TE Vwgh Erkenntnis 2018/11/27 Ra 2018/14/0050

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 27.11.2018
beobachten
merken

Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGG §63 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel, die Hofrätin Mag. Rossmeisel und den Hofrat Dr. Faber als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Honeder, über die Revision des Dr. A in B, vertreten durch Mag.a Nadja Lorenz, Rechtsanwältin in 1070 Wien, Burggasse 116, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 13. Juli 2018, Zl. I411 2117673-1/57E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Zur Vorgeschichte wird auf das hg. Erkenntnis vom 19. Oktober 2017, Ra 2017/20/0211, verwiesen, mit dem das im ersten Rechtsgang erlassene Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 4. Mai 2017 wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben wurde.

2 Der Verwaltungsgerichtshof führte darin begründend aus, das Bundesverwaltungsgericht habe es unterlassen festzustellen, ob der Revisionswerber den Wehrdienst im Sudan (teilweise) abgeleistet habe oder nicht. Es habe sich auch nicht mit den vom Revisionswerber vorgelegten Schreiben zur Bestätigung seines Fluchtvorbringens, insbesondere der behaupteten Desertion, auseinandergesetzt. Auch stünden die Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichts betreffend die Haftbedingungen im Sudan, wonach menschenunwürdige Zustände bestünden, die zum Tod von Häftlingen führten, im Widerspruch zur rechtlichen Beurteilung, dass ein gewisser Mindeststandard bei den Haftbedingungen gewahrt sei. Dies stelle einen relevanten Begründungsmangel dar.

3 Mit dem im fortgesetzten Verfahren ergangenen, angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde des Revisionswerbers nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit einer näher genannten Maßgabe als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision nicht zulässig sei.

4 Das Bundesverwaltungsgericht stellte - soweit hier maßgeblich - fest, dass der Revisionswerber den Wehrdienst nicht aus Gewissensgründen verweigert habe und nicht von der Armee desertiert sei. Er sei jedenfalls vom 16. Mai 2013 bis 16. August 2013 als Rekrutarzt für medizinische Notfälle in den sudanesischen Streitkräften tätig gewesen. Zur Lage im Sudan stellte das Bundesverwaltungsgericht fest, dass nach dem Gesetz über den Nationalen Dienst eine einjährige Dienstpflicht bestehe, die bei der Polizei oder den sudanesischen Streitkräften abgeleistet werden könne. Zu den Haftbedingungen stellte das Bundesverwaltungsgericht fest, dass die Haftanstalten den Insassen menschenunwürdige Zustände bieten würden, die zum Tod von Häftlingen führten.

5 Im Rahmen der Beweiswürdigung führte das Bundesverwaltungsgericht aus, es sei nicht glaubhaft, dass der Revisionswerber desertiert sei. Es könne dem Vorbringen des Revisionswerbers, er habe seinen Militärdienst nicht zur Gänze abgeleistet, da er diesen am 16. Mai 2013 angetreten und sich am 5. Mai 2014 nachweislich in Kairo befunden habe und daher von den sudanesischen Behörden als Deserteur betrachtet werde, nicht folgen. Die vom Revisionswerber vorgelegten Dokumente bestätigten lediglich, dass er im Zeitraum vom 16. Mai 2013 bis 16. August 2013 im Bataillon für Unterstützung und medizinische Notfälle tätig gewesen sei. Diesen Dokumenten sei nicht zu entnehmen, wann der Revisionswerber seinen Militärdienst begonnen habe. Die Aussagen des Revisionswerbers seien widersprüchlich. Aufgrund des persönlichen Eindruckes in drei mündlichen Verhandlungen gehe das Bundesverwaltungsgericht vielmehr davon aus, dass der Revisionswerber seinen Herkunftsstaat zum Zweck der Absolvierung des Masterstudiums in Österreich verlassen habe.

6 Rechtlich folgerte das Bundesverwaltungsgericht, dem Revisionswerber drohe keine asylrelevante Verfolgung. Da der Revisionswerber den Wehrdienst nicht aus Gewissensgründen verweigert habe und nicht desertiert sei, drohe ihm in seinem Herkunftsstaat keine Haftstrafe. Daher erübrige sich eine Auseinandersetzung mit den Haftbedingungen im Sudan.

7 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision. Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Einleitung des Vorverfahrens, in dem eine Revisionsbeantwortung nicht erstattet wurde, in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

8 Der Revisionswerber bringt zur Zulässigkeit seiner außerordentlichen Revision unter anderem vor, das Bundesverwaltungsgericht habe es entgegen der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes unterlassen, den der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtshofes im hg. Erkenntnis Ra 2017/20/0211 entsprechenden Rechtszustand herzustellen.

9 Die Revision ist im Sinn dieser Zulassungsbegründung zulässig. Sie ist auch begründet.

10 Bei der Erlassung der Ersatzentscheidung gemäß § 63 Abs. 1 VwGG sind die Verwaltungsgerichte an die vom Verwaltungsgerichtshof in seinem aufhebenden Erkenntnis geäußerte Rechtsanschauung gebunden; eine Ausnahme bildet der Fall einer wesentlichen Änderung der Sach- und Rechtslage. Erfolgte die Aufhebung einer angefochtenen Entscheidung, weil es das Verwaltungsgericht unterlassen hat, die für die Beurteilung des Rechtsfalles wesentlichen Tatsachenfeststellungen zu treffen, so besteht die Herstellung des der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtshofes entsprechenden Rechtszustandes darin, dass das Verwaltungsgericht jene Ergänzungen des Ermittlungsverfahrens durchführt und die Feststellungen trifft, die eine erschöpfende Beurteilung des maßgebenden Sachverhaltes ermöglichen (VwGH 1.3.2018, Ra 2017/19/0425, mwN).

11 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur möglichen Asylrelevanz von Wehrdienstverweigerung - auf die im Vorerkenntnis Ra 2017/20/0211 hingewiesen wurde - kann auch der Gefahr einer allen Wehrdienstverweigerern bzw. Deserteuren im Herkunftsstaat gleichermaßen drohenden Bestrafung asylrechtliche Bedeutung zukommen, wenn das Verhalten des Betroffenen auf politischen oder religiösen Überzeugungen beruht oder dem Betroffenen wegen dieses Verhaltens vom Staat eine oppositionelle Gesinnung unterstellt wird und den Sanktionen - wie etwa der Anwendung von Folter - jede Verhältnismäßigkeit fehlt. Unter dem Gesichtspunkt des Zwanges zu völkerrechtswidrigen Militäraktionen kann auch eine "bloße" Gefängnisstrafe asylrelevante Verfolgung sein (vgl. VwGH 25.3.2015, Ra 2014/20/0085, mwN).

12 Das Bundesverwaltungsgericht hat zwar festgestellt, dass der Revisionswerber jedenfalls vom 16. Mai 2013 bis zum 16. August 2013 als Arzt Wehrdienst geleistet hat. Auch der Revisionswerber hat im bisherigen Verfahren stets den 16. Mai 2013 als Beginn seines Wehrdienstes angegeben. Das Bundesverwaltungsgericht geht hingegen beweiswürdigend davon aus, es sei den vorgelegten Schreiben nicht zu entnehmen, wann der Revisionswerber seinen Wehrdienst begonnen habe. Aus dem angefochtenen Erkenntnis ergibt sich auch nicht mit hinreichender Deutlichkeit, ob das Bundesverwaltungsgericht das weitere Vorbringen des Revisionswerbers, er habe am 29. Mai 2014 - also vor Ablauf des einjährigen Wehrdienstes - den Sudan verlassen, als glaubwürdig erachtet oder nicht. Das Bundesverwaltungsgericht hat zwar auf Grund von Widersprüchen im Vorbringen des Revisionswerbers festgestellt, dieser habe seinen Wehrdienst im Sudan nicht aus Gewissensgründen verweigert und sei auch nicht von der Armee des Sudan desertiert. Damit hat es das Bundesverwaltungsgericht aber neuerlich unterlassen festzustellen, ob bzw. in welchem Zeitraum der Revisionswerber seinen Wehrdienst abgeleistet hat oder nicht, obwohl ihm solche Feststellungen durch das Vorerkenntnis Ra 2017/20/0211 ausdrücklich aufgetragen worden sind.

13 Sollte sich das Vorbringen des Revisionswerbers als glaubhaft erweisen, wird sich das Bundesverwaltungsgericht vor dem Hintergrund der möglichen Asylrelevanz von Wehrdienstverweigerung damit auseinanderzusetzen haben, welche Konsequenzen eine - fallbezogen bloß einen geringen Zeitraum betreffende - nicht vollständige Ableistung des Wehrdienstes nach sich zieht. Der Revisionswerber hat insoweit vorgebracht, dass Wehrdienstverweigerung mit Gefängnisstrafe geahndet würde, die Haftbedingungen unmenschlich seien, die sudanesische Armee Kriegsverbrechen verübe, Deserteure unmenschliche Behandlung und Folter riskierten und zur Bestrafung in Kriegsgebiete geschickt würden; überdies habe er den Wehrdienst aus Gewissensgründen verweigert.

14 Das Bundesverwaltungsgericht hat sich somit über die bindenden Ausführungen im Vorerkenntnis Ra 2017/20/0211 hinweggesetzt. Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufzuheben.

15 Von der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 und 5 VwGG abgesehen werden.

16 Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 47ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 27. November 2018

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018140050.L00.1

Im RIS seit

13.12.2018

Zuletzt aktualisiert am

16.01.2019
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten