TE Bvwg Erkenntnis 2019/1/16 W191 2128069-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 16.01.2019
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Entscheidungsdatum

16.01.2019

Norm

AsylG 2005 §15
AsylG 2005 §18
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs3
AsylG 2005 §3 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs4b
AsylG 2005 §75 Abs24
AsylG 2005 §8
AsylG 2005 §8 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs3
AsylG 2005 §8 Abs4
AsylG 2005 §8 Abs6
B-VG Art.133 Abs4
EMRK Art.2
EMRK Art.3
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W191 2128069-2/21E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Rosenauer als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX, geboren am XXXX, Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 11.11.2016, Zahl 1100511800-152067732, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 13.02.2017 zu Recht:

A)

I. Die Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 als unbegründet abgewiesen.

II. Gemäß § 8 Abs. 1 Asylgesetz 2005 wirdXXXX der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.

III. Gemäß § 8 Abs. 4 Asylgesetz 2005 wird XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 16.01.2020 erteilt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

1. Verfahrensgang:

1.1. Der Beschwerdeführer (in der Folge BF), ein afghanischer Staatsangehöriger aus der Provinz Ghazni, reiste irregulär und schlepperunterstützt in Österreich ein und stellte am 28.12.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005 (in der Folge AsylG).

Eine EURODAC-Abfrage ergab, dass der BF am 14.12.2015 in Samos (Griechenland) erkennungsdienstlich behandelt worden war.

1.2. In seiner Erstbefragung am 29.12.2015 durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Polizeiinspektion (PI) Judenburg gab der BF im Beisein eines Dolmetsch für die Sprache Farsi im Wesentlichen Folgendes an:

Er stamme aus XXXX, Jaghory, Provinz Ghazni, Afghanistan, habe zuletzt 16 Jahre in Teheran (Iran) als Bauarbeiter gelebt, sei Angehöriger der Volksgruppe der Hazara, schiitischer Moslem und verheiratet. Als Geburtsdatum wurde der XXXX festgehalten.

Seine Ehefrau lebe mit zwei Töchtern und zwei Schwestern zuhause in Jaghory. Seine Mutter und zwei Brüder lebten in England und hätten dort seit ca. sechs Jahren Asylstatus.

Seine Reise habe er vor einem Monat per PKW begonnen und sei über die Türkei per Schlauchboot nach Samos (Griechenland) gefahren, von wo er über Mazedonien, Serbien, Kroatien und Slowenen nach Österreich gelangt sei.

Als Fluchtgrund gab der BF an, dass sein Arbeitgeber im Iran, der selbst der Sicherheitsbehörde angehört hätte, die Arbeiter nicht bezahlt hätte. Nachdem sie ihn angezeigt hätten, seien sie von der Polizei in der Nacht geholt worden. Diese hätten ihnen mitgeteilt, dass sie sich für den Krieg in Syrien - er vermute, für die Dschihadisten - vorbereiten müssten. Ein Arbeitskollege hätte daraufhin einen Schlepper organisiert und den BF mitgenommen.

1.3. Bei seiner Einvernahme am 18.05.2016 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge BFA), Regionaldirektion Niederösterreich, Außenstelle Wiener Neustadt, im Beisein eines Dolmetsch für die Sprache Dari, bestätigte der BF die Richtigkeit seiner bisher gemachten Angaben. Im Unterschied zur Niederschrift der Erstbefragung, derzufolge seine Familie in Afghanistan lebe, gab der BF nun an, seine Frau und die beiden Kinder seien im Iran geboren, hätten dort einen Aufenthaltstitel und würden auch dort leben. Nach Afghanistan, das er vor 17 Jahren verlassen habe, könne er nicht zurück, weil die Sicherheitslage dort schlecht sei, sein Heimatdistrikt von den Taliban kontrolliert werde und er niemanden mehr dort habe außer seinen Schwestern.

Das BFA befragte den BF kurz zu den Gründen, warum er seinerzeit Afghanistan verlassen habe. In Kabul könne er nicht leben, weil er dort niemanden habe, sich nicht auskenne und seine Frau und Kinder im Iran geboren seien.

Laut Niederschrift wurden mit dem BF erörtert, "auf welcher Basis und unter Zugrundelegung welcher Länderfeststellungen" das BFA in seinem Fall zur Entscheidung gelangen werde. Er habe die Möglichkeit, im Anschluss dazu Stellung zu nehmen.

Dem BF stehe "die innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung".

Der BF gab an, dass er, wenn der gegenständliche Antrag negativ entschieden würde, eine Beschwerde machen und weiter versuchen werde, sich in Europa zu integrieren.

1.4. Mit Bescheid vom 15.06.2016 wies das BFA den Antrag des BF auf internationalen Schutz vom 28.12.2015 gemäß § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihm den Status eines Asylberechtigten ebenso wie gemäß § 8 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG den Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan nicht zu (Spruchpunkt II.) und verband diese Entscheidung in Spruchpunkt III. gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG in Verbindung mit § 9 BFA-VG mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 oder 55 AsylG wurde ihm nicht erteilt. Es wurde festgestellt, dass die Abschiebung des BF nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise des BF "2 Wochen" (richtig: 14 Tage) ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.).

1.5. Gegen diesen Bescheid erhob der BF mit offenbar von der ihn rechtsberatenden Hilfsorganisation unterstützt erstelltem Schreiben vom 07.06.2016 das Rechtsmittel der Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht (in der Folge BVwG), mit dem der Bescheid gesamtinhaltlich wegen "Mangelhaftigkeit des Verfahrens", mangelhafter Beweiswürdigung und unrichtiger rechtlicher Beurteilung angefochten wurde.

In der Beschwerdebegründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Einvernahme vor dem Bundesamt gerade einmal zehn Minuten gedauert habe und dem BF schon vor Beginn der Einvernahme mitgeteilt worden sei, dass er eine negative Entscheidung erhalten werde. Dies widerspreche einer objektiven Verfahrensführung und stelle Beweisantizipation dar.

Die Behauptung in der Beweiswürdigung, dass der BF in Kabul Verwandte habe, sei aktenwidrig.

Sodann wurden - unter Zitierung von diversen Berichten und Judikaten - Ausführungen zur Sicherheitslage in Afghanistan, zur Lage der Volksgruppe der Hazara, zur Frage der Ermittlung des Sachverhalts, zur Lage von Rückkehrern aus dem Iran sowie zur innerstaatlichen Fluchtalternative gemacht.

1.6. Mit Beschluss vom 15.07.2016, Zahl W191 2128069-1/2E, behob das BVwG den Bescheid des BFA vom 26.05.2016 gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG und verwies die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides zurück an das BFA.

In der Beschlussbegründung wurde unter anderem ausgeführt:

"[...] 2.2.3. Im vorliegenden Fall war es die Aufgabe der belangten Behörde zu klären, ob der BF zum einen eine asylrelevante Verfolgung glaubhaft machen konnte, und zum anderen, ob darüber hinaus menschen- bzw. asylrechtliche Gründe einer Rücküberstellung bzw. Ausweisung in seinen Herkunftsstaat entgegenstehen würden und ihm der Status als subsidiär Schutzberechtigter zu gewähren wäre.

2.2.3.1. Mag auch der BF wenig Anhaltspunkte für das Vorliegen eines asylrelevanten Verfolgungsgrundes gegeben haben (Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides), so ist doch festzuhalten, dass das gegenständliche Verwaltungsverfahren nur rudimentär und mangelhaft geführt worden ist und somit relevante Mängel aufweist.

Die Behörde hat sich nicht in ausreichender Weise mit den verfahrensrelevanten Lebensumständen des BF auseinandergesetzt. Zu seinem Fluchtgrund ist er in seiner - äußerst knappen - Einvernahme vor dem BFA gar nicht wirklich befragt worden. Eine Nachfrage zu den vom BF in seiner Erstbefragung gemachten Angaben fand nicht statt, sodass eine Würdigung seiner dort gemachten Angaben aufgrund des somit verletzten Grundsatzes des Parteiengehörs fehl am Platz ist.

Zwar wurde dem BF im Zuge seines Asylverfahrens in der Einvernahme am 18.05.2016 Gelegenheit gegeben, mittels freier Erzählung seine Fluchtgeschichte zu schildern, allerdings verabsäumte es das BFA, den Sachverhalt ausreichend detailliert und genau zu erörtern. Die Erstbehörde hat den maßgeblichen Sachverhalt nur ansatzweise ermittelt, wobei sich das Vorgehen des BFA in der kurzen Einvernahme auf die Stellung von wenigen Fragen beschränkte, die nicht ausreichten, ein umfassendes Bild der konkreten Ereignisse und der Lebensumstände des BF darzustellen.

So blieben mehrere wichtige Punkte des Vorbringens unerörtert, beispielsweise welche konkreten Vorfälle mit dem Onkel und den Cousins zu welchen Zeitpunkten und an welchen Orten stattgefunden hätten. Vernachlässigt wird von der Erstbehörde auch das Vorbringen des BF, sein Onkel sei ein Beamter und somit Mitglied der staatlichen Behörden. Auch hier hätte es von Seiten des BFA einer genaueren Abklärung der Umstände - so gab der BF an, dass ihm die Polizei aufgrund der Stellung seines Onkels nicht geholfen hätte - bedurft, zumal das BFA im Bescheid die Meinung vertrat, dass das Vorbringen des BF bezüglich der Verfolgung durch den Onkel grundsätzlich nicht als (staatliche) Verfolgung im Sinne von Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK zu werten sei. Ebenfalls wäre es Aufgabe der Erstbehörde gewesen, den BF während der Einvernahme damit zu konfrontieren, dass er die Fluchtgründe bezüglich des Onkels und seiner Cousins nicht bereits bei der Erstbefragung erwähnt hätte, zumal davon ausgegangen werden muss, dass ein Asylwerber bei der Erstbefragung - auch wenn diese vor allem der Feststellung der Identität und der Reiseroute dient - auf Nachfrage wesentliche Punkte seines Fluchtvorbringens kurz anführen kann und eine danach stattfindende Befragung nicht in maßgeblichen Bereichen von diesen Angaben abweicht.

Zusammengefasst ist somit festzustellen, dass es aufgrund der mangelnden Ermittlungstätigkeit des BFA - ungeachtet des Umstandes, dass die Erzählungen des BF möglicherweise keinen asylrelevanten Kern aufweisen - zu keiner ausreichenden Auseinandersetzung mit der Frage der persönlichen Glaubwürdigkeit des BF und der Glaubhaftigkeit seines Vorbringens gekommen ist. Die Ausführungen in der Beweiswürdigung ließen offen, ob es sich um eine Bewertung des Vorbringens des BF bezüglich seiner Probleme im Iran oder seines Herkunftsstaates Afghanistan gehandelt hätte.

2.2.3.2. Bezüglich der Frage der Gewährung von subsidiärem Schutz (Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides) ist nach der anzuwendenden Rechtslage und der dazu ergangenen Judikatur (sowohl des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte als auch der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts, des Asylgerichtshofes, des BVwG und der - zwar nicht immer einheitlichen, aber in der Linie jedenfalls übereinstimmenden - Judikatur der entsprechenden deutschen Gerichte) zusätzlich zu objektiven Kriterien (Lage im Land) das Vorliegen von subjektiven bzw. individuellen Kriterien (Situation des Antragstellers) für die Erlangung des Status als subsidiär Schutzberechtigter zu prüfen.

Bezüglich des BF war daher neben seinen persönlichen Umständen in Prüfung seiner Lebensumstände zu klären, woher er stammt, wo sich seine Familie nun aufhält, ob der BF daher über ein soziales Netzwerk in seinem Herkunftsland verfügt und wie die Lage in diesen Regionen aktuell ist, bzw. über seine diesbezüglichen Angaben hinreichend beweiswürdigend abzusprechen.

Das BFA hat es im vorliegenden Fall verabsäumt zu überprüfen, woher der BF stammt (nach seinen Angaben aus Ghazni) bzw. ob er tatsächlich die letzten 16 Jahre im Iran gelebt hat, wie auch seine Angabe, er lebe dort bei seiner Frau und seinen beiden Kindern, die alle im Iran geboren und noch nie in Afghanistan gewesen seien (etwa durch Nachfragen bezüglich geografischer Angaben oder durch den Auftrag, sich Belege für einen Aufenthalt im Iran, wie etwa Schulzeugnisse, Arztbelege, Mietverträge oder ähnliches vorlegen zu lassen). Aufgefallen ist in diesem Zusammenhang auch, dass der BF laut Niederschrift bei seiner Erstbefragung nicht in seiner - in Afghanistan gesprochenen - Muttersprache Dari, sondern in der im Iran gesprochenen Sprache Farsi einvernommen worden ist.

Was die vom BF angegebene Herkunft anbelangt, fällt auf, dass in den von der belangten Behörde angeführten Länderfeststellungen zu Afghanistan die Sicherheitslage in seiner angegebenen Heimatprovinz Ghazni nicht behandelt wird. Dies entspricht aber nicht der vom Verfassungsgerichtshof (VfGH) geforderten Auseinandersetzung mit der Sicherheitslage in seiner Heimatprovinz, zumal diese (wie der Asylgerichtshof festgestellt habe) von Provinz zu Provinz variiere (siehe Erkenntnisse des VfGH 21.09.2012, U 883/12-15, VfGH 11.10.2012, U 677/12-17). Dieses Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidungswesentlichen Punkt führe dazu, dass der Beschwerdeführer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt werde.

Ferner führte das BFA aus, dass dem BF eine innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul offen stehe. Allerdings ist aus den Länderfeststellungen nicht ersichtlich, inwieweit es für alleinstehende Rückkehrer in Kabul Möglichkeiten gäbe, sich in dieser Stadt ohne jeglichen familiären Anschluss eine ausreichende Lebensgrundlage zu schaffen.

Es erscheint somit nicht nachvollziehbar, wie das BFA, unter Einbeziehung der Aussagen des BF, er hätte den Großteil seines Lebens im Iran verbracht, und der Ausführungen in den aktuellen Länderfeststellungen zum Ergebnis gelangt wäre, dass der BF unter diesen Umständen alleine nach Afghanistan zurückkehren und sich dort eine Existenz aufbauen könnte.

Angemerkt wird noch, dass in der Einvernahme-Niederschrift ausgeführt wurde, dass die auf die allgemeine Situation im Herkunftsstaat [sich] stützenden Aussagen auf einer Zusammenstellung der Staatendokumentation des Bundesamtes basieren würden. Der Niederschrift (wie auch dem Verwaltungsakt) ist jedoch nicht nachvollziehbar zu entnehmen, welche Feststellungen dies wären (etwa durch Anfügung der maßgeblichen Teile oder durch Anführung des Länderinformationsblattes der Staatendokumentation mit seinem Erstellungsdatum), sodass dadurch der Grundsatz des Parteiengehörs im Verfahren verletzt erscheint.

2.2.4. Zusammengefasst ist festzustellen, dass das BFA in Bezug auf die Ermittlung der Sachlage bezüglich der Frage des Vorliegens asylrelevanter Verfolgung als auch bezüglich der Frage des Refoulementschutzes nicht mit der gebotenen Genauigkeit und Sorgfalt vorgegangen ist und die Sachlage nicht ausreichend erhoben bzw. sich (in der Bescheidbegründung) nur mangelhaft mit den Angaben des BF und den Beweisergebnissen auseinandergesetzt hat. [...]"

1.7. Im fortgesetzten Verfahren wurde der BF am 14.10.2016 vor dem BFA im Beisein eines Dolmetsch für die Sprache Dari erneut einvernommen und näher zu seinen Lebensumständen befragt, wozu er ausführliche Angaben machte.

Der BF gab im Wesentlichen an, er sei in XXXX geboren und habe dort nach drei Jahren Schulbesuch (und zwei Jahren Koranschule) eine Tischlerlehre begonnen, die ungefähr sechs Monate gedauert habe. Dann habe er neun Jahre lang als Tischler gearbeitet. Er sei seit 16 Jahren verheiratet und habe mit seiner dort geborenen Ehefrau im Iran gelebt und als Hilfsarbeiter, Bodenleger von Steinplatten und als Schweißer gearbeitet. Seine Ehefrau und seine beiden Töchter (zehn und 16 Jahre alt) lebten nach wie vor im Iran.

Seine Mutter und seine Brüder seien ca. im Jahr 2000 nach England gegangen, nachdem sie gemeinsam mit seinem Vater nach ca. vierjährigem Aufenthalt vom Iran zurück nach Afghanistan gegangen seien und der Vater dort von einem (namentlich genannten) mächtigen Kommandanten, dem die von der Familie bewirtschafteten Grundstücke ursprünglich gehört hätten, getötet worden sei. Sein Vater habe den BF damals von Kabul aus angerufen. Im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan habe er Angst vor diesem Kommandanten.

Den Iran habe er nun verlassen, weil sein Arbeitgeber der Revolutionsgarde angehöre und ihm den Arbeitslohn schuldig geblieben sei. Als er ihn hätte anzeigen wollen, sei der BF mit Gewalt in ein Vorbereitungscamp für den Krieg in Syrien gebracht worden, von wo er mit Hilfe seines Cousins geflüchtet sei, da er nicht in den Krieg ziehen hätte wollen.

1.8. Nach Durchführung des fortgesetzten Ermittlungsverfahrens wies das BFA mit Bescheid vom 20.10.2016 den Antrag des BF auf internationalen Schutz vom 28.12.2015 gemäß § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG neuerlich ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihm den Status eines Asylberechtigten ebenso wie gemäß § 8 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG den Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan nicht zu (Spruchpunkt II.) und verband diese Entscheidung in Spruchpunkt III. gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG in Verbindung mit § 9 BFA-VG erneut mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde ihm nicht erteilt. Es wurde festgestellt, dass die Abschiebung des BF nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise des BF "2 Wochen" [richtig: 14 Tage] ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.

In der Bescheidbegründung traf die belangte Behörde Feststellungen zur Person des BF und zur Lage in seinem Herkunftsstaat. Eine asylrelevante Verfolgung liege nicht vor, das Vorbringen des BF sei unglaubhaft. Er habe keine Verfolgung im Sinne des AsylG glaubhaft gemacht und es bestünden keine stichhaltigen Gründe gegen eine Abschiebung des BF nach Afghanistan. Im Falle der Rückkehr drohe ihm keine Gefahr, die eine Erteilung des subsidiären Schutzes rechtfertigen würde.

Der BF erfülle nicht die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG, der Erlassung einer Rückkehrentscheidung stehe sein Recht auf Achtung des Privat- oder Familienlebens angesichts der kurzen Aufenthaltsdauer und des Fehlens von familiären oder privaten Bindungen im Inland nicht entgegen. Angesichts der abweisenden Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz ergebe sich die Zulässigkeit einer Abschiebung des BF nach Afghanistan. Die Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen ergebe sich aus § 55 FPG, da besondere Umstände, die der BF bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen habe, nicht gegeben seien.

Beweiswürdigend führte das BFA (zusammengefasst) aus, dass der BF bezüglich seiner behaupteten Herkunftsregion, Volks- und Staatsangehörigkeit aufgrund seiner Sprach- und Lokalkenntnisse glaubwürdig wäre. Die Feststellungen zur Situation in Afghanistan wären glaubhaft, weil sie verlässlichen, seriösen, aktuellen und unbedenklichen Quellen entstammten, deren Inhalt schlüssig und widerspruchsfrei sei.

Zu seinem Fluchtvorbringen betreffend Afghanistan machte das BFA kaum nähere beweiswürdigende Aussagen. Das - für die Frage der Asylgewährung im vorliegenden Fall kaum relevante - Vorbringen des BF betreffend seine Flucht aus dem Iran wurde von der belangten Behörde ausführlich behandelt und als unstimmig, nicht plausibel und somit unglaubhaft beurteilt.

Subsidiärer Schutz wurde dem BF nicht zuerkannt, da zwar im Falle seiner Rückkehr in seine Herkunftsprovinz Ghazni eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 oder 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder 13 zur GFK oder eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt oder im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes vorliege, er aber in Kabul sowie Mazar-e Sharif seinen Lebensunterhalt bestreiten könne, zumal er gesund und arbeitsfähig sei und über Berufserfahrung verfüge.

1.9. Auch gegen diesen Bescheid brachte der BF mit offenbar von seiner ihn rechtsberatenden Hilfsorganisation unterstützt erstelltem Schreiben vom 27.10.2016 fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde beim BVwG ein.

In der knappen Beschwerdebegründung wurde das Vorbringen des BF betreffend seine Fluchtgründe in Bezug auf Afghanistan zusammengefasst wiederholt.

1.10. Das BVwG führte am 13.03.2017 eine öffentliche mündliche Verhandlung unter Beisein eines Dolmetsch für die Sprachen Dari bzw. Farsi durch, zu der der BF persönlich in Begleitung seiner gewillkürten Vertreterin erschien. Die belangte Behörde verzichtete im Vorhinein auf die Teilnahme an der Verhandlung.

Dabei gab der BF auf richterliche Befragung im Wesentlichen Folgendes an (Auszug aus der Verhandlungsschrift):

"[...] RI [Richter]: Was ist Ihre Muttersprache?

BF: Dari. Aufgrund meines langjährigen Aufenthaltes im Iran möchte ich die Verhandlung aber in Farsi, gemischt mit Dari, führen.

RI an D [Dolmetsch]: In welcher Sprache übersetzen Sie für den BF?

D: Farsi bzw. Dari.

RI befragt BF, ob er D gut verstehe; dies wird bejaht.

Zur heutigen Situation:

RI: Fühlen Sie sich körperlich und geistig in der Lage, der heutigen Verhandlung zu folgen?

BF: Ja.

RI: Leiden Sie an chronischen oder akuten Krankheiten oder anderen Leiden oder Gebrechen?

BF: Nein.

[...]

Der BF hat bisher keine Belege zu seiner Identität oder zu seinem Fluchtvorbringen vorgelegt und hat auch heute keine bei sich. Er legt Belege bezüglich Deutsch- bzw. Wertekurs vor, die in Kopie zum Akt genommen werden.

[...]

Zur Identität und Herkunft sowie zu den persönlichen

Lebensumständen:

RI: Sind die von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen zu Ihrem Namen und Geburtsdatum sowie zu Ihrer Staatsangehörigkeit korrekt?

BF: Ja.

RI: Welcher ethnischen Gruppe bzw. Volks- oder Sprachgruppe gehören Sie an?

BF: Ich bin Hazara.

RI: Gehören Sie einer Religionsgemeinschaft an, und wenn ja, welcher?

BF: Ich bin schiitischer Moslem.

RI: Sind Sie verheiratet, oder leben Sie in einer eingetragenen Partnerschaft oder sonst in einer dauernden Lebensgemeinschaft?

BF: Ich bin verheiratet. Ich habe zwei Kinder, zwei Mädchen. Meine Familie lebt im Iran in Rashd. Das genaue Jahr kann ich leider nicht angeben, es war ca. vor 16 oder 17 Jahren, als ich meine Frau in XXXXüber meinen Schwager kennengelernt habe und sie dann geheiratet habe. Meine Frau ist im Iran geboren und auch dort aufgewachsen. Sie ist eine Afghanin.

R: Was hat Ihre Frau dazu gesagt, dass Sie jetzt weggegangen sind?

BF: Über meine Flucht konnte ich mit meiner Frau nicht sprechen, weil es nicht dazu gekommen ist. Ich bin einfach geflüchtet, weil die iranischen Behörden mich zum Syrien-Krieg schicken wollten.

RI: Haben Sie in Ihrem Herkunftsstaat eine Schul- oder Berufsausbildung absolviert?

BF: Ich habe zwei Jahre die Koranschule besucht und drei Jahre die Volksschule, das war in Afghanistan. Danach habe ich als Tischler gearbeitet.

RI: Warum haben Sie vor 16 Jahren Afghanistan verlassen und sind in den Iran gegangen?

BF: Wir haben ein Grundstück von jemandem gekauft gehabt. Dieses Grundstück haben wir für Anbau bereitet. Solange die Wahdat-Partei die Macht hatte, konnte die Person, von der wir das Grundstück gekauft haben, nichts gegen uns unternehmen. Ein paar Gruppierungen haben sich zusammengetan und gegen Wahdat gekämpft. Wahdat konnte gegen diese Gruppierungen nicht mehr standhalten und ist vor dem Gegner geflüchtet. Deswegen sind wir auch in den Iran geflüchtet. Mein Vater war ein Mitglied von Wahdat-Partei gewesen, hatte auch eine Waffe gehabt. Die Vereinbarung zwischen meinem Vater und der Wahdat-Partei war, dass mein Vater an kämpferischen Auseinandersetzungen nicht teilnehmen wird. Die Person, von der wir das Grundstück gekauft hatten, war Mitglied der Nahzat- Gruppierung. Die Gegner wollten das Grundstück zurück haben, und sie hätten uns umgebracht.

[...]

RI: Sprechen Sie Deutsch? Haben Sie mich bis jetzt auch ohne Übersetzung durch die D verstehen können?

BF: Ja, ich habe Sie teilweise verstanden, ich kann die Fragen aber nicht auf Deutsch beantworten. Ich habe auch längere Zeit einen Deutschkurs besucht, kann mir das aber jetzt nicht mehr leisten. Ich habe auch versucht, über das Internet etwas Deutsch zu lernen.

RI: Was machen Sie derzeit tagsüber, wie ist Ihr Tagesablauf?

BF: Nach dem Frühstück höre ich mir eine Internetseite namens Telegramm Deutsch an und schreibe auch. Dann bereiten wir das Mittagessen zu und machen den Haushalt. Nachmittags höre ich wieder dieselbe Internetseite für ein paar Stunden. Ich wollte zu einem Fitnessstudio gehen. Ich habe mich darüber informiert. Mir wurde mitgeteilt, nachdem ich die "weiße Karte" habe, müsste ich für ein ganzes Jahr die Gebühren im Voraus zahlen. Das kann ich mir nicht leisten.

RI: Wurden Sie in Österreich jemals von einem Gericht wegen einer Straftat verurteilt oder von einer Behörde mit einem Aufenthaltsverbot oder Rückkehrverbot belegt?

BF: Nein.

RI: Unterhalten Sie von Österreich aus noch Bindungen an Ihren Herkunftsstaat, insbesondere Kontakte zu dort lebenden Familienangehörigen, Verwandten, Freunden oder zu sonstigen Personen? Wenn ja, wie sieht dieser Kontakt konkret aus (telefonisch, brieflich, per E-Mail), bzw. wie regelmäßig ist dieser Kontakt?

BF: Meine zwei Schwestern leben noch in meiner Heimat. Ich bin selten mit ihnen in Kontakt, da der Empfang dort nicht so gut ist. Wenn wir miteinander telefonieren wollen, müssten sie auf einen Berg steigen, damit sie Empfang haben. Mit meiner Frau kommuniziere ich über "Viber" ca. alle zwei bis drei Tage. Die jüngste Tochter ist zehn Jahre alt, und die ältere ist 16 Jahre alt. Als ich nach Österreich gekommen bin, waren sie so alt, jetzt sind sie elf und 17 Jahre alt. Wir hatten Geld, und ich habe ihnen das Geld in einer Bank hinterlegt.

RI: Sind Ihre Töchter im Iran in die Schule gegangen?

BF: Ja.

RI: Wie heißen Ihre Töchter und Ihre Ehefrau?

BF: XXXX heißen meine Töchter, und meine Frau heißt XXXX.

RI: Warum könnten Sie jetzt nicht nach Ghazni zurückkehren?

BF: Der Kommandant Carlos ist mit der Person, von der wir das Grundstück gekauft haben, in einer familiären Beziehung. Dieser Kommandant hat meinen Vater umgebracht. Ich habe Angst vor diesem Kommandanten. Er würde mich umbringen, um das Grundstück zu bekommen. Er arbeitet sowohl mit den Taliban zusammen als auch mit der Regierung. Der Kommandant Carlos ist jetzt Polizeichef eines Polizeisprengels in Kabul.

RI: Aber das Grundstück hat er ja jetzt schon?

BF: Wenn ich zurückkehren würde, hätten sie davor Angst, dass ich das Grundstück zurückverlangen würde bzw. gegen sie eine Anzeige erstatten würde.

Zu den Fluchtgründen und zur Situation im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat:

RI: Sie wurden bereits im Verfahren vor dem Bundesasylamt zu den Gründen, warum Sie Ihren Herkunftsstaat verlassen haben bzw. warum Sie nicht mehr in Ihren Herkunftsstaat zurückkehren können (Fluchtgründe), einvernommen. Die diesbezüglichen Niederschriften liegen im Akt ein.

Sind Ihnen diese Angaben noch erinnerlich und, wenn ja, halten Sie diese Angaben vollinhaltlich und unverändert aufrecht, oder wollen Sie zu Ihren Fluchtgründen noch etwas ergänzen oder berichtigen, das Ihnen wichtig erscheint? Sie haben dafür nun ausreichend Zeit und auch die Gelegenheit, allfällige Beweismittel vorzulegen.

BF: Ich habe alles ausgesagt.

RI: Warum haben Sie über die gesamte Geschichte gar keine Belege?

BF: Wir sind aus Afghanistan geflüchtet, alles was wir zu Hause hatten, wurde durch diesen Kommandanten Carlos angezündet und niedergebrannt bzw. vernichtet.

RI: Wieso sind Ihre zwei Schwestern noch in Afghanistan?

BF: Wenn Mädchen heiraten, werden sie dann das Eigentum von jemand anderem. Sie haben keinen Bezug mehr zur Familie, deshalb tut man ihnen auch nichts mehr.

Der RI bringt unter Berücksichtigung des Vorbringens des BF auf Grund der dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Informationen die dieser Niederschrift beiliegenden Feststellungen und Berichte [...] in das gegenständliche Verfahren ein.

Der RI erklärt die Bedeutung und das Zustandekommen dieser Berichte. Im Anschluss daran legt der RI die für die Entscheidung wesentlichen Inhalte dieser Feststellungen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat dar.

RI gibt BFV die Möglichkeit, eine mündliche Stellungnahme abzugeben oder Fragen zu stellen.

BFV an BF: Wenn Sie jetzt nach Ghazni zurückkehren müssten, was hätten Sie für Möglichkeiten, sich über Wasser zu halten?

BF: Ich habe in Afghanistan überhaupt keine Möglichkeiten, da das Leben dort zum großen Teil auf Landwirtschaft aufgebaut ist. Wenn ich kein Grundstück habe, kann ich mich nicht über Wasser halten.

BFV: Bei einer Rückkehr des BF nach Afghanistan wäre dieser gezwungen zu versuchen, sein Grundstück zurückzubekommen. Kommandant Carlos und dessen Familienangehörige wissen dies auch und würden den BF ermorden, um Vergeltungsmaßnahmen bzw. Versuche, das Grundstück auf andere Weise - wie zum Beispiel durch Anzeigen - zurückzubekommen, zu verhindern. Und ich verweise in diesem Fall auf das Erkenntnis des BVwG vom 25.08.2015, W131 1425924, zur antizipierten Blutrache. Weiters zeigen mehrere Länderberichte, dass sich Blutfehden/Streit um Grundstücke oft über mehrere Generationen aufrechterhalten. Einbringen möchte ich auch noch, dass in einem Asylverfahren mündliche Aussagen oft das einzige Mittel zur Glaubhaftmachung sind, und ich verweise auf einen Bericht des UNHCR zur Credibility.

[...]

Dem BF wird die Möglichkeit eingeräumt, binnen einer Frist von zwei Monaten Belege darüber nachzubringen, wo sich seine Ehefrau und seine beiden Töchter aufhalten (z.B. Mietvertrag, Zeugnisse, Krankenbestätigungen, Heiratsurkunde, Impfpass etc.). [...]"

Das erkennende Gericht brachte weitere Erkenntnisquellen zum Herkunftsstaat des BF in das Verfahren ein (aufgelistet unter Punkt 2.).

Das BFA beantragte nicht die Abweisung der gegenständlichen Beschwerde. Dem BFA wurde die Verhandlungsschrift samt Beilagen übermittelt.

1.11. Mit Eingabe vom 23.03.2017 legte die Vertreterin des BF für diesen Schulzeugnisse der Töchter des BF aus dem Iran - ohne Übersetzung in die deutsche Sprache - vor, deren Übersetzung amtlich veranlasst wurde.

1.12. Mit Eingabe vom 28.08.2018 legte die Vertreterin des BF für diesen ein Empfehlungsschreiben eines Bekannten für den BF vor. Der BF sei ein guter Tischler, ein guter und herzlicher Mensch und lehne Radikalität und Islamismus klar ab. Er verdiene es ganz besonders, sein weiteres Leben in unserem Land führen zu können.

1.13. Die Übersetzungen der oben genannten Schriftstücke, denen zufolge es sich tatsächlich um Schulzeugnisse aus dem Iran für die Töchter des BF handelt, langten erst am 26.11.2018 nach mehreren - zunächst vergeblichen - Urgenzen und folgendem Übersetzerwechsel beim BVwG ein.

Sie wurden mit schriftlich eingeräumtem Parteiengehör vom 11.12.2018, gemeinsam mit weiteren aktuellen Erkenntnisquellen zum Herkunftsstaat des BF, sowohl dem BF als auch dem BFA mit Einräumung einer Frist von zwei Wochen zur allfälligen Stellungnahme zur Kenntnis gebracht.

Die Vertreterin des BF teilte dazu mit Schreiben vom 17.12.2018 mit, dass es seitens des BF zu keinen nennenswerten Veränderungen in seinen persönlichen Lebensumständen seit der Verhandlung vor dem BVwG gekommen sei. Den eingebrachten Länderberichten werde zugestimmt.

Das BFA nahm dazu keine Stellung und beteiligte sich auch sonst nicht am Verfahren vor dem BVwG.

2. Beweisaufnahme:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch:

* Einsicht in den dem BVwG vorliegenden Verwaltungsakt des BFA, beinhaltend die Niederschriften der Erstbefragung am 29.12.2015 und der Einvernahmen vor dem BFA am 18.05.2016 sowie im fortgesetzten Verfahren am 14.10.2016 und die gegenständliche Beschwerde vom 27.10.2016

* Einsicht in Dokumentationsquellen betreffend den Herkunftsstaat des BF im erstbehördlichen Verfahren (offenbar Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Aktenseiten 242 bis 299)

* Einvernahme des BF im Rahmen der öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem BVwG am 13.03.2017 sowie Einsichtnahme in die im Beschwerdeverfahren vorgelegten Belege (Schulzeugnisse der beiden Töchter des BF aus dem Iran)

* Einsichtnahme in folgende in der öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem BVwG am 13.03.2017 vorgelegte Erkenntnisquellen zum Herkunftsstaat des BF:

o Feststellungen und Berichte über die allgemeine Lage im Herkunftsstaat (Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 02.03.2017)

o UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des Internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom April 2016 und Anmerkungen von UNHCR zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des deutschen Bundesministerium des Innern vom Dezember 2016

o Auszüge aus einer gutachterlichen Stellungnahme zur Sicherheits- und Versorgungslage in Kabul von Dr. Sarajuddin RASULY vom 23.10.2015, Zahl W119 2006001, in einem anderen Verfahren des BVWG betreffend einen anderen Asylwerber sowie zwei weitere Auszüge aus gutachterlichen Stellungnahmen desselben Sachverständigen betreffend weitere Asylwerber vor dem BVwG (W151 1435926-2, Verhandlung vom 29.04.2016, W154 2009999-1, 04.05.2016) sowie

o Auszüge aus dem Dossier der Staatendokumentation (des BFA) aus 2016 zum Thema "Grundlagen der Stammes- & Clanstruktur in Afghanistan und Pakistan"

* Einsichtnahme in folgende weitere mit Parteiengehör vom 11.12.2018 in das Beschwerdeverfahren vor dem BVwG eingebrachte Erkenntnisquellen zum Herkunftsstaat des BF:

o Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat (Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des BFA zu Afghanistan vom 29.06.2018, zuletzt aktualisiert am 23.11.2018,

o Artikel in Asylmagazin 3/2017 "Überleben in Afghanistan? Zur humanitären Lage von Rückkehrenden und ihren Chancen auf familiäre Unterstützung" von Friederike Stahlmann

3. Ermittlungsergebnis (Sachverhaltsfeststellungen):

Folgende Feststellungen werden aufgrund des glaubhaft gemachten Sachverhaltes getroffen:

3.1. Zur Person des BF:

Der BF führt den Namen XXXX, geboren am XXXX, ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan, Angehöriger der Volksgruppe der Hazara und bekennt sich zur schiitischen Glaubensrichtung des Islam. Die Muttersprache des BF ist Dari, er spricht aufgrund seines langjährigen Aufenthaltes im Iran besser Farsi.

3.1.2. Lebensumstände:

Der BF stammt aus XXXX, Ghazni, und besuchte dort die Schule. Danach arbeitete er neun Jahre lang als Tischler.

Aufgrund der kriegerischen Ereignisse verließ die Familie des BF Ende der 90er-Jahre Afghanistan, lebte ca. vier Jahre lang im Iran und kehrte ca. 1999 wieder nach Afghanistan zurück. Im Iran arbeitete der BF als Hilfsarbeiter, Bodenleger von Steinplatten und Schweißer.

Nachdem der Vater des BF aus angegebenen Gründen verstarb, zog die Mutter des BF mit seinen beiden Brüdern ca. im Jahr 2000 nach England, wo sie knapp zehn Jahre später Asylstatus erlangt hätten.

Der BF zog nach dem Tod seines Vaters wieder in den Iran, heiratete dort eine im Iran geborene afghanische Staatsangehörige und hat mit ihr gemeinsam zwei Töchter (im Alter von nunmehr ca. zwölf und achtzehn Jahren).

3.1.3. Den Iran verließ der BF aus Angst vor der Rekrutierung für den Krieg in Syrien, wofür er bereits mit Waffengewalt in ein Vorbereitungscamp geführt worden war und mit Hilfe eines Cousins fliehen konnte. In Österreich stellte er am 28.12.2015 gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

3.1.4. Der BF bemüht sich um seine Integration In Österreich. Er lernt Deutsch und hat regelmäßigen Kontakt mit seiner Familie im Iran. Er lebt privat gemeinsam mit zwei anderen Asylwerbern und hat zahlreiche Kontakte mit Österreichern (Sport, Wandern, Kultur).

3.1.5. Der BF ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

3.2. Zu den Fluchtgründen des BF:

Der BF konnte nicht glaubhaft vermitteln, dass er in seinem Herkunftsstaat einer Verfolgung aus asylrelevanten Gründen ausgesetzt wäre. Er hat eigene Fluchtgründe nicht hinreichend konkret vorgebracht und in keiner Weise belegt.

3.3. Zu einer möglichen Rückkehr des BF in den Herkunftsstaat:

3.3.1. Es konnte vom BF auch nicht glaubhaft vermittelt werden, dass er im Falle der Rückkehr in den Herkunftsstaat einer Verfolgung aus asylrelevanten Gründen ausgesetzt wäre.

3.3.2. Dem BF würde derzeit bei einer Rückkehr in seine Herkunftsprovinz Ghazni ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen.

Eine Rückkehr und Ansiedelung außerhalb seiner Herkunftsprovinz, etwa in den Städten Kabul, Herat oder Mazar-e-Sharif, ist dem BF aufgrund seiner individuellen Umstände nicht zumutbar, zumal er dort nicht gelebt hat und über keine sozialen Anknüpfungspunkte verfügt.

Dazu kommt insbesondere, dass es sich beim BF zwar um einen erwerbsfähigen und gesunden, nicht aber um einen alleinstehenden jungen Mann handelt. Er ist verheiratet und hat zwei Töchter, lebt seit über drei Jahren in Österreich und zeigt sich um seine Integration bemüht.

Die beim BF vorgenommene Einzelfallprüfung ergibt, dass aufgrund der oben dargelegten individuellen Umstände nicht davon ausgegangen werden kann, dass es ihm möglich ist, nach allfälligen anfänglichen Schwierigkeiten in Afghanistan Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können. Bei einer dortigen Ansiedelung liefe der BF mit seiner Familie vielmehr Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.

3.4. Zur Lage im Herkunftsstaat des BF:

Aufgrund der im Beschwerdeverfahren in das Verfahren eingeführten aktuellen Erkenntnisquellen werden folgende entscheidungsrelevante Feststellungen zum Herkunftsstaat des BF getroffen:

3.4.1. Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des BFA zu Afghanistan ("Gesamtaktualisierung am 29.06.2018", zuletzt aktualisiert am 23.11.2018, Schreibfehler teilweise korrigiert):

"[...] 2. Politische Lage

Nach dem Sturz des Taliban-Regimes im Jahr 2001 wurde eine neue Verfassung ausgearbeitet und im Jahr 2004 angenommen (BFA Staatendokumentation 7.2016; vgl. Casolino 2011). Sie basiert auf der Verfassung aus dem Jahr 1964. Bei der Ratifizierung sah diese Verfassung vor, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürger Afghanistans, Mann wie Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA Staatendokumentation 3.2014; vgl. Casolino 2011, MPI 27.01.2004).

Die Verfassung der islamischen Republik Afghanistan sieht vor, dass der Präsident der Republik direkt vom Volk gewählt wird und sein Mandat fünf Jahre beträgt (Casolino 2011). Implizit schreibt die Verfassung dem Präsidenten auch die Führung der Exekutive zu (AAN 13.2.2015).

Nach den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2014 einigten sich die beiden Kandidaten Ashraf Ghani und Abdullah Abdullah Mitte 2014 auf eine Regierung der Nationalen Einheit (RNE) (AM 2015; vgl. DW 30.09.2014). Mit dem RNE-Abkommen vom 21.09.2014 wurde neben dem Amt des Präsidenten der Posten des CEO (Chief Executive Officer) eingeführt, dessen Befugnisse jenen eines Premierministers entsprechen. Über die genaue Gestalt und Institutionalisierung des Postens des CEO muss noch eine loya jirga [Anm.: größte nationale Versammlung zur Klärung von wichtigen politischen bzw. verfassungsrelevanten Fragen] entscheiden (AAN 13.02.2015; vgl. AAN o. D.), doch die Einberufung einer loya jirga hängt von der Abhaltung von Wahlen ab (CRS 13.12.2017).

Die afghanische Innenpolitik war daraufhin von langwierigen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Regierungslagern unter Führung von Präsident Ashraf Ghani und dem Regierungsvorsitzenden (Chief Executive Officer, CEO) Abdullah Abdullah geprägt. Kurz vor dem Warschauer NATO-Gipfel im Juli 2016 wurden schließlich alle Ministerämter besetzt (AA 9.2016).

Parlament und Parlamentswahlen

Die afghanische Nationalversammlung ist die höchste legislative Institution des Landes und agiert im Namen des gesamten afghanischen Volkes (Casolino 2011). Sie besteht aus dem Unterhaus, auch wolesi jirga, "Kammer des Volkes", genannt, und dem Oberhaus, meshrano jirga auch "Ältestenrat" oder "Senat" genannt. Das Unterhaus hat 250 Sitze, die sich proportional zur Bevölkerungszahl auf die 34 Provinzen verteilen. Verfassungsgemäß sind für Frauen 68 Sitze, für die Minderheit der Kutschi zehn Sitze und für Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft ein Sitz im Unterhaus reserviert (AAN 22.01.2017; vgl. USDOS 20.04.2018, USDOS 15.08.2017, CRS 13.12.2017, Casolino 2011). Die Mitglieder des Unterhauses haben ein Mandat von fünf Jahren (Casolino 2011). Die verfassungsmäßigen Quoten gewährleisten einen Frauenanteil von ca. 25% im Unterhaus (AAN 22.01.2017).

Das Oberhaus umfasst 102 Sitze (IPU 27.02.2018). Zwei Drittel von diesen werden von den gewählten Provinzräten vergeben. Das verbleibende Drittel, wovon 50% mit Frauen besetzt werden müssen, vergibt der Präsident selbst. Zwei der vom Präsidenten zu vergebenden Sitze sind verfassungsgemäß für die Kutschi-Minderheit und zwei weitere für behinderte Personen bestimmt. Auch ist de facto ein Sitz für einen Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft reserviert (USDOS 20.04.2018; vgl. USDOS 15.08.2017).

Die Rolle des Parlaments bleibt begrenzt. Zwar beweisen die Abgeordneten mit kritischen Anhörungen und Abänderungen von Gesetzentwürfen in teils wichtigen Punkten, dass das Parlament grundsätzlich funktionsfähig ist. Zugleich nutzt das Parlament seine verfassungsmäßigen Rechte, um die Arbeit der Regierung destruktiv zu behindern, Personalvorschläge der Regierung z.T. über längere Zeiträume zu blockieren und sich Zugeständnisse wohl auch durch finanzielle Zuwendungen an einzelne Abgeordnete abkaufen zu lassen. Insbesondere das Unterhaus hat sich dadurch sowohl die RNE als auch die Zivilgesellschaft zum Gegner gemacht. Generell leider die Legislative unter einem kaum entwickelten Parteiensystem und mangelnder Rechenschaft der Parlamentarier gegenüber ihren Wählern (AA 5.2018).

Die für Oktober 2016 angekündigten Parlamentswahlen konnten wegen ausstehender Wahlrechtsreformen nicht Am geplanten Termin abgehalten werden. Daher bleibt das bestehende Parlament weiterhin im Amt (AA 9.2016; vgl. CRS 12.01.2017). Im September 2016 wurde das neue Wahlgesetz verabschiedet und Anfang April 2018 wurde von der unabhängigen Wahlkommission (IEC) der 20.10.2018 als neuer Wahltermin festgelegt. Gleichzeitig sollen auch die Distriktwahlen stattfinden (AAN 12.04.2018; vgl. AAN 22.01.2017, AAN 18.12.2016).

Parteien

Die afghanische Verfassung erlaubt die Gründung politischer Parteien, solange deren Programm nicht im Widerspruch zu den Prinzipien des Islam steht (USDOS 15.08.2017). Um den Parteien einen allgemeinen und nationalen Charakter zu verleihen, verbietet die Verfassung jeglichen Zusammenschluss in politischen Organisationen, der aufgrund von ethnischer, sprachlicher oder konfessioneller Zugehörigkeit erfolgt (Casolino 2011). Auch darf keine rechtmäßig zustande gekommene Partei oder Organisation ohne rechtliche Begründung und ohne richterlichen Beschluss aufgelöst werden (AE o. D.). Der Terminus "Partei" umfasst gegenwärtig eine Reihe von Organisationen mit sehr unterschiedlichen organisatorischen und politischen Hintergründen. Trotzdem existieren Ähnlichkeiten in ihrer Arbeitsweise. Einer Anzahl von ihnen war es möglich, die Exekutive und Legislative der Regierung zu beeinflussen (USIP 3.2015).

Die meisten dieser Gruppierungen erscheinen jedoch mehr als Machtvehikel ihrer Führungsfiguren, denn als politisch-programmatisch gefestigte Parteien. Ethnischer Proporz, persönliche Beziehungen und ad hoc geformte Koalitionen genießen traditionell mehr Einfluss als politische Organisationen. Die Schwäche des sich noch entwickelnden Parteiensystems ist auf strukturelle Elemente (wie z.B. das Fehlen eines Parteienfinanzierungsgesetzes) zurückzuführen sowie auf eine allgemeine Skepsis der Bevölkerung und der Medien. Reformversuche sind im Gange, werden aber durch die unterschiedlichen Interessenlagen immer wieder gestört, etwa durch das Unterhaus selbst (AA 9.2016). Ein hoher Grad an Fragmentierung sowie eine Ausrichtung auf Führungspersönlichkeiten sind charakteristische Merkmale der afghanischen Parteienlandschaft (AAN 06.05.2018).

Mit Stand Mai 2018 waren 74 Parteien beim Justizministerium (MoJ) registriert (AAN 06.05.2018).

Parteienlandschaft und Opposition

Nach zweijährigen Verhandlungen unterzeichneten im September 2016 Vertreter der afghanischen Regierung und der Hezb-e Islami ein Abkommen (CRS 12.01.2017), das letzterer Immunität für "vergangene politische und militärische" Taten zusichert. Dafür verpflichtete sich die Gruppe, alle militärischen Aktivitäten einzustellen (DW 29.09.2016). Das Abkommen beinhaltete unter anderem die Möglichkeit eines Regierungspostens für den historischen Anführer der Hezb-e-Islami, Gulbuddin Hekmatyar; auch soll sich die afghanische Regierung bemühen, internationale Sanktionen gegen Hekmatyar aufheben zu lassen (CRS 12.01.2017). Tatsächlich wurde dieser im Februar 2017 von der Sanktionsliste des UN-Sicherheitsrates gestrichen (AAN 03.05.2017). Am 04.05.2017 kehrte Hekmatyar nach Kabul zurück (AAN 04.05.2017). Die Rückkehr Hekmatyars führte u.a. zu parteiinternen Spannungen, da nicht alle Fraktionen innerhalb der Hezb-e Islami mit der aus dem Friedensabkommen von 2016 erwachsenen Verpflichtung, sich unter Hekmatyars Führung wiederzuvereinigen, einverstanden sind (AAN 25.11.2017; vgl. Tolonews 19.12.2017, AAN 6.5.2018). Der innerparteiliche Konflikt dauert weiter an (Tolonews 14.03.2018).

Ende Juni 2017 gründeten Vertreter der Jamiat-e Islami-Partei unter Salahuddin Rabbani und Atta Muhammad Noor, der Jombesh-e Melli-ye Islami-Partei unter Abdul Rashid Dostum und der Hezb-e Wahdat-e Mardom-Partei unter Mardom Muhammad Mohaqeq die semi-oppositionelle "Coalition for the Salvation of Afghanistan", auch "Ankara Coalition" genannt. Diese Koalition besteht aus drei großen politischen Parteien mit starker ethnischer Unterstützung (jeweils Tadschiken, Usbeken und Hazara) (AB 18.11.2017; vgl. AAN 06.05.2018).

Unterstützer des weiterhin politisch tätigen ehemaligen Präsidenten Hamid Karzai gründeten im Oktober 2017 eine neue politische Bewegung, die Mehwar-e Mardom-e Afghanistan (The People's Axis of Afghanistan), unter der inoffiziellen Führung von Rahmatullah Nabil, des ehemaligen Chefs des afghanischen Geheimdienstes (NDS). Später distanzierten sich die Mitglieder der Bewegung von den politischen Ansichten Hamid Karzais (AAN 06.05.2018; vgl. AAN 11.10.2017).

Anwarul Haq Ahadi, der langjährige Anführer der Afghan Mellat, eine der ältesten Parteien Afghanistans, verbündete sich mit der ehemaligen Mujahedin-Partei Harakat-e Enqilab-e Eslami-e Afghanistan. Gemeinsam nehmen diese beiden Parteien am New National Front of Afghanistan teil (NNF), eine der kritischsten Oppositionsgruppierungen in Afghanistan (AAN 6.5.2018; vgl. AB 29.05.2017).

Eine weitere Oppositionspartei ist die Hezb-e Kongara-ya Melli-ye Afghanistan (The National Congress Party of Afghanistan) unter der Führung von Abdul Latif Pedram (AB 151.2016; vgl. AB 295.2017).

Auch wurde die linksorientierte Hezb-e-Watan-Partei (The Fatherland Party) wieder ins Leben gerufen, mit der Absicht, ein wichtiges Segment der ehemaligen linken Kräfte in Afghanistan zusammenzubringen (AAN 06.05.2018; vgl. AAN 21.08.2017).

Friedens- und Versöhnungsprozess

Am 28.02.2018 machte Afghanistans Präsident Ashraf Ghani den Taliban ein Friedensangebot (NYT 11.03.2018; vgl. TS 28.02.2018). Die Annahme des Angebots durch die Taliban würde, so Ghani, diesen verschiedene Garantien gewähren, wie eine Amnestie, die Anerkennung der Taliban-Bewegung als politische Partei, eine Abänderung der Verfassung und die Aufhebung der Sanktionen gegen ihre Anführer (TD 07.03.2018). Quellen zufolge wird die Annahme bzw. Ablehnung des Angebots derzeit in den Rängen der Taliban diskutiert (Tolonews 16.4.2018; vgl. Tolonews 11.4.2018). Anfang 2018 fanden zwei Friedenskonferenzen zur Sicherheitslage in Afghanistan statt: die zweite Runde des Kabuler Prozesses [Anm.: von der afghanischen Regierung ins Leben gerufene Friedenskonferenz mit internationaler Beteiligung] und die Friedenskonferenz in Taschkent (TD 24.03.2018; vgl. TD 07.03.2018, NZZ 28.02.2018). Anfang April rief Staatspräsident Ghani die Taliban dazu auf, sich für die Parlamentswahlen im Oktober 2018 als politische Gruppierung registrieren zu lassen, was von diesen jedoch abgelehnt wurde (Tolonews 16.04.2018). Ende April 2018 kam es in diesem Zusammenhang zu Angriffen regierungsfeindlicher Gruppierungen (hauptsächlich des IS, aber auch der Taliban) auf mit der Wahlregistrierung betraute Behörden in verschiedenen Provinzen (vgl. Kapitel 3. "Sicherheitslage").

Am 19.05.2018 erklärten die Taliban, sie würden keine Mitglieder afghanischer Sicherheitskräfte mehr angreifen, wenn diese ihre Truppen verlassen würden, und gewährten ihnen somit eine "Amnestie". In ihrer Stellungnahme erklärten die Aufständischen, dass das Ziel ihrer Frühlingsoffensive Amerika und ihre Alliierten seien (AJ 19.05.2018).

Am 07.06.2018 verkündete Präsident Ashraf Ghani einen Waffenstillstand mit den Taliban für den Zeitraum 12.06.2018 - 20.06.2018. Die Erklärung erfolgte, nachdem sich Am 04.06.2018 über 2.000 Religionsgelehrte aus ganz Afghanistan in Kabul versammelt hatten und eine Fatwa zur Beendigung der Gewalt aussprachen (Tolonews 07.06.2018; vgl. Reuters 07.06.2018, RFL/RL 05.06.2018). Durch die Fatwa wurden Selbstmordanschläge für ungesetzlich (nach islamischem Recht, Anm.) erklärt und die Taliban dazu aufgerufen, den Friedensprozess zu unterstützen (Reuters 05.06.2018). Die Taliban selbst gingen am 09.06.2018 auf das Angebot ein und erklärten einen Waffenstillstand von drei Tagen (die ersten drei Tage des Eid-Fests, Anm.). Der Waffenstillstand würde sich jedoch nicht auf die ausländischen Sicherheitskräfte beziehen; auch würden sich die Taliban im Falle eines militärischen Angriffs verteidigen (HDN 10.06.2018; vgl. TH 10.06.2018, Tolonews 09.06.2018).

[...]

2. Sicherheitslage

Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil (UNGASC 27.02.2018).

Für das Jahr 2017 registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) landesweit 29.824 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahresvergleich wurden von INSO 2016 landesweit 28.838 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert und für das Jahr 2015 25.288. Zu sicherheitsrelevanten Vorfällen zählt INSO Drohungen, Überfälle, direkter Beschuss, Entführungen, Vorfälle mit IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und andere Arten von Vorfällen (INSO o.D.)

[...]

Für das Jahr 2017 registrierte die UN insgesamt 23.744 sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan (UNGASC 27.02.2018); für das gesamte Jahr 2016 waren es 23.712 (UNGASC 09.03.2017). Landesweit wurden für das Jahr 2015 insgesamt 22.634 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (UNGASC 15.03.2016).

[...]

Im Jahr 2017 waren auch weiterhin bewaffnete Zusammenstöße Hauptursache (63%) aller registrierten sicherheitsrelevanten Vorfälle, gefolgt von IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und Luftangriffen. Für das gesamte Jahr 2017 wurden 14.998 bewaffnete Zusammenstöße registriert (2016: 14.977 bewaffnete Zusammenstöße) (USDOD 12.2017). Im August 2017 stuften die Vereinten Nationen (UN) Afghanistan, das bisher als "Post-Konflikt-Land" galt, wieder als "Konfliktland" ein; dies bedeute nicht, dass kein Fortschritt stattgefunden habe, jedoch bedrohe der aktuelle Konflikt die Nachhaltigkeit der erreichten Leistungen (UNGASC 10.

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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