerin zu Unrecht nicht berücksichtigt.

7 Die Revision ist zulässig und auch begründet. 8 Der Verwaltungsgerichtshof hat in Zusammenhang mit den

sowohl die Behörde als auch das Verwaltungsgericht treffenden Ermittlungspflichten bereits festgehalten, dass auch im Verfahren vor den Verwaltungsgerichten das Amtswegigkeitsprinzip des § 39 Abs. 2 AVG gilt. Für das Asylverfahren stellt § 18 AsylG 2005 eine Konkretisierung der aus § 37 AVG iVm § 39 Abs. 2 AVG hervorgehenden Verpflichtung der Verwaltungsbehörde und des Verwaltungsgerichtes dar, den für die Erledigung der Verwaltungssache maßgebenden Sachverhalt von Amts wegen vollständig zu ermitteln und festzustellen (vgl. VwGH 18.10.2018, Ra 2018/19/0236, mwN).

9 Bei der Beurteilung eines behaupteten Religionswechsels und der Prüfung einer Scheinkonversion kommt es nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs auf die aktuell bestehende Glaubensüberzeugung des Konvertiten an, die im Rahmen einer Gesamtbetrachtung anhand einer näheren Beurteilung von Zeugenaussagen und einer konkreten Befragung des Asylwerbers zu seinen religiösen Aktivitäten zu ermitteln ist (vgl. VwGH 25.2.2019, Ra 2019/19/0017, mwN). So lässt sich daher etwa allein mit der Unglaubwürdigkeit des Vorbringens zur Ausreise nicht schlüssig begründen, dass alle im Zusammenhang mit dem neu erworbenen Glauben stehenden weiteren Aktivitäten eines Asylwerbers nur zum Schein mit dem (ausschließlichen) Ziel der Asylerlangung entfaltet worden seien. Für eine solche Einschätzung bedarf es vielmehr einer näheren Auseinandersetzung mit jenen Umständen, die die Konversion konkret betreffen (vgl. VwGH 23.1.2019, Ra 2018/19/0260-0261, mwN). Ob die Taufe durchgeführt oder bloß beabsichtigt ist, ist für die Frage der inneren Konversion bedeutungslos (vgl. VwGH 23.1.2019, Ra 2018/19/0453).

10 Auch der Verfassungsgerichtshof fordert, dass, sobald auf Grund äußerer Tatsachen ein Wechsel der Religion aus innerer Überzeugung nicht unwahrscheinlich ist, sich das Gericht auf Grund einer ausführlichen Beurteilung der Persönlichkeit und aller Umstände der persönlichen Glaubwürdigkeit sowie darauf aufbauend einer ins einzelne gehenden Beweiswürdigung und allenfalls der Einvernahme von Personen, die Auskunft über den Glaubenswechsel und die diesem zugrunde liegenden Überzeugungen geben können, einen detaillierten Eindruck darüber verschaffen muss, inwieweit der Religionswechsel auf einer persönlichen Glaubensentscheidung beruht; dies selbst dann, wenn sich der Asylwerber zunächst auf unwahre Angaben betreffend seinen Fluchtgrund gestützt hat (vgl. VfGH 27.2.2018, E 2958/2017, mwN).

11 Im vorliegenden Fall setzte sich das BVwG weder mit der vorgelegten seelsorgerlichen Stellungnahme der den Revisionswerber betreuenden evangelischen Pfarrerin, wonach der Konversionswunsch des Revisionswerbers unzweifelhaft echt sei, inhaltlich auseinander, noch behandelte es den Beweisantrag auf zeugenschaftliche Einvernahme der Pfarrerin. Darüber hinaus würdigte das BVwG die Aussage der in der mündlichen Verhandlung als Zeugin befragten Mitarbeiterin der Diakonie der evangelischen Pfarre nicht. Die Zeugin gab unter anderem an, dass die evangelische Pfarrerin die Aufnahme von Taufwerbern sehr genau prüfe und strikt dagegen sei, "unter den Moslems zu missionieren und dabei einen persönlichen Vorteil zu versprechen".

12 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes darf sich das Verwaltungsgericht über erhebliche Behauptungen und Beweisanträge nicht ohne Ermittlungen und ohne Begründung hinwegsetzen (VwGH 25.5.2016, Ra 2016/11/0038). Auf Grund des persönlichen Kontakts einer Pfarrerin mit ihren Gemeindemitgliedern und ihrer entsprechenden Ausbildung und Erfahrung kann der vorgelegten Stellungnahme und der beantragten Einvernahme der Zeugin die prinzipielle Eignung zur Feststellung des maßgebenden Sachverhalt beizutragen, nicht grundsätzlich abgesprochen werden (vgl. dazu bereits VwGH 22.2.2018, Ra 2017/18/0426).

13 Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das BVwG bei einer Auseinandersetzung mit sämtlichen Beweisergebnissen zu dem Schluss gelangt wäre, dass gegenständlich eine echte, innere Konversion vorliegt. Ausgehend davon kann nicht ausgeschlossen werden, dass dem Revisionswerber unter der Annahme einer echten, inneren Konversion eine asylrelevante Verfolgung in seinem Herkunftsstaat droht. Bei Einhaltung der Verfahrensvorschriften hätte das BVwG daher zu einem anderen, für den Revisionswerber günstigeren Ergebnis kommen können.

14 Das angefochtene Erkenntnis war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

15 Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 26. März 2019

Schlagworte

Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2019:RA2018190603.L00

Im RIS seit

16.04.2019

Zuletzt aktualisiert am

26.04.2019
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten