TE Bvwg Beschluss 2018/10/17 W265 2203459-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 17.10.2018
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Entscheidungsdatum

17.10.2018

Norm

B-VG Art.133 Abs4
VOG §1
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch

W265 22203459-1/6E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Karin RETTENHABER-LAGLER als Vorsitzende und die Richterin Dr. Tanja KOENIG-LACKNER sowie den fachkundigen Laienrichter Mag. Gerald SOMMERHUBER als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Steiermark, vom 22.06.2018, betreffend die Abweisung des Antrages auf Hilfeleistungen nach dem Verbrechensopfergesetz (VOG) beschlossen:

A)

In Erledigung der Beschwerde wird der angefochtene Bescheid aufgehoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheids an das Sozialministeriumservice zurückverwiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang

Die Beschwerdeführerin stellte am 12.05.2017 beim Sozialministeriumservice, Landesstelle Steiermark (im Folgenden auch als belangte Behörde bezeichnet), einen Antrag auf Heilfürsorge in Form von Übernahme der Kosten für psychotherapeutische Krankenbehandlung sowie in Form von Übernahme der Selbstbehalte von Krankenhausverpflegungskosten und Wahlarztbehandlungen nach dem Verbrechensopfergesetz (VOG). Dabei gab sie an, im Alter von neun bis zwölf Jahren von ihrem damaligen Keyboardlehrer sexuell missbraucht worden zu sein. Es sei keine Anzeige erstattet worden, der Täter sei mittlerweile verstorben. Im Juli 2015 habe die Beschwerdeführerin im Rahmen eines stationären Aufenthaltes in der Psychiatrie das erste Mal über die Vorfälle gesprochen. Sie leide an schweren depressiven Episoden, Angst- und Panikattacken, Selbstverletzungstendenzen und einer Somatisierungsstörung. Die Beschwerdeführerin habe sich in den Jahren 2015 bis 2017 drei Mal für jeweils etwa ein bis zwei Monate in stationärer Behandlung befunden, weiters sei sie seit März 2016 alle zwei Wochen in Gruppentherapie und stehe in Behandlung einer Fachärztin für Psychiatrie.

Nach Ersuchen der belangten Behörde übermittelten die Privatklinik XXXX, das LKH XXXX und das Landeskrankenhaus XXXX Entlassungsberichte bzw. Befunde über die stationären Aufenthalte der Beschwerdeführerin. Außerdem übermittelte die behandelnde Psychotherapeutin der Beschwerdeführerin ein mit 24.06.2017 datiertes Schreiben mit Befund.

Im Ärztlichen Entlassungsbrief des Landeskrankenhauses XXXX vom 15.07.2015 betreffend den stationären Aufenthalt am 15.07.2015 wird unter anderem Folgendes ausgeführt:

"...

Diagnosen:

depressive Episode - suizidale Geste, F32.1

Vd. A. Borderline-Persönlichkeitsstörung, F60.3

Vd. A. Posttraumatische Belastungsstörung, F43.1

...

Anamnese und Vorbehandlungen:

Lt. Polizeiamtsärztlicher Bescheinigung wäre es heute zu einem Streit mit ihrem Exfreund gekommen. Sie habe diesem ein SMS geschickt, in dem sie ihren Suizid ankündigte und auch Anweisungen gab, was mit ihrem Meerschweinchen zu geschehen habe. Ihr Exfreund habe daraufhin die Polizei informiert.

...

Mit dem Freund, welcher 34-jg. Ist und Geschäftsführer einer Cocktailbar sei, wäre sie seit 1 Jahr zusammen. Es habe immer wieder Streit gegeben, sie wisse, dass er ihr nicht gut tue, sie müsse sich von ihm trennen, aber irgendwie käme sie von ihm nicht los. Sie bräuchte deswegen therapeutische Unterstützung.

...

Eine belastende Kindheit (Missbrauchserlebnisse) ist explorabel, dies müsse sie aufarbeiten. Deswegen habe sie auch vor, die Psychotherapie zu besuchen.

..."

Im Stationären Dekurs des Landeskrankenhauses XXXX vom 06.10.2015 betreffend den stationären Aufenthalt vom 28.07.2015 bis 30.09.2015 wird unter anderem Folgendes ausgeführt:

"...

Aktual Anamnese:

Die Pat. berichtet von einer Trennungssituation. Die Beziehung zu ihrem Ex-Freund dauerte 1 Jahr. In den letzten Wochen habe es zu kriseln begonnen. Sie habe ihn mehrmals darauf aufmerksam gemacht, dass sie ihn brauche, dass sie psychische Probleme habe. Er habe ihr daraufhin die kalte Schulter gezeigt. Letzte Woche ist es aufgrund einer SMS, in der die Pat. Ihren Selbstmord angekündigt hat, zu einem Polizeieinsatz gekommen und der Freund habe die Einweisung hierorts veranlasst.

...

Die Pat. hat nun schon einen Kassenplatz bei einer Psychotherapeutin erhalten und hat auch eine psycholog. Testung durchführen lassen. Dort seien Hinweise auf eine Persönlichkeitsstörung, Borderline und abhängige Persönlichkeit vorhanden gewesen.

...

Die Pat. berichtet von Missbrauchserfahrungen durch ihren Keyboard-Lehrer. Aufgrund dessen habe sie sich dann mit 11 Jahren angefangen zu ritzen, hatte auch im Alter von 16 Gedanken, sich einfach die Decke über den Kopf zu ziehen und unter der Decke zu ersticken. Durch die jetzige Trennungssituation habe sich ihre generelle Befindlichkeit stark verschlechtert. Sie müsse ständig an die schlechte Behandlung durch den Ex-Freund denken, leidet unter extremem Gedankenkreisen, habe auch immer wieder den Impuls, sich abermals zu ritzen.

...

Status psychicus:

...

Die Pat. gibt an, gegenüber Männern misstrauisch zu sein und eher von negativen Erfahrungen auszugehen. Hier ist allerdings kein Hinweis auf paranoides Gedankengut erhebbar.

..."

Im ärztlichen Entlassungsbericht der Privatklinik XXXX vom 05.01.2016 betreffend den stationären Aufenthalt vom 25.11.2015 bis 06.01.2016 wird unter anderem Folgendes festgehalten:

"...

Diagnosen:

F32.0 Leichte depressive Episode

F43.1 Posttraumatische Belastungsstörung

F60.31 VD auf emotional instabile Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typ nach PTSD

...

Rehabilitationsanamnese:

Seit ihrem zehnten Lebensjahr würde sie sich heimlich am Oberschenkel und Unterarm ritzen, immer wieder traten Lebensüberdrussgedanken sowie auch suizidale Gesten auf.

...

Aufgrund sexueller Übergriffe vom neunten bis zwölften Lebensjahr durch ihren 60jährigen Keyboard Lehrer bestünde auch ein generelles Misstrauen und vor allem Angst vor älteren Männern, wobei sie mit ausgeprägten Beklemmungsgefühlen reagieren würde.

...

Sozial-, Familien- und Berufsanamnese:

...

Die Kindheit sei aufgrund der sexuellen Übergriffe durch ihren Keyboard Lehrer vom neunten bis zwölften Lebensjahr sowie weitere Übergriffe, 16- sowie 17jährige, belastet gewesen. (...)"

Im Arztbrief des Landeskrankenhauses XXXX vom 30.05.2017 betreffend den stationären Aufenthalt vom 27.03.2017 bis 19.05.2017 wird unter anderem Folgendes ausgeführt:

"...

Diagnose(n):

Persönlichkeitsvariante mit emotionaler Instabilität und Impulsivität

Neg. Erlebnisse in Kindheit/Jugend

Alkoholmissbrauch, Nickelallergie

...

Therapie und Verlauf:

Bzgl. Einer traumaspezifischen Nachbetreuung wurde die Pat. sozialarbeiterisch unterstützt und ein Antrag beim Sozialministerium gestellt.

Mit Schreiben vom 24.06.2017 teilte die Psychotherapeutin der Beschwerdeführerin Folgendes mit:

"...

Frau S. ist seit 01/2016 bei mir in gruppenpsychotherapeutischer Behandlung. Meine Beobachtungen von und Gespräche mit Frau S. bezüglich ihrer Anfrage haben in diesen knapp eineinhalb Jahren Folgendes ergeben:

1. Frau S. kam mit Panikattacken, immer wieder schweren depressiven Gefühlen, psychosomatischen Beschwerden (vor allem Störungen im oberen Gastrotestinaltraktes und wandernde Beschwerden im Nacken- und Rückenbereich), selbstverletzendem Verhalten und der Realität unangemessenem Affektverhalten zu mir in Behandlung. Diese Schädigungen bestehen zum Großteil nach wie vor, wenn auch die Intensität schwankend ist.

2.

Da die Schädigungen während den Vorfällen zwischen ihrem 9. Und

12.

Lebensjahr begonnen haben und in diese Zeit auch ein Selbstmordversuch fällt, ist davon auszugehen, dass diese darauf zurückzuführen sind.

3. Aus der Anamnese geht hervor, dass Frau S. in einer stabilen Familie ohne besondere Vorkommnisse aufgewachsen ist und ihre Entwicklung bis zu ihrem 10. Lebensjahr unauffällig war. Auch eine familiäre Disposition ist offensichtlich nicht vorhanden, sodass es keine Hinweise auf einen Zusammenhang mit akausalen Lebensumständen zu geben scheint."

Die belangte Behörde holte ein medizinisches Sachverständigengutachten eines Facharztes für Psychiatrie und psychotherapeutische Medizin auf Grundlage einer persönlichen Untersuchung am 18.02.2018 ein. Die belangte Behörde gab in der Folge ein Sachverständigengutachten eines Facharztes für Psychiatrie und psychotherapeutische Medizin in Auftrag. In dem auf einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin basierenden Gutachten vom 18.02.2018 wurde Folgendes - hier in den wesentlichen Teilen wiedergegeben - ausgeführt:

"...

Auf Ansuchen des Sozialministeriumsservice, Landesstelle Steiermark, wird in oben bezeichneter VOG-Sache ..., Facharzt für Psychiatrie

und psychotherapeutische Medizin, ... zum Sachverständigen bestellt

und beauftragt ein Gutachten zu folgenden Fragen zu erstatten:

1. Welche Gesundheitsschädigungen liegen derzeit vor?

2. Sind diese Gesundheitsschädigungen mit Wahrscheinlichkeit auf die Vorfälle zwischen dem 9. und 12. Lebensjahr zurückzuführen bzw. kann aufgrund der bei Frau S. vorliegenden Gesundheitsschädigungen mit Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass Vorfälle, wie von ihr beschrieben, in ihrer Kindheit stattgefunden haben?

3. Inwieweit haben akausale Lebensumstände bzw. mögliche andere Life-Events Auswirkung auf den Leidenszustand von Frau S.? Bitte um besondere Berücksichtigung der "Vorfälle im Freundeskreis".

4. Falls die Kausalität bejaht wird, wird um Stellungnahme ersucht, ob die festgestellten verbrechenskausalen Leiden eine adäquate angemessene Folge des Verbrechens sind.

5. Für welchen Zeitraum erscheint eine psychotherapeutische Behandlung verbrechensbedingt notwendig bzw. wann ist eine Nachuntersuchung sinnvoll?

1. AKTENAUSZUG:

Psychologischer Befundbericht Dr. L. vom 24.06.2017:

Diagnose: F 60.3

Bestehende gruppenpsychotherapeutische Behandlung, Panikattacken, schwere depressive Gefühle, selbstverletzendes Verhalten; stabile Familienverhältnisse.

2. EIGENE UNTERSUCHUNG:

Die Untersuchte kommt gehend zur Untersuchung. Der Nachweis der Identität erfolgt mittels Führerscheins mit der amtlichen Nummer

XXX.

Die Untersuchte gibt an, in Oberwart geboren worden zu sein. Sie habe die Volksschule, die Hauptschule absolviert, habe 2008 maturiert, habe das Pädagogikstudium begonnen, dies jedoch nach einiger Zeit abgebrochen und habe es jetzt nach einer ca. 2-jährigen Pause wiederaufgenommen und stehe vor dem Fertigwerden ihres Studiums. Sie praktiziere nebenbei einen Job bei der Caritas als freiwillige Mitarbeiterin.

Aus privater Sicht her gibt sie an aktuell ledig zu sein, sie habe keine Kinder.

Die Untersuchte gibt an, dass es zwischen 1998 und 2001 zu den aktenkundigen Vorfällen gegen sie gekommen sei. Sie gibt dazu an, dass es im Zuge dieser Vorfälle zu keiner polizeilichen Anzeige gekommen sei, sie habe sich auch in keine psychologische oder psychiatrische Behandlung begeben. Sie habe dies alles verdrängt, habe in weiterer Folge ihre Schule weiter absolviert, habe auch die Matura geschafft. Sie habe in den letzten Jahren wiederholt private Partnerschaften aufbauen können, die längste dabei hätte ca. 4 Jahre lang angehalten.

Frau S. habe in ihrem 11. Lebensjahr begonnen, sich selbst zu verletzen, dies sei über einige Jahre so gegangen, dabei hätte sie sich nur oberflächlich verletzt. Es sei seit ihrem Aufenthalt an der Klinik in Tirol im vergangenen Jahr kein selbstschädigendes Verhalten mehr aufgetreten. Sie stehe seit 2016 in nervenfachärztlicher Behandlung bei Frau Dr. K., Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin.

Die Untersuchte gibt an, dass es 2015 im Rahmen einer Trennungssituation von ihrem damaligen Lebenspartner zu einem stationären Aufenthalt an der LSF in Graz gekommen sei. Dieser habe ihrer Psyche sehr gut getan, die Behandlung hätte viel bei ihr bewirkt. Zuvor sei es bereits in den Jahren zu mehreren anderweitigen Belastungen in ihrem Leben gekommen. 2013 sei ihre Großmutter gestorben, auch das habe sie stark mitgenommen. 2006 bzw. 2007 sei es in ihrem Freundeskreis auch jeweils zu sexuellen Bedrängungen ihr gegenüber gekommen, dabei seien ihre Freunde betrunken gewesen bzw. sie selber auch, es sei jedoch nicht zu einem Missbrauch gekommen, dieser habe vermieden werden können.

Die Untersuchte gibt weiter an, dass sie gelegentlich unter dem Auftreten von Flashbacks in Form von Tagträumen leiden würde, dabei gingen ihr gewisse Dinge aus ihrem Leben durch den Kopf, spezifische Flashbacks bezüglich der aktenkundigen Tatvorfälle würden nicht auftreten. Albträume würden gelegentlich auftreten, mit der aktuellen Medikation schlafe sie sehr gut.

Aktuell gehe es ihr von der Stimmung her sehr gut, sie habe auch bei der Konzentration und beim Gedächtnis keine Probleme, sie freue sich, dass sie ihr Studium bald beenden werde und danach einer beruflichen Tätigkeit nachgehen könne.

Alkoholkonsum: Gelegentlich.

Nikotinkonsum: Kein Konsum

Drogenkonsum: Wird negiert.

Medikation: Concor, Seeroquel XR, Dominal forte

Somatische Erkrankungen: Keine bekannt.

Psychopathologischer Status:

Patient wach, bewusstseinsklar, zu allen Qualitäten orientiert. Die Stimmung indifferent, vom Affekt her schwingungsfähig, der Antrieb unauffällig, der Ductus formal und inhaltlich kohärent. Konzentration, Aufmerksamkeit, Merkfähigkeit, Auffassungsgabe gering reduziert, keine regelmäßig auftretenden Flashbacks. Keine Schlafstörungen unter laufender Medikation, keine regelmäßig auftretenden Albträume, keine Suizidgedanken.

GUTACHTERLICHE STELLUNGNAHME

Im Zuge der durchgeführten psychiatrischen Exploration sowie in Zusammenschau mit den aktenkundigen Darstellungen kann zu den an den Gefertigten gestellten Fragen wie folgt Stellung bezogen werden:

ad 1)

Emotional instabile Persönlichkeitsstörung, derzeit remittiert, F60.3.

ad 2)

Ein eindeutiger kausaler Nachweis bezüglich des Auftretens der psychischen Erkrankung und den aktenkundigen Vorfällen von 1998 bis 2001 kann nicht evaluiert werden. Es gab im Leben von Frau S. bis dato mehrere belastende Ereignisse, es ist nach den Übergriffen zu keiner nervenfachärztlichen oder psychotherapeutischen Behandlung gekommen. Erst mit einer Latenzzeit von ca. 15 Jahren ist eine ambulante Behandlung bzw. auch ein stationärer Aufenthalt erstmalig erfolgt. Die Schulausbildung konnte auf Maturaniveau zu Ende beendet werden, einer beruflichen Ausbildung konnte Frau S. nachkommen.

ad 3)

Wie oben bereits dargestellt, haben auch mehrere Life-Events im Leben von Frau S. zur Entwicklung der oben angegebenen Erkrankung beigetragen, eine alleinige Reduktion auf die aktenkundigen Tatvorfälle greift zu kurz.

ad 4)

Es besteht keine Kausalität.

ad 5)

Eine psychotherapeutische Behandlung erscheint verbrechensbedingt nicht notwendig"

Die belangte Behörde brachte der Beschwerdeführerin mit Parteiengehör vom 21.02.2018 das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens zur Kenntnis und räumte ihr eine Stellungnahmemöglichkeit ein.

Mit Schreiben vom 30.03.2018 gab die Beschwerdeführerin dazu eine Stellungnahme ab, in der sie im Wesentlichen vorbrachte, es sei für sie nicht nachvollziehbar, warum das Geschehene in der Vergangenheit nichts mit ihrem heutigen Krankheitsbild zu tun haben sollte. Bis heute würden Flashbacks, Alpträume und Panikattacken zu ihrem Leben gehören und sie sehr beeinträchtigen. Sie werde jeden Tag mit ihrer Angst vor Männern, vor allem älteren, konfrontiert und versuche, bestimmte Situationen auch explizit zu vermeiden, was jedoch oft nicht möglich sei. In der Arbeit sei sie sehr oft damit konfrontiert und sie erlebe dabei Beklemmungsgefühle und Angstzustände. Auch in der Straßenbahn oder im Bus sei sie diesen Situationen ausgeliefert und es sei ihr nicht möglich, zu flüchten oder auszuweichen. Sie erlebe somit fast täglich Panikattacken, weil sie nicht wisse, wie sie bei bestimmten Situationen reagieren solle. Sie möchte gerne lernen, wie sie mit dieser Angst, den Flashbacks und Panikattacken umgehen könne. Gerne würde sie da weitermachen, wo sie in der Traumatherapie bei ihrem Reha-Aufenthalt in Tirol aufgehört habe. Sie ersuche deshalb, die Abweisung ihres Antrages nochmals zu überdenken und zu überprüfen. Dem Schreiben schloss sie Stellungnahmen ihrer ehemaligen (Gruppen-)Psychotherapeutin und einer Psychotherapeutin des Landeskrankenhauses XXXX an.

Aufgrund der Einwendungen der Beschwerdeführerin ersuchte die belangte Behörde den bereits befassten Sachverständigen, Facharzt für Psychiatrie und psychotherapeutische Medizin, um Stellungnahme. In seiner Stellungnahme vom 11.05.2018 führte der Sachverständige wie folgt aus:

"Wie bereits in meinem Gutachten vom 18.02.2018 festgehalten, lässt sich kein monokausaler Zusammenhang für das Auftreten der derzeit remittierten psychischen Störung festmachen, es zeigt sich eine multifaktorielle Ursache. Im Zuge der damalig durchgeführten psychiatrischen Exploration konnten keine krankheitswertigen Symptome evaluiert werden, dies als Erfolg sei auf die stattgehabte psychotherapeutische Behandlung zurückzuführen. Vor diesem Hintergrund bleibt die gutachterliche Stellungnahme vom 18.02.2018 durch den gefertigten Gutachter aufrecht."

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 22.06.2018 wies die belangte Behörde den Antrag der Beschwerdeführerin auf Leistungen nach dem Verbrechensopfergesetz (VOG) in Form von Heilfürsorge (Übernahme der Kosten für psychotherapeutische Krankenbehandlung sowie Selbstbehalte und Krankenhausverpflegungskosten) ab und führte begründend aus, dass bei der Beschwerdeführerin keine Gesundheitsschädigungen vorliegen würden, die gemäß § 1 Abs. 1 VOG mit Wahrscheinlichkeit auf die von ihr beschriebenen Vorfälle zurückzuführen seien, sei auch keine weitere Prüfung erfolgt, ob diese Vorfälle eine mit einer mehr als sechsmonatigen Freiheitsstrafe bedrohte, rechtswidrige und vorsätzliche Handlung im Sinne des § 1 Abs. 1 VOG darstellen würden. Die Anspruchsvoraussetzungen für die Gewährung von Hilfeleistungen nach dem VOG seien somit nicht gegeben.

Mit Schreiben vom 27.07.2018 erhob die Beschwerdeführerin gegen diesen Bescheid fristgerecht die gegenständliche Beschwerde. Dabei wiederholte sie im Wesentlichen ihr Vorbringen im Rahmen der Stellungnahme vom 30.08.2018 und gab an, sie sei der Auffassung, dass eine psychotherapeutische Leistung in Form einer Traumatherapie aufgrund der Ereignisse in ihrer Kindheit gerechtfertigt wäre.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Gemäß § 9d Abs. 1 VOG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide nach diesem Bundesgesetz durch einen Senat, dem ein fachkundiger Laienrichter angehört. Gegenständlich liegt daher Senatszuständigkeit mit Laienrichterbeteiligung vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I 2013/33 i.d.F. BGBl. I 2013/122, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Zu A).

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Nach § 28 Abs. 2 leg.cit. hat über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn 1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder 2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vorliegen und die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

Das Modell der Aufhebung des Bescheids und Zurückverweisung der Angelegenheit an die Behörde folgt konzeptionell jenem des § 66 Abs. 2 AVG, setzt im Unterschied dazu aber nicht auch die Notwendigkeit der Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung voraus. Voraussetzung für eine Aufhebung und Zurückverweisung ist allgemein (nur) das Fehlen behördlicher Ermittlungsschritte. Sonstige Mängel, abseits jener der Sachverhaltsfeststellung, legitimieren nicht zur Behebung auf Grundlage von § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG (Fister/Fuchs/Sachs, Das neue Verwaltungsgerichtsverfahren, 2013, § 28 VwGVG, Anm. 11).

§ 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, wenn "die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen" hat.

Der Verwaltungsgerichtshof hat sich in seinem Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, mit der Sachentscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte auseinandergesetzt und darin folgende Grundsätze herausgearbeitet (vgl. auch VwGH 30.06.2015, Ra 2014/03/0054):

* Die Aufhebung eines Bescheides einer Verwaltungsbehörde durch ein Verwaltungsgericht kommt nach dem Wortlaut des § 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt bereits im verwaltungsbehördlichen Verfahren geklärt wurde, zumal dann, wenn sich aus der Zusammenschau der im verwaltungsbehördlichen Bescheid getroffenen Feststellungen (im Zusammenhalt mit den dem Bescheid zu Grunde liegenden Verwaltungsakten) mit dem Vorbringen in der gegen den Bescheid erhobenen Beschwerde kein gegenläufiger Anhaltspunkt ergibt.

* Der Verfassungsgesetzgeber hat sich bei Erlassung der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl. I Nr. 51/2012, davon leiten lassen, dass die Verwaltungsgerichte grundsätzlich in der Sache selbst zu entscheiden haben, weshalb ein prinzipieller Vorrang einer meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte anzunehmen ist.

* Angesichts des in § 28 VwGVG insgesamt verankerten Systems stellt die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz leg.cit. bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Nach dem damit gebotenen Verständnis steht diese Möglichkeit bezüglich ihrer Voraussetzungen nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs. 3 leg.cit. verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Vielmehr verlangt das in § 28 leg.cit. insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher insbesondere dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer "Delegierung" der Entscheidung an das Verwaltungsgericht).

Der angefochtene Bescheid erweist sich vor diesem Hintergrund in Bezug auf den ermittelten Sachverhalt aus folgenden Gründen als mangelhaft:

§ 1 Abs. 1 VOG lautet:

"Kreis der Anspruchsberechtigten

§ 1 (1) Anspruch auf Hilfe haben österreichische Staatsbürger, wenn mit Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass sie

1. durch eine zum Entscheidungszeitpunkt mit einer mehr als sechsmonatigen Freiheitsstrafe bedrohte rechtswidrige und vorsätzliche Handlung eine Körperverletzung oder eine Gesundheitsschädigung erlitten haben oder

2. durch eine an einer anderen Person begangene Handlung im Sinne der Z 1 nach Maßgabe der bürgerlich-rechtlichen Kriterien einen Schock mit psychischer Beeinträchtigung von Krankheitswert erlitten haben oder

3. als Unbeteiligte im Zusammenhang mit einer Handlung im Sinne der Z 1 eine Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung erlitten haben, soweit nicht hieraus Ansprüche nach dem Amtshaftungsgesetz, BGBl. Nr. 20/1949, bestehen,

und ihnen dadurch Heilungskosten erwachsen sind oder ihre Erwerbsfähigkeit gemindert ist. Wird die österreichische Staatsbürgerschaft erst nach der Handlung im Sinne der Z 1 erworben, gebührt die Hilfe nur, sofern diese Handlung im Inland oder auf einem österreichischen Schiff oder Luftfahrzeug (Abs. 6 Z 1) begangen wurde."

Tatbestandsvoraussetzung des § 1 Abs. 1 Z 1 VOG ist daher - soweit im gegenständlichen Fall relevant - zunächst das wahrscheinliche Vorliegen einer mit einer mehr als sechsmonatigen Freiheitsstrafe bedrohten rechtswidrigen und vorsätzlichen Handlung, durch die wahrscheinlich eine Gesundheitsschädigung erlitten wurde, sowie dass dadurch Heilungskosten erwachsen sind.

Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 26.04.2013. Zl. 2012/11/0001, ausgeführt hat, ist es im Lichte der Gesetzesmaterialien (GP XIII RV 40. S. 8) zum VOG 1972, die auf das Kriegsopferversorgungsgesetz 1957 (KOVG) verweisen, nicht rechtswidrig, wenn sich die Behörde auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zum KVOG 1957 beruft und davon ausgeht, dass eine ausreichende Wahrscheinlichkeit iSd § 1 Abs. 1 VOG 1972 erst gegeben ist, wenn erheblich mehr für als gegen das Vorliegen einer Vorsatztat spricht (Hinweis E vom 19. Oktober 2005, 2002/09/0132, zu § 4 Abs. 1 KVOG 1957, demzufolge "Wahrscheinlichkeit" dafür, dass die festgestellte Gesundheitsschädigung auf das schädigende Ereignis oder die der Dienstleistung eigentümlichen Verhältnisse ursächlich zurückzuführen ist, dann gegeben ist, wenn nach der geltenden ärztlich-wissenschaftlichen Lehrmeinung erheblich mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht).

Die belangte Behörde traf im angefochtenen Bescheid keinerlei Feststellungen zur Frage des vorgebrachten sexuellen Missbrauchs der Beschwerdeführerin durch den Keyboardlehrer sowie zu den in den medizinischen Befunden erwähnten weiteren Übergriffe im Jugendlichenalter, sohin zur Frage der Wahrscheinlichkeit des Vorliegens einer strafbaren Handlung iSd § 1 Abs. 1 Z 1 VOG. Vielmehr scheint die belangte Behörde implizit von der Annahme, eine solche strafbare Handlung liege wahrscheinlich vor, auszugehen bzw. scheint sie das wahrscheinliche Vorliegen einer solchen strafbaren Handlung schlichtweg vorauszusetzen. Ebenso bleibt im angefochtenen Bescheid unbehandelt, worauf, also auf welche konkrete Ermittlungsergebnisse, sich die offenkundig getroffene Annahme stützt, der Tatbestand des Vorliegens einer strafbaren Handlung iSd § 1 Abs. 1 Z 1 VOG wäre erfüllt. Abgesehen vom grundsätzlichen Erfordernis der Offenlegung solcher Ermittlungsergebnisse in der Begründung eines Bescheides, erfordert die Feststellung (die sich im gegenständlichen Fall allerdings auf eine bloße implizite Annahme zu reduzieren scheint bzw. die schlichtweg vorausgesetzt zu sein scheint), dass - wie im gegenständlichen Fall, in dem der Vorwurf des sexuellen Missbrauches einer Unmündigen im Raum steht - eine bestimmte Person wahrscheinlich eine mit einer mehr als sechsmonatigen Freiheitsstrafe bedrohte rechtswidrige und vorsätzliche Handlung gegen die Beschwerdeführerin gesetzt hat, eine nachvollziehbare und beweiswürdigende Auseinandersetzung mit dieser Frage auf Basis von ausreichenden Ermittlungsergebnissen, bedeutet eine solche Feststellung doch im Umkehrschluss, dass diese Person wahrscheinlich als Straftäter anzusehen ist (selbst wenn zumindest einer der in Frage stehenden vermeintlichen Täter bereits verstorben und die Straftat bereits verjährt wäre), was in einem Bescheid einer Verwaltungsbehörde und in weiterer Folge in einem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgericht nicht ohne Weiteres behauptet werden kann.

Es ist daher dem angefochtenen Bescheid nicht zu entnehmen, auf Grundlage welcher Ermittlungen die belangte Behörde zu dem Ergebnis gekommen sein könnte, es liege wahrscheinlich eine strafbare Handlung iSd § 1 Abs. 1 Z 1 VOG vor, hat sie es doch verabsäumt, erforderliche Ermittlungen zu dem vorgebrachten sexuellen Missbrauchsvorwurf durch den Keyboardlehrer sowie zu den weiteren erwähnten Übergriffen im Freundeskreis zu tätigen. Abgesehen davon, dass sich die belangte Behörde ausschließlich einseitig auf die - im Übrigen nicht unmittelbar, sondern schriftlich im Wesentlichen mittelbar im Wege der Anamnese der vorgelegten Befundberichte sowie in den Schreiben der Psychotherapeutin der Beschwerdeführerin getätigten - Angaben der Beschwerdeführerin zu stützen scheint, wurde eine Befragung der Beschwerdeführerin zu den konkreten Geschehnissen zum Zwecke der Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes nicht durchgeführt.

Allein auf Grundlage der im Wege von Spitalsbefunden und Schreiben der Psychotherapeutin getätigten Angaben kann im gegenständlichen Fall noch nicht davon ausgegangen werden, dass im Sinne der oben zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes erheblich mehr für als gegen das Vorliegen einer Vorsatztat spricht, und kann daher jedenfalls noch nicht die Feststellung getroffen werden, dass der vorgebrachte sexuelle Missbrauch durch den Keyboardlehrer bzw. die weiteren noch unkonkreter angegebenen Übergriffe wahrscheinlich stattgefunden haben.

Die belangte Behörde hat daher bisher keine geeigneten Ermittlungsschritte gesetzt, den maßgebenden Sachverhalt im Hinblick auf die Frage des wahrscheinlichen Vorliegens einer strafbaren Handlung iSd § 1 Abs. 1 Z 1 VOG zu ermitteln und daher diesbezüglich auch keine Feststellungen getroffen.

Im fortgesetzten Verfahren wird die belangte Behörde zum Zwecke der Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes die Beschwerdeführerin zu den von ihr vorgebrachten Übergriffen durch den Keyboardlehrer und allfälligen weiteren Vorfällen im Teenageralter zu befragen haben. Eine Befragung der Eltern zum Zeitpunkt der angegebenen Missbrauchshandlungen und zu den vorgebrachten Veränderungen im Verhalten der Beschwerdeführerin ("Ritzen" etc.) wird ebenfalls sinnvoll sein, um den maßgeblichen Sachverhalt feststellen zu können und die Wahrscheinlichkeit des Vorliegens einer strafbaren Handlung beurteilen zu können.

Sollte die belangte Behörde im fortgesetzten Verfahren zu der - auf Grundlage konkreter Ermittlungsergebnisse nachvollziehbaren - Feststellung gelangen, dass die Tatbestandsvoraussetzung einer mit einer mehr als sechsmonatigen Freiheitsstrafe bedrohten rechtswidrigen und vorsätzlichen Handlung im Sinn des § 1 Abs. 1 Z 1 VOG erfüllt ist, wäre als weitere Tatbestandsvoraussetzung - auf Grundlage des dann vorliegenden Sachverhaltes, der eine konkrete Grundlage für eine gutachterliche sachverständige Beurteilung bieten kann - zu klären, ob durch diese Handlung(en) wahrscheinlich eine Gesundheitsschädigung erlitten wurde. Um die Frage abschließend beantworten zu können, wird die belangte Behörde somit auch ein psychiatrisches Sachverständigengutachten einzuholen haben. Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass die Beschwerdeführerin mehrmals angab, Männern gegenüber misstrauisch zu sein und vor Männern Angst zu haben, ist die Beauftragung einer weiblichen Sachverständigen zu empfehlen.

Eine Beurteilung von Rechtsfragen über die Wahrscheinlichkeit des Vorliegens einer mit einer mehr als sechsmonatigen Freiheitsstrafe bedrohten rechtswidrigen und vorsätzlichen Handlung sowie gegebenenfalls über die Kausalitätsfrage unter Berücksichtigung der Theorie der wesentlichen Bedingung kann aber naturgemäß erst erfolgen, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt vorliegt.

Auch diesbezüglich lässt der angefochtene Bescheid eine nachvollziehbare Begründung vermissen, geht doch der befragte psychiatrische Sachverständige von "mehreren belastenden Ereignissen" und "keinem monokausalen Zusammenhang für das Auftreten der derzeit remittierten psychischen Störung" aus, wobei eine Auseinandersetzung mit der "Theorie der wesentlichen Bedingung" in der Entscheidung der belangten Behörde jedoch keinen Eingang gefunden hat.

Wie der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 23.5. 2002, Zl. 99/09/0013 und vom 26.01.2012, Zl. 2011/09/0113) dargelegt hat, ist bei der Kausalitätsbeurteilung im Bereich der Sozialentschädigungsgesetze von der "Theorie der wesentlichen Bedingung" auszugehen. Danach ist es für eine solche Bedingtheit - dann, wenn die festgestellte Gesundheitsschädigung auf mehrere Ursachen, darunter auch ein vom Gesetz erfasstes schädigendes Ereignis zurückgehen könnte - erforderlich, dass das in Betracht kommende schädigende Ereignis eine wesentliche Ursache der Schädigung ist. Dies ist das Ereignis dann, wenn es nicht im Hinblick auf andere mitwirkende Ursachen erheblich in den Hintergrund tritt. Nur jene Bedingung, ohne deren Mitwirkung der Erfolg überhaupt nicht oder nur zu einem erheblich anderen Zeitpunkt oder nur in geringerem Umfang eingetreten wäre, ist wesentliche Bedingung.

Die Beurteilung der Wesentlichkeit einer Bedingung (mittels der genannten Theorie) ist keine Sachverhalts-, sondern eine Rechtsfrage. Die Zurechnung ist im Wesentlichen davon abhängig, dass die aus dem geschützten Bereich stammende Ursache zu einer Verfrühung oder Erschwerung des Schadens führte (VwGH vom 26.01.2012, Zl. 2011/09/0113 zu § 2 HVG).

Unter Zugrundelegung dieser Rechtsprechung wäre - bezogen auf den gegenständlichen Fall, sofern das wahrscheinliche Vorliegen einer mit mehr als sechsmonatigen Freiheitsstrafe bedrohten rechtswidrigen und vorsätzlichen Handlung im Sinn des § 1 Abs. 1 Z 1 VOG bejaht würde und feststünde - die Frage zu stellen, ob die bei der Beschwerdeführerin vorliegende psychische Beeinträchtigung überhaupt nicht eingetreten wäre, wenn der sexuelle Missbrauch nicht stattgefunden hätte, bzw. ob die psychische Beeinträchtigung zwar auch dann eingetreten wäre, wenn der sexuelle Missbrauch nicht stattgefunden hätte, dies aber zu einem erheblich anderen Zeitpunkt oder nur in geringerem Umfang. Wenn aber die psychische Beeinträchtigung zwar auch ohne das Ereignis des sexuellen Missbrauches eingetreten wäre, dies aber nur in geringerem Umfang bzw. in geringerer Schwere, so würde dieser sexuelle Missbrauch durchaus die Eignung aufweisen können, im Sinne der Theorie der "wesentlichen Bedingung" eine wesentliche Ursache der Schädigung zu sein.

Unter diesen Gesichtspunkten leidet der angefochtenen Bescheid unter erheblichen Ermittlungsmängeln und erweist sich für das Bundesverwaltungsgericht der vorliegende Sachverhalt als so mangelhaft, dass weitere notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes diesbezüglich unerlässlich erscheinen.

Da der maßgebliche Sachverhalt noch nicht feststeht, war in Gesamtbeurteilung der dargestellten Erwägungen der angefochtene Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Sozialministeriumservice zurückzuverweisen.

2.5. Einfall der mündlichen Verhandlung

Aufgrund der Behebung des angefochtenen Bescheides konnte eine Verhandlung gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG entfallen.

2.6. Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung, des Weiteren ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Ermittlungspflicht, Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung,
Straftat

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:W265.2203459.1.00

Zuletzt aktualisiert am

08.01.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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