TE Bvwg Beschluss 2018/10/8 W230 2203886-1

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Veröffentlicht am 08.10.2018
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Entscheidungsdatum

08.10.2018

Norm

AVG §38
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §17

Spruch

W230 2203886-1/4Z

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht fasst durch den Richter Mag. Philipp CEDE, LL.M., über die Beschwerde von XXXX geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch RA Dr. Mario ZÜGER, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 31.07.2018, Zl. XXXX , den Beschluss:

A)

Das Beschwerdeverfahren wird gemäß § 38 AVG, § 17 VwGVG bis zur Entscheidung des EuGH in der Rechtssache C-720/17 ausgesetzt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang und - unstrittiger - Sachverhalt:

1. Dem Beschwerdeführer wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 03.08.2017, W244 2136592-1, der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt. In seiner Begründung ging das Gericht dabei davon aus, dass eine Rückkehr des Beschwerdeführers in seine Herkunftsprovinz, wo er auch Familienangehörige habe, aus Sicherheitsgründen nicht zumutbar sei. Die Frage der Zumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative prüfte das Gericht dabei hinsichtlich der Stadt Kabul, verneinte die Zumutbarkeit einer Niederlassung in Kabul im Einzelfall jedoch, weil es annahm, dass im Fall des Beschwerdeführers "[d]ie von UNHCR dargelegten ‚bestimmten Umstände', nach welchen es alleinstehenden leistungsfähigen Männern im berufsfähigen Alter ohne spezifische Vulnerabilitäten möglich sein kann, ohne Unterstützung von Familie und Gemeinschaft in urbaner Umgebung zu leben", nicht erfüllt seien. Dies begründete das Bundesverwaltungsgericht wie folgt:

"Beim Beschwerdeführer handelt es sich um einen gesunden Mann im erwerbsfähigen Alter mit etwa zehnjähriger Schulbildung, bei dem die grundsätzliche Teilnahmemöglichkeit am Erwerbsleben vorausgesetzt werden kann. Jedoch ist in diesem Zusammenhang demgegenüber maßgeblich zu berücksichtigen, dass der Beschwerdeführer über keinerlei Berufserfahrung verfügt. Ins Gewicht fällt auch, dass der Beschwerdeführer den überwiegenden Teil seines Lebens in Pakistan verbracht hat und daher mit den örtlichen Gegebenheiten in Kabul oder anderen afghanischen Großstädten keineswegs vertraut ist. Der Beschwerdeführer verfügt zudem in afghanischen Großstädten über keine sozialen oder familiären Anknüpfungspunkte. Der Beschwerdeführer wäre bei einer Rückkehr nach Afghanistan vorerst auf sich alleine gestellt und gezwungen, allenfalls in der Stadt Kabul nach einem - wenn auch nur vorläufigen - Wohnraum zu suchen, ohne jedoch über ausreichende Kenntnisse der örtlichen und infrastrukturellen Gegebenheiten zu verfügen. Im Hinblick auf die glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers zur wirtschaftlichen Situation seiner Familie im Rahmen der mündlichen Verhandlung ist auch nicht davon auszugehen, dass die Familie des Beschwerdeführers in der Lage wäre, diesen finanziell zu unterstützen. Eine weitere in der Person des Beschwerdeführers gelegene und in Zusammenschau mit den bereits dargelegten Aspekten maßgebliche Erschwernis im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan ist in dem Umstand gelegen, dass der Beschwerdeführer beinahe seit seiner Geburt in Pakistan aufgewachsen ist und dort sozialisiert wurde; er hat lediglich drei Monate in Afghanistan gelebt, sodass davon ausgegangen werden kann, dass er mit den kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates nicht vertraut ist und gegenüber der übrigen afghanischen Bevölkerung als "Fremder im eigenen Land" exponiert und allenfalls sogar (etwa bei der Arbeitssuche) diskriminiert wäre (insofern unterscheidet sich der vorliegende Fall auch vom dem jüngst ergangenen Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs vom 19.06.2017, Ra 2017/19/0095, zugrunde liegenden Sachverhalt)."

2. Mit dem angefochtenen Bescheid sprach das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: belangte Behörde) aus, dass der dem Beschwerdeführer mit Erkenntnis vom 03.08.2017 zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten "gemäß § 9 Absatz 1 Ziffer 1 Asylgesetz 2005" von Amts wegen aberkannt wird (Spruchpunkt I.). Weiters wies es einen Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung ab (Spruchpunkt II.), versagte einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.), erließ eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.), sprach aus, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig ist (Spruchpunkt V.) und gewährte eine Frist zur freiwilligen Ausreise von zwei Wochen (Spruchpunkt VI.).

Zur Begründung des Spruchpunktes I. führte die belangte Behörde in den Feststellungen aus, dass sich die "subjektive Lage" des Beschwerdeführers im Vergleich zum Zeitpunkt der Gewährung von internationalem Schutz "geändert" habe, nunmehr eine "taugliche innerstaatliche Fluchtalternative" bestehe und der Beschwerdeführer seinen "Lebensunterhalt in Kabul bestreiten" könne. Er arbeite seit 25.07.2018 als Küchenhelfer. Zur Lage in Afghanistan traf die belangte Behörde Feststellungen durch wörtliche Wiedergabe relevanter Passagen des Länderinformationsblattes der BFA-Staatendokumentation vom 29.06.2018. Als Beweismittel zitiert der Bescheid weiters eine "Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 01.02.2018". In der Beweiswürdigung begründet die belangte Behörde ihre Annahmen damit, sich aus der genannten Anfragebeantwortung ergebe, dass eine Reihe von Organisationen vor Ort Hilfe leisten würden, so dass Umstände wie eine anfängliche Ortunkenntnis und Orientierungslosigkeit in Kabul nicht zur Unzumutbarkeit der Niederlassung in dieser Stadt führen würden.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Zu A) Zur Aussetzung des Verfahrens

1. Mit Beschluss vom 14.12.2017, Ra 2016/20/0038, hat der Verwaltungsgerichtshof folgende Frage der Auslegung von Unionsrecht an den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) gerichtet:

"Stehen die unionsrechtlichen Bestimmungen, insbesondere Art. 19 Abs. 3 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 (Statusrichtlinie) einer nationalen Bestimmung eines Mitgliedstaates betreffend die Möglichkeit der Aberkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten entgegen, wonach auf Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten erkannt werden kann, ohne dass sich die für die Zuerkennung relevanten Tatsachenumstände selbst geändert haben, sondern nur der diesbezügliche Kenntnisstand der Behörde eine Änderung erfahren hat und dabei weder eine falsche Darstellung noch das Verschweigen von Tatsachen seitens des Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus ausschlaggebend waren?"

Das Verfahren über dieses Vorabentscheidungsersuchen ist beim EuGH unter der Zahl C-720/17 anhängig.

2. Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des vorliegenden Aberkennungsbescheides ist die Frage relevant, ob die vom Bundesverwaltungsgericht im Erkenntnis vom 03.08.2017, W244 2136592-1, als unzumutbar qualifizierte innerstaatliche Fluchtalternative für den Beschwerdeführer nun tatsächlich existiert (zumutbar ist) oder nicht. Die belangte Behörde hat ihren Bescheid in rechtlicher Hinsicht zwar damit begründet, dass die "Gründe, die zur Gewährung des Status des subsidiär Schutzberechtigten geführt haben, nicht mehr vorliegen". Soweit sich die Behörde dabei auf eine Änderung der seit der rechtskräftigen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes eingetretenen Tatsachen stützt, ist aber zu beachten, dass eine Änderung dieser Tatsachen ausreichend tragfähig sein muss und die Behörde als geänderte Tatsache (unter dem Titel von "Arbeitserfahrung") eine kurzzeitige Tätigkeit als Küchenhelfer in Österreich herangezogen hat. Ergänzend zog die belangte Behörde als wesentliches Begründungselement aber auch neue Informationsquellen heran, die nicht auf eine Änderung der Umstände hinweisen, sondern eher darauf hindeuten, dass die Behörde (auch) über bereits am 03.08.2017 vorhandene Umstände ihren Wissensstand erweitert hat und aufgrund dieser Basis nunmehr zu einer geänderten Einschätzung der Lage gelangt sein dürfte (und insoweit die erste Variante des § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG als Grundlage für das Bescheidergebnis in Betracht zu ziehen wäre).

3. Um von einer zumutbaren innerstaatlichen Fluchtalternative sprechen zu können, muss es möglich sein, im Gebiet der innerstaatlichen Fluchtalternative nach allfälligen anfänglichen Schwierigkeiten Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können. Die Prüfung, ob dies der Fall ist, erfordert eine Beurteilung der allgemeinen Gegebenheiten im Herkunftsstaat und der persönlichen Umstände des Asylwerbers. Es handelt sich letztlich um eine Entscheidung im Einzelfall, die auf der Grundlage ausreichender Feststellungen über die zu erwartende Lage des Asylwerbers in dem in Frage kommenden Gebiet (...) getroffen werden muss (VwGH 23.01.2018, Ra 2018/18/0001).

4. Das Bundesverwaltungsgericht geht davon aus, dass die von der Behörde angenommenen Änderungen in den persönlichen Umständen des Beschwerdeführers (Arbeitserfahrung seit 25.07.2018) und die von ihr zusätzlich herangezogenen Quellen zum Beleg der Arbeits- und Niederlassungsmöglichkeiten des Beschwerdeführers in Kabul, im Rahmen der erforderlichen Einzelfallbeurteilung nur gesamthaft beurteilt werden können. Davon, dass die inzwischen dazugewonnene "Arbeitserfahrung" des Beschwerdeführers schon für sich allein betrachtet die Schlussfolgerung zuließe, dass ihm nunmehr eine Niederlassung in Kabul zumutbar ist, ist auch die Behörde selbst nicht ausgegangen, da sie zusätzlich auch noch die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 01.02.2018 herangezogen und als tragenden Grund ihrer Entscheidung verwertet hat. Damit wird für den Beschwerdefall die vom Verwaltungsgerichtshof im eingangs zitierten Vorabentscheidungsersuchen gestellte Frage relevant, ob eine Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten richtlinienkonform nur auf eine Änderung der Umstände oder aber auch darauf gestützt werden darf, dass "der diesbezügliche Kenntnisstand der Behörde eine Änderung erfahren hat".

5. § 38 AVG ist gemäß § 17 VwGVG auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren anwendbar und hat folgenden Wortlaut:

"Sofern die Gesetze nicht anderes bestimmen, ist die Behörde berechtigt, im Ermittlungsverfahren auftauchende Vorfragen, die als Hauptfragen von anderen Verwaltungsbehörden oder von den Gerichten zu entscheiden wären, nach der über die maßgebenden Verhältnisse gewonnenen eigenen Anschauung zu beurteilen und diese Beurteilung ihrem Bescheid zugrunde zu legen. Sie kann aber auch das Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung der Vorfrage aussetzen, wenn die Vorfrage schon den Gegenstand eines anhängigen Verfahrens bei der zuständigen Behörde bildet oder ein solches Verfahren gleichzeitig anhängig gemacht wird."

Der VwGH sieht sowohl die Verwaltungsbehörden (VwGH 19.09.2001, 2001/16/0439; 31.01.2003, 2002/02/0158; 19. 12. 2000, 99/12/0286) als auch sich selbst als berechtigt an, das Verfahren gemäß § 38 letzter Satz AVG auszusetzen, wenn die betreffende Frage auf Grund eines Vorabentscheidungsersuchens - etwa des VwGH selbst - in einem gleich gelagerten Fall bereits beim EuGH anhängig ist (vgl. Hengstschläger/Leeb, AVG § 38 Rz 18 [Stand 1.7.2005, rdb.at]). Gleiches gilt gemäß § 17 VwGVG für die Verwaltungsgerichte (zB VwGH 20.05.2015, Ra 2015/10/0023).

6. Die im eingangs zitierten Vorabentscheidungsersuchen gestellte Frage ist - wie dargelegt - für das vorliegende Verfahren präjudiziell. Ein Zuwarten bis zum Bekanntwerden der Entscheidung des EuGH liegt im vorliegenden Beschwerdeverfahren im Interesse der Prozessökonomie, weil die Durchführung eines ergänzenden Ermittlungsverfahrens einen frustrierten Aufwand bedeuten kann, wenn der EuGH die gestellte Frage im verneinenden Sinn beantwortet. Dazu kommt die vom Verwaltungsgericht zu beachtende Entscheidungsfrist. Diese Aspekte lassen es dem Bundesverwaltungsgericht im Rahmen der Ermessensübung angezeigt erscheinen, das vorliegende Verfahren förmlich auszusetzen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab (vgl. die in Pkt. II.5. zitierte Rechtsprechung), noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Aussetzung, EuGH

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:W230.2203886.1.00

Zuletzt aktualisiert am

21.12.2018
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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