TE Bvwg Erkenntnis 2018/12/19 W241 2192301-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 19.12.2018
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Entscheidungsdatum

19.12.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs3
AsylG 2005 §3 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs4b
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §75 Abs24
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs3
BFA-VG §20
BFA-VG §21 Abs7
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
EMRK Art.2
EMRK Art.3
EMRK Art.8
FPG §46
FPG §50 Abs1
FPG §50 Abs2
FPG §50 Abs3
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs2
StGB §105 Abs1
StGB §83 Abs1
VwGVG §24
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W241 2192301-1/5E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Hafner als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX alias XXXX , geboren am XXXX alias XXXX , Staatsangehörigkeit Pakistan, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 15.03.2018, Zahl 16-1119092005/160842435, zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird gemäß §§ 3, 8, 10 und 57 Asylgesetz 2005 sowie §§ 52 und 55 Fremdenpolizeigesetz 2005 als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

1. Verfahrensgang:

1.1. Der Beschwerdeführer (in der Folge BF), ein pakistanischer Staatsangehöriger, reiste nach seinen Angaben irregulär in Österreich ein und stellte am 15.06.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005 (in der Folge AsylG).

1.2. In seiner Erstbefragung am 16.06.2016 durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der BF im Beisein eines Dolmetsch für die Sprache Punjabi im Wesentlichen Folgendes an:

Er stamme aus XXXX in Pakistan, sei Sunnit und verheiratet. Seine Eltern, ein Bruder, drei Schwestern, seine Ehefrau und seine Tochter lebten in Pakistan. Ein Bruder sei mit ihm geflüchtet und halte sich in Italien auf. Er habe Pakistan vor etwa zehn Monaten verlassen und sei über den Iran und die Türkei nach Griechenland gereist. Dort hätten ihn Bekannte von seinen Feinden aus Pakistan ausfindig gemacht und ihn umbringen wollen. Deshalb sei er nach Ungarn weitergereist, wo er einen Asylantrag gestellt habe. Da die Lage dort sehr schlecht gewesen sei, sei er nach Österreich gefahren.

Als Fluchtgrund gab der BF an, dass ein entfernter Verwandter namens XXXX seine Frau habe heiraten wollen. Ihre Familie habe aber seinen Antrag abgelehnt und sie mit dem BF verheiratet. Der Verwandte wolle ihn daher umbringen. Er sei acht bis zehn Mal von ihm angegriffen worden. Er habe den BF auch mehrmals, unter anderem wegen Körperverletzung, angezeigt. Aus diesem Grund sei er gemeinsam mit seinem Bruder ausgereist.

1.3. Eine EURODAC-Abfrage ergab, dass der BF am 23.11.2015 in Griechenland erkennungsdienstlich behandelt wurde und am 03.03.2016 und am 22.03.2016 in Ungarn Asylanträge stellte. Ein Wiederaufnahmeersuchen wurde von Ungarn abgelehnt.

1.4. Am 26.01.2018 wurde der BF wegen Körperverletzung (§ 83 Abs. 1 StGB) und versuchter Nötigung (§§ 15, 105 Abs. 1 StGB) zu einer bedingten Freiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt.

1.5. Bei seiner Einvernahme am 07.03.2018 vor dem BFA, im Beisein eines Dolmetsch für die Sprache Urdu, gab der BF betreffend sein Fluchtvorbringen Folgendes an (Auszug aus dem Einvernahmeprotokoll, Schreibfehler teilweise korrigiert):

"F: Wollen Sie Beweismittel oder Dokumente vorlegen, welche für das Verfahren von Relevanz sind?

VP: Auf meinem Handy habe ich die Kopie meiner Anzeigebestätigung.

Anmerkung: AW wird darauf hingewiesen, dass er die Anzeige in Papierform beim Bundesamt abgeben soll.

AW gibt an das verstanden zu haben und wird die Anzeige morgen übermitteln.

(...)

F: Haben sie noch Kontakt zu Ihren Angehörigen in Ihrem Herkunftsland?

VP: Jetzt habe ich keinen Kontakt mehr.

F: Seit wann nicht mehr?

VP: Seit ich hier bin wird der Kontakt weniger.

(...)

F: Sind Sie vorbestraft in Pakistan?

VP: Nein.

F: Waren Sie jemals im Gefängnis oder in Polizeihaft in Pakistan?

VP: Nein.

F: Sind Sie in Österreich vorbestraft?

VP: Nein. Es gab zwar einen Streit, aber es kam zu keiner Anzeige.

F: Waren Sie in Österreich schon mal in Haft?

VP: Nein.

Vorhalt: Sie wurden am 26.01.2018 zu drei Monaten bedingt verurteilt. Warum verschweigen Sie mir das?

VP: Ich bin unschuldig, daher habe ich nur drei Monate bekommen. Ich habe zwar nichts gemacht, aber der Richter hat gesagt, wenn ich innerhalb von drei Jahren und drei Monaten nochmal etwas mache, bekomme ich eine Strafe.

F: Gehörten Sie jemals selbst einer politischen Partei an?

VP: Ja.

F: Wann war das?

VP: Ich und mein Vater sind Mitglieder einer Partei. 2013, als die Wahlen stattgefunden haben, habe ich mich aufstellen lassen. Ich habe aber nicht gewonnen. Ich wollte mich aufstellen lassen, aber ich war zu jung.

F: Sind Sie jetzt noch Mitglied einer Partei?

VP: Ich bin kein Mitglied, aber bei den nächsten Wahlen wird sich mein Vater aufstellen lassen. Mein Vater war Mitglied der Peoples Party von Pakistan, als sie im Jahr 2004 an der Macht waren. Er hat vom Staat Grundnahrungsprodukte erhalten wie Zucker und Mehl. Er hat dies an die Armen verteilt. Als die andere Partei an die Macht kam, wurde mein Vater inhaftiert.

F: Sie selbst waren politisch nicht aktiv?

VP: Doch, ich war politisch aktiv. Ich war ein beliebtes Mitglied der Partei, aber da ich zu jung war, konnte ich mich nicht aufstellen lassen.

F: Hatten Sie jemals persönlich Probleme mit heimatlichen Behörden bzw. werden Sie von heimatlichen Behörden - etwa Polizei, Militär oder sonstigen Behörden - offiziell in Ihrer Heimat gesucht, besteht ein Haftbefehl gegen Sie?

VP: Ja, ich habe Probleme mit den Behörden.

F: Haben Sie in Ihrem Heimatland jemals aus eigenem Antrieb, d. h. von sich aus eine Sicherheitsdienststelle, Polizeidienststelle oder Staatsanwaltschaft oder Gericht aufgesucht? Haben Sie jemals eine solche Einrichtung aufgesucht, weil Sie von diesen Behörden etwas benötigt haben?

VP: Dort wo ich gearbeitet habe, gab es eine Polizeistation. Wenn ich große Aufträge bekommen habe, musste ich zur Polizei gehen, um die Zustimmung der Polizei zu bekommen.

F: Gehörten Sie jemals einer bewaffneten Gruppierung an?

VP: Nein.

F: Warum stellen Sie einen Asylantrag? Nennen Sie Ihre Fluchtgründe!

VP: Ich stelle einen Antrag, weil mein Leben hier nicht in Gefahr ist. Die Polizisten und Behörden halten sich an die Gesetzte. Ich habe auch einen Bruder in Italien und einen anderen in Serbien. Meine Brüder mussten auch flüchten, weil sie ebenso Probleme hatten.

Wenn ich nach Pakistan zurückkehre, erwartet mich der Tod. Sie warten auf mich, damit sie mich ermorden können. Sie haben sogar nach Griechenland Leute geschickt, um mich zu töten.

F: Was genau ist in Griechenland vorgefallen?

VP: In Griechenland haben einige junge Männer mit mir gestritten. Sie hatten ein Foto von mir, also wussten Sie, wo ich bin. Als es zu dem Streit kam, bin ich geflüchtet nach Österreich.

F: Wer waren diese Leute?

A: Das kann ich nicht sagen, es waren Pakistani.

F: Was wollten die Leute?

A: Sie hatten mein Foto bei sich. Ich sollte mit ihnen mitgehen, sie sagten, dass es um eine Arbeit geht.

F: Wer hat die Leute geschickt?

A: Ich weiß nicht, wer die Leute geschickt hat.

F: Welche Probleme haben Sie in Pakistan?

VP: Meine Verwandten sind hinter mir her. Sie haben mich in meinem täglichen Leben und auch in meinem Geschäft belästigt. Es gab auch 3-4 Angriffe gegen mich und meinen Bruder, sie kamen zu uns nach Hause und schlugen mich.

F: Wen meinen Sie mit "sie"?

VP: Es sind weitschichtige Verwandte.

F: Wie viele Vorfälle gab es jetzt genau?

VP: Es waren vier Vorfälle, seitdem sind Sie hinter mir her und ich versuche mich zu verstecken.

F: Schildern Sie den ersten Vorfall!

VP: Der Vorfall war am Tag meiner Hochzeit, es war im Jahr 2015. Nachgefragt, genauer weiß ich es nicht. Es gab einen Streit, dieser wurde aber geschlichtet, weil sehr viele Leute anwesend waren.

F: Worum ging es bei dem Streit auf Ihrer Hochzeit?

VP: Die weitschichtigen Verwandten wollten meine Ehefrau heiraten. Da ich sie geheiratet habe und meine weitschichtigen Verwandten nicht zu Hochzeit eingeladen habe, kamen sie einfach zur Hochzeit und haben sich unverschämt verhalten. Sie haben mich mit dem Tod bedroht. Seitdem versuchen sie, uns im täglichen Leben alles zu erschweren. Sie machten auch falsche Anzeigen gegen mich. Ich ging zur Polizei, um mich zu beschweren. Die Polizei war aber auf der Seite meiner weitschichtigen Verwandten. Sie sind nämlich mit dem Polizeichef auch verwandt.

F: Wie viele Angreifer waren es beim ersten Vorfall?

VP: Dieser Vorfall war nicht so brutal, sie haben mich lediglich gestoßen. Insgesamt waren es neun Personen.

AW ergänzt noch zum ersten Vorfall: Ein Angreifer kam auch mit einer Pistole und hat herumgeschossen.

F: Wurde jemand verletzt?

VP: Mein Vater und ein Bruder von mir wurden verletzt, aber nicht durch Pistolen. Sie wurden geschlagen.

F: Waren Ihr Vater und Ihr Bruder im Krankenhaus?

VP: Ja, sie waren im Spital und wurden auch ärztlich behandelt. Mein Vater wollte eine Anzeige bei der Polizei stellen, aber ein Bekannter sagte, dass wir dies nicht tun sollen, da die Familie sehr gefährlich ist. Wenn nur einer der Familie inhaftiert werden würde, dann würde uns der andere umbringen.

Vorhalt: Vorher geben Sie an, dass der erste Vorfall nicht so brutal war und dass Sie lediglich gestoßen worden wären. Jetzt geben Sie an, dass geschossen wurde und Ihr Vater und Ihr Bruder so schwer verletzt wurden, dass sie ins Krankenhaus mussten. Was möchten Sie dazu angeben?

VP: Es waren nur leichte Verletzungen.

F: Schildern Sie den zweiten Vorfall!

VP: Der zweite Vorfall war im Jahr 2015.

F: Welches Monat?

VP: Weiß ich nicht

F: Welche Jahreszeit?

VP: Weiß ich nicht.

F: Können Sie diesen Vorfall noch genauer schildern?

VP: Sie haben die Beine meines Bruders gebrochen und mir mit einer Eisenstange auf meine Beine geschlagen. Sie haben mit einem Messer versucht, mir die Hände abzuschneiden. Ich hatte große Angst vor ihnen. Menschen zu töten war für diese Personen wie Wasser zu trinken.

F: Wo war der zweite Vorfall?

VP: Bei mir zu Hause.

F: Wie viele Angreifer kamen?

VP: Es waren circa 14-15 Personen.

F: Wie ist der zweite Vorfall ausgegangen?

VP: Sie kamen am Abend zu uns. Wir drei Brüder waren alle zu Hause. Als sie reinkamen, haben sie sofort meine Schwestern attackiert. Als sie schrien, kamen wir heraus. Als wir rauskamen, schlugen sie 20 Minuten lang auf uns ein. Sie haben gesagt, Sie werden alle 5-10 Tage zu uns kommen und mich weiterhin schlagen, bis ich meine Frau verlasse.

F: Wie hat der Vorfall geendet?

A: Ich wurde am Arm verletzt und auf den Beinen mit einer Eisenstange geschlagen. Die Beine meines Bruders wurden gebrochen. Ich habe auch auf der Nase geblutet. Ab diesem Zeitpunkt war es sehr schwer für mich zu gehen. Sie sind dann einfach stolz hinausgegangen. 10 Leute kamen ins Haus, vier standen als Wache draußen, damit niemand heimkommt. Meine Schwestern mussten ins Spital. Die Zeugen und wir Geschwister gingen zur Polizei, aber da der Polizeichef verwandt mit dieser Familie war, wurde aber keine Anzeige erstattet.

F: Wann gingen Sie zur Polizei?

VP: Ich kann mich an kein Datum erinnern, ich möchte mich nicht an meine Vergangenheit erinnern. Ich bekomme Angstzustände, wenn ich mich daran erinnere.

Nachgefragt, wir gingen gleich nach dem Vorfall zur Polizei.

Die Familie hat politischen Einfluss und sehr guten Kontakt zum Polizeichef.

F: Schildern Sie den dritten Vorfall!

A: Als ich geschäftlich mit dem Motorrad unterwegs war, wurde ich plötzlich von meinen Gegnern angehalten. Sie wollten mir etwas Schlimmes antun, sie konnten jedoch nichts tun, weil zufällig die Polizei vorbeigefahren ist. Deshalb sind die Angreifer einfach weitergefahren.

F: Wo war das?

VP. Es war auf der Hauptstraße, aber noch in der Stadt.

F: Wann war das?

F: Es war circa 10-15 Tage nach dem zweiten Vorfall.

Als sie mich beim dritten Vorfall geschlagen haben, habe ich am Kopf und an den Armen geblutet. Es waren drei Personen die mich schlugen.

Vorhalt: Vorher geben Sie an, dass die Angreifer nichts tun konnten, weil die Polizei gekommen ist und die Angreifer wieder wegfuhren. Jetzt geben Sie an, dass Sie geschlagen worden wären. Was möchten Sie dazu angeben?

VP: Ich meinte damit, dass Sie mich auch umbringen könnten. Später musste ich ins Spital. Als ich dann später heimkam, sagten meine Eltern, dass ich das Land verlassen soll.

Die Familie machte auch falsche Anzeigen gegen mich. Ich führe mein Geschäft schon seit Jahren, aber seitdem ich das Geschäft führe, machen sie andauernd falsche Anzeigen gegen mich.

Vorhalt: Aus Ihren Schilderungen geht hervor, dass diese Personen, die Sie angegriffen haben, sehr wohl Angst und Respekt von der Polizei haben, da sie ja geflohen sind, als die Polizei kam. Was möchten Sie dazu angeben?

VP: Nein, die Polizei kann mir nicht helfen. Wie gesagt, die Familie hat einen sehr guten Kontakt zu dem Polizeichef. Wenn die Polizei mir geholfen hätte, käme es nicht zu diesen Problemen.

F: Schildern Sie den vierten Vorfall.

A: Sie kamen zu mir nach Hause, aber ich war nicht zu Hause. Es war derselbe Tag, an dem auch der dritte Vorfall war. Sie kamen in der Nacht und stürmten in unser Haus rein. Wir alle gingen an diesen Tag nach Lahore. Sie haben unsere Türe zerstört. Dies haben die Einwohner gesehen. Sie haben auch Gegenstände zerstört. Am nächsten Tag hat ein Freund meines Vaters eine Tür installiert.

F: Woher wissen Sie, dass es die Personen waren, welche Sie bedrohen?

A: Wir haben sonst mit niemand anderen ein Problem.

F: Waren Sie bei den Behörden bezüglich des vierten Vorfalls?

VP: Da der Bekannte meinen Vater gewarnt hat, zur Polizei zu gehen, gingen wir aus Angst nicht mehr zu Polizei.

F: Können Sie Namen der Angreifer nennen?

VP: Zwei Namen kann ich nennen. Einer heißt XXXX und ein anderer XXXX , die beiden sind Brüder. Der Sohn von XXXX heißt XXXX und ein anderer XXXX . An die anderen kann ich mich nicht erinnern.

F: Haben Sie sonst Probleme, außer den geschilderten, in Ihrem Heimatland?

VP: Nein, aber wenn ich dort zurückkehre werden sie mich umbringen. Sie suchen noch immer nach mir an verschiedenen Orten.

F: Woher wissen Sie, dass Sie noch nimmer nach Ihnen suchen?

VP: Weil Sie auch meinen Vater nach mir fragen. Sie versuchen noch heute, das Leben meines Vaters zu erschweren.

F: Wer hat Ihnen das gesagt?

VP: Mein Vater hat es mir gesagt. Die Angreifer warten auf meine Rückkehr.

F: Wann hat Ihnen Ihr Vater das erzählt?

VP: Immer wenn wir sprechen.

Vorhalt: Vorher gaben Sie an, dass Sie keinen Kontakt mehr zu Ihren Verwandten haben, Jetzt geben Sie an, dass Sie Kontakt mit Ihrem Vater haben. Was möchten Sie dazu angeben?

VP: Mit meinen Eltern habe ich noch Kontakt, ich meinte nur meine Frau.

Vorhalt: Pakistan ist sehr groß und hat viele Einwohner. Warum haben Sie sich nicht wo anders niedergelassen?

VP: In Pakistan ist es nicht einfach, irgendwo anders ein neues Leben zu beginnen. Hier bekommt man eine Versicherung und der Staat hilft, in Pakistan ist es nicht so. Hier finde ich einen Ort zum Schlafen. Ich kann zur Caritas gehen und sie helfen mir. In Pakistan wird nicht geholfen.

Vorhalt: Das heißt, Sie haben sich in Pakistan nicht wo anders niedergelassen, weil Sie dort nicht so viel Hilfe vom Staat bekommen?

VP: Nein, ich meine, dort werde ich nicht geschützt. Ich habe auch nicht so viel Geld, dass ich mir eine neue Wohnung nehme. Pakistan ist auch nicht so groß. Wenn die Polizei dabei ist, werden sie mich finden. Sie haben auch angefangen, falsche Anzeigen gegen mich zu machen,

F: Wo sind diese Anzeigen?

VP: Die Anzeige, die gegen mich gestellt wurde, gebe ich morgen ab.

F: Was steht in der Anzeige?

VP: Sie haben mich beschuldigt, dass ich Steuern hinterziehe von dem Geschäft, was ich habe, und dass ich Benzin gestohlen habe.

F: Wann haben Sie Ihre Cousine geheiratet?

VP: Das Datum kann ich Ihnen nicht sagen, ich möchte mich nicht daran erinnern.

F: Wissen Sie es nicht oder wollen Sie es nicht sagen?

VP: Ich weiß es, aber ich kann es Ihnen jetzt nicht sagen. Ich kann mich nur an das Jahr 2015 erinnern. Ich denke es war im Juni, Juli oder August.

F: Wo haben Sie geheiratet?

VP: Wir wollten in einem Hotel heiraten, da es aber zu diesem Streit kam, haben wir nur islamisch geheiratet.

F: Haben Sie Beweise für die Hochzeit?

VP: Ich müsste meine Eltern fragen, vielleicht gibt es noch Fotos. Nachgefragt, Heiratsurkunde gibt es keine. Wir haben nur islamisch geheiratet."

1.6. Nach Durchführung des Ermittlungsverfahrens wies das BFA mit Bescheid vom 15.03.2018 den Antrag des BF auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihm gemäß § 8 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG den Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Pakistan nicht zu (Spruchpunkt II.) und verband diese Entscheidung gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG in Verbindung mit § 9 BFA-VG mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde ihm nicht erteilt. Es wurde festgestellt, dass die Abschiebung des BF nach Pakistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise des BF 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.).

In der Bescheidbegründung traf die belangte Behörde Feststellungen zur Person des BF und zur Lage in seinem Herkunftsstaat. Eine asylrelevante Verfolgung liege nicht vor, das Vorbringen des BF sei unglaubhaft. Er habe keine Verfolgung im Sinne des AsylG glaubhaft gemacht und es bestünden keine stichhaltigen Gründe gegen eine Abschiebung des BF nach Pakistan. Im Falle der Rückkehr drohe ihm keine Gefahr, die eine Erteilung des subsidiären Schutzes rechtfertigen würde.

Der BF erfülle nicht die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG, der Erlassung einer Rückkehrentscheidung stehe sein Recht auf Achtung des Privat- oder Familienlebens angesichts der kurzen Aufenthaltsdauer und des Fehlens von familiären oder privaten Bindungen im Inland nicht entgegen. Angesichts der abweisenden Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz ergebe sich die Zulässigkeit einer Abschiebung des BF nach Pakistan. Die Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen ergebe sich aus § 55 FPG, da besondere Umstände, die der BF bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen habe, nicht gegeben seien.

Beweiswürdigend führte das BFA (zusammengefasst) aus, dass der BF bezüglich seiner behaupteten Herkunftsregion, Volks- und Staatsangehörigkeit aufgrund seiner Sprach- und Lokalkenntnisse - im Gegensatz zu seinem Fluchtvorbringen - glaubwürdig wäre. Die Feststellungen zur Situation in Pakistan wären glaubhaft, weil sie verlässlichen, seriösen, aktuellen und unbedenklichen Quellen entstammten, deren Inhalt schlüssig und widerspruchsfrei sei.

Seine Fluchtgeschichte habe der BF aufgrund der vagen Schilderung und angesichts mehrerer unplausibler Aussagen nicht glaubhaft machen können.

In der rechtlichen Beurteilung wurde ausgeführt, dass die Begründung des Antrages keine Deckung in der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) finde.

Subsidiärer Schutz wurde ihm nicht zuerkannt, da im Falle einer Rückkehr des BF in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 oder 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder 13 zur GFK oder eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt oder im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes aufgrund der derzeitigen, allgemeinen Lage in Pakistan nicht drohe. Es sei dem BF zumutbar, in Pakistan selbstständig durch die Ausübung einer Erwerbstätigkeit aus eigenen Kräften für die Deckung der grundlegendsten Bedürfnisse aufzukommen.

Für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht (in der Folge BVwG) wurde den BF mit Verfahrensanordnung gemäß § 63 Abs. 2 AVG die ARGE-Rechtsberatung Diakonie und Volkshilfe gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG amtswegig als Rechtsberater zur Seite gestellt.

1.7. Gegen diesen Bescheid brachte der BF mit Schreiben vom 11.04.2018 fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde beim BVwG ein und beantragte die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung.

In der Beschwerdebegründung wurde vorgebracht, dass die Einvernahme des BF mangelhaft durchgeführt worden sei, da der BF nicht genauer zu den von ihm eingenommenen Schmerzmitteln befragt worden sei. Diese hätten Einfluss auf die Vernehmungsfähigkeit haben können. Auch sei der BF nicht zu seiner Religionszugehörigkeit und Kaste befragt worden. Weiters wurden mangelhafte Länderfeststellungen, eine mangelhafte Beweiswürdigung und inhaltliche Rechtswidrigkeit moniert. Der BF sei in der Einvernahme beauftragt worden, die Anzeige in besserer Qualität vorzulegen, was ihm in der kurzen Zeit nicht möglich gewesen sei. Der BF werde die Anzeige sobald als möglich übermitteln.

1.8. Die Beschwerde samt Verwaltungsakt langte am 13.04.2018 beim BVwG ein.

2. Beweisaufnahme:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch:

* Einsicht in den dem BVwG vorliegenden Verwaltungsakt des BFA, beinhaltend die Niederschriften der Erstbefragung am 16.06.2018 und der Einvernahme vor dem BFA am 07.03.2018 sowie die Beschwerde vom 11.04.2018

* Einsicht in Dokumentationsquellen betreffend den Herkunftsstaat des BF im erstbehördlichen Verfahren (Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation)

3. Ermittlungsergebnis (Sachverhaltsfeststellungen):

Folgende Feststellungen werden aufgrund des glaubhaft gemachten Sachverhaltes getroffen:

3.1. Zur Person des BF:

3.1.1. Der BF führt den Namen XXXX alias XXXX , geboren am XXXX alias XXXX . Er ist volljährig, Staatsangehöriger von Pakistan und bekennt sich zum sunnitischen Islam. Er spricht Punjabi und Urdu.

Der BF ist verheiratet und stammt aus XXXX in Pakistan. Seine Ehefrau, eine Tochter, seine Eltern, ein Bruder und drei Schwestern leben weiterhin in Pakistan.

Der BF selbst hat neun Jahre eine Schule besucht und als Verkäufer gearbeitet.

3.1.2. Der BF ist gesund, Hinweise auf lebensbedrohende oder schwerwiegende Krankheiten haben sich keine ergeben. Der BF ist im erwerbsfähigen Alter und verfügt über Berufserfahrung.

3.1.4. Der BF reiste über Griechenland und Ungarn, wo er einen Asylantrag stellte, nach Österreich, bevor er am 15.06.2016 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellte.

3.1.5. Der BF hält sich seit Juni 2016 in Österreich auf und verfügt über keine Deutschkenntnisse. Er befindet sich seit Mai 2018 nicht mehr in Grundversorgung und ist gelegentlich als Zeitungszusteller tätig. Am 26.01.2018 wurde der BF wegen Körperverletzung (§ 83 Abs. 1 StGB) und versuchter Nötigung (§§ 15, 105 Abs. 1 StGB) zu einer bedingten Freiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt.

3.2. Zu den Fluchtgründen des BF:

3.2.1. Der BF hat sein Vorbringen, dass er von entfernten Verwandten aufgrund seiner Eheschließung mit seiner Cousine mit dem Tod bedroht werde, nicht glaubhaft gemacht. Aus seinem Vorbringen lässt sich weiters kein Asylgrund im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention ableiten. Dem BF droht im Fall einer Rückkehr nach Pakistan keine Verfolgung aus politischen Gründen, religiösen Gründen, aus Gründen der Rasse, der Nationalität oder der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe droht.

3.2.2. Der BF wurde in seinem Herkunftsstaat niemals inhaftiert, ist nicht vorbestraft und hatte mit den Behörden seines Herkunftsstaates weder auf Grund seines Religionsbekenntnisses oder seiner Volksgruppenzugehörigkeit noch sonst irgendwelche Probleme.

3.2.3. Grund für die Ausreise des BF aus seinem Herkunftsstaat war die Suche nach besseren - auch wirtschaftlichen - Lebensbedingungen im Ausland.

3.3. Zu einer möglichen Rückkehr des BF in den Herkunftsstaat:

3.3.1. Der BF ist im erwerbsfähigen Alter und männlich. Dass sein allgemeiner Gesundheitszustand erheblich beeinträchtigt wäre, hat der BF im Verfahren weder behauptet, noch ist es dem erkennenden Gericht sonst bekannt geworden.

3.3.3. Dem BF ist es möglich und zumutbar, sich in seinem Heimatort, Islamabad oder Lahore niederzulassen. Als gesunder und leistungsfähiger Mann im berufsfähigen Alter samt Berufserfahrung ohne festgestellten besonderen Schutzbedarf liefe der BF auch nicht Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.

3.3.3. Eine Zurückweisung, Zurück- oder Abschiebung des BF nach Pakistan würde keine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder 13 zur Konvention bedeuten oder für den BF als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen Konflikts mit sich bringen.

3.3.4. Der BF kann die Hauptstadt Islamabad von Österreich aus sicher mit dem Flugzeug erreichen.

3.3.4. Zur Lage im Herkunftsstaat des BF:

Auf Grundlage von aktuellen Erkenntnisquellen werden folgende entscheidungsrelevante Feststellungen zum Herkunftsstaat der BF getroffen:

3.4.1. Auszug aus den Länderinformationen im angefochtenen Bescheid:

1. Rechtsschutz/Justizwesen

Die pakistanische Verfassung und die gesamte pakistanische Rechtsordnung basieren weitgehend auf dem britischen Rechtssystem, wobei gemäß Art. 227 der Verfassung alle Gesetze grundsätzlich in Einklang mit der Scharia stehen müssen; deren Einfluss auf die Gesetzgebung ist trotz Bestehens etwa des Konsultativorgans Council of Islamic Ideology - abgesehen von bestimmten Bereichen wie beispielsweise den Blasphemiegesetzen - dennoch eher beschränkt (ÖB 10.2016).

Der Aufbau des Justizsystems ist zunächst in der Verfassung geregelt, deren Art. 175 die folgenden Organe aufzählt: Supreme Court of Pakistan, ein High Court in jeder Provinz (sowie im Islamabad Capital Territory) und weitere durch das Gesetz eingerichtete Gerichte. Des Weiteren existiert gemäß Art. 203A ff der Verfassung ein Federal Shariat Court, der u.a. von Bürgern, der Zentral- sowie den Provinzregierungen zur Prüfung von Rechtsvorschriften auf ihre Vereinbarkeit mit den "Injunctions of Islam" angerufen werden kann (er kann diesbezüglich auch von sich aus tätig werden) (ÖB 10.2016).

Der Supreme Court ist das pakistanische Höchstgericht; neben seinen Aufgaben als letzte Rechtsmittelinstanz in Zivil- und Strafsachen umfassen seine Zuständigkeiten "original jurisdiction in any dispute between any two or more Governments" sowie "advisory jurisdiction" auf Anruf durch den Staatspräsidenten. Außerdem kann er sich in Fällen von öffentlicher Wichtigkeit auch der Rechtsdurchsetzung bei Grundrechtsverletzungen, die gem. Art. 199 der Verfassung in die Zuständigkeit der High Courts fällt, annehmen (Art. 185 Abs. 3 der Verfassung). Für diesen Bereich wurde eine eigene Human Rights Cell eingerichtet. Aufgrund seiner breiten Zuständigkeit gilt der Supreme Court als chronisch überlastet (ÖB 10.2016).

Auch die fünf High Courts (Lahore High Court, High Court of Sindh, Peshawar High Court, High Court of Balochistan, Islamabad High Court) fungieren u.a. auch als Berufungsinstanz gegen Beschlüsse und Urteile von Special Courts sowie als Aufsichts- und Kontrollorgan für alle ihnen unterstehenden Gerichte (Subordinate Courts). Auch bei den High Courts ist ein beträchtlicher Rückstau an Fällen zu verzeichnen (ÖB 10.2016).

Zur örtlichen Zuständigkeit von Supreme Court und High Courts ist anzumerken, dass sich diese gem. Art. 247 Abs. 7 der Verfassung grundsätzlich nicht auf die Stammesgebiete (Provincially Administered Tribal Areas, PATA, und Federally Administered Tribal Areas, FATA; vgl. Art. 246 der Verfassung) erstreckt (ÖB 10.2016); außerdem gibt es auch in Azad Jammu und Kashmir (AJK) sowie in Gilgit-Baltistan eigene Justizsysteme (ÖB 10.2016; vgl. USDOS 3.3.2017).

Der Federal Shariat Court besteht aus höchstens acht Richtern muslimischen Glaubens, von denen drei islamische Gelehrte (Ulema) sein müssen. Beschwerden gegen seine Entscheidungen werden an die Shariat Appellate Bench des Supreme Court gerichtet. Neben der bereits erwähnten Zuständigkeit, Rechtsvorschriften auf ihre Vereinbarkeit mit den Regeln des Islams zu prüfen, fungiert der Federal Shariat Court zusätzlich zum Teil als Rechtsmittelinstanz in sogenannten Hudood-Fällen (Delikte nach den Hudood Ordinances von 1979, die eine v.a. Frauen stark benachteiligende Islamisierung des Strafrechts brachten und durch den Protection of Women (Criminal Law Amendment) Act 2006 in - Kritikern zufolge bei Weitem nicht ausreichenden - Teilen entschärft wurden) (ÖB 10.2016).

Die Richter des Supreme Court, der High Courts sowie des Federal Shariat Court werden vom Staatspräsidenten auf Vorschlag der Judicial Commission of Pakistan und nach Bestätigung durch einen Parlamentsausschuss ernannt. Die den High Courts unterstehende Subordinate Judiciary kann grob in zwei Kategorien eingeteilt werden: Zivilgerichte, die durch die Civil Courts Ordinance 1962 eingerichtet wurden, und Strafgerichte nach dem Code of Criminal Procedure 1898. Darüber hinaus besteht aber auch eine Reihe von Gerichten, die unter speziellen Gesetzen eingerichtet wurden (ÖB 10.2016).

Die Justiz verteidigt ihre nach Ende der Militärherrschaft zurückgewonnene Unabhängigkeit erfolgreich und bemüht sich, den Rechtsstaat in Pakistan zu stärken. Erhebliche Unzulänglichkeiten im Justizapparat und Schwächen bei der Durchsetzung des geltenden Rechts bestehen allerdings fort. Die Schwäche der staatlichen Institutionen, nicht zuletzt im Bereich der Justiz, führt in vielen Fällen dazu, dass dem Recht keine Geltung verschafft wird (AA 30.5.2016).

Das Gesetz garantiert die Unabhängigkeit der Justiz, in der Praxis ist die Justiz oft von externen Einflüssen, wie der Angst vor Repressionen durch extremistische Elemente bei Fällen von Terrorismus oder Blasphemie, beeinträchtigt. Viele Gerichte unterer Instanzen bleiben korrupt, ineffizient und anfällig für den Druck von wohlhabenden Personen und einflussreichen religiösen und politischen Akteuren. Es gibt Beispiele, wo Zeugen, Staatsanwälte oder ermittelnde Polizisten in High Profile Fällen von unbekannten Personen bedroht oder getötet wurden. Die oberen Gerichte und der Supreme Court werden allerdings von den Medien und der Öffentlichkeit als glaubwürdig eingestuft (USDOS 3.3.2017). Gewalt der Taliban war v.a. gegen Gerichte und Anwälte gerichtet. So gab es im Jahr 2016 einige Anschläge auf Gerichte: im März und im September jeweils einen Anschlag auf jeweils ein Distriktgericht in Khyber Pakhtunkhwa, bei denen 17 bzw. 14 Menschen starben, und in Quetta auf ein Krankenhaus, in dem sich Anwälte nach Schüssen auf den Präsidenten der Belutschistan Anwaltsvereinigung versammelten, wobei 70 Menschen starben (HRW 12.1.2017).

Polizei und Justiz unterlaufen häufig Fehler bei der Untersuchung von Straftaten. Korruption ist weit verbreitet. Die pakistanischen Gerichte sind zudem überlastet: Gerichtsverfahren ziehen sich nicht selten über Jahrzehnte hin (AA 12.2016a). Verzögerungen in zivilen und Kriminalfällen sind auf ein veraltetes Prozessrecht, unbesetzte Richterstellen, kostenintensive Verfahren, ein schlechtes Fallmanagement und eine schwache rechtliche Ausbildung zurückzuführen. Der Rückstand sowohl in den unteren als auch in den höheren Gerichten beeinträchtigt, zusammen mit anderen Problemen, den Zugang zu Rechtsmitteln sowie eine faire und effektive Anhörung (USDOS 3.3.2017). Der Director General der Federal Judicial Academy, schätzt die Zahl der Richter auf 4.200 für eine Bevölkerung von 180 Millionen, ein Richter auf 42.857, weit unter den internationalen Standards. Hinsichtlich der Überlastung der Gerichte ist anzumerken, dass in der Provinz Punjab im Jahr 2015 knapp 700 neue Richter (judges und magistrates) eingestellt wurden, die sich derzeit (zum Teil) noch in Ausbildung befinden. Auch heuer soll es zu Neuaufnahmen in ähnlicher Zahl kommen (ÖB 10.2016).

Die seit dem Ende der Militärherrschaft wieder erstarkte Judikative ist somit bisher noch nicht in der Lage gewesen, einen besseren gerichtlichen Schutz der Menschenrechte zu gewährleisten, auch wenn sich der Oberste Gerichtshof punktuell mit konkreten Fällen in der Öffentlichkeit thematisierter Menschenrechtsverletzungen (z.B. dem "Verschwindenlassen" von Personen im Rahmen der Aufstandsbekämpfung in Belutschistan und in den Stammesgebieten und dem Schutz der Minderheitenrechte) befasst (AA 12.2016a).

Die im Rahmen des Nationalen Anti-Terror-Aktionsplans vom 24.12.2014 vorgesehene grundlegende Reform des Systems der Strafjustiz kommt bislang nicht voran. Nach dem Index des "World Justice Project" zur Rechtsstaatlichkeit gehört Pakistan zu den Ländern mit großen Defiziten in diesem Bereich (AA 30.5.2016).

Im Jänner 2015, als Reaktion auf das Schulmassaker der Taliban in Peschawar, genehmigte das Parlament die Strafverfolgung von Zivilisten vor Militärgerichten bei Anklagen wie Terrorismus und sektiererischer Gewalt (USDOS 3.3.2017). Im Februar 2015 berichtete Dawn, dass diese Gerichte auch für 6000 zivile Häftlinge, die seit 2009 in Militäroperationen gefangen genommen wurden, Recht sprechen können (USDOS 13.4.2016). Am 16.4.2015 entschied der Oberste Gerichtshof Pakistans, dass von Militärgerichten gegen Zivilisten verhängte Todesurteile auszusetzen sind (AI 20.4.2015). Im August 2015 bestätigte der Oberste Gerichtshof diese Anwendung der Militärgerichte, behielt sich aber das Recht ein, die Fälle zu prüfen (USDOS 3.3.2017). Damit hielt er auch die Verhängung von Todesurteilen für Zivilisten durch militärische Gerichte aufrecht (RFE/RL 5.8.2015). Im August 2016 entschied der Oberste Gerichtshof erstmals über Fälle dieser Gerichte, bestätigte die Schuldsprüche sowie Todesurteile über 16 Zivilisten (AI 22.2.2017). Laut International Commission of Jurists wurden bisher 12 derartige Militärgerichte eingerichtet und zumindest 105 Verfahren abgeschlossen, von welchen mindestens 81 mit Schuldsprüchen (77 Todesurteile, davon 12 vollstreckt) endeten (Stand: Juni 2016). Die Prozesse werden rechtsstaatlichen Vorgaben an ein faires Verfahren nicht gerecht: So ist nicht klar, unter welchen Voraussetzungen und nach welchem Verfahren bestimmte Fälle an ein Militärgericht verwiesen werden; die verfahrensleitenden Militärs müssen nicht über eine juristische Ausbildung verfügen; die Verfahren müssen nicht öffentlich sein (ÖB 10.2016).

Im Zivil-, Kriminal- und Familiengerichtssystem gibt es öffentliche Verhandlungen, es gilt die Unschuldsvermutung, und es gibt die Möglichkeit einer Berufung. Angeklagte haben das Recht auf Anhörung und der Konsultation eines Anwalts. Die Kosten für die rechtliche Vertretung vor den unteren Gerichten muss der Angeklagte übernehmen, in Berufungsgerichten kann ein Anwalt auf öffentliche Kosten zur Verfügung gestellt werden. Angeklagte können Zeugen befragen, eigene Zeugen und Beweise einbringen und haben rechtlichen Zugang zu den Beweisen, die gegen sie vorgebracht werden (USDOS 3.3.2017).

Gerichte versagen oft dabei, die Rechte religiöser Minderheiten zu schützen. Gesetze gegen Blasphemie werden diskriminierend gegen Christen, Ahmadis und andere religiöse Minderheiten eingesetzt. Untere Gerichte verlangen oft keine ausreichenden Beweise in Blasphemie-Fällen, und einige Angeklagte oder Verurteilte verbringen Jahre im Gefängnis, bevor ein höheres Gericht ihre Freilassung anordnet oder ihren Schuldspruch aufhebt (USDOS 3.3.2017).

Neben dem staatlichen Justizwesen bestehen vor allem in ländlichen Gebieten Pakistans auch informelle Rechtssprechungssysteme und Rechtsordnungen, die etwa auf traditionellem Stammesrecht beruhen. So spielt in von Paschtunen bewohnten Teilen des Landes, vor allem in den Federally Administered Tribal Areas (FATA), der für diese Volksgruppe maßgebliche Rechts- und Ehrenkodex Paschtunwali, der (in Unrechtsfällen) vom Vergeltungsgedanken sowie vom zentralen Wert der Ehre bestimmt wird, nach wie vor eine bedeutende Rolle. Streitigkeiten werden dort auf Basis des Paschtunwali von Stammesräten bzw. -gerichten (Jirgas) entschieden, wobei nicht zuletzt Frauen menschenunwürdige Bestrafungen drohen. Jirgas sind in Pakistan generell auch über paschtunische Gebiete hinaus nach wie vor weit verbreitet (neben FATA auch in Belutschistan, im inneren Sindh, in ländlichen Gebieten von Khyber Pakhtunkhwa sowie im südlichen Punjab) und wenden neben Stammes- auch Schariarecht an (ÖB 10.2016).

In den Stammesgebieten FATA, die nur beschränkt der pakistanischen Jurisdiktion unterliegen und in denen das staatliche pakistanische Recht gemäß der Verfassung nur dann Anwendung findet, wenn dies durch ein Präsidialdekret angeordnet wird, hat sich ein auf dem Stammesrecht (z.B. Pashtunwali) basierendes paralleles Rechtssystem mit den im übrigen Staatsgebiet verbotenen "Jirga"-Gerichten der Stammesältesten erhalten. Es greift zur Lösung von Streitfällen auf eine zum Teil archaische, zum Teil an der Scharia orientierte Rechtspraxis zurück. Während sich männliche Angeklagte durch Geldleistungen der Verhängung schwerer Strafen entziehen können, werden Frauen bei Verstößen gegen den Sittenkodex hart bestraft. Auch sind Fälle bekannt, in denen stellvertretend für die Delinquenten weibliche Familienangehörige getötet oder in anderer Weise bestraft wurden (AA 30.5.2016).

In Sindh und Punjab hielten feudale Landherren und lokale Führer, in paschtunischen und belutschischen Gebieten und Stammesführer manchmal Panchayats oder Jirgas - lokale Ratsversammlungen - in Missachtung des etablierten Rechtssystems ab. Diese informellen Rechtsysteme bieten keinen institutionalisierten Rechtsschutz und haben häufig Menschenrechtsverletzungen zur Folge (USDOS 3.3.2017).

Der High Court of Sindh erklärte die Abhaltung von Jirgas in der Provinz in einem Urteil aus 2004 ausdrücklich für verfassungswidrig; nichtsdestotrotz finden sie auch in Sindh regelmäßig statt. Der Supreme Court sprach sich bisher mehrmals gegen von Jirgas verhängte Strafen wie die Hingabe von Töchtern als Kompensation für begangenes Unrecht sowie gegen andere verfassungswidrige Praktiken der Stammesräte aus, was deren Fortbestand allerdings nicht verhindern konnte. Darüber hinaus ist selbst in städtischen Gebieten eine zunehmende Ausbreitung von "Sharia Courts" zu beobachten; so wurde etwa im April 2016 ein Verfahren gegen Jamaat ud-Dawa (JuD), eine der größten Hilfsorganisationen Pakistans mit Verbindungen zur Terrororganisation Lashkar-e-Taiba (LeT), wegen Betreibens eines solchen Tribunals vor dem Lahore High Court eingeleitet (ÖB 10.2016).

Als weitere Besonderheiten sind die Praktiken Diyat (Blutgeld) und Qisas (Vergeltung), die sich beide als Strafen für Delikte gegen die körperliche Integrität im Pakistan Penal Code (Act XLV of 1860) finden, sowie die in FATA und PATA weiterhin auf Basis der Frontier Crimes Regulation (FCR) praktizierte Form der kollektiven Bestrafung zu nennen. Des Weiteren besteht in Fällen sogenannter honour killings oft die Möglichkeit für die Familie des Opfers, dem Täter zu vergeben und diesen so der staatlichen Gerichtsbarkeit zu entziehen (ÖB 10.2016).

Die nachhaltige Entwicklung einer liberalen Demokratie mit effektivem Rechtsstaat und Schutz der Menschenrechte wird weiterhin behindert durch Extremismus/Islamismus, Korruption, die starke Stellung des Militärs, den Einfluss von Feudal/Stammes-Strukturen in Politik und Gesellschaft, sowie ein in Pakistan oft geleugnetes, aber weiterhin wirksames, durch religiöse Intoleranz angereichertes Kastenwesen (AA 12.2016a).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (30.5.2016): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Pakistan.

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AA - Auswärtiges Amt (12.2016a): Pakistan - Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Pakistan/Innenpolitik_node.html, Zugriff 18.3.2017

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AI - Amnesty International (20.4.2015): Dämpfer für die Todesstrafe in Pakistan,

http://www.amnesty-todesstrafe.de/index.php?id=732, Zugriff 18.3.2017

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AI - Amnesty International (22.2.2017): Amnesty International Report 2016/17 - The State of the World's Human Rights - Pakistan, http://www.ecoi.net/local_link/336589/479266_de.html, Zugriff 20.3.2017

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HRW - Human Rights Watch (12.1.2017): World Report 2017 - Pakistan, http://www.ecoi.net/local_link/335171/477023_de.html, Zugriff 20.3.2017

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ÖB Islamabad - Österreichische Botschaft (10.2016):

Asylländerbericht - 2016

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RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (5.8.2015): Pakistani Military Courts Approved By Supreme Court, http://www.ecoi.net/local_link/309434/447325_de.html, Zugriff 18.3.2017

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USDOS - US Department of State (13.4.2016): Country Report on Human Rights Practices 2015 - Pakistan, http://www.ecoi.net/local_link/322459/461936_de.html, Zugriff Zugriff 20.3.2017

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USDOS - US Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Pakistan, http://www.ecoi.net/local_link/337163/479927_de.html, Zugriff 20.3.2017

2. Sicherheitsbehörden

Die polizeilichen Zuständigkeiten sind zwischen nationalen und regionalen Behörden aufgeteilt. Die Bundespolizei (Federal Investigation Agency, FIA) ist dem Innenministerium unterstellt. Sie ist zuständig für die Bereiche Einwanderung, organisierte Kriminalität, Interpol sowie die Terrorismusbekämpfung. Die Abteilung zur Terrorismusbekämpfung innerhalb der FIA ist der Counter Terrorism Wing (CTWI). In diesem Bereich sind auch die pakistanischen Geheimdienste ISI [Inter-Services Intelligence] und IB [Intelligence Bureau] aktiv. Die einzelnen Provinzen verfügen über eigene Verbrechensbekämpfungsbehörden. Gegenüber diesen Provinzbehörden ist die FIA nicht weisungsbefugt (AA 30.5.2016).

Pakistan verfügt über einen Auslands-/Inlandsnachrichtendienst, ISI, einen Inlandsnachrichtendienst, IB) sowie einen militärischen Nachrichtendienst (Military Intelligence, MI) (AA 30.5.2016). Der ISI wird unter den "Top ten" Geheimdiensten der Welt gelistet (ABC News Point 15.12.2014). Der ISI ist militärisch dominiert und folglich militärisch geprägt. Seine Aufgabe, die nationalen Interessen Pakistans zu schützen, ermöglicht ihm ein Tätigwerden in den unterschiedlichsten Bereichen. De jure untersteht der ISI dem Verteidigungsministerium, de facto jedoch dem jeweiligen Armeechef (Chief of Army Staff). Eine effektive zivile Kontrolle über die militärischen Geheimdienste findet nicht statt (AA 30.5.2016).

Der pakistanische Geheimdienst ist auch intensiv in der Innenpolitik Pakistans involviert - so pro-Demokratie-Aktivisten (Globalsecurity 15.12.2016). Der ISI verfügt über geheimdiensttechnisch breit ausgedehnte Möglichkeiten. Das pakistanische Innenministerium verfügte mehr als zehn Gesetze, welche ein direktes Durchsetzungsrecht für den Geheimdienst beinhalten, obwohl viele dieser Dienststellen unter die operative Kontrolle des Militärs fallen (USDOS 2.6.2016).

Das IB untersteht dem Innenministerium und ist für Diplomatenschutz, Abwehr terroristischer Bedrohungen im Inland sowie Ermittlungen bei Kapitalverbrechen zuständig (AA 30.5.2016).

Die Effizienz der Arbeit der Polizeikräfte ist pro Bezirk sehr unterschiedlich und reicht von gut bis ineffizient (USDOS 3.3.2017). In der Öffentlichkeit genießt die vor allem in den unteren Rängen schlecht ausgebildete, gering bezahlte und oft unzureichend ausgestattete Polizei kein Ansehen. Dazu trägt die extrem hohe Korruptionsanfälligkeit ebenso bei, wie häufige unrechtmäßige Übergriffe und Verhaftungen, sowie Misshandlungen von in Polizeigewahrsam genommenen Personen. Illegaler Polizeigewahrsam und Misshandlungen durch die Polizei gehen oft Hand in Hand, um den Druck auf die inhaftierte Person bzw. deren Angehörige zu erhöhen, durch Zahlung von Bestechungsgeldern eine zügige Freilassung zu erreichen. Die Polizeikräfte sind oftmals in lokale Machtstrukturen eingebunden und daher nicht in der Lage, unparteiische Untersuchungen durchzuführen. So werden häufig Strafanzeigen gar nicht erst aufgenommen und Ermittlungen verschleppt (AA 30.5.2016).

Die Polizeikräfte versagen oftmals dabei, Angehörigen religiöser Minderheiten - wie beispielsweise der Ahmadiyya-Muslimen, den Christen, den schiitischen Moslems und Hindus - Schutz vor Übergriffen zu gewährleisten. Es gibt jedoch Verbesserungen bei der Professionalität der Polizei und Fälle, wo lokale Behörden Minderheiten vor Diskriminierung und kommunaler Gewalt schützen (USDOS 3.3.2017).

Es gab weiterhin ungestraft die Praxis des Verschwindenlassens, vor allem in den Provinzen Belutschistan, Khyber Pakhtunkhwa und Sindh (AI 23.2.2016). Berichten zufolge werden von einigen Bediensteten der Sicherheitskräfte Gefangene in Isolationshaft festgehalten und die Aufenthaltsorte dieser Gefangenen nicht offen gelegt. Menschenrechtsorganisationen berichteten darüber, dass sich viele Nationalisten der Provinzen Sindh und Belutschistan unter den Vermissten befinden. In der Online-Datenbank der Internationalen Stimme für Baloch werden 100 Personen, die angeblich im Laufe des Jahres 2016 entführt wurden, aufgelistet (USDOS 3.3.2017).

Mangelnde Bestrafung von Übergriffen, begangen von Angehörigen der Sicherheitskräfte, trägt zu einem Klima der Straflosigkeit bei. Interne Ermittlungen und Strafen können bei Übergriffen bzw. Misshandlungen vom Generalinspektor, den Bezirkspolizeioffizieren, den "Bezirks-Nazims" [~Bezirksleiter], Provinzinnenministern oder Provinzministerpräsidenten, dem Innenminister, dem Premierminister und

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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