TE Vwgh Erkenntnis 1999/7/23 98/02/0075

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Veröffentlicht am 23.07.1999
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Index

E000 EU- Recht allgemein;
E1E;
E1N;
E6J;
L67007 Ausländergrunderwerb Grundverkehr Tirol;
001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
59/04 EU - EWR;

Norm

11994N070 EU-Beitrittsvertrag Akte Art70;
11997E056 EG Art56;
11997E058 EG Art58;
61964CJ0006 Costa / ENEL VORAB;
61997CJ0302 Konle VORAB;
EURallg;
GVG Tir 1996 §11 Abs1 lita;
GVG Tir 1996 §3;
GVG Tir 1996 §9 Abs1 lita;
VwGG §41 Abs1;
VwRallg;

Beachte

Serie (erledigt im gleichen Sinn):98/02/0072 E 30. September 1999 98/02/0104 E 23. Juli 1999 99/02/0206 E 26. November 1999 99/02/0070 E 26. November 1999 98/02/0228 E 28. Jänner 2000

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Wetzel und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Riedinger, Dr. Holeschofsky und Dr. Beck als Richter, im Beisein des Schriftführers DDDr. Jahn, über die Beschwerde

1.) der GG in G und 2.) des EM in K, beide vertreten durch Dr. Heinrich Schmiedt, Rechtsanwalt in Kitzbühel, Bichlstraße 1, gegen den Bescheid der Landes-Grundverkehrskommission beim Amt der Tiroler Landesregierung vom 19. Jänner 1998, Zl. LGv-682/8-96, betreffend grundverkehrsbehördliche Genehmigung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Tirol hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von insgesamt S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Eingabe vom 23. September 1994 zeigten die Beschwerdeführer den zwischen der Erstbeschwerdeführerin als Verkäuferin und dem Zweitbeschwerdeführer als Käufer abgeschlossenen Kaufvertrag vom 11./22. August 1994 betreffend eine bebaute Liegenschaft in Tirol der Bezirkshauptmannschaft Kitzbühel als Grundverkehrsbehörde an. Der Zweitbeschwerdeführer ist deutscher Staatsangehöriger und erklärte, dort seinen Hauptwohnsitz nehmen zu wollen.

Mit Bescheid vom 16. Jänner 1997 versagte die Bezirkshauptmannschaft Kitzbühel als Grundverkehrsbehörde erster Instanz hinsichtlich dieses Baugrundstückes dem Rechtserwerb die grundverkehrsbehördliche Genehmigung.

Mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof bekämpften Bescheid vom 19. Jänner 1998 wies die belangte Behörde nach Durchführung eines ergänzenden Ermittlungsverfahrens die gegen den erstinstanzlichen Bescheid von den Beschwerdeführern gemeinsam erhoben Berufung als unbegründet ab; sie bestätigte den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Kitzbühel vom 16. Jänner 1997 mit der Maßgabe, dass er sich auf § 9 Abs. 1 lit. a iVm § 12 Abs. 1 sowie § 11 Abs. 1 lit. a des Tiroler Grundverkehrsgesetzes 1996, LGBl. Nr. 61 idF LGBl. Nr. 59/1997, zu stützen habe.

Unbestritten sei, dass es sich bei der Liegenschaft um ein (bebautes) Baugrundstück im Sinne des § 2 Abs. 3 lit. a Tiroler Grundverkehrsgesetz 1996 handle und der Käufer Ausländer (jedoch EU-Bürger) im Sinn des § 2 Abs. 5 leg.cit. sei. Der vorgelegte Kaufvertrag bedürfe nach § 12 Abs. 1 bzw. nach § 9 Abs. 1 des Tiroler Grundverkehrsgesetzes 1996 der Genehmigung durch die Grundverkehrsbehörde. Diesbezüglich regle aber § 11 Abs. 1 des Tiroler Grundverkehrsgesetzes 1996, dass eine Genehmigung nach § 9 nur erteilt werden dürfe, wenn beim Rechtserwerb an einem bebauten (Bau-)grundstück glaubhaft gemacht werde, dass durch den beabsichtigten Rechtserwerb kein Freizeitwohnsitz geschaffen werden solle (lit. a). Der Erwerb zum Zwecke der Freizeitwohnsitznutzung sei sowohl bei bebauten als auch bei unbebauten Grundstücken - unabhängig davon, ob der Erwerb durch einen österreichischen Staatsbürger oder einen EWR- bzw. EU-Bürger erfolge - grundsätzlich verboten. Bestehende Objekte dürften - im Regelfall - zum Zwecke der Freizeitwohnsitznutzung dann erworben werden, wenn sie im Verzeichnis der Freizeitwohnsitze nach § 16 Abs. 5 des Tiroler Raumordnungsgesetzes 1997 eingetragen seien. Das verfahrensgegenständliche Objekt sei nicht in diesem Verzeichnis eingetragen und dürfe somit auch nicht zum Zwecke der Freizeitwohnsitznutzung erworben werden. Nach Auffassung der belangten Behörde sei es dem Beschwerdeführer nicht gelungen, glaubhaft zu machen, dass durch den vorliegenden Rechtserwerb nicht doch ein Freizeitwohnsitz geschaffen werden solle. Die gegenteiligen Ausführungen seien lediglich als Schutzbehauptungen zu werten. Damit aber widerspreche der vorliegende Rechtserwerb dem Verbot des Erwerbes von Freizeitwohnsitzen im Sinne des § 11 Abs. 1 lit. a des Tiroler Grundverkehrsgesetzes 1996. Eine Überprüfung dahingehend, ob die Gleichbehandlungsvoraussetzungen im Sinne des § 3 Abs. 1 des Tiroler Grundverkehrsgesetzes 1996 - hier insbesondere wiederum im Hinblick auf die so genannte

"Pensionistenrichtlinie" - erfüllt wären, hätte daher unterbleiben

können.

Die Beschwerdeführer bekämpfen diesen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes. Sie erachten sich im "gesetzlich und gemeinschaftsrechtlich" gewährleisteten Recht "auf Nichtanwendung der §§ 11(1) lit. a, 14 und 23 (3) lit. c TGVG 1996" sowie im "einfachgesetzlich gewährleisteten Recht" auf Erteilung der grundverkehrsbehördlichen Genehmigung verletzt.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt, und in der Folge den Bescheid des Bürgermeisters der Stadt Kitzbühel vom 26. Jänner 1999 vorgelegt, in welchem festgestellt wird, dass die gegenständliche Liegenschaft weiterhin als Freizeitwohnsitz verwendet werden dürfe.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 9 Abs. 1 lit. a des Tiroler Grundverkehrsgesetzes 1996, LGBl. Nr. 61/1996, bedürfen Rechtsgeschäfte, die den Erwerb des Eigentums an Baugrundstücken zum Gegenstand haben, der Genehmigung durch die Grundverkehrsbehörde.

Nach § 11 Abs. 1 lit. a leg. cit. darf die Genehmigung nach § 9 nur erteilt werden, wenn beim Rechtserwerb an einem bebauten Grundstück glaubhaft gemacht wird, dass durch den beabsichtigten Rechtserwerb kein Freizeitwohnsitz geschaffen werden soll.

Liegen bei einem Rechtserwerb an einem bebauten Baugrundstück die Voraussetzungen für die Erteilung der Genehmigung offenkundig vor, so hat die Grundverkehrsbehörde gemäß § 25 Abs. 2 des Tiroler Grundverkehrsgesetzes 1996 den Genehmigungsbescheid innerhalb von zwei Wochen nach dem Einlangen der Anzeige zu erlassen.

§ 3 des Tiroler Grundverkehrsgesetzes 1996 lautet wie folgt:

"§ 3

Gleichbehandlung auf Grund des EG-Vertrages und des EWR-Abkommens

(1) Die Bestimmungen dieses Gesetzes über den Erwerb von Rechten an Grundstücken durch Ausländer gelten nicht, wenn solche Rechte erworben werden durch

a) Personen im Rahmen der Freizügigkeit der Arbeitnehmer nach Art. 48 des EG-Vertrages bzw. nach Art. 28 des EWR-Abkommens.

b) Personen und Gesellschaften im Rahmen der Niederlassungsfreiheit nach Art. 52 und 58 des EG-Vertrages bzw. nach den Art. 31 und 34 des EWR-Abkommens.

c) Personen und Gesellschaften im Rahmen des freien Dienstleistungsverkehrs nach Art. 59 des EG-Vertrages bzw. nach Art. 36 des EWR-Abkommens,

d) Personen und Gesellschaften im Rahmen der Kapitalverkehrsfreiheit nach Art. 73b des EG-Vertrages, soweit sich aus Art. 70 der Akte über die Bedingungen des Beitritts der Republik Österreich und die Anpassungen der die Europäische Union begründenden Verträge nichts anderes ergibt, bzw. nach Art. 40 des EWR-Abkommens,

e) Personen im Rahmen der Ausübung ihres Aufenthaltsrechtes nach der Richtlinie 90/364/EWG des Rates über das Aufenthaltsrecht und der Richtlinie 90/365/EWG des Rates über das Aufenthaltsrecht der aus dem Erwerbsleben ausgeschiedenen Arbeitnehmer und selbstständig Erwerbstätigen.

(2) Das Vorliegen einer der Voraussetzungen nach Abs. 1 hat der Rechtserwerber gleichzeitig mit der Anzeige des Rechtsgeschäftes oder Rechtsvorganges nach § 23 Abs. 1 nachzuweisen."

Die Beschwerdeführer haben bereits im erstinstanzlichen Verfahren die Niederlassungsfreiheit und die Kapitalsverkehrsfreiheit ins Treffen geführt und geltend gemacht, der Zweitbeschwerdeführer benütze die gegenständliche Liegenschaft als Hauptwohnsitz für die Ausübung des Gewerbes des Textilhandelsvertreters.

Der Europäische Gerichtshof hat in seinem Urteil vom 1. Juni 1999 in der Rechtssache C-302/97 im Hinblick auf die Regelung des Tiroler Grundverkehrsgesetzes 1996 betreffend den Erwerb von Zweitwohnsitzen ausgesprochen, dass angesichts der Gefahr einer Diskriminierung, die mit der vorherigen Genehmigung des Grundstückserwerbes verbunden ist, und angesichts der anderen Möglichkeiten, über die der Mitgliedstaat verfügt, um die Einhaltung seiner raumplanerischen Vorgaben sicherzustellen, Genehmigungsverfahren keine Beschränkung des Kapitalverkehrs bilden, die unerlässlich wären, um Zuwiderhandlungen gegen innerstaatliche Rechtsvorschriften über Zweitwohnsitze zu verhindern. Der Europäische Gerichtshof hat weiters in dem erwähnten Urteil festgehalten, dass die einschlägigen Bestimmungen des Tiroler Grundverkehrsgesetzes 1996 jedenfalls nicht unter die Ausnahmeregelung des Art. 70 der Beitritssakte fallen.

Damit ist klargestellt, dass die eine Genehmigungspflicht des Grunderwerbs vorsehenden Bestimmungen des Tiroler Grundverkehrsgesetzes 1996 gegen Gemeinschaftsrecht verstoßen. Aus dem Grundsatz, dass bei einem Verstoß eines einfachen Gesetzes gegen unmittelbar geltendes Gemeinschaftsrecht letzterem Anwendungsvorrang zukommt (vgl. insbesondere das Urteil vom 15. Juli 1964, Rs. 6/64, Costa/ENEL, Slg. 1964, S 1141, sowie das hg. Erkenntnis vom 18. Dezember 1998, Zl. 97/02/0496) und dass ein solcher Verstoß in jedem Stadium des Verfahrens, d.h. auch dann, wenn dieser erst im Verlauf des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens offenkundig wird (vgl. auch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 5. März 1999, B 3073/96), zu beachten ist, ergibt sich somit, dass in Fällen wie dem der Beschwerdeführer zumindest die Regelungen über den Freizeitwohnsitz und das Genehmigungsverfahren nicht anzuwenden sind.

Da die belangte Behörde insoweit die Rechtslage verkannt hat, war der bekämpfte Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Bei diesem Ergebnis erübrigte sich ein Eingehen darauf, ob und inwieweit sich aus dem Feststellungsbescheid des Bürgermeisters von Kitzbühel vom 26. Jänner 1999 rechtlich relevante Auswirkungen für den Beschwerdefall ergeben könnten.

Von der beantragten mündlichen Verhandlung konnte im Grunde des § 39 Abs. 1 Z 4 VwGG abgesehen werden.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 23. Juli 1999

Schlagworte

Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2Gemeinschaftsrecht Anwendungsvorrang, partielle Nichtanwendung von innerstaatlichem Recht EURallg1Beschwerdepunkt Beschwerdebegehren Rechtslage Rechtsgrundlage Rechtsquellen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1999:1998020075.X00

Im RIS seit

21.02.2002

Zuletzt aktualisiert am

16.12.2011
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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