TE Bvwg Beschluss 2018/11/26 W230 2208204-1

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Veröffentlicht am 26.11.2018
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Entscheidungsdatum

26.11.2018

Norm

AVG §38
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §17

Spruch

W230 2208204-1/3Z

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht fasst durch den Richter Mag. Philipp CEDE, LL.M., über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 26.09.2018, Zl. XXXX , den Beschluss:

A)

Das Beschwerdeverfahren wird gemäß § 38 AVG iVm. § 17 VwGVG bis zur Entscheidung des EuGH in der Rechtssache C-720/17 ausgesetzt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang und - unstrittiger Sachverhalt:

1. Dem Beschwerdeführer ist XXXX geboren. Ihm wurde mit dem Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: belangte Behörde) vom 09.01.2017, Zl. XXXX , der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt. Die belangte Behörde hat dabei die Zuerkennung des Status des subsidiären Schutzberechtigten auf Grundlage von Annahmen getroffen, die für Erwachsene zutreffen, die im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan über kein aufrechtes und funktionierendes soziales und familiäres Netz verfügen und auch keine Erfahrung bzw. Ortskenntnisse in Afghanistan vorweisen können. Konkret begründete die belangte Behörde ihre Entscheidung wie folgt:

"Hinsichtlich der in Afghanistan vorherrschenden Versorgungslage und der allgemeinen Lebensbedingungen der Bevölkerung ist auszuführen, dass die Verwirklichung grundlegender sozialer und wirtschaftlicher Bedürfnisse, wie etwa der Zugang zu Arbeit, Nahrung, Wohnraum und Gesundheitsversorgung, häufig nur sehr eingeschränkt möglich ist. Die soziale Absicherung liegt traditionell bei den Familien und Stammesverbänden. Afghanen, die außerhalb des Familienverbandes oder nach einer längeren Abwesenheit im westlich geprägten Ausland zurückkehren, stoßen auf größere Schwierigkeiten als Rückkehrer, die in Familienverbänden geflüchtet sind oder in einen solchen zurückkehren, da ihnen das notwendige soziale oder familiäre Netzwerk sowie die erforderlichen Kenntnisse der örtlichen Verhältnisse fehlen.

Ihre Rückkehr nach Afghanistan erscheint daher derzeit unter den dargelegten Umständen als unzumutbar.

Durch eine Rückführung in den Herkunftsstaat würden Sie somit mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer realen Gefahr ausgesetzt sein, in Rechten nach Art. 3 EMRK verletzt zu werden."

2. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid sprach die belangte Behörde aus, dass der dem Beschwerdeführer mit Bescheid vom 09.01.2017 zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten "gemäß § 9 Absatz 1 Ziffer 1 Asylgesetz 2005" von Amts wegen aberkannt und ihm seine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter "gemäß § 9 Abs. 4 AsylG" entzogen wird (Spruchpunkt I.). Weiters versagte sie einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt II.), erließ eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt III.), sprach aus, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig ist (Spruchpunkt IV.) und gewährte eine Frist zur freiwilligen Ausreise von zwei Wochen (Spruchpunkt V.).

Zur Begründung des Spruchpunktes I. führte die belangte Behörde in den Feststellungen aus, dass sich die "subjektive Lage" des Beschwerdeführers im Vergleich zum Zeitpunkt der Asylgewährung (gemeint dürfte wohl die Zuerkennung als subsidiär Schutzberechtigter sein) "geändert" habe, nunmehr "eine taugliche innerstaatliche Fluchtalternative" bestehe und der Beschwerdeführer seinen "Lebensunterhalt sowohl in Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif" bestreiten könne und "ebendort auch Arbeitsmöglichkeiten vorfinden" würde. Konkrete Feststellungen dazu, durch welche Umstände sich die "subjektive Lage" des Beschwerdeführers geändert habe, sind dem Bescheid nicht zu entnehmen. Zur Lage in Afghanistan traf die belangte Behörde Feststellungen durch wörtliche Wiedergabe relevanter Passagen des Länderinformationsblattes der BFA-Staatendokumentation vom 29.06.2018. In der Beweiswürdigung begründete die belangte Behörde ihre Annahme unter anderem damit, dass dem nunmehr insbesondere aufgrund seines langjährigen Aufenthaltes in Österreich und den damit einhergehenden gesammelten "massiven Zuwachs an Lebenserfahrung" davon ausgegangen werden könne, dass der Beschwerdeführer seinen Lebensunterhalt in Afghanistan im Fall einer "Rückkehr nach Afghanistan, speziell nach Kabul, Mazar-e Sharif oder Herat" auch auf sich alleine gestellt bestreiten könne. Selbst unter "durchaus schweren Bedingungen am Arbeitsmarkt" sei es ihm zuzumuten, nach einer Beschäftigung zu suchen und "möglicherweise durch das Verrichten von Gelegenheitsarbeiten" seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Wesentlicher Unterschied gegenüber dem Zeitpunkt der Erlassung des Zuerkennungsbescheides sei, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr auch über kein familiäres oder soziales Netz mehr verfügen müsse: Als Beweismittel zitiert der Bescheid weiters eine "Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 01.02.2018" und begründet ihre Annahmen unter anderem damit, dass sich aus der genannten Anfragebeantwortung ergebe, dass eine Reihe von Organisationen vor Ort Hilfe leisten würden, so dass Umstände wie eine anfängliche Ortunkenntnis und Orientierungslosigkeit in den genannten Städten nicht zu einer Unzumutbarkeit der Niederlassung in einer dieser Städte führen würden.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Zu A) Zur Aussetzung des Verfahrens

1. Mit Beschluss vom 14.12.2017, Ra 2016/20/0038, hat der Verwaltungsgerichtshof folgende Frage der Auslegung von Unionsrecht an den Gerichtshof der Europäischen Union gerichtet:

"Stehen die unionsrechtlichen Bestimmungen, insbesondere Art. 19 Abs. 3 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 (Statusrichtlinie) einer nationalen Bestimmung eines Mitgliedstaates betreffend die Möglichkeit der Aberkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten entgegen, wonach auf Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten erkannt werden kann, ohne dass sich die für die Zuerkennung relevanten Tatsachenumstände selbst geändert haben, sondern nur der diesbezügliche Kenntnisstand der Behörde eine Änderung erfahren hat und dabei weder eine falsche Darstellung noch das Verschweigen von Tatsachen seitens des Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus ausschlaggebend waren?"

Dieses Verfahren wird beim EuGH unter der Zahl C-720/17 geführt.

2. Für die Frage der Rechtmäßigkeit des vorliegenden Aberkennungsbescheides ist die Frage relevant, ob die von der belangten Behörde im Bescheid vom 09.01.2017, Zl. XXXX , als unzumutbar qualifizierte Rückkehr nach Afghanistan für den Beschwerdeführer zumutbar ist oder nicht. Die belangte Behörde hat ihren Bescheid in rechtlicher Hinsicht damit begründet, dass die "Gründe, die zur Gewährung des Status des subsidiär Schutzberechtigten geführt haben, nicht mehr vorliegen". Soweit sich die belangte Behörde dabei auf eine Änderung der seit ihrer früheren rechtskräftigen Entscheidung eingetretenen Tatsachen stützt, ist zu beachten, dass eine Änderung dieser Tatsachen ausreichend tragfähig sein muss. Im nunmehr angefochtenen Bescheid wurde die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten zwar auf "Änderung individueller Umstände" gestützt. Aus dem Zuerkennungsbescheid und dem Vergleich mit dem Aberkennungsbescheid geht aber nicht hervor, dass bereits eine solche Änderung der individuellen Lage des Beschwerdeführers eingetreten sein könnte, die für eine Durchbrechung der Rechtskraft des Zuerkennungsbescheides ausreichend tragfähig wäre. Zudem wird im Aberkennungsbescheid in erster Linie mit den objektiven Gegebenheiten in Afghanistan (wie zB Unterstützungsmöglichkeiten für Rückkehrer durch diverse internationale Organisationen etc.) argumentiert. Dafür zog die belangte Behörde als wesentliches Begründungselement auch neue Informationsquellen heran, die nicht auf eine Änderung der Umstände hinweisen, sondern eher darauf hindeuten, dass die belangte Behörde (auch) über bereits am 09.01.2017 vorhandene Umstände ihren Wissensstand erweitert hat und auf dieser Basis nunmehr zu einer geänderten Einschätzung der Lage gelangt.

3. Um von einer zumutbaren innerstaatlichen Fluchtalternative sprechen zu können, muss es möglich sein, im Gebiet der innerstaatlichen Fluchtalternative nach allfälligen anfänglichen Schwierigkeiten Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können. Ob dies der Fall ist, erfordert eine Beurteilung der allgemeinen Gegebenheiten im Herkunftsstaat und der persönlichen Umstände des Asylwerbers. Es handelt sich letztlich um eine Entscheidung im Einzelfall, die auf der Grundlage ausreichender Feststellungen über die zu erwartende Lage des Asylwerbers in dem in Frage kommenden Gebiet (...) getroffen werden muss (VwGH 23.01.2018, Ra 2018/18/0001).

4. Zwar führte die belangte Behörde in den Feststellungen des Aberkennungsbescheides pauschal aus, dass sich die "subjektive Lage" des Beschwerdeführers geändert habe, zusätzlich stützte sie sich aber betreffend die Frage der Arbeits- und Niederlassungsmöglichkeiten des Beschwerdeführers bei einer nunmehrigen Ansiedelung in Afghanistan auch auf neue Berichte. Das Bundesverwaltungsgericht geht davon aus, dass auch diese Umstände im Rahmen der erforderlichen Einzelfallbeurteilung nur gesamthaft beurteilt werden können. Die belangte Behörde stützt sich dabei vor allem auf die Berichtslage jüngeren Datums. Damit wird für den Beschwerdefall die vom Verwaltungsgerichtshof im eingangs zitierten Vorabentscheidungsersuchen gestellte Frage relevant, ob eine Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten richtlinienkonform nur auf eine Änderung der Umstände oder aber auch darauf gestützt werden darf, dass "der diesbezügliche Kenntnisstand der Behörde eine Änderung erfahren hat".

5. § 38 AVG ist gemäß § 17 VwGVG auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren anwendbar und hat folgenden Wortlaut:

"Sofern die Gesetze nicht anderes bestimmen, ist die Behörde berechtigt, im Ermittlungsverfahren auftauchende Vorfragen, die als Hauptfragen von anderen Verwaltungsbehörden oder von den Gerichten zu entscheiden wären, nach der über die maßgebenden Verhältnisse gewonnenen eigenen Anschauung zu beurteilen und diese Beurteilung ihrem Bescheid zugrunde zu legen. Sie kann aber auch das Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung der Vorfrage aussetzen, wenn die Vorfrage schon den Gegenstand eines anhängigen Verfahrens bei der zuständigen Behörde bildet oder ein solches Verfahren gleichzeitig anhängig gemacht wird."

Der VwGH sieht sowohl die Verwaltungsbehörden (VwGH 19.09.2001, 2001/16/0439; 31.01.2003, 2002/02/0158; 19. 12. 2000, 99/12/0286) als auch sich selbst als berechtigt an, das Verfahren gemäß § 38 letzter Satz AVG auszusetzen, wenn die betreffende Frage auf Grund eines Vorabentscheidungsersuchens - etwa des VwGH selbst - in einem gleich gelagerten Fall bereits beim EuGH anhängig ist (vgl. Hengstschläger/Leeb, AVG § 38 Rz 18 [Stand 1.7.2005, rdb.at]). Gleiches gilt gemäß § 17 VwGVG für die Verwaltungsgerichte (zB VwGH 20.05.2015, Ra 2015/10/0023).

6. Die im eingangs zitierten Vorabentscheidungsersuchen gestellte Frage ist - wie dargelegt - für das vorliegende Verfahren präjudiziell. Ein Zuwarten bis zum Bekanntwerden der Entscheidung des EuGH liegt im vorliegenden Beschwerdeverfahren im Interesse der Prozessökonomie, weil die Durchführung eines ergänzenden Ermittlungsverfahrens mit hoher Wahrscheinlichkeit einen frustrierten Aufwand bedeuten würde, wenn der EuGH die gestellte Frage im verneinenden Sinn beantwortet. Dazu kommt die vom Verwaltungsgericht zu beachtende Entscheidungsfrist. Diese Aspekte lassen es dem Bundesverwaltungsgericht im Rahmen der Ermessensübung angezeigt erscheinen, das vorliegende Verfahren förmlich auszusetzen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab (vgl. die in Pkt. II.5. zitierte Rechtsprechung), noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Aussetzung, EuGH

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:W230.2208204.1.00

Zuletzt aktualisiert am

04.02.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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