TE Bvwg Erkenntnis 2018/11/23 L504 2151215-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 23.11.2018
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Entscheidungsdatum

23.11.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
EMRK Art.2
EMRK Art.3
EMRK Art.8
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

L504 2151215-1/20E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. R. ENGEL als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX geb.XXXX1974, StA. Irak, vertreten durch RA Dr. Blum, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23.02.2017, XXXX nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 21.06.2018 zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird gemäß §§ 3, 8 ,57, 10 AsylG 2005, §§ 52 Abs 2 Z 2 u. Abs 9, 46, 55, FPG idgF als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrenshergang

Die beschwerdeführende Partei [bP] stellte nach nicht rechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet am 03.08.2014 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl [BFA) einen Antrag auf internationalen Schutz.

Es handelt sich dabei um einen Mann, welcher seinen Angaben nach Staatsangehöriger des Irak mit sunnitischem Glaubensbekenntnis ist, der Volksgruppe der Araber angehört und aus dem Bezirk XXXX (auch XXXX) im Gouvernment Babil stammt.

Anlässlich der Erstbefragung am 03.08.2014 durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab die beschwerdeführende Partei an, dass sie gemeinsam mit ihrem Bruder - dieser stellte wie die bP in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz - am 28.06.2014 auf legale Weise mit dem Pkw in die Türkei gefahren seien. Von dort aus seinen sie mit Hilfe einer Schlepperorganisation nach Österreich gereist.

Zum Ausreisemotiv befragt gab die bP an (Auszug aus der Niederschrift):

"Warum haben Sie Ihr Land verlassen?

Wegen des Krieges. Gefährliche Lage im Irak. Sonst habe ich keine weiteren Fluchtgründe."

Im Falle einer Rückkehr habe sie Angst um ihr Leben und sie würde umgebracht werden.

In der nachfolgenden Einvernahme beim Bundesamt brachte die bP am 08.11.2016 zu ihrer ausreisekausalen Problemlage im Herkunftsstaat im Wesentlichen Folgendes vor:

"[...]

F: Verstehen sie den Dolmetsch einwandfrei?

A: Ja, ohne Probleme.

V: Sie werden nunmehr ausdrücklich darauf hingewiesen, dass Sie im Fall von Verständigungsschwierigkeiten jederzeit rückfragen können. Wenn Sie nachträglich behaupten den Dolmetscher nicht verstanden zu haben, unterliegt dies der freien Beweiswürdigung.

[...]

F. Haben Sie im Verfahren bis dato, bei den bisherigen Befragungen, der Wahrheit entsprechende Angaben gemacht und wurden Ihnen diese jeweils rückübersetzt? Wurde alles richtig protokolliert?

A. Ja. Ich kann mich aber nicht mehr erinnern ob alles rückübersetzt wurde. Nachgefragt: Ich kann mich nicht mehr erinnern, aber ich glaube dass ich unterschrieben habe.

[...]

F.: Können Sie bitte einen kurzen Lebenslauf bezüglich Ihrer Person schildern? Z.B.: Wo sind Sie aufgewachsen, welche Schulausbildung haben Sie absolviert, welchen Beruf haben Sie ausgeübt etc.?

A: Ich bin 1974 geboren und dann von 1981 bis 1987 in die Grundschule gegangen. Ab 1987 habe ich als Mechaniker gearbeitet und dann später nebenbei noch als Taxifahrer. 7 Jahre habe ich auch als LKW-Fahrer gearbeitet. Danach dann auch als Taxifahrer. Die letzte Tätigkeit die ich ausgeübt habe war Taxifahrer bis zu meiner Ausreise. Ich habe abwechselnd als Taxifahrer und als Mechaniker gearbeitet.

AW gibt an, sich nicht mehr genau zu erinnern.

F: Haben Sie eine Berufsausbildung?

A: Nein ich habe als Mechaniker von meinem Vater gelernt.

F: Wie lange bis zu Ihrer Ausreise haben Sie gearbeitet?

A: So ungefähr bis 10 Tage vor dem 28.6.2014 (wo ich den Irak verlassen habe) etwa habe ich gearbeitet.

[...]

A: Ich konnte gut leben davon.

F: Wo war ihr letzter Wohnort im Irak?

A: Babel, XXXXStadtteil XXXX.

F: Haben Sie als Taxifahrer in Babel gearbeitet?

A: Meine Tätigkeit als Taxifahrer war meistens mit meiner Familie. Ich habe meistens Familien gefahren, weil ich Angst vor den jungen Leuten hatte.

F: Wo verbrachten Sie die letzte Nacht vor Ihrer Flucht?

A: Zuhause.

F: Haben Sie alleine gelebt?

A: Nein ich habe mit meinem Vater und meinen Geschwistern zusammen gelebt im Elternhaus.

F: Wann haben Sie den Irak verlassen? Das genaue Datum?

A: Am 28.6.2014.

F: Haben Sie den Irak legal verlassen?

A: Legal mit dem Reisepass vom Nordirak aus

F: Welche Verwandte leben noch im Irak?

A: Meine Schwester und mein Vater. Der Rest meiner Familie lebt in der Türkei.

[...]

F: Wo lebt Ihr Vater, in einem eigenen Haus?

A: Ja immer noch in unserem Haus.

[...]

F: Wer lebt jetzt noch in dem Haus?

A: Mein Vater lebt alleine dort. Meine Schwester lebt ein bisschen außerhalb. Sie ist verheiratet und lebt mit Ihrem Mann. Mein Vater ist behindert. Nachgefragt: Er kann alleine leben.

F: Wovon lebt Ihr Vater?

A: Mein Vater arbeitet immer noch als Taxifahrer.

F: Haben Sie Geschwister?

A: Ja, ich habe 6 Geschwister, 4 Brüder und 2 Schwestern.

F: Wie heißen Ihre Brüder, wie alt sind Sie und wo leben Sie?

A: XXXX XXXX, XXXX geboren, ist in der Türkei

XXXX XXXX, XXXX geboren, in der Türkei

XXXX XXXX, XXXX, XXXX geboren, lebt in Schweden

XXXX XXXX, XXXX geboren, lebt in Ö

F: Wie heißen Ihre Schwestern, wie alt sind Sie und wovon leben Sie?

A: XXXX XXXX, XXXX geboren, in der Türkei

XXXX XXXX, XXXX geboren, lebt im Irak

F: Haben Sie noch Kontakt mit Ihren Familienangehörigen?

A: Fast gar nicht. Als ich nach Ö gekommen bin, hatten wir noch ein wenig Kontakt, aber jetzt fast gar nicht mehr.

F: Wann hatten Sie zuletzt Kontakt mit Ihren Familienangehörigen?

A: Das ist sicher schon 20 Monate her.

F: Ist es schwer die Angehörigen zu kontaktieren oder warum haben Sie fast keinen Kontakt?

A: Das ist mir nicht so wichtig. Jeder Mensch geht seinen Weg.

F: Das heißt sie wissen auch nicht wie es ihrem Vater im Irak geht?

A: ich weiß es nur von meinem Bruder. Ich versuche zu vergessen und will keinen Kontakt.

F: Wie geht es dem Vater im Irak, was sagt Ihnen der Bruder?

A: Es geht ihm gut.

F: Haben Sie Verwandte oder Bekannte in Österreich, wo wohnen diese?

A: Ich habe meinen Bruder XXXX hier, sonst niemanden.

F: Hatte ihre Familie Probleme durch ihre Ausreise?

A: Nein, meine Familie hat nichts zu tun mit meiner Ausreise. Die haben ihre eigene Geschichte.

[...]

F: War Österreich ihr Zielland?

A: Mein Reiseziel war von Anfang an Wien.

F: Hatten Sie ein Visum für die Türkei?

A: Ja, ich hatte ein Visum.

F: Gab es Probleme bei ihrer Ausreise im Irak?

A: Nein.

[...]

F.: Beantworten Sie die nachstehenden Fragen mit "Ja" oder "Nein". Sie haben später noch die Gelegenheit, sich ausführlich zu diesen Fragen zu äußern:

F.: Sind Sie vorbestraft oder waren Sie in Ihrem Heimatland inhaftiert oder hatten Sie Probleme mit den Behörden in der Heimat?

A.: Nein, aber ich hatte Probleme mit den Behörden.

F.: Bestehen gegen Sie aktuelle staatliche Fahndungsmaßnahmen wie Haftbefehl, Strafanzeige, Steckbrief, etc?

A.: Ja.

F.: Sind oder waren Sie politisch tätig?

A.: Nein.

F.: Sind oder waren Sie Mitglied einer politischen Partei?

A.: Nein.

F.: Hatten Sie in ihrem Herkunftsstaat aufgrund Ihres Religionsbekenntnisses bzw. Ihrer Volksgruppenzugehörigkeit irgendwelche Probleme?

A.: Ich hatte aufgrund meiner Religion Probleme.

F.: Hatten Sie gröbere Probleme mit Privatpersonen (Blutfehden, Racheakte etc.)?

A.: Ja.

F.: Nahmen Sie in Ihrem Heimatland an bewaffneten oder gewalttätigen Auseinandersetzungen aktiv teil?

A.: Nein.

F.: Schildern Sie die Gründe, warum Sie Ihr Heimatland verlassen und einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt haben, von sich aus vollständig, detailliert und wahrheitsgemäß.

Sie werden darauf hingewiesen, dass falsche Angaben die Glaubwürdigkeit Ihres Vorbringens beeinträchtigen können.

Soweit Sie auf Ereignisse Bezug nehmen, werden Sie auch aufgefordert, den Ort und die Zeit zu nennen, wann diese stattfanden und die Personen, die daran beteiligt waren.

Sie haben jetzt auch Gelegenheit, sich zu den Fragen, die von ihnen mit "Ja" oder "Nein" beantwortet wurden, zu äußern.

A: Ich bin verfolgt von der Regierung. Auch von meinen eigenen Leuten, den Sunniten in meinem Umkreis. Auch von der IS. Die IS besetzt jetzt unseren Ort XXXX, XXXX. Unser Umkreis, die Sunniten, rufen für die Dschihadisten auf zum Kämpfen. Etwa 15 Tagen vor meiner Ausreise wurde ich zweimal überfallen. Die Beamten von der Regierung wollen unerwünschte Personen von der anderen Seite der Sunniten auslöschen. Ich bin kein strenger Sunnit und trinke auch Alkohol, deshalb werde ich auch oft schief angeschaut.

Das ist aber nicht nur von den Sunniten, aber auch von den Schiiten und von anderen Personen. Ich werde indirekt bedroht, auch von Privatpersonen.

Ich habe mit einer Tochter eines anderen Stammvolkes eine Beziehung gehabt. Ihre Eltern sind draufgekommen und ich werde bedroht. Ich hatte auch noch mit einer zweiten Frau ein Verhältnis, sie war von einem anderen Stammvolk. Deshalb werde ich auch bedroht.

Außerdem werde ich bedroht weil ich mit den Amerikanern zusammengearbeitet habe. Ich kann amerikanische Autos reparieren. Ein Offizier der Irakischen Armee kam zu mir und sagte, ich solle für die amerikanische Armee in einer Werkstatt arbeiten. Während ich dieser Tätigkeit nachkam, wurde ich auch von meinen eigenen Leuten schief angeschaut und bedroht. Das war auch ein Grund. Außerdem will ich auch nicht für die sunnitischen IS-Leute kämpfen. Deswegen bin ich weggelaufen, ich bin ein friedlicher Mensch.

F: Gibt es noch andere Gründe, warum Sie den Irak verlassen haben?

A: Ja, außerdem hatte ich Angst um mein Leben.

F: Sie hatten also mit zwei verschiedenen Frauen eine Affäre. Ist das richtig?

A: Ja. Nicht gleichzeitig, aber ja.

F: Wie hieß die erste Frau, mit der sie da zusammen waren?

A: Die erste Frau war Schiitin. Wir hatten eine Affäre, sie kamen drauf und es ist alles aufgeflogen. Die Eltern der Frau sind draufgekommen und sie hat zu mir gesagt, ich solle sie schützen.

F: Nochmal, wie war der Name der Frau?

A: XXXX XXXX. Nachgefragt: Sie war 32 Jahre alt. Das war vor ca. 2 Jahren. Wir waren ca. 4 Jahre zusammen.

F: Wie haben Sie sich kennengelernt?

A: ich habe sie in einer Medizinstation kennengelernt.

F: Wie oft haben sie sich getroffen?

A: Nicht jeden Tag, aber oft.

F: Was haben Sie da miteinander gemacht?

A: Wir haben uns an verschiedenen Orten getroffen wo uns keiner gesehen hat und wir haben miteinander geschlafen.

F: Wie ist das dann aufgeflogen nach 4 Jahren?

A: Sie ist draufgekommen, dass Ihre Eltern nicht einverstanden sind und meinte wir müssen aufpassen. Ich habe auch einen Freund meines Stammvolkes, der sagte, ich solle auf diese Familie aufpassen, sie hätten etwas vor. Das hat er so gehört. Mein Freund kam drauf, dass sie draufkommen, dass sie mich umbringen wollen.

Vorhalt:

F: Der Dame muss doch von vornherein klar gewesen sein, dass Ihre Eltern nicht damit einverstanden sind?

A: Ja, das wusste sie. Wir wussten beide, dass das nicht in Ordnung ist, es ist aber passiert.

F: Welchem Stammesvolk gehört diese Dame an?

A: Das ist der Stamm der XXXX.

F: Und wie ist der Freund draufgekommen, dass die Familie etwas plant?

A: Ich weiß nicht.

Vorhalt:

F: Aber wenn die Familie etwas plant, werden die das ja nicht öffentlich machen oder?

A: Mein Freund kennt diese Familie gut.

F: Ist dann wirklich etwas passiert oder wie war das dann genau?

A: Es war ein Versuch, von dem Stammvater. Der ist nicht zustande gekommen. Nachgefragt: Eine Person hat mich beobachtet. Ich konnte aber beweisen, dass er das getan hat. Das war ihr Bruder.

F: Sie wurden also vom Bruder beobachtet?

A: Ich werde von der ganzen Familie beobachtet.

F: Sind sie persönlich angegriffen worden?

A: Nein, bin ich nicht. Ich bin rechtzeitig geflohen.

F: Wie war der Name der zweiten Dame?

A: XXXX XXXX, Sie war ca. 30 Jahre alt.

F: Wo haben Sie sie kennengelernt?

A: Auch in unserem Ort. Nachgefragt: Im selben Stadtteil.

Nachgefragt: In einem kleinen Lebensmittelgeschäft.

F: Wie ging das dann weiter?

A: Sie hat mich angesprochen und wir haben uns kennengelernt.

Nachgefragt: Wir waren ca. 1 Jahr zusammen. Wir haben uns auch heimlich getroffen. Außer halb des Stadtteils.

F: Was ist dann genau passiert?

A: Ihre Verwandten sind auch draufgekommen. Sie hat mir gesagt, wir sollen aufpassen, das ist nicht mehr lustig.

F: Sie wurden also bereits von der einen Familie bedroht und haben dann auch noch ein Verhältnis mit einer anderen Frau begonnen?

A: Das ist einfach so. Das ist bei uns so.

Vorhalt:

F: Das heißt aber auch, dass sie ein Jahr noch unbescholten im Irak leben konnten und nicht von der ersten Familie bedroht wurden. Was sagen Sie dazu?

A: Ich bin unter der Beobachtung der ersten Familie geblieben, hatte aber keine Beziehung mehr mit der Frau.

F: Das heißt aber auch, von der ersten Familie ging keine Gefahr mehr aus oder?

A: Ich muss das ganze Leben aufpassen, ich bin immer unter Beobachtung. Ich war immer vorsichtig und zum Schluss konnte ich es nicht mehr aushalten und bin geflüchtet

Anmerkung: AW sitzt während des Gesprächs teilnahmslos mit verschränkten Armen da und wirkt teilnahmslos.

F: Wie lief das dann bei der zweiten Dame ab, sind sie da kontaktiert worden?

A: Ich werde von der 2. Dame kontaktiert, sie meinte ich solle aufpassen. Sie hat mich gewarnt.

F: Wurden Sie persönlich bedroht oder angegriffen von dieser Familie?

A: Bedroht werde ich nicht, aber gewarnt.

F: Sie erwähnten noch, dass Sie in einer Werkstatt gearbeitet haben?

A: ich habe für die irakische Einheit der Armee für die Amerikaner Arbeiten durchgeführt. Mir wird vorgeworfen, dass ich für die irakische Armee Fahrzeuge repariert habe und deswegen gelte ich als Verräter. Ich wusste nicht mehr wer zu wem gehört.

F: Wie lange haben Sie das gemacht, dass Sie dort Fahrzeuge repariert haben?

A: Nicht sehr lange, ca. 4 bis 5 Tage. Ich werde von der Armee von meiner Wohnadresse zur Werkstatt gebracht und wieder zurück.

F: Sie haben vorhin erwähnt, dass Sie zweimal überfallen wurden. Hängt das mit dieser Tätigkeit zusammen?

A: Das ist mein Problem, ich weiß nicht von wem ich überfallen wurde.

F: Aber kann es dann nicht sein, dass das auch ein normaler Überfall war?

A: Ich vermute, dass die Sunniten das für den Terror gemacht haben. Ich weiß nicht, ob es von dieser Seite war oder von der anderen Seite. Vielleich auch weil ich Alkohol trinke.

F: Wo wurden Sie da genau überfallen?

A: In dem Stadtteil XXXX. Nachgefragt: Ich war in der Nacht zu Fuß unterwegs. Während ich zu meinem Haus zurückkehrte, sind sie von hinten gekommen und haben wahllos mit Ihren Waffen geschossen. Das zweite Mal lief auch so ähnlich ab.

F: Wurde Ihnen da etwas weggenommen?

A: ich konnte mich befreien. Nachgefragt: Sie haben mich nicht festgehalten, ich konnte einfach wegrennen.

F: Wie viele Leute waren das, die Sie da überfallen haben?

A: Ich kann nicht genau sagen wie viele es waren. Nachgefragt: Es war dunkel, ich konnte sie nicht sehen.

F: Das heißt sie wissen nicht, ob diese Schüsse ihnen gegolten haben?

A: Sie haben gezielt auf mich geschossen, aber ich wurde nicht getroffen.

F: Wie könne Sie das behaupten? Sie haben doch nichts gesehen, es war finster und die Angreifer waren hinter Ihnen. Was sagen Sie dazu?

A: Der Schuss schlug fast neben mir ein. Ich wurde nicht getroffen, aber der Schuss hat mir gegolten. Ich hörte nur etwas.

F: Passieren solche Vorfälle öfter in Ihrem Gebiet, in Ihrem Stadtteil?

A: Die Vorfälle sind bekannt.

F: Wie viele Sunniten leben denn ungefähr in Ihrer Stadt?

A: Die meisten sind Sunniten.

F: Die IS ist auch sunnitisch oder?

A: Ja, sind sie. Ich auch.

F: Warum sollten Sie dann vertrieben werden, wenn die Sunniten doch dort in der Mehrheit sind?

A: Die Sunniten die für den IS arbeiten haben aufgerufen mitzukämpfen. Ich will aber nicht.

F: Haben Sie auch einen Bart getragen?

A: Ja, aber einen der nicht so lang war. Ich hatte immer einen kurzen Bart.

F: Sie wurden also angesprochen dort mitzuarbeiten. Das war eine einfache Anfrage oder wurden Ihnen auch Sanktionen angedroht?

A: Persönlich wurde ich nicht gefragt. Ich habe das nur gehört, wer für die IS kämpfen soll, soll für die IS kämpfen.

F: Warum haben Sie die erste Frau nicht geheiratet, wenn Sie doch 4 Jahre mit ihr zusammen waren? Haben Sie sie jemals gefragt wegen einer Hochzeit?

A: Bei uns ist das normal, dass Frauen und Männer ein Verhältnis haben. Wir heiraten aber nicht. Nach 4 Jahren geht jeder seinen Weg.

F: War das bei der zweiten Beziehung auch so?

A: Ja, das war so.

F: Sie haben auch angegeben, dass eine staatliche Fahndungsmaßnahme gegen Sie besteht. Wie haben Sie das gemeint?

A: Von der Regierungsseite werden allgemein die Leute zusammengeprügelt. Weil ich ein Sunnit bin.

F: Aber deswegen besteht doch kein Haftbefehl gegen Sie?

A: Haftbefehl habe ich nicht.

F: Fürchten Sie das dann weil die Regierung schiitisch ist?

A: Kein Haftbefehl oder keine Strafanzeige aber ich werde bedroht und benachteiligt. Ich weiß nicht, warum die Regierungstruppen einfach ungezielt Leute bedroht.

[...]

F: Macht das jetzt Ihr Vater, Ihre Fahrten oder hat er das schon vorher gemacht?

A: Mein Vater arbeitet jetzt noch immer, er will nicht zuhause sitzen. Nachgefragt: Er ist Pensionist und arbeitet nebenbei.

F: Bekommt Ihr Vater eine staatliche Rente?

A: Ich weiß es nicht. Er war bei der Armee aber ich weiß es nicht, ob er etwas bekommt.

F: Warum sind sie genau nach Wien gefahren?

A: Übers Internet habe ich gehört dass es dort schöne Jahreszeiten gibt. Das ist so, dass irgendwas im Internet steht über Österreich, da schreiben die Flüchtlinge etwas.

F: Warum können Ihre Geschwister in der Türkei leben und sie haben den gefährlichen Weg nach Ö gewählt?

A: Ich habe mich in der Türkei nicht sicher gefühlt.

F: Aber Ihre Geschwister schon?

A: Ich kümmere mich nicht um meine Geschwister.

[...]

F: Wann möchten Sie Deutsch lernen?

A: Durch mein Alter habe ich eine Lernschwäche.

[...]

F: Möchten Sie noch etwas detaillierter schildern?

A: Nein. Ich habe nur Angst, dass ich sterbe und möchte in Frieden leben. Ich möchte auch einen Beitrag leisten in diesem Land.

F.: Was würde Sie konkret erwarten, wenn Sie jetzt in Ihren Herkunftsstaat zurückkehren müssten?

A.: Ich kann nicht zurück.

F: Würden Sie Ö freiwillig verlassen, wenn Ihr Verfahren negativ endet?

A: Ich kann nicht zurück. Freiwillig gehe ich nicht.

[...]

A: Ich kann jedenfalls nicht zurück. Ich gehe erst zurück wenn dort wieder Frieden ist.

F. Wie sah Ihr Sozialleben im Irak aus?

A. Ich führte ein normales Leben und hatte auch Freunde und habe gearbeitet.

[...]

F.: Wurde Ihnen ausreichend Zeit eingeräumt, Ihre Probleme vollständig und so ausführlich, wie Sie es wollten, zu schildern?

A.: Ja.

[...]

Es wird rückübersetzt. Ast wird aufgefordert genau aufzupassen und sofort bekannt zu geben, wenn etwas nicht korrekt sein sollte bzw. noch etwas zu ergänzen ist.

Nach erfolgter Rückübersetzung gibt ASt an, dass alles richtig und vollständig ist und alles richtig wiedergegeben wurde.

F.: Haben Sie den Dolmetscher während der g e s a m t e n Einvernahme einwandfrei verstanden?

A.: Ja.

F.: Hat der Dolmetscher das rückübersetzt, was Sie gesagt haben?

A.: Ja.

[...]"

Mit Schriftsatz vom 10.11.2018 brachte die bP eine Stellungnahme zur Niederschrift vom 08.11.2016 ein. Da sie "bei der Einvernahme große Angst verspürte und dadurch gehemmt war, möchte sie einige Punkte hinzufügen und klarstellen".

Zu den Fluchtgründen ergänzte sie dabei Folgendes:

"In meiner Schilderung sind nicht nur regierungstreuen Personen gemeint, sondern auch die verschiedenen Milizen, welche zum Ziel haben die Sunniten auszulöschen.

Dort wo ich wohne sind alle streng gläubig und ich bin kein sehr gläubiger Moslem, wie ich angegeben habe.

Ich lasse jedem Menschen die Wahl, wie sie/er sich kleiden möchte, ob Alkohol getrunken wird, oder ob sie/er Fasten möchte. Und genauso möchte auch ich behandelt werden.

Ich trinke Alkohol, ich trage meinen Part ganz kurz und ich möchte nicht Fasten und beten. All das stößt aus großen Unmut in meiner Heimatsgegend (regierungstreuen Personen, Milizen, IS, Sunniten wie Schiitin) und ich habe ständig Angst, dass jemand mich deshalb als ungläubigen opfern will und mir meine Freiheit nehmen.

Für mich soll jeder Mensch seinen Weg gehen können und dabei Akzept wird und in Ruhe gelassen werden sowie er ist.

Als sich für die amerikanische Armee Autos repariert habe, bekam ich immer wieder zu hören, dass alle Menschen die den Amerikanern geholfen haben, sterben müssen.

Der IS und die Milizen kamen beide in unsere Stadt und wollten uns zum Kämpfen im Dschihad oder für ihre Seite zwingen."

Der Antrag auf internationalen Schutz wurde folglich vom Bundesamt mit Bescheid vom 23.02.2017 gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 abgewiesen und der Status eines Asylberechtigten nicht zuerkannt.

Gem. § 8 Abs 1 Z 1 AsylG wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak nicht zugesprochen.

Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §57 AsylG wurde nicht erteilt.

Gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die bP gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG eine Rückkehrentscheidung erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung in den Irak gemäß § 46 FPG zulässig sei.

Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.

Das Bundesamt gelangte im Wesentlichen zur Erkenntnis, dass hinsichtlich der Gründe für die Zuerkennung des Status eines asyl- oder subsidiär Schutzberechtigten eine aktuelle und entscheidungsrelevante Bedrohungssituation nicht glaubhaft gemacht worden sei. Ebenso ergebe sich aus allgemeinen Lage im Herkunftsstaat keine mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohende bzw. reale Gefährdung der bP. Ein relevantes, die öffentlichen Interessen übersteigendes, Privat- und Familienleben würde nicht vorliegen.

Das BVwG übermittelte vor der Verhandlung mit Schreiben vom 17.05.2017 den Parteien zur Wahrung des Parteiengehörs das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Stand 23.11.2017. Die bP äußerte sich durch ihren Rechtsfreund dazu dahingehend, dass diese nicht auf die konkrete Fluchtsituation der bP Bezug nehmen und daher nur bedingt geeignet wären. Die bP werde in der Verhandlung ausführliche und detaillierte Angaben machen. Berichte oder sonstige Bescheinigungsmittel, die das Vorbringen bzw. die behaupteten persönlichen Erlebnisse der bP nachweisen könnten, wurden in der Stellungnahme nicht namhaft gemacht.

Am 21.06.2018 führte das Bundesverwaltungsgericht in Anwesenheit der bP sowie im Beisein ihres Rechtsfreundes eine Verhandlung durch. Im Zuge der Verhandlung wurde die Lebensgefährtin der bP zeugenschaftlich einvernommen. Das BFA blieb entschuldigt fern.

Mit der Ladung wurde die beschwerdeführende Partei auch umfassend auf ihre Mitwirkungsverpflichtung im Beschwerdeverfahren hingewiesen und sie zudem auch konkret aufgefordert, insbesondere ihre persönliche Ausreisemotivation und sonstigen Rückkehrbefürchtungen soweit als möglich durch geeignete Unterlagen bzw. Bescheinigungsmittel glaubhaft zu machen, wobei eine umfassende, jedoch demonstrative Aufzählung von grds. als geeignet erscheinenden Unterlagen erfolgte.

Zur Glaubhaftmachung der behaupteten, als ausreisekausal dargelegten Erlebnisse wurden keine Berichte oder sonstigen Bescheinigungsmittel vorgelegt.

Es wurde der bP am Ende der Verhandlung aufgetragen das BVwG unverzüglich zu verständigen, wenn sich entscheidungsrelevante Änderungen, die ihren Antrag auf internationalen Schutz bzw. ihr Privat- und Familienleben betreffen, ergeben.

Bis zu dieser Entscheidung langte keine solche Mitteilung ein weshalb das BVwG von unverändertem Sachverhalt ausgeht.

Für die Verhandlung hat das BVwG ergänzende Berichtsquellen (Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 29.12.2017 zu Re-Registrierungsverfahren /Überprüfungsverfahren / Sicherheitsscreenings / Zwangsvertreibungen ....; Zusammenfassung zur Lage in Bagdad und Herkunftsregion; Anfragebeantwortung zur Lage von Rückkehrern in vom IS befreiten und von schiitischen Milizen kontrollierten Gebieten [a-10081] vom 27.03.2017; ) gesichtet, diese dem Rechtsfreund in der Verhandlung ausgefolgt und eine Frist von zwei Wochen zur schriftlichen Stellungnahme eingeräumt.

Mit Schriftsatz vom 12.07.2018 wurde dazu dargelegt, dass die bP ihre Fluchtgründe widerspruchsfrei und ausführlich dargelegt habe. Es werde auf die gelungene Integration und Arbeitsplatzzusage der Fa. N. hingewiesen. Die Länderberichte würden keine Besserung der Lage im Irak zeigen. Es werde bestätigt, dass die irakische Regierung über weite Teile des Landes keine Kontrolle hat und ein Mangel an Schutzmöglichkeit bestünde. Die zielgerichtete Gewalt gegen Sunniten habe zugenommen. Auch gewaltsame Vertreibung von Sunniten aus mehrheitlich von Schiiten bewohnten vierteln Bagdads wurden laufend gemeldet. Aus der Anfragebeantwortung würden die Befürchtungen der bP nicht entkräftet.

In der Stellungnahme wurden von der bP keine anderen Berichte zitiert oder namentlich angeführt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Das BVwG hat durch den Inhalt des übermittelten Verwaltungsaktes der belangten Behörde, einschließlich der Beschwerde sowie durch die Ergebnisse des ergänzenden Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben.

1. Feststellungen (Sachverhalt)

1.1. Zur Person der beschwerdeführenden Partei:

Die Identität steht lt. Bundesamt fest. Mangels Vorlage von nationalen, irakischen Identitätsdokumenten im Original beim BVwG vermag das Gericht keine eigene Feststellung zur Identität zu treffen.

Die bP ist Staatsangehörige des Irak, gehört der Volksgruppe der Araber an und ist grds. sunnitischen Glaubens, wobei sie ihren Angaben nach, so wie auch ihre anderen im Irak am Herkunftsort verbliebenen Familienangehörigen, nicht streng gläubig ist. Nach der Volksschule lebte sie mit ihren Geschwistern und Eltern bis zum Tag der Ausreise im Haus des Vaters im Bezirk XXXX (auch XXXX) im Gouvernment Babil.

Sie ist ledig und der Vater und eine Schwester leben noch in der Herkunftsregion im Irak.

Die bP war zuletzt bis wenige Tage vor der Ausreise als Taxilenker provinzüberschreitend beschäftigt. Sie lebte bis zur Ausreise im Haus des Vaters.

Sie war bislang in der Lage im Herkunftsstaat ihre Existenz zu sichern. Es kam nicht hervor, dass sie im Falle der Rückkehr nicht die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz decken könnte.

Sie verfügt im Herkunftsstaat noch über Familienangehörige und Unterkunftsmöglichkeit im Haus des Vaters.

Aktuell nimmt die bP Medikamente gegen Depressionen. Es wurde nicht behauptet und kann auch amtswegig nicht festgestellt werden, dass sie diesbezüglich nicht auch im Irak behandelt werden könnte oder zur Behandlung keinen Zugang hätte.

Sie ist zur Sicherung ihres Lebensunterhaltes in Österreich auf staatliche Zuwendungen angewiesen. Sie wird seitens Privatpersonen finanziell unterstützt (zB Übernahme der Rechtsanwaltkosten). Ihr wird weitgehende Integration in der Wohnortgemeinde bescheinigt. Eine Einstellungszusage im Falle der Erlangung eines Aufenthaltstitels liegt vor. Die bP hat die erfolgreich abgelegte A1 Prüfung gem. dem GER für Sprachen nachgewiesen. Während des Asylverfahrens hat die bP eine slowakische Staatsangehörige kennen gelernt, welche von der Slowakei nach Österreich übersiedelte und hierorts berufstätig ist. Sie leben seit ca. einem Jahr im gemeinsamen Haushalt und äußerten einen Heiratswunsch. Der Lebensgefährtin war beim Eingehen der Beziehung bewusst, dass die bP Asylwerber ist und über keinen gesicherten Aufenthalt im Bundesgebiet verfügt. Die bP ist strafrechtlich und verwaltungsstrafrechtlich bislang unbescholten.

1.2. Zu den angegebenen Gründen für das Verlassen des Herkunftsstaates:

Es wurde nicht glaubhaft gemacht, dass die bP wegen einer ihr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohenden, asylrelevanten Verfolgungsgefahr oder realer, refoulementrelevanter persönlicher Gefährdung den Herkunftsstaat verlassen hat oder einer solchen Gefährdung im Falle einer Rückkehr zu unterliegen.

Der gemeinsam mit der bP ausgereiste Bruder (GZ. L504 2151213-1) - dieser wohnt im gleichen Bezirk wie die bP, ist verheiratet und haben sie zwei mj. Kinder - brachte in der Erstbefragung die gleichen Ausreisemotive wie die bP vor. Der Bruder kehrte vor Entscheidung über seine Beschwerde gegen den abgewiesenen Antrag auf internationalen Schutz am 05.01.2018 unter Gewährung von Rückkehrhilfe freiwillig in den Irak zurück.

Die bP brachte in der Verhandlung nicht vor, dass dieser nach der freiwilligen Rückkehr relevante Probleme gehabt hätte.

1.3. Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Herkunftsstaat

Aus den verfahrensgegenständlichen, oa. Berichten ergibt sich zusammenfassend Folgendes:

Es gibt vereinzelte Berichte über Menschenrechtsverletzungen an Sunniten durch schiitische Milizen oder unbekannte Täter in den südlichen Gouvernements (Babil, Basra, Kerbala, Najaf, Missan, Muthanna, Qaddisiya, Thi-Qar und Wassit). Auf Grund der Berichtslage lässt sich jedoch nicht schließen, dass dies Teil eines systematischen, quasi jeden Sunniten gleichermaßen treffenden Risikos ist. Sunniten, die in schiitisch dominierten Regionen leben, können gesellschaftliche Diskriminierung in einem moderaten Level erfahren, vor allem in den südlichen Gouvernements. Es handle sich vorwiegend um Diskriminierung am Arbeitsmarkt bzw. um gesellschaftliche Diskriminierung aufgrund von Nepotismus. Schiitische Arbeitgeber würden eher Schiiten einstellen. Generell ist die Zahl von registrierten, sicherheitsrelevanten Vorfällen jedoch seit dem Zeitpunkt als der IS als "vertrieben" gilt, stark rückläufig. Die Provinz Babil (ca. 1,9 Millionen Einwohner) gehört zu jenen Provinzen, die 2018 bislang die geringste Zahl an Konfliktfälle und Todesopfer zu verzeichnen hat. So zB im 1. Quartal 16 Vorfälle mit 6 Todesopfer, 2. Quartal bei 13 Vorfällen 19 Todesopfer, 3. Quartal bei 16 Vorfällen 7 Todesopfer. Die Vorfälle waren jeweils an verschiedenen Orten in der Provinz (Quelle: ACLED)

Berichte wonach Sunniten aktuell nicht in die Herkunftsregion der bP zurück können, wurden nicht gefunden und auch von der bP nicht benannt. So kehrte auch der Bruder der bP 2018 freiwillig zu seiner Ehegattin und den Kindern zurück in die Provinz und lebt dort nach wie vor der Vater im eigenen Haus unbehelligt. Der Bruder hatte bei der Einreise den Angaben der bP nach keine Probleme.

Es existieren keine Gesetze im irakischen Zivil- oder Strafrecht, die Strafen für Personen vorsehen, die vom islamischen Glauben abfallen, es gibt jedoch Gesetze und Regulierungen, die die Konversion vom islamischen Glauben zu anderen Religionen verhindern. Feindseligkeiten gegenüber den Konvertiten oder Atheisten können im Einzelfall vor allem bei mangelnder gesellschaftlicher Akzeptanz vorkommen.

Der Verkauf von Alkohol ist unter Strafe gestellt. Den Berichten kann nicht entnommen werden, dass der Konsum von Alkohol durch Muslime im Irak mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu asylrelevanter Verfolgung durch staatliche oder nichtstaatliche Akteure führen würde.

Die medizinische Grundversorgung ist grds. gegeben.

2. Beweiswürdigung

Ad 1.1.1 Zur Person der beschwerdeführenden Partei

Die personenbezogenen Feststellungen hinsichtlich der bP ergeben sich aus ihren in diesem Punkt einheitlichen, im Wesentlichen widerspruchsfreien und plausiblen Angaben sowie ihren im Verfahren dargelegten Sprach- und Ortskenntnissen und den seitens der bP vorgelegten Bescheinigungsmittel.

Ad 1.1.2. Zu den angegebenen Gründen für das Verlassen des Herkunftsstaates

Der Asylwerber hat im Verfahren "glaubhaft" zu machen, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung droht (§ 3 AsylG 2005). Der dem Asylverfahren zu Grunde liegende Maßstab der "Glaubhaftmachung" findet auch in Bezug auf Gründe für die Geltendmachung von subsidiärem Schutz Anwendung (VwGH 26.6.1997, 95/18/1293; 17.7.1997, 97/18/0336; siehe auch: Putzer/Rohrböck, Asylrecht Leitfaden zur neuen Rechtslage nach dem AsylG 2005, Rz 154 mwN;

Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht, Kommentar, K25 zu §3 AsylG).

Bloßes Leugnen oder eine allgemeine Behauptung reicht für eine Glaubhaftmachung nicht aus (VwGH 24.2.1993, 92/03/0011; 1.10.1997, 96/09/0007). Aus dem Wesen der Glaubhaftmachung ergibt sich auch, dass die Ermittlungspflicht der Behörde durch die vorgebrachten Tatsachen und angebotenen Beweise eingeschränkt ist (VwGH 29.3.1990, 89/17/0136; 25.4.1990, 90/08/0067). Es ist Aufgabe des Asylwerbers, durch ein in sich stimmiges und widerspruchsfreies Vorbringen, allenfalls durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauert, einen asylrelevanten Sachverhalt glaubhaft zu machen. (VwGH 30. 11. 2000, 2000/01/0356).

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann die Behörde einen Sachverhalt grundsätzlich nur dann als glaubhaft anerkennen, wenn der Asylwerber während des Verfahrens im Wesentlichen gleichbleibende Angaben macht, wenn diese Angaben wahrscheinlich und damit einleuchtend erscheinen und wenn erst sehr spät gemachte Angaben nicht den Schluss aufdrängten, dass sie nur der Asylerlangung um jeden Preis dienen sollten, der Wirklichkeit aber nicht entsprechen. Als glaubhaft könnten Fluchtgründe im Allgemeinen nicht angesehen werden, wenn der Asylwerber die nach seiner Meinung einen Asyltatbestand begründenden Tatsachen im Laufe des Verfahrens unterschiedlich oder sogar widersprüchlich darstellt, wenn seine Angaben mit den der Erfahrung entsprechenden Geschehnisabläufen nicht vereinbar und daher unwahrscheinlich erscheinen oder wenn er maßgebliche Tatsachen erst sehr spät im Laufe des Asylverfahrens vorbringt (vgl. zB. VwGH 6.3.1996, 95/20/0650).

Auch auf die Mitwirkung des Asylwerbers im Verfahren ist bei der Beurteilung der Glaubhaftmachung Bedacht zu nehmen. Wenn es sich um einen der persönlichen Sphäre der Partei zugehörigen Umstand handelt (zB ihre familiäre [VwGH 14.2.2002, 99/18/0199 ua], gesundheitliche [VwSlg 9721 A/1978; VwGH 17.10.2002, 2001/20/0601; 14.6.2005, 2005/02/0043], oder finanzielle [vgl VwGH 15.11.1994, 94/07/0099] Situation), von dem sich die Behörde nicht amtswegig Kenntnis verschaffen kann (vgl auch VwGH 24.10.1980, 1230/78), besteht eine erhöhte Mitwirkungspflicht und Darlegungslast des Asylwerbers (VwGH 18.12.2002, 2002/18/0279).

Wenn Sachverhaltselemente im Ausland ihre Wurzeln haben, ist die Mitwirkungspflicht und Offenlegungspflicht der Partei in dem Maße höher, als die Pflicht der Behörde zur amtswegigen Erforschung des Sachverhaltes wegen des Fehlens der ihr sonst zu Gebote stehenden Ermittlungsmöglichkeiten geringer wird. Tritt in solchen Fällen die Mitwirkungspflicht der Partei in den Vordergrund, so liegt es vornehmlich an ihr, Beweise für die Aufhellung auslandsbezogener Sachverhalte beizuschaffen (VwGH 12.07.1990, Zahl 89/16/0069).

Die bP vermochte im Ergebnis die von ihr behauptete persönliche Gefährdung aus nachfolgenden Gründen nicht glaubhaft machen:

Einleitend ist anzuführen, dass die im Verfahren aufgenommenen Niederschriften mit den Aussagen der bP iSd § 15 AVG vollen Beweis über den Verlauf und Gegenstand der Amtshandlung bilden und mit diesem Inhalt als zentrales Beweismittel der Beweiswürdigung unterzogen werden können. Gerade im Asylverfahren kommt der persönlichen Aussage des Antragstellers besondere Bedeutung zu, handelt es sich doch im Wesentlichen behauptetermaßen um persönliche Erlebnisse über die berichtet wird, die sich vielfach, insbesondere auf Grund der faktischen und rechtlichen Ermittlungsschranken der Asylinstanzen, weitgehend einer Überprüfbarkeit entziehen.

Soweit die bP nach der Einvernahme beim Bundesamt eine Stellungnahme samt Ergänzung vornahm, so wird diese in die Beurteilung miteinbezogen. Unter Berücksichtigung des Inhaltes und des protokollierten Ablaufes der Niederschriften vermag das BVwG jedoch daran keine Mangelhaftigkeit zu erkennen die den vollen Beweis iSd § 15 AVG erschüttern würden.

Der bP wurde bei der Erstbefragung als auch bei der folgenden Einvernahme beim Bundesamt mit einer unmissverständlichen und nicht zu beanstandenden offenen Fragestellung gefragt, warum sie ihr Land verlassen hat. Hier gibt es doch eine auffallende Divergenz in den dargelegten Motiven. War es in der Erstbefragung grds. nur die allgemeine Lage, die sie als Krieg bezeichnete ("Wegen des Krieges. Gefährliche Lage im Irak. Sonst habe ich keine weiteren Gründe") und schloss sie andere "Fluchtgründe" ausdrücklich aus, so gestaltete sich die Antwort auf diese Frage einige Zeit später beim Bundesamt ungleich anders.

Sie brachte zusammengefasst dabei vor, dass sie im Wesentlichen aus folgenden Gründen das Land verlassen habe bzw Verfolgung erwarte:

1. Verfolgung durch die Regierung

2. Verfolgung durch Sunniten im Umkreis

3. Verfolgung durch den islamischen Staat

4. zweimal von Unbekannten überfallen

5. indirekte Bedrohung von Privatpersonen

6. eine Beziehung mit Tochter eines anderen Stammes u. Bedr. durch deren Eltern 7. nachfolgende Beziehung mit Tochter eines anderen Stammes u. Bedr. durch deren Eltern

8. weil Sie für Amerikaner Autos reparierte wurde sie von anderen "schief angeschaut" u. "bedroht"

Dem BVwG ist bewusst, dass die Erstbefragung der ersten Abklärung gilt und gerade zu den Gründen der Ausreise keine tiefergehende Befragung erfolgt. Dessen ungeachtet sind es aber die ersten Angaben eines Antragstellers zu seinen Ausreisegründen, im Regelfall noch weitgehend unbeeinflusst von verfahrenstypischer Suggestionen verschiedenster Informations-bzw. Beratungsquellen im Inland und sind es Angaben, die zeitlich den aussagekausalen Geschehnissen noch am nächsten liegen, weshalb sie daher idR noch am besten in Erinnerung sein müssten und zeigt auch die Erfahrung der Asylinstanzen, dass sie damit der Wahrheit zumeist noch am nächsten liegen. Es läge also nahe, dass man zumindest gravierende, persönlich erfahrene Verfolgungshandlungen angibt.

Dass die bP "wegen des Krieges" ausgereist ist, gemeint ist hier wohl die amtsbekannte Auseinandersetzung des IS mit den irakischen Sicherheitskräften bzw. deren Verbündeten, ist - unter Ausblendung allfälliger Schutzalternativen im Staat - durchaus nachvollziehbar.

Bei ihrer späteren Einvernahme beim Bundesamt - zwischenzeitlich vergingen etwas mehr als zwei Jahre - fällt auf, dass die bP dort nunmehr wahrlich eine Vielzahl von individuellen Verfolgungsszenarien, zum Teil nur schlagwortartig, ins Spiel brachte, während sie bei der Erstbefragung nur die allgemeine Lage begründend angab. Dass es der bP bei der Erstbefragung unmöglich gewesen wäre von den später genannten Umständen zumindest ansatzweise etwas vorzubringen, kam nicht konkret hervor.

Das BVwG kommt resümierend auf Grund der im Akt befindlichen Niederschriften sowie in Verbindung mit den aus der Verhandlung gewonnenen Eindrücken zum Ergebnis, dass die bP im Verfahren ihr ausreisekausales Vorbringen aus asyltaktischen Gründen ganz wesentlich steigerte. Dies wohl, weil ihr bewusst wurde oder seitens Dritter bewusst gemacht worden ist, dass das bisherige Vorbringen und die Einschränkung der Fluchtgründe bloß auf die allgemeinen bewaffneten Auseinandersetzungen zw. dem IS und den staatlichen Akteuren bzw. Verbündeten, nicht für die Erlangung eines Aufenthaltsrechtes aus dem Asylverfahren reichen könnte.

In der Verhandlung wurde sie aufgefordert ihre behaupteten Erlebnisse bzw. Ausreisegründe näher zu beschreiben, insbesondere Verfolgungshandlungen bzw. behauptete Realerlebnisse inhaltlich näher auszuführen, um Erkenntnisse über den Wahrheitsgehalt zu gewinnen. Auffällig war dabei, dass sie es im Wesentlichen bei allgemeinen, teilweise sehr kurz gehaltenen und idR detailarmen Ausführungen beließ, ohne aus eigenem - trotz vorheriger Aufforderung - eine daraus resultierende persönliche Gefährdung darlegen zu können. Vielfach erfolgte erst auf Nachfrage eine Konkretisierung.

Die Schlussfolgerung des BVwG wird auch aus den inhaltlichen Angaben der bP zu den einzelnen Punkten ihrer später behaupteten Problemlagen bekräftigt. Die bP wurde in der Verhandlung dazu eingehender befragt.

Realerlebnis-begründete Aussagen zeichnen sich idR dadurch aus, dass in der freien Erzählung viele und detaillierte Aussagen in etwas sprunghafter und ungeordneter Reihenfolge vom Zeugen hervorgebracht werden. Dieses wichtige Merkmal und Realkennzeichen fehlt in aller Regel in Aussagen, die durch fremde Einflüsse und nicht wirklich erlebnisbegründet fundiert sind. Wirkliche Erlebnisse können also im Prinzip detailreich berichtet werden.

(vgl. zB. Internet Publikation für Allgemeine und Integrative Psychotherapie, Aussagepsychologie, http://www.sgipt.org/forpsy/aussage0.htm#Was%20sind%20Aussagen).

Es kamen im Verfahren auch keine Hemmungsfaktoren hervor, wodurch die bP etwa nicht in der Lage gewesen wäre ihre vorgeblichen persönlichen Erlebnisse in den Einvernahmen dergestalt darzulegen.

Um dies plakativ darzulegen, werden im Folgenden die diesbezüglichen Passagen zu ihrer behaupteten Verfolgung aus der Beschwerdeverhandlung zitiert, nachdem ihr zuvor die einzelnen Punkte ihrer angegebenen Fluchtgründe vorgehalten wurden:

[...]

Erklären Sie mir bitte was Sie konkret mit den einzelnen Punkten meinen, was diesbezüglich vor der Ausreise Ihnen persönlich passiert ist. Nennen Sie bei Ihnen persönlich zugestoßenen Vorfällen konkret den Zeitpunkt (zumindest das Jahr)

Ad 1. der Regierung

Unsere Regierung besteht aus diesen religiösen Parteien, eigentlich bin ich niemals derselben Meinung wie das, was von der Regierung kommt, weil diese Regierung aus diesen religiösen Parteien besteht und das sind alles Mörder, sie entführen Leute wegen Geld usw., sie sind Mörder.

Der BF wird dahingehend ersucht konkrete Vorfälle gegen seine Person zu nennen.

Wie ich vorher erwähnt habe, die Regierung besteht aus religiösen Parteien, sie mögen keine liberalen Leute. Nachgefragt, ob ich von jemanden angegriffen wurde, der der Regierung zuzurechnen ist, gebe ich an, dass ich indirekte Drohungen bekommen habe durch die Polizei. Nachgefragt wann, wo und auf welche Art und Weise dies geschah gebe ich an, dies geschah auch bevor ich das Land verlassen habe, sie hassen mich, sie möchten das ich tot bin, alle, alle, alle, sogar die normalen Menschen möchten das ich sterbe, weil sie wissen, wie ich vorhin erwähnt habe. Was ich weiß versuchen sie mich zu töten, das ist alles.

Ad 2. Sunniten im Umkreis

Weil sie, die Sunniten im Umkreis, wissen, dass ich kein religiöser Mensch bin, wie ich vorhin erwähnt habe, und sie mögen solche Menschen nicht. (Ende der freien Rede)

Nachgefragt gebe ich an, dass die Sunniten dies, das ich nicht religiös bin, schon lange wissen, schon als ich ein junger Mann war wussten alle, das ich nicht religiös bin. Nachgefragt wie sich das auf das tägliche Leben ausgewirkt hat, das ich kein religiöser Mensch war, gebe ich an, dass es eigentlich früher keine große Rolle gespielt hat, aber in letzter Zeit, nachdem so viele religiöse Parteien gegründet wurden, ist es wirklich ein Alltagsproblem für mich geworden. Seit die Amerikaner in den Irak einmarschiert sind, ist die Lage ganz anders geworden als früher.

Nachgefragt was ich im Gegensatz zu religiösen Menschen getan oder nicht getan habe, gebe ich an, dass ich mein Leben a

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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