TE Vwgh Erkenntnis 1999/6/17 99/20/0098

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Veröffentlicht am 17.06.1999
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §4 Abs1;
AsylG 1997 §4 Abs3;

Beachte

Serie (erledigt im gleichen Sinn): 98/01/0488 E 22. Dezember 1999

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Puck und die Hofräte Dr. Baur und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Grubner, über die Beschwerde des AT in A, vertreten durch Dr. Christian Kuhn und Dr. Wolfgang Vanis, Rechtsanwälte in 1010 Wien, Elisabethstraße 22, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 19. Jänner 1999, Zl. 207.274/0-VI/18/99, betreffend Zurückweisung eines Asylantrages gemäß § 4 AsylG 1997 (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund (Bundeskanzleramt) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Syrien, reiste seinen Angaben zufolge unter Umgehung der Grenzkontrolle am 20. November 1998 von Tschechien kommend in das Bundesgebiet ein. Er beantragte am 20. November 1998 Asyl.

Das Bundesasylamt wies diesen Antrag mit Bescheid vom 9. Dezember 1998 gemäß § 4 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurück, weil der Beschwerdeführer in Tschechien Schutz vor Verfolgung finden könne. Dagegen erhob der Beschwerdeführer Berufung, worin er insbesondere ausführte, dass es in Tschechien "trotz Unterzeichnung der GFK schwere Rechtsschutzdefizite" gebe. Flüchtlinge hätten nur innerhalb von 48 Stunden ab ihrer Einreise Zugang zu einem Asylverfahren. Nach Ablauf der Frist von 48 Stunden hätten Flüchtlinge in Tschechien keinen Zugang zu einem nationalen Asylverfahren. Der Beschwerdeführer wäre daher nicht berechtigt, im Falle seiner Rückkehr nach Tschechien einen Asylantrag zu stellen, und er wäre auch nicht zum Aufenthalt in Tschechien berechtigt. In Tschechien bestehe überdies kein Verfahren, um die Einhaltung des Art. 33 der Genfer Flüchtlingskonvention (FlKonv) sicherzustellen. Entgegen dem Standpunkt der Behörde erster Instanz habe der UNHCR mehrfach die Situation von Flüchtlingen und Asylsuchenden in Tschechien kritisiert. Dazu legte der Beschwerdeführer eine Stellungnahme des UNHCR vom Mai 1997 und April 1996 seiner Berufung bei.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG iVm § 4 Abs. 1 AsylG als unbegründet ab. Nach Darstellung des erstinstanzlichen Verfahrens, des Berufungsvorbringens und nach Wiedergabe des wesentlichen Inhaltes der Stellungnahme des UNHCR vom Mai 1997 führte die belangte Behörde zusammengefasst aus: In Tschechien bestehe gesetzlich ein Asylverfahren nach den Grundsätzen der FlKonv, wodurch ausgehend vom Flüchtlingsbegriff des Art. 1 Abschnitt A Z 2 FlKonv eine Refoulement-Prüfung gemäß Art. 33 FlKonv innerstaatlich gegeben sei. Nach § 5 des Flüchtlingsgesetzes Nr. 4098/90 habe ein Asylsuchender beim Grenzübertritt bei der Fremden- und Grenzpolizei den Flüchtlingsstatus zu beantragen und sich unverzüglich in das ihm angegebene Flüchtlingsaufnahmezentrum zu begeben. Nach Ankunft im Zentrum müsse er binnen 24 Stunden unter Verwendung des vorgesehenen Formblattes einen Asylantrag stellen.

"Laut den tschechischen Behörden wird einem Asylsuchenden der Zugang zum Asylverfahren in der Praxis nicht verwehrt, wenn er sich nach seiner Absichtserklärung 'unverzüglich' im Zentrum einfindet und innerhalb von 24 Stunden danach den Asylantrag stellt."

Gemäß der vom Beschwerdeführer in der Berufung beigelegten Hintergrundinformation des UNHCR seien keine Fälle bekannt geworden, in denen die Nichteinhaltung der im § 5 genannten rechtlichen Voraussetzungen zur Verweigerung des Zuganges zum Verfahren geführt hätte.

"Es ist somit festzuhalten, dass sich aus der vom Asylwerber vorgelegten Stellungnahme des UNHCR kein Anhaltspunkt dafür ergibt, dass die Stellung eines Asylantrages in der Tschechischen Republik von der Prüfung abhänge, ob der Asylwerber seinerzeit, d. h. vor seiner Einreise nach Österreich, in der Tschechischen Republik bereits aufhältig gewesen sei. Vielmehr wird auch nach der genannten Hintergrundinformation des UNHCR einem Asylsuchenden der Zugang zum Asylverfahren in der Praxis nicht verwehrt, wenn er sich nach seiner Absichtserklärung unverzüglich im Flüchtlingsaufnahmezentrum einfindet und innerhalb von 24 Stunden den Asylantrag stellt."

Aus diesen Ausführungen ergebe sich zunächst, dass "die legistischen Voraussetzungen der Drittstaatssicherheit gemäß § 4 Abs. 2 AsylG" gegeben seien.

In rechtlicher Hinsicht sei weiters festzuhalten, dass auf Tschechien "die Regelvermutung des § 4 Abs. 3 AsylG zutrifft, sodass ohne konkrete und spezifische Behauptungen des Betroffenen, dennoch einer unmittelbaren Gefahr im Drittstaat ausgesetzt zu sein, vom gegebenen Schutz im Drittstaat auszugehen sein wird". Hinsichtlich einer die gesetzlichen Bestimmungen negierenden Vollzugspraxis lägen weder der Behörde entsprechende Meldungen vor noch sei eine solche vom Beschwerdeführer behauptet worden. Dem UNHCR-Bericht könnten - die Bereitschaft des Asylwerbers vorausgesetzt, sich um Schutz in Tschechien zu bemühen - systematische Vollzugsmängel nicht entnommen werden.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften. Es wird beantragt, den bekämpften Bescheid aus diesen Gründen aufzuheben.

Die belangte Behörde hat die Abweisung der Beschwerde beantragt, von der Erstattung einer Gegenschrift allerdings Abstand genommen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in dem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Nach dem gemäß § 67 AVG auch von der Berufungsbehörde anzuwendenden § 60 leg. cit. sind in der Begründung des Berufungsbescheides die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen. Demnach muss in der Bescheidbegründung in einer eindeutigen, die Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichenden und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechtes zugänglichen Weise dargetan werden, welcher Sachverhalt der Entscheidung zu Grunde gelegt wurde, aus welchen Erwägungen die Behörde zu der Ansicht gelangte, dass gerade dieser Sachverhalt vorliege und aus welchen Gründen sie die Subsumtion dieses Sachverhaltes unter einen bestimmten Tatbestand als zutreffend erachtete (vgl. die in Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2 (1998), 1044, wiedergegebene ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes). Diesen Erfordernissen wird der angefochtene Bescheid nicht gerecht. Für die mängelfreie Beurteilung, ob die Vermutung des § 4 Abs. 3 AsylG zutrifft und somit vom Zurückweisungsgrund des § 4 Abs. 1 AsylG Gebrauch gemacht werden kann, bedarf es zunächst der Ermittlung der Rechtslage im potentiellen Drittstaat, und zwar bezogen auf die individuelle Situation des konkreten Asylwerbers. In dem von der belangten Behörde zitierten Erkenntnis vom 23. Juli 1998, Zl. 98/20/0175, hat der Verwaltungsgerichtshof bereits mit näherer Begründung (auf die gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird) ausgesprochen, dass die belangte Behörde vor Anwendung der gesetzlichen Vermutung über die Effektivität des in der Rechtsordnung vorgesehenen Schutzes die Asylrechtslage des Drittstaates zu prüfen und zu bewerten hat. Demgemäß hätte die belangte Behörde nachvollziehbar zu begründen gehabt, ob für den konkreten Beschwerdeführer im Sinne des § 4 Abs. 2 AsylG iVm § 4 Abs. 3 AsylG in Tschechien im Falle seiner (neuerlichen) Einreise ein Verfahren zur Einräumung der Rechtsstellung eines Flüchtlings nach der Konvention offen steht und ob er während eines solchen Verfahrens in Tschechien zum Aufenthalt berechtigt ist (zur Notwendigkeit, sich mit der Rechtslage im Punkt "Aufenthaltsberechtigung während des Asylverfahrens" auseinander zu setzen, wird auf die Begründung des hg. Erkenntnisses vom 11. November 1998, Zl. 98/01/0284, ergangen zur ungarischen Rechtslage nach dem 1. März 1998, gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen) und dort Schutz vor Abschiebung in den Herkunftsstaat hat, sofern er in diesem gemäß § 57 Abs. 1 oder 2 Fremdengesetz bedroht ist.

Abgesehen davon, dass sich die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid mit der Frage der Aufenthaltsberechtigung des Beschwerdeführers in Tschechien während eines ihm allenfalls offen stehenden Asylverfahrens nicht weiter auseinander gesetzt hat, erweist sich die Aufhebung des angefochtenen Bescheides schon deshalb als erforderlich, weil diesem nicht nachvollziehbar entnommen werden kann, dass dem Beschwerdeführer ungeachtet der Umstände seiner seinerzeitigen Einreise nach Tschechien und seines dortigen kurzfristigen (nicht mit der Stellung eines Asylantrages verbunden gewesenen) Aufenthaltes im Falle seiner Rückreise ein Asylverfahren nach den Grundsätzen der FlKonv offen stünde. Für die Feststellung "laut den tschechischen Behörden wird einem Asylsuchenden der Zugang zum Asylverfahren in der Praxis nicht verwehrt, wenn er sich nach seiner Absichtserklärung 'unverzüglich' im Zentrum einfindet und innerhalb von 24 Stunden danach den Asylantrag stellt", kann weder dem angefochtenen Bescheid eine diese Feststellung tragende Begründung noch dem Verwaltungsakt ein dahin gehendes Ermittlungsergebnis entnommen werden. Insbesondere wurde nicht nachvollziehbar festgestellt, dass im Falle einer nochmaligen, allenfalls im Rahmen eines Rückschiebeabkommens zu erfolgenden neuerlichen Einreise des Betroffenen über seinen Wunsch der Zugang zu einem Asylverfahren nach den Grundsätzen der FlKonv offen steht, dies unabhängig davon, auf Grund welcher Umstände die Ein- bzw. Durchreise seinerzeit nach bzw. durch Tschechien erfolgt war. Auch aus der im Bescheid angeführten Stellungnahme des UNHCR lässt sich nicht konkret ableiten, dass dem Beschwerdeführer im Falle seiner (neuerlichen) Einreise nach Tschechien ungeachtet der Umstände seines seinerzeitigen Aufenthaltes (nach seinen Angaben sei er am 19. November 1998 mit einem gefälschten Reisepass per Flugzeug nach Tschechien eingereist und habe sich dort bis zum illegalen Grenzübertritt nach Österreich einen Tag lang aufgehalten) ein Verfahren nach den Grundsätzen der FlKonv, verbunden mit einem Aufenthaltsrecht während eines solchen Verfahrens, offen stünde. Diesbezüglich führt die belangte Behörde lediglich aus,

"aus der vom Asylwerber vorgelegten Stellungnahme des UNHCR ergibt sich kein Anhaltspunkt dafür, dass die Stellung eines Asylantrages in der Tschechischen Republik davon abhänge, ob der Asylwerber seinerzeit, d.h. vor seiner Einreise nach Österreich, in der Tschechischen Republik bereits aufhältig gewesen sei."

Die weitere Aussage,

"nach der genannten Hintergrundinformation des UNHCR (würde) einem Asylsuchenden der Zugang zum Asylverfahren in der Praxis nicht verwehrt, wenn er sich nach seiner Absichtserklärung unverzüglich im Flüchtlingsaufnahmezentrum einfindet und innerhalb von 24 Stunden den Asylantrag stellt"

findet in dieser Allgemeinheit - wie schon ausgeführt - in der erwähnten Stellungnahme keine Deckung. Die diesbezüglichen Ausführungen in der Stellungnahme des UNHCR nehmen nicht auf den Fall eines Asylwerbers Bezug, der nach (illegaler) Ein- und Durchreise nach bzw. durch Tschechien dorthin neuerlich einzureisen beabsichtigt.

Da die belangte Behörde somit nicht nachvollziehbar dargelegt hat, auf Grund welcher Überlegungen sie zu dem Ergebnis gelangte, dass die tschechische Rechtslage derart beschaffen sei, dass rechtlich gemäß § 4 Abs. 2 AsylG zu folgern sei, dem Beschwerdeführer stünde im Falle einer (neuerlichen) Einreise nach Tschechien ein Verfahren nach den Grundsätzen der FlKonv, verbunden mit einem Aufenthaltsrecht während eines solchen Verfahrens, offen, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 17. Juni 1999

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1999:1999200098.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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