TE Bvwg Erkenntnis 2018/10/16 W163 1244209-2

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Veröffentlicht am 16.10.2018
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Entscheidungsdatum

16.10.2018

Norm

B-VG Art.133 Abs4
FPG §57 Abs1
VwGVG §13 Abs2
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W163 1244209-2/6E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Daniel LEITNER über die Beschwerde von Herrn XXXX, geboren am XXXX, StA.:

Indien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 06.09.2018, Zl. XXXX, zu Recht:

A)

Der angefochtene Bescheid wird gemäß § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang

1.1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) stellte am 28.09.2003 in Österreich einen Asylantrag.

Dieser Antrag wurde mit Bescheid des Bundeasylamtes (im Folgenden: BAA) vom 29.10.2003, Zl. 03 29.527-BAL, gem. §§ 7, 8 AsylG als unbegründet abgewiesen.

Die dagegen erhobene Berufung wurde mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenats (im Folgenden: UBAS) vom 25.03.2004, GZ: XXXX, abgewiesen. Der Bescheid des UBAS wurde dem BF am 01.04.2004 durch Hinterlegung zugestellt und erwuchs in Rechtskraft.

1.2. Ein erster vom BF gestellter Folgeantrag wurde am 29.05.2006 vom BAA gem. § 68 AVG zurückgewiesen und der BF ausgewiesen. Der Bescheid erwuchs in Rechtskraft.

1.3. Ein zweiter vom BF gestellter Folgeantrag wurde am 23.02.2007 vom BAA gem. § 68 AVG zurückgewiesen und der BF ausgewiesen. Der Bescheid erwuchs in Rechtskraft.

1.4. Ein dritter vom BF gestellter Folgeantrag wurde am 04.03.2009 vom BAA gem. § 68 AVG zurückgewiesen und der BF ausgewiesen. Der Bescheid erwuchs in Rechtskraft.

1.5. Gegen den BF wurde mit Bescheid der LPD Wien, AFA Ref. 3 Fremdenpolizei, am 14.03.2003, Zl. XXXX, eine Rückkehrentscheidung und ein Einreiseverbot für die Dauer von fünf Jahren erlassen.

2.1. Der BF beantragte am 25.05.2015 die Ausstellung einer Karte für Geduldete.

2.2. Bezüglich dieses Antrags wurde der BF am 24.02.2016 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) niederschriftlich einvernommen. Dabei legte er ein Dokument vor, das er als seine Geburtsurkunde bezeichnete.

3.1. Mit Mandatsbescheid vom 22.02.2018, Zl. IFA XXXX, wurde dem BF gem. § 57 Abs. 1 FPG iVm § 57 Abs. 1 AVG aufgetragen, bis zu seiner Ausreise durchgängig Unterkunft in der Betreuungseinrichtung Betreuungsstelle XXXX, zu nehmen und dieser Verpflichtung binnen drei Tagen nachzukommen.

3.2. Gegen diesen am 26.02.2018 zugestellten Bescheid erhob der BF durch seinen Vertreter am 28.02.2018 fristgerecht Vorstellung.

3.3. Dem Vertreter des BF wurde mit Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme vom 02.03.2018 mitgeteilt, dass die Wohnsitzauflage nach wie vor notwendig und gerechtfertigt sei. Belehrt wurde darüber, dass die Vorstellung keine aufschiebende Wirkung habe und sich der BF nach wie vor in der Betreuungsstelle einzufinden habe. Zudem wurden Fragen zur Lebenssituation des BF in Österreich und zur Wohnsitzauflage unter Einräumung einer zweiwöchigen Frist zur Stellungnahme übermittelt.

3.4. Am 02.03.2018 wurde mitgeteilt, dass der BF nicht in der im Mandatsbescheid genannten Betreuungseinrichtung erschienen ist und deshalb dem Quartier EAST-WEST unstet zugewiesen wurde.

3.5. Am 04.03.2018 führte die LPD Wien an der Meldeadresse des BF eine Wohnsitzüberprüfung durch.

3.6. Am 20.03.2018 erfolgte eine Stellungnahme des bevollmächtigten Vertreters des BF.

3.7. Mit dem nunmehr angefochtenen (Vorstellungs-)Bescheid vom 06.09.2018, Zl. XXXX, wurde dem BF gem. § 57 Abs. 1 FPG aufgetragen, bis zu seiner Ausreise durchgängig Unterkunft in der Betreuungseinrichtung Betreuungsstelle XXXX, zu nehmen und dieser Verpflichtung unverzüglich nachzukommen (Spruchpunkt I.). Die aufschiebende Wirkung der Beschwerde gegen diesen Bescheid wurde gem. § 13 Abs. 2 VwGVG ausgeschlossen (Spruchpunkt II.).

3.8. Gegen diesen am 11.09.2018 zugestellten Bescheid wurde am 04.10.2018 fristgerecht Beschwerde erhoben.

3.9. Die gegenständliche Beschwerde und die bezughabenden Verwaltungsakten wurden dem Bundesverwaltungsgericht (im Folgenden: BVwG) am 12.10.2018 vom BFA vorgelegt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen

1.1 Der BF ist Staatsangehöriger von Indien. Die Identität des BF steht nicht fest.

1.2. Der unter I. dargestellte Verfahrensgang wird als Feststellung dem gegenständlichen Erkenntnis zugrunde gelegt.

2. Beweiswürdigung

2.1. Die Feststellungen zur Person des BF stützen sich auf den Inhalt der Akten des BFA sowie des BVwG. Mangels Vorliegens eines unbedenklichen nationalen Identitätsdokumentes oder eines sonstigen unbedenklichen Bescheinigungsmittels im Original steht die Identität des BF nicht fest.

2.2. Die Feststellungen zu den vorangegangenen Verfahren beruhen auf einem Auszug aus dem IFA in Zusammenhalt mit dem Verfahrensakt des UBAS zum ersten Asylverfahren. Die Aktenteile zu den anderen Verfahren legte das BFA nicht vor.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A)

3.1. Zur Beschwerde gegen Spruchpunkte I. und II. des angefochtenen Bescheides

3.1.1. Rechtliche Grundlagen:

§ 57 FPG lautet auszugsweise:

"Wohnsitzauflage

§ 57. (1) Einem Drittstaatsangehörigen, gegen den eine Rückkehrentscheidung rechtskräftig erlassen wurde und dessen Aufenthalt im Bundesgebiet nicht geduldet (§ 46a) ist, kann aufgetragen werden, bis zur Ausreise in vom Bundesamt bestimmten Quartieren des Bundes Unterkunft zu nehmen, wenn

1. keine Frist zur freiwilligen Ausreise gemäß § 55 gewährt wurde oder

2. nach Ablauf der Frist zur freiwilligen Ausreise gemäß § 55 bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Drittstaatsangehörige seiner Ausreiseverpflichtung weiterhin nicht nachkommen wird.

(2) Bei der Beurteilung, ob bestimmte Tatsachen gemäß Abs. 1 Z 2 vorliegen, ist insbesondere zu berücksichtigen, ob der Drittstaatsangehörige

1. entgegen einer Anordnung des Bundesamtes oder trotz eines nachweislichen Angebotes der Rückkehrberatungsstelle ein Rückkehrberatungsgespräch (§ 52a Abs. 2 BFA-VG) nicht in Anspruch genommen hat;

2. nach Ablauf der Frist für die freiwillige Ausreise seinen Wohnsitz oder den Ort seines gewöhnlichen Aufenthalts gewechselt und das Bundesamt davon nicht in Kenntnis gesetzt hat;

3. an den zur Erlangung einer Bewilligung oder eines Reisedokumentes notwendigen Handlungen im Sinne der § 46 Abs. 2 und 2a nicht mitwirkt;

4. im Rahmen des Asylverfahrens, des Verfahrens zur Erlassung der Rückkehrentscheidung oder des Rückkehrberatungsgesprächs erklärt hat, seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachkommen zu wollen;

5. im Asylverfahren oder im Verfahren zur Erlassung der Rückkehrentscheidung über seinen Herkunftsstaat oder seine Identität getäuscht oder zu täuschen versucht hat.

(3) [...]

(4) Die Verpflichtungen des Drittstaatsangehörigen aufgrund einer Wohnsitzauflage gemäß Abs. 1 oder Abs. 3 ruhen, wenn und solange

1. die Rückkehrentscheidung gemäß § 59 Abs. 6 oder die Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 12a Abs. 4 AsylG 2005 vorübergehend nicht durchführbar,

2. sein Aufenthalt im Bundesgebiet gemäß § 46a geduldet oder

3. ihm die persönliche Freiheit entzogen ist.

(5) Wird eine Rückkehrentscheidung gemäß § 60 Abs. 3 gegenstandslos oder tritt eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 Abs. 4 außer Kraft, tritt auch die Wohnsitzauflage außer Kraft.

(6) Die Wohnsitzauflage gemäß Abs. 1 oder Abs. 3 ist mit Mandatsbescheid (§ 57 AVG) anzuordnen. In diesem sind dem Drittstaatsangehörigen auch die Folgen einer allfälligen Missachtung zur Kenntnis zu bringen."

§ 46 FPG lautet auszugsweise:

"[...]

(2) Ein zur Ausreise verpflichteter Fremder, der über kein Reisedokument verfügt und ohne ein solches seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachkommen kann, hat - vorbehaltlich des Abs. 2a - bei der für ihn zuständigen ausländischen Behörde aus Eigenem ein Reisedokument einzuholen und gegenüber dieser Behörde sämtliche zu diesem Zweck erforderlichen Handlungen, insbesondere die Beantragung des Dokumentes, die wahrheitsgemäße Angabe seiner Identität (§ 36 Abs. 2 BFA-VG) und seiner Herkunft sowie die Abgabe allfälliger erkennungsdienstlicher Daten, zu setzen; es sei denn, dies wäre aus Gründen, die der Fremde nicht zu vertreten hat, nachweislich nicht möglich. Die Erfüllung dieser Verpflichtung hat der Fremde dem Bundesamt gegenüber nachzuweisen. Satz 1 und 2 gilt nicht, wenn der Aufenthalt des Fremden gemäß § 46a geduldet ist.

(2a) Das Bundesamt ist jederzeit ermächtigt, bei der für den Fremden zuständigen ausländischen Behörde die für die Abschiebung notwendigen Bewilligungen (insbesondere Heimreisezertifikat oder Ersatzreisedokument) einzuholen oder ein Reisedokument für die Rückführung von Drittstaatsangehörigen (§ 97 Abs. 1) auszustellen. Macht es davon Gebrauch, hat der Fremde an den Amtshandlungen des Bundesamtes, die der Erlangung der für die Abschiebung notwendigen Bewilligung oder der Ausstellung des Reisedokumentes gemäß § 97 Abs. 1 dienen, insbesondere an der Feststellung seiner Identität (§ 36 Abs. 2 BFA-VG) und seiner Herkunft, im erforderlichen Umfang mitzuwirken und vom Bundesamt zu diesem Zweck angekündigte Termine wahrzunehmen.

[...]"

3.1.2. Aus den Erläuterungen zum FRÄG 2017 betreffend § 57 FPG ergibt sich auszugsweise Folgendes:

"[...] Die Erlassung einer Wohnsitzauflage soll dabei nicht systematisch erfolgen, sondern hat jedenfalls abhängig von den konkreten Umständen des Einzelfalls zu ergehen. Dabei sind insbesondere der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sowie Art. 8 EMRK - insbesondere im Hinblick auf das Bestehen familiärer Strukturen, die Wahrung der Familieneinheit und die besonderen Bedürfnisse von Minderjährigen auch im Sinne der Jugendwohlfahrt - zu berücksichtigen. Die Wohnsitzauflage soll daher als ultima ratio nur dann angeordnet werden, wenn der Drittstaatsangehörige seiner Verpflichtung zur Ausreise bislang nicht nachgekommen ist und aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalls anzunehmen ist, dass er auch weiterhin seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachkommen wird.

[...]

Zu Abs. 1:

[...]

Die zweite Konstellation soll auch jene Fälle umfassen, in denen zwar eine Frist für die freiwillige Ausreise gewährt wurde, der Drittstaatsangehörige aber nicht innerhalb der Frist ausgereist ist und anzunehmen ist, dass er seiner Ausreiseverpflichtung auch weiterhin nicht nachkommen wird.

[...]

Zu Abs. 2:

In Abs. 2 werden jene Tatsachen näher definiert und demonstrativ aufgezählt, welche im Sinne des Abs. 1 Z 2 die Annahme rechtfertigen, dass der Drittstaatsangehörige seiner Ausreiseverpflichtung weiterhin nicht nachkommen wird.

Ein Hinweis auf die mangelnde Bereitschaft zur Ausreise ist naturgemäß dann gegeben, wenn der Drittstaatsangehörige selbst angibt, dass er nicht bereit ist, seiner Ausreiseverpflichtung nachzukommen. Es kann des Weiteren davon ausgegangen werden, dass er seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachkommen wird, wenn er ein ihm angebotenes oder angeordnetes Rückkehrberatungsgespräch zum Zweck der freiwilligen Ausreise nicht wahrnimmt. Ebenso wird davon auszugehen sein, dass der Drittstaatsangehörige nicht bereit ist auszureisen, wenn er während einer gewährten Frist zur freiwilligen Ausreise nicht ausgereist ist und anschließend seinen Wohnsitz bzw. den Ort seines gewöhnlichen Aufenthalts ändert, ohne das Bundesamt hiervon in Kenntnis zu setzen. Ferner kann von mangelhafter Bereitschaft zur Ausreise ausgegangen werden, wenn der betreffende Drittstaatsangehörige es unterlässt, an der Beschaffung von für die Ausreise erforderlichen Dokumenten mitzuwirken oder ein vorhandenes Reisedokument vernichtet oder sich dessen auf sonstige Weise entledigt. Hat der Drittstaatsangehörige bereits im Verfahren über seine Identität getäuscht oder zu täuschen versucht und damit die Beschaffung von für die Ausreise erforderlichen Dokumenten erschwert bzw. verhindert, wird ebenfalls von einer mangelnden Bereitschaft zur Ausreise auszugehen sein.

Da es sich bei Abs. 2 um eine demonstrative Aufzählung handelt, kommen auch weitere Umstände in Betracht, welche die Annahme rechtfertigen, dass der Drittstaatsangehörige seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachkommen wird. Weitere denkbare Gründe in diesem Sinne sind etwa falsche oder widersprüchliche Angaben zum Vorliegen einer Voll- oder Minderjährigkeit bzw. voneinander abweichende Altersangaben in Verfahren vor verschiedenen Behörden (dazu VwGH 25.02.2015, Ra 2014/20/0045) sowie die Verschweigung von vorhandenen Identitätsdokumenten. Hievon sollen beispielsweise jene Fälle erfasst sein, in denen Drittstaatsangehörige im Verfahren vor dem Bundesamt angeben, über keine Identitätsdokumente zu verfügen, während sie im Verfahren vor anderen Behörden (bspw. dem Standesamt im Zuge einer Eheschließung) oder Gerichten solche vorlegen.

[...]

Zu Abs. 6:

Die Auferlegung der Wohnsitzauflage gemäß § 57 erfolgt mittels Mandatsbescheid gemäß §57 AVG. Ein solcher kann erlassen werden, wenn es sich um die Vorschreibung einer Geldleistung oder wegen Gefahr in Verzug um unaufschiebbare Maßnahmen handelt. Für den vorgeschlagenen § 57 ist der Tatbestand "Gefahr in Verzug" maßgeblich: In der Fallkonstellation nach Abs. 1 Z 1 ist der Ausschluss einer Frist zur freiwilligen Ausreise an die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung der Rückkehrentscheidung (§ 18 Abs. 2 BFA-VG) geknüpft. Somit wurde bereits im Falle einer Aberkennung der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde und der Nichtgewährung einer Frist gemäß § 55 festgestellt, dass eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit vorliegt. Dadurch ist die Erlassung der Wohnsitzauflage in dieser Konstellation mittels Mandatsbescheid aufgrund der bereits zuvor anlässlich des Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung festgestellten Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit zulässig. Hinsichtlich der zweiten Fallkonstellation nach Abs. 1 Z 2 liegt eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit vor, wenn anzunehmen ist, dass der Drittstaatsangehörige weiterhin nicht ausreisen wird (zumal er dies bereits während der Frist für die freiwillige Ausreise nicht getan hat). Das bloße unrechtmäßige Verbleiben im Bundesgebiet sowie ein länger andauernder unrechtmäßiger Aufenthalt, ohne dass bereits eine entsprechende Entscheidung vorliegt, die eine Ausreiseverpflichtung auferlegt oder feststellt, und unabhängig davon, ob die Einreise bereits unrechtmäßig oder rechtmäßig erfolgte, stellt nach ständiger Rechtsprechung des VwGH eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit dar (VwGH 02.06.2000, 2000/19/0081; 23.03.2001, 2000/19/0042; 02.06.2000, 2000/19/0081; 23.03.2001, 2000/19/0042). Dies muss umso mehr gelten, wenn bereits eine im Wege eines rechtsstaatlichen Verfahrens getroffene Entscheidung vorliegt, die eine Ausreiseverpflichtung feststellt oder auferlegt, und der Drittstaatsangehörige dieser Verpflichtung auch nach Ablauf einer ihm eingeräumten Frist für die freiwillige Ausreise nicht nachkommt bzw. die Annahme gerechtfertigt ist, dass er ihr weiterhin nicht nachkommen wird. Weiters ergibt sich aus dieser Rechtsprechung, dass das beharrliche unrechtmäßige Verbleiben eines Fremden nach rechtskräftigem Abschluss des Asylverfahrens bzw. ein länger andauernder unrechtmäßiger Aufenthalt eine gewichtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung im Hinblick auf ein geordnetes Fremdenwesen darstellt und der Befolgung der den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung durch geordnete Abwicklung des Fremdenwesens ein hoher Stellenwert zukommt (VwGH 31.10.2002, 2002/18/0190; 15.12.2015, Ra 2015/19/0247). Daher ist in diesen Fällen von einer Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit auszugehen, wodurch die Erlassung der Wohnsitzauflage mittels Mandatsbescheides gerechtfertigt ist."

3.1.3. Für den vorliegenden Fall bedeutet dies:

Die belangte Behörde weist im angefochtenen Bescheid wiederholt darauf hin, dass gegen den BF eine rechtskräftige Ausweisung bzw. Rückkehrentscheidung besteht, er die Frist zur freiwilligen Ausreise ungenützt ließ und sich seither unrechtmäßig im Bundesgebiet befindet. Dass dieses Verhalten alleine ausreicht, eine Wohnsitzauflage zu erlassen, ergibt sich weder aus dem Gesetzestext noch aus den oben dargestellten Erläuterungen zum FRÄG 2017 betreffend § 57 FPG. Zur Erlassung einer Wohnsitzauflage als ultima ratio bedarf es konkreter Umstände des Einzelfalles, die zur Annahme führen, dass der Drittstaatsangehörige weiterhin seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachkommen wird.

3.1.3.1. Die belangte Behörde trifft im angefochtenen Bescheid die Feststellungen (Unterpunkt "Voraussetzungen für die Erlassung einer Wohnsitzauflage"), dass gegen den BF eine Ausweisung und eine Rückkehrentscheidung mit Einreiseverbot besteht und eine Duldung nicht vorliege. Zudem wird festgestellt, dass der BF der Ausreiseverpflichtung bislang nicht nachgekommen ist. Festgestellt wird schließlich, dass der BF "im Rahmen des Asylverfahrens, des Verfahrens zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung oder der Rückkehrberatungsgesprächs" erklärt habe, seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachkommen zu wollen.

In der Beweiswürdigung bezieht sich das BFA darauf, dass das gesamte Verhalten des BF seine Ausreiseunwilligkeit zeige und auch künftig keine freiwillige Ausreise zu erwarten sei. Die Verfahrenschronologie verdeutliche auch, dass er mit allen Mitteln rechtswidrig in Österreich verbleiben wolle und die gegenständliche Entscheidung daher notwendig sei.

Die belangte Behörde beschränkt sich im Weiteren darauf, unter dem Punkt "Feststellungen", Unterpunkt "Voraussetzungen für die Erlassung der Wohnsitzauflage", die Feststellungen zum unrechtmäßigen Aufenthalt und der unterbliebenen Ausreise des BF zu wiederholen und anschließend den Gesetzestext der Ziffern 1. bis 5. des § 57 Abs. 2 FPG, teilweise in Fettdruck, anzuführen.

In der rechtlichen Beurteilung beschränkt sich die belangte Behörde auf die Wiedergabe Gesetzestextes der Abs. 1 und 2 Ziffer 1-5 des § 57 FPG, wobei die Ziffer 4 leg.cit. in Fettdruck hervorgehoben ist. Dem folgt eine Interessenabwägung zum Eingriff in nach Art. 8 EMRK geschützte Rechte.

Die belangte Behörde legt damit im angefochtenen Bescheid nicht nachvollziehbar dar, zu welchem Ermittlungsergebnis sie gelangt sei, worauf sich dieses stütze und welche bestimmten Tatsachen im Sinne des § 57 FPG die Annahme rechtfertigen, der BF werde seiner Ausreiseverpflichtung weiterhin nicht nachkommen. Die Ziffer 4. des Gesetzestextes fett zu setzen und von den übrigen zitierten Ziffern damit optisch abzugrenzen, kann eine Begründung nicht ersetzen.

Unter der Annahme, dass die belangte Behörde das fett gesetzte Tatbestandsmerkmale des § 57 Abs. 2 FPG als erfüllt sieht, ist zu Z 4 leg. cit. festzuhalten, dass die belangte Behörde nicht einmal ansatzweise darlegt, wann und bei welcher konkreten Gelegenheit der BF erklärt hat, seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachkommen zu wollen. In der Beweiswürdigung wird pauschal auf das "Gesamtverhalten" des BF abgestellt, ohne konkrete Ermittlungsergebnisse anzuführen - solche ergeben sich auch nicht ohne weiteres aus dem Akteninhalt. Dass das BFA in den Feststellungen ohne weiteres die Aufzählung der fakultativen Varianten der Z 4 übernimmt und dabei nicht einmal klärt, bei welcher der drei unspezifisch aufgezählten Gelegenheiten der BF dies erklärt hätte, zeigt ebenfalls, dass ein entsprechender Sachverhalt nicht einmal ansatzweise ermittelt wurde. Es mangelt daher an Sachverhaltsermittlungen, die die Verwirklichung dieses Tatbestands tragen würden.

Auch hinsichtlich der Annahmen in der Beweiswürdigung ist nicht ersichtlich, auf welches Ermittlungsergebnis diese gestützt wurden, sodass hier der wesentliche Sachverhalt nicht ermittelt wurde. Die "Verfahrenschronologie", auf die sich das BFA dabei pauschal stützt, ist aus den vorgelegten Aktenteilen nur ansatzweise nachvollziehbar, sodass auch hier die notwendigen Sachverhaltsermittlungen unterblieben sind. Die vom BVwG urgierte Vorlage der übrigen Aktenteile (etwa zu den Folgeverfahren) unterblieb mit Verweis darauf, dass beim BFA keine weiteren Aktenteile vorliegen würden (vgl. die Korrespondenz vom 15.10.2018).

3.1.3.2. Die Interessenabwägung zu Art. 8 EMRK nimmt das BFA unter Bezugnahme auf die erste Ausweisungsentscheidung vom 29.05.2006 sowie die Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot vom 29.03.2013 vor und hält fest, dass seither keine Änderungen bekannt geworden seien, sondern der BF um seinen unsicheren Aufenthaltsstatus und seine Ausreiseverpflichtung gewusst hätte. Die Wohnsitzauflage stelle nur einen geringfügigen Eingriff sein Recht Schutz des Privatlebens dar und das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit sowie dem geordneten Vollzug des Fremdenwesens überwiege, zumal er sich vehement weigere, der Ausreiseverpflichtung nachzukommen.

Die belangte Behörde verabsäumte es aber auch hier, den maßgeblichen Sachverhalt zu ermitteln. Soweit sie sich auf frühere Entscheidungen zum BF stützt, ist festzuhalten, dass seither beinahe über zwölf bzw. über fünf Jahre vergangen sind, sodass die gebotene Aktualität nicht mehr gegeben ist. Auch wenn der Aufenthalt des BF seither weiter unrechtmäßig ist, kann daraus nicht geschlossen werden, dass er seinem allenfalls seither entwickelten Privatleben keine Bedeutung zukommt. Hinsichtlich des in der Stellungnahme vom 20.03.2018 Vorgebrachten (AS 1006) unterließ das BFA jegliche Ermittlung hinsichtlich der behaupteten Beeinträchtigung. Die belangte Behörde hat zusammenschauend auch hier den Sachverhalt nicht ermittelt und es insbesondere verabsäumt, in einer Einvernahme einen persönlichen Eindruck vom BF zu gewinnen, um seine tatsächlichen Lebensverhältnisse aktuell beurteilen zu können.

3.1.4. Die ersatzlose Behebung des angefochtenen Bescheides ist eine Entscheidung in der Sache selbst (vgl. E 25. März 2015, Ro 2015/12/0003). Als verfahrensrechtliche Grundlage für eine solche Entscheidung ist im Spruch daher § 28 Abs. 1 und Abs. 2 (bzw. Abs. 3 Satz 1) VwGVG 2014 zu nennen. § 28 Abs. 5 VwGVG 2014 regelt hingegen nur die Rechtsfolgen von Bescheidaufhebungen durch das VwG und bietet keine eigenständige Rechtsgrundlage für die Aufhebung selbst, sei es nach § 28 Abs. 3 Satz 2 und 3 (oder Abs. 4) VwGVG 2014, sei es nach § 28 Abs. 1 und 2 oder Abs. 3 Satz 1 VwGVG 2014 (VwGH 04.08.2016 2016/21/0162).

Die ersatzlose Behebung eines Bescheides setzt voraus, dass dieser nicht hätte ergehen dürfen und der dem materiellen Recht entsprechende Zustand nur durch die Kassation hergestellt werden kann. Dabei handelt es sich um eine "negative" Sachentscheidung (vgl zB Hengstschläger/Leeb, AVG III, § 66 AVG, Rz 97, mwN). Eine solche Entscheidung ist eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts in der Sache selbst, welche eine neuerliche Entscheidung über den Verfahrensgegenstand durch die Verwaltungsbehörde grundsätzlich ausschließt (vgl VwGH vom 25. März 2015, Ro 2015/12/0003 sowie Hengstschläger/Leeb, AVG III, § 66 AVG, Rz 108 f), (VwGH Ra 2015/17/0082 vom 28.06.2016).

Da es kein Ermittlungsergebnis und damit keinen festgestellten Sachverhalt gibt, aufgrund dessen das Vorliegen der Voraussetzungen für den Erlass einer Wohnsitzauflage als gegeben angenommen werden kann sowie ferner die Verhältnismäßigkeit dieser Maßnahme und die Interessenabwägung zum Eingriff in die nach Art. 8 EMRK geschützten Rechte beurteilt werden kann, war der angefochtene Bescheid zu beheben.

3.1.5. Im gegenständlichen Fall hat die belangte Behörde die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid gem. § 13 Abs. 2 VwGVG ausgeschlossen und dies mit einem überwiegenden öffentlichen Interesse am sofortigen Vollzug des Bescheides begründet. Das öffentliche Interesse sei bereits durch die Regelung der Wohnsitzauflage mittels sofort durchsetzbaren Mandatsbescheides indiziert, zudem würden diese Interessen in Hinblick auf die Ausreise in Erfüllung der aufenthaltsbeendenden Maßnahme überwiegen.

Gemäß § 22 Abs. 3 1. Fall VwGVG kann das Verwaltungsgericht Bescheide gemäß § 13 VwGVG - ein solcher liegt in Hinblick auf Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides vor - auf Antrag einer Partei - ein solcher wurde in der Beschwerde gestellt - aufheben oder abändern, wenn es die Voraussetzungen der Zuerkennung bzw. des Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung anders beurteilt oder wenn sich die Voraussetzungen, die für die Entscheidung über den Ausschluss bzw. die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde maßgebend waren, wesentlich geändert haben.

Mangels festgestellter Verwirklichung der Voraussetzungen für die Wohnsitzauflage und der dieser immanenten "Gefahr im Verzug" (vgl. oben 3.1.3.) war der angefochtene Bescheid auch im Umfang der Aberkennung der aufschiebenden Wirkung (Spruchpunkt II.) zu beheben.

3.2. Entfall der mündlichen Verhandlung

Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. Im gegenständlichen Verfahren konnte eine mündliche Verhandlung unterbleiben, da das Bundesverwaltungsgericht die Voraussetzungen des § 24 Abs. 2 Z 1 Halbsatz VwGVG als gegeben erachtet, zumal bereits aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der mit der Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist.

Zu Spruchteil B):

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen sind aufgrund der klaren Rechtslage nicht hervorgekommen.

Schlagworte

Aktualität, Aufenthaltsdauer, aufrechte Rückkehrentscheidung,
aufschiebende Wirkung, Ausreiseverpflichtung, Begründungsmangel,
Einreiseverbot, Einvernahme, Ermittlungspflicht, ersatzlose
Behebung, fehlende Sachverhaltsfeststellungen, illegaler Aufenthalt,
Interessenabwägung, Privatleben, Wohnsitzauflage

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:W163.1244209.2.00

Zuletzt aktualisiert am

02.01.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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