TE Vfgh Erkenntnis 1997/3/12 B1377/95, B1378/95, B1379/95, B1380/95

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Veröffentlicht am 12.03.1997
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Index

L8 Boden- und Verkehrsrecht
L8200 Bauordnung

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art139 Abs1 / Individualantrag
EMRK Art6 Abs1 / civil rights
Flächenwidmungsplan der Gemeinde Kuchl vom 06.09.84 "Brennhoflehen"
Sbg BaupolizeiG §7 Abs1 Z1 lita
ABGB §1311
ABGB §364a

Leitsatz

Kein Widerspruch der Regelung der Parteistellung der Nachbarn im Sbg BaupolizeiG zu Art6 EMRK und zum Gleichheitssatz; Begrenzung auch der zivilrechtlichen Schadenersatzansprüche durch Eingrenzung der subjektiv-öffentlichen Rechte; Zurückweisung eines Individualantrags auf Aufhebung von Teilen eines Flächenwidmungsplans infolge zwischenzeitig erfolgter Abänderung

Spruch

Die Beschwerdeführer sind durch den angefochtenen Bescheid nicht wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1. Die Beschwerdeführer sind jeweils Eigentümer von Grundstücken im Nahebereich des sogenannten "Brennhoflehens" in Kuchl, zu dem ua. die Grundstücke Nr. 86/6, 86/10, 86/12 und 86/13, KG Kellau, gehören. Auf allen diesen Grundstücken waren Bauführungen geplant; folgende baubehördliche Bewilligungsverfahren waren anhängig:

auf GP 86/6 Bauwerber G F Handelsgesellschaft mbH - Errichtung eines Büro-Lagergebäudes

auf GP 86/10 Bauwerber J und M S - Errichtung eines Büro-Lagergebäudes

auf GP 86/12 Bauwerber R R - Errichtung eines Tischlerei-Werkstättengebäudes

auf GP 86/13 Bauwerber G S - Errichtung eines Installations- und Werkstättengebäudes.

2. Mit Eingabe vom 14. Juni 1993 begehrten die nunmehrigen Beschwerdeführer als benachbarte Grundeigentümer in den genannten baubehördlichen Bewilligungsverfahren die Zuerkennung der Parteistellung und erhoben Einwendungen gegen die geplanten Bauvorhaben.

3. Mit - im wesentlichen gleichlautenden - Bescheiden vom 20. Februar 1995 wies die Bezirkshauptmannschaft Hallein die Anträge der Beschwerdeführer vom 14. Juni 1993 auf Zuerkennung der Parteistellung in den oben angeführten baubehördlichen Bewilligungsverfahren gemäß §8 AVG und §7 Abs1 Z1 lita Salzburger Baupolizeigesetz (Sbg. BaupolG), LGBl. 117/1973 idgF, ab. Da die Grundstücke der Beschwerdeführer zu den Fronten der Bauvorhaben Abstände von 15 m und mehr aufwiesen, träfen die im §7 Abs1 Z1 lita Sbg. BaupolG normierten Voraussetzungen für die Erlangung einer Parteistellung im Baubewilligungsverfahren nicht zu. Gegen diese Bescheide erhoben die nunmehrigen Beschwerdeführer Berufung. Mit - ebenfalls im wesentlichen gleichlautenden - Bescheiden vom 21. März 1995 gab die Salzburger Landesregierung den Berufungen keine Folge.

4.1. Gegen diese Bescheide der Salzburger Landesregierung vom 21. März 1995 richtet sich die auf Art144 Abs1 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in Rechten infolge Anwendung der als verfassungswidrig erachteten Bestimmung des §7 Abs1 Z1 lita Sbg. BaupolG, LGBl. 117/1973, behauptet wird.

4.2. Die Salzburger Landesregierung erstattete eine Äußerung, in der sie die angefochtenen Bescheide verteidigt.

5. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

5.1. Gemäß §7 Abs1 Sbg. BaupolG, LGBl. 117/1973 idF 100/1992 und 13/1995, sind Parteien im Bewilligungsverfahren der Bewilligungswerber, der Grundeigentümer "und

1. als Nachbarn

a) bei den im §2 Abs1 lita angeführten baulichen Maßnahmen (Errichtung von oberirdischen und unterirdischen Bauten einschließlich der Zu- und Aufbauten) die Eigentümer jener Grundstücke, die von den Fronten des Baues nicht weiter entfernt sind, als die nach §25 Abs3 des Bebauungsgrundlagengesetzes maßgebenden Höhen der Fronten betragen. Bei oberirdischen Bauten mit einem umbauten Raum von über 300 cbm haben jedenfalls auch alle Eigentümer von Grundstücken, die von den Fronten des Baues weniger als 15 m entfernt sind, Parteistellung. Bei unterirdischen Bauten oder solchen Teilen von Bauten haben die Eigentümer jener Grundstücke Parteistellung, die von den Außenwänden weniger als 2 m entfernt sind;"

5.2. Einen Widerspruch zu Art6 EMRK sieht die Beschwerde in folgendem: Der Oberste Gerichtshof habe in seinem Urteil vom 29. März 1994, 1 Ob 20/93 ("Airport-Center"), die von einem Nachbarn mit der Behauptung der Verletzung von raumordnungsrechtlichen Vorschriften eingebrachte Amtshaftungsklage mit der Begründung abgewiesen, daß raumordnungsrechtliche Bestimmungen nicht den Regelungszweck hätten, solche Liegenschaften in ihren natürlichen Lebensgrundlagen und raumordnungsrechtlich relevanten Nutzungsbedingungen zu schützen, welche sich außerhalb des für die Parteistellung maßgeblichen Abstandes gemäß §7 Abs1 Z1 lita Sbg. BaupolG befinden. Die Beschwerdeführer meinen nun:

Wenn die rechtliche Möglichkeit ausscheide, die aus einer Mißachtung raumordnungsrechtlicher Gesetzesbestimmungen resultierenden Vermögensschäden zivilrechtlich einzuklagen, weil auch eine derartige zivilrechtliche Geltendmachung zur Voraussetzung hätte, daß dem betroffenen Liegenschaftseigentümer im Bauverfahren die Parteistellung als Nachbar zukommt, so folge daraus zwingend, daß der Kreis der im Bauverfahren Parteistellung besitzenden Liegenschaftseigentümer auf alle jene Personen auszuweiten sei, deren Liegenschaften von den nachteiligen Auswirkungen einer raumordnungswidrigen Bebauung und Nutzung von Grundflächen tatsächlich betroffen sind.

5.2.1. Gemäß Art6 Abs1 EMRK hat jedermann Anspruch ua. darauf, daß seine Sache in billiger Weise öffentlich und innerhalb einer angemessenen Frist gehört wird, und zwar von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht, das über zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen zu entscheiden hat.

5.2.2. Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß die Entscheidung über den Antrag auf Erteilung einer Baubewilligung keine Entscheidung über ein "civil right" iSd. Art6 EMRK ist (vgl. VfSlg. 11500/1987).

5.2.3. Dazu kommt, daß nicht alles, was Einfluß auf jemandes Rechtsstellung hat, "seine Sache" iSd. Art6 Abs1 EMRK ist; nicht jede Wirkung einer Entscheidung auf ein Rechtsverhältnis zu einer anderen Person macht die Angelegenheit auch schon mit zu deren Sache (VfSlg. 11934/1988). Aus Art6 Abs1 EMRK allein kann daher eine Verpflichtung des Gesetzgebers zur Einräumung der Parteistellung in einem Verwaltungsverfahren nicht abgeleitet werden.

5.2.4. Schließlich ist festzuhalten, daß die Beschwerde ausdrücklich mit Schadenersatzansprüchen gemäß §1311 ABGB argumentiert, sodaß der Verfassungsgerichtshof auf weitere Fragen - wie insbesondere auf die Frage von Folgen des §364a ABGB - nicht einzugehen hat, zumal die baubehördliche Genehmigung keine Genehmigung iSd. §364a ABGB ist (vgl. zB SZ 48/45 und SZ 48/15).

Mit ihrer Argumentation übersehen die Beschwerdeführer, daß die Zufügung eines Vermögensschadens den Verursacher ua. dann ersatzpflichtig macht, wenn eine vorwerfbare Verletzung eines Schutzgesetzes iSd. §1311 ABGB vorliegt, wobei das Schutzgesetz gerade auch den Zweck haben muß, den Geschädigten vor eingetretenen Vermögensnachteilen zu schützen (vgl. OGH 22.11.1995, 1 Ob 13/95). Das heißt, der zivilrechtliche Schadenersatzanspruch kann nur in den Fällen entstehen, in denen eine öffentlich-rechtliche Vorschrift die Verhinderung eines Schadens bei einem Dritten bezweckt. Ist daher vom Schutzzweck der das Baubewilligungsverfahren regelnden Rechtsvorschrift nur ein beschränkter Personenkreis erfaßt - zB nur jene Liegenschaftseigentümer, denen subjektive öffentliche Rechte eingeräumt wurden -, so sind eben auch die zivilrechtlichen Schadenersatzansprüche begrenzt.

Da die im §7 Abs1 Z1 lita Sbg. BaupolG vorgenommene Abgrenzung der Parteistellung im Bauverfahren - wie unter Punkt

5.3. näher ausgeführt - sachgerecht ist, liegt daher der behauptete Widerspruch dieser Bestimmung zu Art6 EMRK nicht vor.

5.3. Die Beschwerde behauptet weiters, die starr abstandsbezogene Regelung der Parteistellung im §7 Abs1 Z1 lita Sbg. BaupolG sei im Hinblick auf die Bestimmungen des Salzburger Raumordnungsgesetzes zum Schutz der Nachbarn vor störenden Immissionen nicht sachgerecht.

Mit der Frage der Übereinstimmung des §7 Abs1 Z1 lita Sbg. BaupolG mit dem Gleichheitssatz hat sich der Verfassungsgerichtshof bereits im Erkenntnis VfSlg. 10844/1986 beschäftigt. Er hat in diesem Erkenntnis ausgesprochen:

"Der Verfassungsgerichtshof vermag keine Verfassungsbestimmung zu finden, nach der es dem Gesetzgeber verwehrt wäre, die Parteistellung für Nachbarn im Baubewilligungsverfahren, in dem es (bloß) auf die Wahrung baurechtlicher Interessen - nicht aber sonstiger, in anderen, insbesondere im gewerberechtlichen Verfahren zu wahrender Belange - ankommt, auf Personen zu beschränken, bei denen nach einer Durchschnittsbetrachtung der typischerweise vom Bauwerk selbst ausgehenden Gefahren durch eine Bauführung Nachbarinteressen betroffen werden. Wenn der Gesetzgeber unter diesem Gesichtspunkt die Parteistellung als Nachbar den Personen einräumt, deren Grundstücke von den Fronten des Baues nicht weiter entfernt sind, als im §7 Abs1 Z1 lita (Sbg. BaupolG) festgelegt ist, kann ihm ebensowenig vorgeworfen werden, eine unsachliche Abgrenzung unter den als Nachbarn in Betracht kommenden Personen vorgenommen zu haben, wie es ihm unter dem Gesichtspunkt des Gleichheitssatzes verwehrt wäre, im Hinblick auf die Besonderheiten der Gefährdungen bei Bauten mit erhöhten Anforderungen den Kreis der Personen, denen als Nachbarn Parteistellung zukommt, auszudehnen. Der Umstand, daß von den Beschwerdeführern eine Regelung als rechtspolitisch wünschenswert erachtet wird, wonach bei Bauten mit erhöhten Anforderungen auch Eigentümern, deren Grundstücke von der Front des Baues weiter als 15 m entfernt sind, Parteistellung einzuräumen wäre (vgl. die Ausführungen bei Hauer, Der Nachbar im Baurecht, Eisenstadt 1980, 138, 241), begründet keine Bedenken dahin, daß die geltende Bestimmung des §7 Abs1 Z1 lita BaupolG als eine gegen das Gleichheitsgebot verstoßende Regelung zu qualifizieren wäre."

Der behauptete Widerspruch des §7 Abs1 Z1 lita Sbg. BaupolG zu Art7 Abs1 B-VG liegt daher nicht vor.

Da die Beschwerdeführer nur die Verletzung von Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm behauptet haben, war nicht darauf einzugehen, ob die Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte vorliegt (zB VfSlg. 9607/1983, 10981/1986).

5.4. Die Beschwerde war daher in nichtöffentlicher Sitzung (§19 Abs4 Satz 1 und Z2 VerfGG 1953) als unbegründet abzuweisen.

Schlagworte

Baurecht, Parteistellung Baurecht, Nachbarrechte, Schadenersatz, VfGH / Individualantrag, civil rights, Flächenwidmungsplan

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1997:B1377.1995

Dokumentnummer

JFT_10029688_95B01377_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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