TE Lvwg Erkenntnis 2019/1/18 VGW-151/019/13377/2017

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Veröffentlicht am 18.01.2019
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Entscheidungsdatum

18.01.2019

Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht
20/09 Internationales Privatrecht
20/02 Familienrecht

Norm

NAG §2 Abs1 Z9
NAG §46 Abs1
IPRG §6
IPRG §9 Abs1
IPRG §17 Abs1
EheG §17 Abs1
EheG §21 Abs1

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Verwaltungsgericht Wien erkennt durch seinen Richter Mag. Pichler über die Beschwerde der A. B., geb. am …1986, StA: Afghanistan, vertreten durch C., in Wien, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien, Magistratsabteilung 35, vom 23.8.2017, Zl. ..., betreffend Aufenthaltstitel, nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 29. November 2018 und am 9. Jänner 2019,

zu Recht:

I. Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen und der angefochtenen Bescheid mit der Maßgabe bestätigt, dass die Rechtsgrundlage § 2 Abs. 1 Z 9 iVm § 46 Abs. 1 Z 2 lit c Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) zu lauten hat.

II. Gemäß § 17 VwGVG iVm §§ 76 Abs. 1 und 53b AVG wird der Beschwerdeführerin der Ersatz der mit Beschluss des Verwaltungsgerichts Wien vom 14. Jänner 2019, Zl. ..., mit € 138,60 bestimmten Barauslagen für den zur mündlichen Verhandlung am 9. Jänner 2019 in der Zeit zwischen 13:00 Uhr bis 14:50 Uhr beigezogenen nichtamtlichen Dolmetscherin auferlegt. Die Beschwerdeführerin hat der Stadt Wien die genannten Barauslagen durch Banküberweisung auf das Bankkonto mit der Kontonummer IBAN AT16 1200 0006 9621 2729, BIC BKAUATWW, lautend auf "MA6 BA40" mit dem Verwendungszweck "..." binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

III. Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

I. Verfahrensgang:

1. Mit bei der österreichischen Botschaft in Islamabad eingebrachtem Antrag vom 15.2.2018 beantragte die Beschwerdeführerin gem. § 46 Abs. 1 Z 2 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz - NAG die Erteilung eines Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot – Karte Plus“. Dabei berief sie sich darauf, die Ehefrau von Herrn D. E. zu sein, welcher nach dem Asylgesetz in Österreich aufenthaltsberechtigt ist. Dies begründete sie mit einer vorgelegten Heiratsurkunde (Ausstellungsdatum: 15.5.2016, Eheschließungsdatum: ...2016).

2. Die belangte Behörde wies diesen Antrag mit dem angefochtenen Bescheid vom 23.8.2017 gemäß § 2 Abs. 1 Z 9 iVm § 46 Abs. 1 Z 2a NAG ab, weil sie davon ausging, dass die Beschwerdeführerin keine „Familienangehörige“ von Herrn D. E. sei. Die von der Beschwerdeführerin vorgelegte Heiratsurkunde wurde aufgrund der vorgenommenen Überprüfung eines Vertrauensanwaltes der österreichischen Vertretungsbehörde als nicht registriert bewertet und die Vermutung einer Fälschung der Heiratsurkunde aufgestellt.

3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende – rechtzeitig eingebrachte – Beschwerde, in welcher zusammengefasst vorgebracht wurde, dass der Zusammenführende (Ehegatte der Beschwerdeführerin) in Österreich den Status eines international Schutzberechtigten aufweise und dadurch für die Eheschließung nicht nach Afghanistan reisen konnte. Für eine ordnungsgemäße Eheschließung mittels Stellvertreters sei die Ehe nach afghanischem Recht auf der ausgestellten Heiratsurkunde durch den abwesenden Partner als richtig gegenzuzeichnen. Dies erledigte der Zusammenführende mittels Fingerabdrucks in Österreich und sendete die Heiratsurkunde anschließend über den Postweg nach Afghanistan zurück. Die Registrierung beauftragte der Vertreter des Zusammenführenden, welche anschließend auch erfolgte.

Die Vorwürfe hinsichtlich der Fälschung der Heiratsurkunde seitens der Behörde seien somit weitgehend ungenau und inkorrekt.

4. Die belangte Behörde traf keine Beschwerdevorentscheidung und legte die Beschwerde sowie den Bezug habenden Verwaltungsakt dem Verwaltungsgericht Wien zur Entscheidung vor, welche dort am 16.10.2017 einlangten.

5. Mittels Schreiben vom 6.11.2017 bat das Verwaltungsgericht Wien das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl um Übersendung des Aktes betreffend des Ehegatten der Beschwerdeführerin, Herrn D. E., geb. am ...1962, IFA-Zahl: ....

6. Mittels E-Mail vom 6.11.2017 forderte das Verwaltungsgericht Wien durch den damals zuständigen Richter auf, sämtliche die Heirat betreffenden Unterlagen im Original (englisch und farsi), Bestätigungen (etwa der Botschaft in Afghanistan) über die Eintragungen der Ehe im nationalen Eheregister, eine Vollkopie des österreichischen Konventionspasses des Zusammenführenden, Kontoauszüge seit 01/2015, Einkommenssteuerbescheide seit 2010, eine Einnahmen/ Ausgabenrechnung seit 01/2015, Belege für allfälliges Vermögen und alle Asylentscheidungen in Kopie vorzulegen.

Ferner wurde um Angabe der aktuellen und persönlichen Lebensverhältnisse der Beschwerdeführerin und des Zusammenführenden, die bisherige Lebensgeschichte (insbesondere Ausbildungen und geplante Erwerbstätigkeiten der Beschwerdeführerin und des Zusammenführenden) und nationale sämtliche in Afghanistan lebende Verwandte der Beschwerdeführerin und des Zusammenführenden ersucht.

7. Mit Schreiben vom 30.11.2017 wurde nach einmaliger Fristverlängerung vom Beschwerdeführervertreter, Verein C., ein Konvolut an Unterlagen vorgelegt. Mit Schreiben vom 5.12.2017 wurden weitere Dokumente übermittelt.

8. Die gegenständliche Rechtssache wurde mit Beschluss des Geschäftsverteilungsausschusses des Verwaltungsgerichtes Wien vom 18. April 2018 dem Richter Mag. Klopcic abgenommen und in weiterer Folge neu zugewiesen.

9. Das Verwaltungsgericht Wien führte am 29.11.2018 und am 9.1.2019 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, in welcher der Zusammenführende Herr D. E. unter Beiziehung einer Dolmetscherin als Zeuge befragt wurde. Im Anschluss an die mündliche Verhandlung wurde das Ermittlungsverfahren für geschlossen erklärt.

II. Sachverhalt:

Das Verwaltungsgericht Wien geht von folgendem entscheidungswesentlichen Sachverhalt aus:

1. Die Beschwerdeführerin ist eine am …1986 geborene afghanische Staatsangehörige. Sie hat den afghanischen Staatsangehörigen, D. E. (im Folgenden auch: Zusammenführender), geboren am ...1962, am ...2016 in Afghanistan geheiratet, wobei sie bei der Hochzeit persönlich anwesend war. Der Bräutigam wurde von einem afghanischen Anwalt, Herrn F., vertreten, welcher vor der Eheschließung (Vollmachtsurkunde datiert mit 24.2.2016) bevollmächtigt wurde, die Ehe abzuschließen. Nach der Eheschließung wurde die Heiratsurkunde dem Beschwerdeführer nach Österreich übermittelt, wo er sie mittels Fingerabdruck gegenzeichnete und zurück nach Afghanistan sendete, damit die Beschwerdeführerin die Registratur bei den afghanischen Behörden vornehmen konnte.

2. Gemäß Art. 72 des afghanischen Zivilgesetzbuches (Madani Qanun) vom 5. Jänner 1977 ist die Bestellung eines Vertreters für die Eheschließung erlaubt.

Gemäß Art. 77 leg. cit. ist für die Ordnungsgemäßheit und Gültigkeit der Eheschließung die Abgabe und Annahme durch die Vertragsparteien (oder Vormünder/Vertreter), die Anwesenheit zweier geschäftsfähiger Zeugen und das Nichtvorhandensein von dauerhaften oder zeitweiligen Ehehindernissen zwischen den Eheschließenden erforderlich.

3. Herr D. E. flüchtete am 10. Oktober 2001 alleine aus Afghanistan nach Österreich. Mit der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes vom 18.2.2014, GZ.: ..., wurde ihm Asyl gewährt und seine Flüchtlingseigenschaft festgestellt.

4. Es handelt sich bei der bei der zwischen den Eheleuten am ...2016 geschlossenen Ehe um eine arrangierte Eheschließung. Die Beschwerdeführerin und Herr D. E. hatten davor lediglich einmalig telefonischen Kontakt. Ein persönlicher Kontakt zwischen den Eheleuten hat weder im Vorfeld der Eheschließung noch danach stattgefunden, die Eheleute haben sich noch nie persönlich gesehen. Vielmehr reiste die in den USA lebende Mutter des Zusammenführenden im Jahre 2015 nach Afghanistan um eine Ehefrau für ihren Sohn zu suchen und entschied sich nach Verhandlungen mit deren Familie (vor allem dem Vater der Beschwerdeführerin) für die Beschwerdeführerin. Seit der Eheschließung gibt es telefonischen Kontakt zwischen der Beschwerdeführerin und dem Zusammenführenden.

III. Beweiswürdigung:

Zu diesen Feststellungen gelangte das Verwaltungsgericht Wien aufgrund nachstehender Beweiswürdigung:

1. Beweis wurde erhoben durch Einsichtnahme in den Behördenakt, den Akt des Bundesasylamtes bezüglich des Zusammenführenden (...), den Akt des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl bezüglich des Zusammenführenden (IFA-Zahl: ...) sowie der von der Beschwerdeführerin und dem Zeugen vorgelegten Unterlagen. Ferner hat das Verwaltungsgericht Wien verschiedene Registerauszüge (Sozialversicherungsdaten, Zentrales Melderegister, Informationssystem Zentrales Fremdenregister, Strafregister, etc.) eingeholt. Das afghanische Eherecht (Zivilgesetzbuch vom 5.1.1977) wurde aus Bergmann/Ferid, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Loseblattsammlung, erhoben.

Am 29.11.2018 und 9.1.2019 wurde eine öffentliche mündliche Verhandlung durchgeführt, in der Herr D. E. als Zeuge einvernommen wurde.

2. Die Feststellungen zu den persönlichen Daten der Beschwerdeführerin (Geburtsdatum, Staatsangehörigkeit) ergeben sich im Wesentlichen aus dem unbedenklichen Verwaltungsakt, den vorgelegten Urkunden und den Aussagen des Zeugen in der mündlichen Verhandlung.

 

3. Die Eheschließung der Eheleute mittels Stellvertreter ergibt sich aus der vorliegenden Heiratsurkunde (Ausstellungsdatum: 15.5.2016, Eheschließungsdatum: ...2016). Eine Fälschung der Urkunde aufgrund des Fingerabdrucks des Zusammenführenden ist aufgrund der plausiblen Darstellung des Sachverhalts in der mündlichen Verhandlung durch den Zeugen nicht anzunehmen: Der Zusammenführende konnte dem erkennenden Richter nachvollziehbar und glaubwürdig schildern, dass ihm die Heiratsurkunde – nach Abschluss der Ehe durch seinen Stellvertreter mit der Beschwerdeführerin – nach Wien geschickt wurde, er diese hier unterschrieben hat bzw. seinen Fingerabdruck auf dieser angebracht hat und die Heiratsurkunde anschließend nach Afghanistan zurückgesendet hat, um deren Registrierung zu ermöglichen. Der Schriftverkehr wurde vom Zeugen auch durch die Vorlage entsprechender Sendungsbestätigungen glaubhaft gemacht.

Der Umstand, dass das Datum auf der Vollmachtsurkunde (Bevollmächtigung des Stellvertreters) zeitlich nach der Eheschließung liegt, begründete der Zusammenführende in der mündlichen Verhandlung nachvollziehbar und glaubhaft damit, dass die Datumsgebung bei afghanischen Behörden teilweise nicht akkurat erfolge. Es könne somit seiner Angabe nach sein, dass das in einer Urkunde verbriefte Datum von der tatsächlichen Ausstellung einige Tage abweiche. Aufgrund des von ihm schlüssig geschilderten Ablaufs der Bevollmächtigung konnte die Vorlage der Vollmacht vor der Eheschließung schließlich als erwiesen angenommen werden.

4. Der Umstand der Flucht des Zusammenführenden sowie die näheren Begleitumstände ergeben sich sowohl aus dem angeforderten Akt des Bundesasylamtes (..., AS 39 ff) als auch aus den glaubhaften Angaben des Zusammenführenden in der mündlichen Verhandlung.

5. Ebenso ergeben sich die Feststellungen hinsichtlich der Beziehung der Eheleute zueinander – insbesondere, dass zu keinem Zeitpunkt ein persönlicher Kontakt stattgefunden hat – aus den Schilderungen des Zusammenführenden in der mündlichen Verhandlung. Dies gilt auch für die vom Zusammenführenden dargelegten Umstände, die zur „Auswahl“ der Beschwerdeführerin als Ehegattin für den Zusammenführenden geführt haben. Ferner ist diesbezüglich auf den vorgelegten und als Beilage ./1 zum Verhandlungsprotokoll zum Akt genommenen Konventionspass des Zusammenführenden zu verweisen, aus dem ersichtlich ist, dass dieser seit dem Jahr 2014 den Schengenraum nicht verlassen hat. Dies und die entsprechende Aussage des Zusammenführenden in der mündlichen Verhandlung, lassen nur den Schluss zu, dass zwischen der Beschwerdeführerin und dem Zusammenführenden zu keinem Zeitpunkt persönlicher Kontakt bestanden hat. Schließlich hat auch die Beschwerdeführerin im Zuge ihrer Einvernahme bei der Österreichischen Botschaft in Islamabad im Zuge ihrer Antragstellung ausgesagt, dass sie den Zusammenführenden noch nie persönlich gesehen hat.

IV. Rechtsgrundlagen:

Die im Beschwerdefall maßgeblichen Bestimmungen des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 56/2018, lauten:

„Begriffsbestimmungen

§ 2. (1) Im Sinne dieses Bundesgesetzes ist

[…]

9.

Familienangehöriger: wer Ehegatte oder minderjähriges lediges Kind, einschließlich Adoptiv- oder Stiefkind, ist (Kernfamilie); dies gilt weiters auch für eingetragene Partner; Ehegatten und eingetragene Partner müssen das 21. Lebensjahr zum Zeitpunkt der Antragstellung bereits vollendet haben; lebt im Fall einer Mehrfachehe bereits ein Ehegatte gemeinsam mit dem Zusammenführenden im Bundesgebiet, so sind die weiteren Ehegatten keine anspruchsberechtigten Familienangehörigen zur Erlangung eines Aufenthaltstitels;

[…]

Bestimmungen über die Familienzusammenführung

§ 46. (1) Familienangehörigen von Drittstaatsangehörigen ist ein Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“ zu erteilen, wenn sie die Voraussetzungen des 1. Teiles erfüllen, und

2. ein Quotenplatz vorhanden ist und der Zusammenführende

a) einen Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt – EU“ innehat,

[…]

c) ein Asylberechtigter ist und § 34 Abs. 2 AsylG 2005 nicht gilt, oder

[…]“

Die maßgeblichen Bestimmungen des Bundesgesetzes vom 15. Juni 1978 über das internationale Privatrecht (IPR-Gesetz), BGBl. Nr. 304/1978 idF BGBl. I Nr. 58/2018, lauten:

„Vorbehaltsklausel (ordre public)

§ 6. Eine Bestimmung des fremden Rechtes ist nicht anzuwenden, wenn ihre Anwendung zu einem Ergebnis führen würde, das mit den Grundwertungen der österreichischen Rechtsordnung unvereinbar ist. An ihrer Stelle ist erforderlichenfalls die entsprechende Bestimmung des österreichischen Rechtes anzuwenden.

[…]

Personalstatut einer natürlichen Person

§ 9. (1) Das Personalstatut einer natürlichen Person ist das Recht des Staates, dem die Person angehört. Hat eine Person neben einer fremden Staatsangehörigkeit auch die österreichische Staatsbürgerschaft, so ist diese maßgebend. Für andere Mehrstaater ist die Staatsangehörigkeit des Staates maßgebend, zu dem die stärkste Beziehung besteht.

[…]

(3) Das Personalstatut einer Person, die Flüchtling im Sinn der für Österreich geltenden internationalen Übereinkommen ist oder deren Beziehungen zu ihrem Heimatstaat aus vergleichbar schwerwiegenden Gründen abgebrochen sind, ist das Recht des Staates, in dem sie ihren Wohnsitz, mangels eines solchen ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat; eine Verweisung dieses Rechtes auf das Recht des Heimatstaates (§ 5) ist unbeachtlich.

[…]

Voraussetzungen der Eheschließung

§ 17. (1) Die Voraussetzungen der Eheschließung sowie die der Ehenichtigkeit und der Aufhebung sind für jeden der Verlobten nach seinem Personalstatut zu beurteilen.

[…]“

Das österreichische Ehegesetz, dt. RGBl. I S. 807/1938 idF BGBl. I Nr. 59/2017, lautet in seinen hier wesentlichen Bestimmungen:

„Form der Eheschließung

§ 17 (1) Die Ehe wird dadurch geschlossen, daß die Verlobten vor dem Standesbeamten persönlich und bei gleichzeitiger Anwesenheit erklären, die Ehe miteinander eingehen zu wollen.

(2) Die Erklärungen können nicht unter einer Bedingung oder einer Zeitbestimmung abgegeben werden.

Mangel der Form

§ 21 (1) Eine Ehe ist nichtig, wenn die Eheschließung nicht in der durch § 17 vorgeschriebenen Form stattgefunden hat.

(2) Die Ehe ist jedoch als von Anfang an gültig anzusehen, wenn die Ehegatten nach der Eheschließung fünf Jahre oder, falls einer von ihnen vorher verstorben ist, bis zu dessen Tode, jedoch mindestens drei Jahre, als Ehegatten miteinander gelebt haben, es sei denn, daß bei Ablauf der fünf Jahre oder zur Zeit des Todes des einen Ehegatten die Nichtigkeitsklage erhoben ist.“

V. Rechtliche Beurteilung:

1. Feststellungsgemäß wurde die Ehe zwischen den Eheleuten am ...2016 in Afghanistan in Anwesenheit der Beschwerdeführerin und des Vertreters des Zusammenführenden geschlossen. Der Zusammenführende war bei der Eheschließung nicht persönlich anwesend. Die Voraussetzungen für die Ehenichtigkeit sind gemäß § 17 Abs. 1 iVm § 9 Abs. 1 IPRG für jeden Verlobten nach seinem Personalstatut zu beurteilen - im Falle der Beschwerdeführerin somit nach afghanischem Recht. Nach diesem ist der Abschluss des Ehevertrages durch einen Stellvertreter zulässig (§§ 72, 77 afghanisches Zivilgesetzbuch vom 5.1.1977), weshalb der Abschluss der Ehe durch den bevollmächtigten Vertreter des Zusammenführenden, Herrn F., nach afghanischem Recht zulässig war.

2. Gemäß der Vorbehaltsklausel des § 6 IPRG ist eine Bestimmung des fremden Rechts jedoch nicht anzuwenden, wenn ihre Anwendung zu einem Ergebnis führen würde, das mit den Grundwerten der österreichischen Rechtsordnung unvereinbar wäre.

Weil die Vorbehaltsklausel eine systemwidrige Ausnahme ist, wird allgemein ein sparsamer Gebrauch dieser Bestimmung gefordert. Eine schlichte Unbilligkeit des Ergebnisses genügt ebensowenig wie der bloße Widerspruch zu zwingenden österreichischen Vorschriften. Gegenstand der Verletzung müssen vielmehr Grundwertungen der österreichischen Rechtsordnung sein. Darunter sind die unverzichtbaren Wertvorstellungen zu verstehen, die das österreichische Recht prägen. Die Lehre stimmt überein, dass mangels einer exakten Definitionsmöglichkeit jedenfalls die Grundsätze der EMRK und tragende Verfassungsgrundsätze der Vorbehaltsklausel unterliegen. Weitere wesentliche Voraussetzung für das Eingreifen der Vorbehaltsklausel ist, dass das Ergebnis der Anwendung fremden Sachrechts und nicht bloß dieses selbst anstößig ist und überdies eine ausreichende Inlandsbeziehung besteht. Der Inhalt der geschützten Grundwertungen des österreichischen Rechtes lässt sich im Einzelnen nicht definieren und ist auch zeitlichen Veränderungen unterworfen. Verfassungsgrundsätze spielen jedenfalls eine tragende Rolle. Persönliche Gleichberechtigung, Verbot abstammungsmäßiger, rassischer und konfessioneller Diskriminierung gehören zum Schutzbereich des ordre public; außerhalb der verfassungsrechtlich geschützten Grundwertungen zählen etwa die Einehe, das Verbot der Kinderehe und des Ehezwanges, der Schutz des Kindeswohls im Kindschaftsrecht und das Verbot der Ausbeutung der wirtschaftlich und sozial schwächeren Partei dazu (vgl. VwGH 11.10.2016, Ra 2016/01/0025; 14.12.2018, Ra 2018/01/0408; OGH 10.7.1986, 7 Ob 600/86; 13.9.2000, 4 Ob 199/00v; ErlRV 784 BlgNR 14. GP, 16; Verschraegen in Rummel, ABGB3, § 6 IPRG Rz 1).

Ohne Zweifel stellt die Eheschließungsfreiheit, d.h. die freie Zustimmung zur Eingehung einer Ehe, einen essentiellen Grundsatz des österreichischen Ehegesetzes und der österreichischen Rechtsordnung insgesamt dar. Die zwingend notwendige persönliche Anwesenheit beider Verlobten bei der Eheschließung soll Zuwiderhandlungen gegen diesen Grundsatz hintanhalten.

Vor diesem Hintergrund erscheint die persönliche Anwesenheit jedenfalls dann unabdingbar, wenn Anhaltspunkte vorliegen, welche die freie Willensentscheidung zum Eingehen der Ehe in Zweifel ziehen. In diesem Sinne widerspricht eine – im Wege der Stellvertretung abgeschlossene – Heirat mit einem Partner, zu dem man vor der Eheschließung lediglich einmalig telefonischen Kontakt gehabt hat, den Grundwerten der österreichischen Rechtsordnung und ist daher gemäß § 6 IPRG iVm §§ 17 Abs. 1 und 21 Abs. 1 Ehegesetz als nichtig anzusehen (vgl. VwGH 19.9.2017, 2016/20/0068).

Im vorliegenden Fall bestand zwischen der Beschwerdeführerin und dem Zusammenführenden, D. E., vor der Eheschließung nur einmalig telefonischer Kontakt. Seit der Eheschließung kommt es zwischen den Eheleuten zu telefonischem Kontakt; in personam traf sich das Ehepaar jedoch zu keinem Zeitpunkt. Vielmehr wurde die Eheschließung primär durch die Mutter des Zusammenführenden und den Vater der Beschwerdeführerin in die Wege geleitet. Dieser Sachverhalt gibt ernsthaften Anlass zum Zweifel, dass die Beschwerdeführerin die Ehe aus freien Stücken einging. Um dies zu gewährleisten, wäre die persönliche Anwesenheit beider Verlobten bei der Eheschließung jedoch unbedingt notwendig gewesen.

Die im Wege der Stellvertretung abgeschlossene Heirat kann unter diesen Umständen daher nicht als gültig angesehen werden; die Beschwerdeführerin erfüllt somit nicht die nach § 46 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 9 NAG erforderliche Eigenschaft als Familienangehörige des asylberechtigten D. E..

 

3. Bei Fehlen der für die Erteilung des begehrten Aufenthaltstitels notwendigen besonderen Erteilungsvoraussetzung muss weder das Vorliegen der allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen geprüft noch eine Interessensabwägung nach § 11 Abs. 3 NAG vorgenommen werden (VwGH 17.10.2016, 2016/22/0065 uva.).

Die belangte Behörde hat den verfahrenseinleitenden Antrag daher zu Recht abgewiesen. Die Richtigstellung des Normverweises laut Spruchpunkt I. erfolgte allein zur richtigen Anführung der relevanten Gesetzesbestimmungen.

4. Zu den auferlegten Kosten:

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ist eine klare und verlässliche Verständigung in einer mündlichen Verhandlung zu gewährleisten (vgl. VwGH 19.3.2014, 2013/09/0109). Insoweit hat die antragstellende Partei für die in Rechnung gestellten Gebühren von zu diesem Zweck beizuziehenden nichtamtlichen Dolmetschern aufzukommen (vgl. zur Tragung allfälliger Kosten für die zur vollständigen Ermittlung des Sachverhalts erforderlichen Amtshandlungen das Erkenntnis des VwGH vom 20.9.2012, 2010/06/0108).

Die Übersetzung in der mündlichen Verhandlung vom 9. Jänner 2019 war auf Grund der nicht ausreichenden Deutschkenntnisse des Zeugen D. E. für eine gänzlich unbeeinträchtigte Verständigung sowie zur verlässlichen Erforschung des maßgeblichen Sachverhalts erforderlich.

Dem Verwaltungsgericht Wien stand eine amtliche Dolmetscherin oder ein amtlicher Dolmetscher für die englische Sprache nicht zur Verfügung. Für die mündliche Verhandlung hat es daher eine externe Person zur Übersetzung beigezogen.

Die Dolmetscherin legte in der Verhandlung am 9. Jänner 2019 ihre Gebührennote, diese wurde den Verfahrensparteien vorgelegt; dagegen wurden keine Einwendungen erhoben.

Die in der Gebührennote (nach dem Gebührenanspruchsgesetz – GebAG, BGBl. 136/1975) verzeichneten Gebühren hat das Verwaltungsgericht Wien geprüft und in der im Spruch genannten Höhe für in Ordnung befunden. Die Buchhaltungsabteilung der Stadt Wien wurde zur Bezahlung der Gebühr aus Amtsmitteln angewiesen (vgl. zu alldem § 53b in Verbindung mit § 53a Abs. 2 erster Satz und Abs. 3 erster Satz AVG).

Gemäß § 17 VwGVG in Verbindung mit § 76 Abs. 1 erster und zweiter Satz sowie § 53b AVG hat die beschwerdeführende Partei für diese Barauslagen aufzukommen.

5. Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Das Verwaltungsgericht Wien hat sich bei seiner Entscheidung an der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes orientiert. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Familienangehöriger; Eheschließung mittels Stellvertreter; afghanisches Zivilgesetzbuch; Ehenichtigkeit; ordre public; Vorbehaltsklausel; Grundwertungen der österreichischen Rechtsordnung;

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGWI:2019:VGW.151.019.13377.2017

Zuletzt aktualisiert am

22.02.2019
Quelle: Landesverwaltungsgericht Wien LVwg Wien, http://www.verwaltungsgericht.wien.gv.at
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