TE OGH 2018/10/23 4Ob128/18d

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Veröffentlicht am 23.10.2018
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Hon.-Prof. Dr. Brenn, Dr. Rassi und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Salzburger Gebietskrankenkasse, Salzburg, Engelbert-Weiß-Weg 10, vertreten durch Dr. Reinhold Gsöllpointner und Dr. Robert Pirker, Rechtsanwälte in Salzburg, gegen die beklagte Partei E***** V*****, vertreten durch Mag. Matthias Strohmayer LL.M., Rechtsanwalt in Wien, als Verfahrenshelfer, wegen 7.234,96 EUR sA, über die ordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 21. Dezember 2017, GZ 36 R 141/17b-20, womit das Urteil des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 30. März 2017, GZ 28 C 1030/16d-16, abgeändert wurde, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 626,52 EUR (darin 104,42 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Parteien schlossen am 29. Jänner 2008 einen Bürgschaftsvertrag, mit dem sich der Beklagte verpflichtete, die Haftung als Bürge und Zahler iSd § 1357 ABGB für die der Klägerin von einer GmbH geschuldeten Sozialversicherungsbeiträge samt Nebengebühren sowie für alle künftig fällig werdenden Sozialversicherungsbeiträge, Beitragsnachträge, Beitragszuschläge, Verzugszinsen und andere Nebengebühren zu übernehmen.

Am 1. März 2013 wurde über die GmbH das Sanierungsverfahren vorerst mit, in der Folge ohne Eigenverwaltung eröffnet; das Sanierungsverfahren wurde nach Bestätigung des Sanierungsplans mit Beschluss vom 7. Juni  2013 aufgehoben.

Im Sanierungsverfahren meldete die Klägerin 14.151,55 EUR an rückständigen Beiträgen an, die von der Insolvenzverwalterin und der Schuldnerin nicht bestritten wurden. Aus diesen angemeldeten und unbestritten gebliebenen Beitragsforderungen haften aus dem Zeitraum Oktober 2012 bis Februar 2013 insgesamt 7.002,15 EUR aus.

Die Klägerin begehrte unter Berufung auf die Bürgschaftsverpflichtung des Beklagten neben den aushaftenden Beiträgen von 7.002,15 EUR samt 3,38 % Zinsen ab 2. März 2013 weitere 232,81 EUR an Verzugszinsen bis 1. März 2013 sowie Nebengebühren, insgesamt 7.234,96 EUR sA.

Der Beklagte bestritt und wandte Verjährung ein.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab, weil das Recht auf Einforderung festgestellter Beitragsschulden gemäß § 68 Abs 2 ASVG binnen zwei Jahren nach Verständigung des Zahlungspflichtigen vom Ergebnis der Feststellung verjähre. Die Unterbrechung bzw Hemmung der Verjährung durch das Insolvenzverfahren habe mit Aufhebung des Konkurses geendet. Die Beitragsforderungen seien bei Einbringung der Klage bereits verjährt gewesen.

Das Berufungsgericht gab der Klage statt. Die Hauptschuld gegen die GmbH sei als im Insolvenzverfahren nicht bestrittene Forderung eine Judikatschuld, die erst nach 30 Jahren verjähre. Diese Frist müsse auch der Beklagte als Bürge und Zahler gegen sich gelten lassen.

Die ordentliche Revision wurde wegen einer Divergenz zwischen der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs und jener des Verwaltungsgerichtshofs zur Frage der Verjährung von ursprünglich im öffentlichen Recht begründeten, im Insolvenzverfahren angemeldeten und unbestritten gebliebenen Forderungen zugelassen.

Mit seiner ordentlichen Revision beantragt der Beklagte die Klagsabweisung, hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt.

In ihrer Revisionsbeantwortung beantragt die Klägerin, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig; sie ist jedoch nicht berechtigt.

Der Revisionswerber beruft sich ausschließlich auf die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs vom 13. November 2013, AZ 2011/08/0214, wonach eine im Insolvenzverfahren angemeldete und unbestritten gebliebene Beitragsforderung nur den öffentlich-rechtlichen Verjährungsregeln unterliege.

Dazu wurde erwogen:

1. Für Bürgschaftsschulden gilt die allgemeine Verjährungszeit von 30 Jahren; die Bürgschaft erlischt aber, wenn sie zur Sicherung einer der kurzfristigen Verjährung unterliegenden Forderung eingegangen worden ist, mit der Verjährung der Hauptschuld (RIS-Justiz RS0032296; RS0032209). Die durch Erlangung eines Exekutionstitels gegen den Hauptschuldner eingetretene Verlängerung der Verjährung schlägt auf den Bürgen durch (RIS-Justiz RS0032209 [T2]). Der Grundsatz der Akzessorietät bewirkt, dass sich der Bürge auf das vor der Verjährung der Bürgschaftsschuld eintretende Erlöschen seiner Verpflichtung infolge eingetretener Verjährung der einer besonderen Verjährungszeit unterliegenden Hauptschuld berufen kann (2 Ob 59/88, ÖBA 1989, 622 [P. Bydlinski]).

Daraus folgt für den vorliegenden Fall zunächst, dass die für die vom Beklagten gegenüber der Klägerin übernommene Bürgschaftsverpflichtung geltende dreißigjährige Verjährungsfrist noch keinesfalls abgelaufen ist.

Fraglich ist hingegen, ob die Hauptschuld der Beitragsschuldnerin, für die der Beklagte als Bürge und Zahler haftet, verjährt und damit auch seine Bürgschaft erloschen ist.

2. Nach § 68 Abs 2 ASVG verjährt das Recht auf Einforderung festgestellter Beitragsschulden binnen zwei Jahren nach Verständigung des Zahlungspflichtigen vom Ergebnis der Feststellung. Die Verjährung wird durch jede zum Zwecke der Hereinbringung getroffene Maßnahme, wie zum Beispiel durch Zustellung einer an den Zahlungspflichtigen gerichteten Zahlungsaufforderung (Mahnung) unterbrochen; sie wird durch Bewilligung einer Zahlungserleichterung gehemmt. Bezüglich der Unterbrechung oder Hemmung der Verjährung im Falle der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Beitragsschuldners/der Beitragsschuldnerin gelten die einschlägigen Vorschriften der Insolvenzordnung.

Nach § 65 Abs 1 ASVG sind für die Behandlung der Beiträge im Insolvenzverfahren die Vorschriften der Insolvenzordnung maßgebend.

3.1. Nach § 105 Abs 3 IO hat der Insolvenzverwalter bei der Prüfungstagsatzung bei jeder angemeldeten Forderung eine bestimmte Erklärung über ihre Richtigkeit und Rangordnung abzugeben; Vorbehalte des Insolvenzverwalters bei Abgabe dieser Erklärung sind unzulässig.

Nach § 109 Abs 1 IO gilt eine Forderung im Insolvenzverfahren als festgestellt, wenn sie vom Insolvenzverwalter anerkannt und von keinem hierzu berechtigten Insolvenzgläubiger (iSd § 105 Abs 5 IO) bestritten worden ist.

3.2. Wenn der Schuldner eine Insolvenzforderung nicht ausdrücklich bestritten hat, bindet nach § 60 Abs 2 IO ihre Feststellung die Gerichte und, wenn besondere Gesetze nichts anderes bestimmen, auch die Verwaltungsbehörden. Leistungsklagen über solche Forderungen bleiben zulässig; jedoch sind dem unterlegenen Beklagten die Prozesskosten zu ersetzen, es sei denn, er hat die Abweisung des Klagebegehrens beantragt oder der Kläger benötigt das Urteil zur Zwangsvollstreckung in einem Staat, der Auszüge aus dem Anmeldungsverzeichnis eines österreichischen Gerichtes nicht als Exekutionstitel anerkennt.

Insolvenzgläubiger können nach § 60 Abs 1 IO, gleichviel ob sie ihre Forderungen im Insolvenzverfahren angemeldet haben oder nicht, ihre unberichtigten Forderungen auf das zur freien Verfügung bleibende oder nach der Aufhebung des Insolvenzverfahrens erworbene Vermögen des Schuldners geltend machen.

3.3. Wenn eine Forderung – wie hier – im Insolvenzverfahren festgestellt und vom Schuldner nicht ausdrücklich bestritten worden ist, kann wegen dieser Forderung auch aufgrund der Eintragung in das Anmeldungsverzeichnis auf das zur freien Verfügung bleibende oder nach der Aufhebung des Insolvenzverfahrens erworbene Vermögen des Schuldners Exekution geführt werden (§ 61 IO).

3.4. Nach § 9 Abs 1 IO wird durch die Anmeldung im Insolvenzverfahren die Verjährung der angemeldeten Forderung unterbrochen; die Verjährung der Forderung gegen den Schuldner beginnt von neuem mit dem Ablauf des Tages, an dem der Beschluss über die Aufhebung des Insolvenzverfahrens rechtskräftig geworden ist.

4. Nach der JMV vom 21. Juli 1858, RGBl 1858/105 (die weiterhin dem Rechtsbestand angehört
– vgl die Anh zum 1. BRBG, BGBl I 1999/191, und zum 2. BRBG, BGBl I 2018/61, jeweils Indexzahl 20.13.12), unterliegen Forderungen, welche nach den Vorschriften des ABGB in kürzeren als in den für die ordentliche Verjährung in den §§ 1478, 1485 f ABGB festgelegten Fristen verjähren, wenn sie durch rechtskräftiges Urteil zugesprochen worden sind, nur der in den gedachten Paragraphen festgesetzten Verjährung.

Demnach verlängert sich für Forderungen, die innerhalb kürzerer als der dreißigjährigen Verjährungsfrist verjähren würden, bei der Judikatsschuld die Verjährungsfrist auf die Dauer der ordentlichen (3 Ob 207/98g).

5.1. Entgegen älterer Auffassung (vgl 3 Ob 1124/32, SZ 15/6) kommt nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs der unbestrittenen Eintragung einer Forderung in das Anmeldungsverzeichnis (§ 61 KO [IO]) die Wirkung der JMV RGBl 1858/105 zu, und zwar auch für rückständige Sozialversicherungsbeiträge, deren kürzere Verjährung nicht in den §§ 1478, 1485 ABGB, sondern im ASVG geregelt ist (RIS-Justiz RS0034245).

5.2. Zu 6 Ob 301/63 (EvBl 1964/242, 348) hielt der Oberste Gerichtshof zwar fest, dass den in der JMV RGBl 1858/105 genannten Fällen (rechtskräftiges Urteil, die Exekution begründender Vergleich oder Vertrag) die gerichtliche, allenfalls notarielle, Feststellung der Forderung gemeinsam ist. Eine ausdehnende Auslegung dieser Bestimmung auf Forderungen, hinsichtlich deren im Verwaltungsweg ein vollstreckbarer Rückstandsausweis erlassen wurde, ist nicht möglich. Wohl aber ist eine solche bei sonstigen gerichtlichen Festsetzungen wie unbestrittenen Eintragungen in das Anmeldungsverzeichnis gemäß § 61 KO [IO] gerechtfertigt, weil aufgrund dieser „gleich wie aufgrund eines Urteils Exekution geführt werden kann“, und weil eine solche Eintragung aufgrund der Anmeldung durch den Gläubiger und des Unterbleibens eines ausdrücklichen Widerspruchs des Gemeinschuldners einem „die Exekution begründenden Vergleich oder Vertrag“ iSd JMV RGBl 1858/105 gleichgehalten werden kann. Darin liegt auch kein Widerspruch zu § 9 Abs l KO [IO], weil dieser nur bestimmt, dass die durch die Anmeldung im Konkurs unterbrochene Verjährung der Forderung mit dem Ablauf des Tages, an dem die Aufhebung des Konkurses rechtskräftig wurde, neu zu laufen beginnt. Daraus ergibt sich keineswegs, dass dies die gleiche Verjährungsfrist sein muss. Vielmehr beginnt, auch wenn die Forderung vorher einer kürzeren Verjährung unterlag, nach Aufhebung des Konkurses die ordentliche Verjährungsfrist zu laufen, wenn die Forderung inzwischen durch unbestrittene Eintragung in das Anmeldungsverzeichnis in eine „Judikatsobligation“ iSd JMV RGBl 1858/105 umgewandelt wurde. Zwar spricht die JMV RGBl 1858/105 von Forderungen, die nach den Vorschriften des ABGB in kürzeren als den für die ordentliche Verjährung in den §§ 1478, 1485 ABGB festgesetzten Fristen verjähren; der Oberste Gerichtshof hat jedoch keine Bedenken, diese Bestimmung zufolge der Gleichheit des Rechtsgrundes auch auf Forderungen an Sozialversicherungsbeiträgen anzuwenden, deren kürzere Verjährung in anderen Vorschriften wie etwa dem ASVG geregelt ist, zumal diese anderen Vorschriften zur Zeit der Erlassung der JMV RGBl 1858/105 noch nicht bestanden, sodass diese darauf nicht Bedacht nehmen konnte. Jedenfalls können und müssen auch diese Forderungen im Konkurs angemeldet werden, auch gegen sie ist ein Widerspruch möglich; sie werden in das Anmeldungsverzeichnis eingetragen, und dieser Eintragung kommt gegebenenfalls die Wirkung nach § 61 KO [IO] zu. Es ist daher gerechtfertigt, auch hier eine gerichtliche Festsetzung iSd JMV RGBl 1858/105 und damit eine Änderung der Verjährungsfrist anzunehmen.

5.3. Zu 2 Ob 59/88 (ÖBA 1989, 622 [P. Bydlinski]) hielt der Oberste Gerichtshof an dieser Rechtsprechung fest. Auch wenn eine Forderung vorher einer kürzeren Verjährung unterlag, beginnt nach Aufhebung des Konkurses die ordentliche Verjährungsfrist zu laufen, wenn die Forderung inzwischen durch unbestrittene Eintragung in das Anmeldungsverzeichnis in eine „Judikatsobligation“ iSd JMV RGBl 1858/105 umgewandelt wurde. Dass es sich bei der Vorschrift des § 68 Abs 2 ASVG um eine lex specialis handelt, mag insoweit zutreffen, als dort Verjährungsbestimmungen für eine ganz bestimmte Art von Verbindlichkeiten getroffen wurden; sie schließt es aber keineswegs aus, der unbestrittenen Eintragung durch Rückstandsausweise von Sozialversicherungsträgern titulierter Forderungen im Anmeldungsverzeichnis iSd § 61 KO [IO] hinsichtlich der Verjährungsfrist die gleiche Wirkung zuzuerkennen wie der Eintragung anderer einer kürzeren Verjährungsfrist unterliegenden Forderungen. Mit der (mit der Umwandlung der Hauptschuld in eine Judikatsobligation verbundenen) Verlängerung der Verjährungsfrist ist ebenso wenig eine Erweiterung oder Erschwerung der Haftung des Bürgen verbunden wie mit einer Unterbrechung der für die Hauptschuld geltenden Verjährungsfrist, weil die Haftung des Bürgen grundsätzlich, soweit nichts anderes zulässigerweise vereinbart wurde, bis zum Ablauf der dreißigjährigen Verjährungsfrist aufrecht bleibt.

6.1. Im Schrifttum hatte schon Klang (in Klang VI [1951] § 1479 ABGB 609 [Anm 1]) die vollstreckbaren Feststellungen in Konkurs und Ausgleich als rechtskräftige Feststellungen iSd JMV RGBl 1858/105 angesehen.

6.2. Der Leitentscheidung 6 Ob 301/63 entsprechende und sich auf diese ausdrücklich beziehende Standpunkte vertraten in der Folge etwa Petschek/Reimer/Schiemer (Das österreichische Insolvenzrecht [1973] 597 [FN 10]), Schubert (in Konecny/Schubert, Insolvenzgesetze § 9 KO [1999] Rz 14), M. Bydlinski (in Rummel3 § 1478 ABGB [2002] Rz 7), Koziol/Welser/Klete?ka (Grundriss I14 [2014] Rz 733) und Mader/Janisch (in Schwimann/G. Kodek4 § 1478 ABGB [2016] Rz 22).

Sowohl auf 6 Ob 301/63 als auch auf 2 Ob 59/88 beziehen sich zustimmend Vollmaier (in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang3 [2012] § 1478 ABGB Rz 69 f und 74), Geroldinger (in Konecny, Insolvenzgesetze § 9 IO [2012] Rz 93 [vgl Rz 70]; diesem folgend Fruhstorfer, Verjährung bestrittener Insolvenzforderungen, RdW 2016/540, 731 [732]), R. Madl (in Klete?ka/Schauer, ABGB-ON1.05 § 1478 [2017] Rz 27), Apathy (in Partsch/Pollak/Buchegger, Österreichisches Insolvenzrecht4 [2000] § 9 KO Rz 9) und Nunner-Krautgasser (Verjährung von Konkursforderungen, ÖJZ 2001, 793 [794]).

6.3. Einen inhaltlich dieser Rechtsprechung entsprechenden Standpunkt, wonach eine Judikatschuld als solche unabhängig von der Verjährung der ursprünglichen Forderung der dreißigjährigen Verjährung unterliegt, vertreten auch Schobesberger (Die allgemeine – dreißigjährige – Verjährung im Abgabenrecht, ÖStZ 1985, 31 [32], zu Abgabenschulden) und Perner/Brunner (in Schwimann/Neumayr, ABGB-TaKomm4 [2017] § 1478 Rz 11) sowie Dehn (in KBB5 [2017] § 1478 ABGB Rz 4), die zudem auch die Geltung dieser Grundsätze für die Feststellung der Forderung in der Insolvenz bejaht (vgl auch G. Kodek in Partsch/Pollak/Buchegger, Österreichisches Insolvenzrecht IV4 [2006] § 109 KO Rz 18 und Buchegger, Insolvenzrecht3 [2017] 42).

6.4. Hingegen meint Resch (Sozialrecht und Insolvenz, in Feldbauer-Durstmüller/Schlager, Krisenmanagement – Sanierung – Insolvenz2 [2002] 1263 [1267]) – ohne Auseinandersetzung mit der zitierten Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs –, dass § 68 Abs 2 ASVG nur hinsichtlich Hemmung und Unterbrechung auf KO und AO verweise, nicht aber für die Dauer der Verjährungsfrist an sich. Ab dem „Zeitpunkt einer Unterbrechung“ nach § 9 KO [gemeint wohl: dem Zeitpunkt der Rechtskraft der Aufhebung des Konkurses] beginne die Frist des § 68 Abs 2 ASVG neu zu laufen, sofern eine festgestellte Beitragsschuldigkeit vorliege.

7.1. Mit Urteil vom 13. November 2013, AZ 2011/08/0214, sprach der Verwaltungsgerichtshof aus, er sei an eine von der belangten Behörde in einem früheren, unangefochten gebliebenen Zurückverweisungsbescheid vertretene Rechtsauffassung gebunden, Beiträge zur Sozialversicherung würden trotz Feststellung im Konkurs des Beitragsschuldners nicht der dreißigjährigen Verjährungsfrist, sondern einer kürzeren Frist (zwei Jahre nach § 40 Abs 2 GSVG) unterliegen. Im Hinblick auf die Bindungswirkung des unbekämpft gebliebenen Zurückverweisungsbescheides könne diese Rechtsauffassung von der beschwerdeführenden Sozialversicherungsanstalt im nunmehrigen Beschwerdeverfahren nicht mit Erfolg in Zweifel gezogen werden; die Beschwerde sei deshalb als unbegründet abzuweisen (Pkt 5.).

7.2. In der Folge nimmt der Verwaltungsgerichtshof dennoch inhaltlich gegen die dargelegte Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs dahin Stellung, dass „im Übrigen“ die gegenteilige Rechtsauffassung der belangten Behörde auch richtig sei, wonach mit der Rechtskraft der Aufhebung des Insolvenzverfahrens für die angemeldete und unbestrittene Forderung die Frist des § 40 Abs 2 GSVG (allenfalls neuerlich) zu laufen begonnen habe:

Zwar müsse die mit Aufhebung des Insolvenzverfahrens neu zu laufende Verjährungsfrist nicht die gleiche Verjährungsfrist (wie vor dem Insolvenzverfahren) sein. Die Feststellung der Forderung im Konkurs erhalte durch das Nichtbestreiten der Forderung durch den Gemeinschuldner auch konkursexterne Wirkungen, die „im Wesentlichen“ einer rechtskräftigen und vollstreckbaren Entscheidung über diese Forderung entsprächen, wobei aber Unwiederholbarkeit nicht eintrete (§ 60 Abs 2 IO). Dass aber diese Wirkungen hingegen über jene einer rechtskräftigen und vollstreckbaren Entscheidung über diese Forderung hinausgingen, sei nicht ersichtlich. Insbesondere könne nicht abgeleitet werden, dass der Feststellung der Beitragsforderung im Konkursverfahren die Wirkung eines Urteils eines Zivilgerichtes zukäme. Die Formulierung in § 61 KO, es könne aufgrund der Eintragung in das Anmeldungsverzeichnisses „gleichwie auf Grund eines Urteiles“ Exekution geführt werden, sei mit dem IRÄG 1982 entfallen. Durch die Anmeldung im Insolvenzverfahren wie überhaupt durch das Insolvenzverfahren ändere sich am öffentlich-rechtlichen Charakter einer Forderung nichts. Dies werde insbesondere auch dadurch deutlich, dass bei Bestreitung der Forderung durch den Masseverwalter die Gläubiger die Feststellung nur dann mittels Klage geltend machen könnten, wenn der Rechtsweg zulässig sei (§ 110 Abs 1 KO). Gehöre die Sache hingegen nicht auf den Rechtsweg, so habe über die Richtigkeit der Forderung die zuständige Behörde zu entscheiden (§ 110 Abs 3 KO). Sollte dieses Prüfungsverfahren bei Abschluss des Insolvenzverfahrens noch nicht beendet sein, so sei dieses Verfahren mit gewissen Modifikationen auch nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens weiterzuführen. Soweit die bestrittene Forderung in einem Prüfungsverfahren als bestehend festgestellt werde, habe das die gleichen Wirkungen wie die sofortige Forderungsfeststellung mangels Bestreitung in der Prüfungstagsatzung. Die Erklärung des Masseverwalters über die Forderung sei eine Verfahrenshandlung, und nicht etwa eine privatrechtliche Äußerung; Gleiches gelte für die Erklärung durch den Gemeinschuldner. Es liege insbesondere kein zivilrechtliches (konstitutives) Anerkenntnis vor, welches allenfalls geeignet wäre, Forderungen ihres öffentlich-rechtlichen Charakters zu entkleiden. Die Zwecke einer (gegenüber einer kürzeren privatrechtlichen) längeren Verjährungsfrist betreffend Judikatsschulden könnten auch dadurch erreicht werden, dass die Wirkung der anerkannten Forderungsanmeldung „(bloß) als Feststellung der Beitragsforderung iSd § 40 Abs 1 GSVG gewertet“ werde, zumal § 40 Abs 2 GSVG Hemmungs- bzw Unterbrechungsgründe vorsehe, die über die zivilrechtlichen Hemmungs- und Unterbrechungsgründe weit hinausgingen.

8. Im Schrifttum fand diese Entscheidung
– soweit überblickbar – Zustimmung von Müller (in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV-Komm § 65 ASVG [2014] Rz 7) und Julcher (in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV-Komm § 68 ASVG [2017] Rz 23), wobei diese auch auf die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs hinweist, gegen die der Verwaltungsgerichtshof „mit ausführlicher Begründung“ Stellung bezogen habe.

9. Der Oberste Gerichtshof sieht sich durch das dargelegte obiter dictum des Verwaltungsgerichtshofs und die ihm folgenden Äußerungen im Schrifttum nicht veranlasst, von seiner zu Pkt 5 dargelegten und von der weitaus überwiegenden Lehre (Pkt 6) gebilligten Rechtsprechung abzugehen.

9.1. Zwar trifft es zu, dass die Wendung „gleichwie auf Grund eines Urteils“, auf die sich 6 Ob 301/63 auch bezogen hatte, mit dem IRÄG 1982, BGBl 1982/370, in § 61 KO ebenso wie im damaligen § 53a AO (= § 54 AO idFd IRÄG 1982) entfallen ist. Dies wird aber in den Mat (RV 3 BlgNR 15. GP 41 und 48) damit begründet, dass unbestrittenen Forderungsanmeldungen und Auszügen aus Anmeldungsverzeichnissen bereits damals geringere Wirkung als Urteilen zugekommen sei, die sich auch bei einer Gleichstellung mit Urteilen nicht ändere. Dies liege daran, dass zahlreiche Staaten, die zwar österreichische Urteile vollstreckten, eine Exekution aufgrund eines Auszugs aus dem Anmeldungsverzeichnis ablehnen würden. Daher solle dem Umstand, dass ein solcher Auszug erworben werden könne, auch für den innerstaatlichen Bereich nicht die Wirkung eines rechtskraftgleichen Prozesshindernisses mit Nichtigkeitsfolge (§ 477 ZPO) gegeben werden. Andernfalls würde insbesondere einem auf Auslandsvermögen zugreifen wollenden Gläubiger der Zugang zum Recht unnötig erschwert, weil er im Ausland ein Urteil erwirken müsste. Unbedenklich sei es jedoch, eine Bindungswirkung (§ 54 Abs 4 [RV § 53a Abs 4] AO und § 60 Abs 2 KO) vorzusehen.

Daraus folgt, dass der historische Gesetzgeber des IRÄG 1982 mit der Streichung der Wortfolge „gleichwie auf Grund eines Urteiles“ nicht die Frage der verjährungsrechtlichen Folgen von unbestrittenen Forderungsanmeldungen anders regeln oder eine Einschränkung von Gläubigerrechten herbeiführen wollte. Vielmehr zielte er darauf ab, mit der Beseitigung der Forderungsfeststellung als Prozesshindernis (Jelinek, Forderungsfeststellung und Wiederaufnahme im Konkursverfahren, in FS Fasching [1988] 245 [250, FN 20]) die Feststellung und Eintreibung gerade dadurch zu erleichtern, dass in Fällen, in denen die Vollstreckbarkeit eines Auszugs aus dem Anmeldungsverzeichnis fraglich war, die Erlangung eines auch im Ausland vollstreckbaren Titels zu ermöglichen.

Aus den vom Verwaltungsgerichtshof zitierten Mat zum IRÄG 1982 (3 BlgNR 15. GP 99) ist nichts Gegenteiliges zu erschließen, zumal sich an dieser Stelle der Regierungsvorlage nur die Textgegenüberstellung (Synopse) findet.

9.2. Der Oberste Gerichtshof hat in der Folge – in Abkehr von früherer Rechtsprechung (vgl RIS-Justiz RS0000136) – ausgesprochen, dass die Forderungsfeststellung im Konkurs ein Prozesshindernis nur für spätere Klagen auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens einer angemeldeten und unbestritten gebliebenen Forderung bildet; für spätere Leistungsklagen auf Rückforderung einer überhöhten Ausschüttung hat sie aber (wie für spätere Leistungsklagen von Gläubigern) nur Bindungswirkung, die eine Wirkung der Rechtskraft ist und nur mit den Mitteln des Prozessrechts (Wiederaufnahmsklage) beseitigt werden kann (vgl RIS-Justiz RS0041131).

Die Feststellung einer Forderung im Insolvenzverfahren hat daher die Wirkung einer rechtskräftigen Entscheidung über den Bestand der Forderung (RIS-Justiz RS0041131 [T6]), die sich notwendigerweise auf die Beziehung zwischen den Personen bezieht, die von der Wirkung der Eintragung erfasst werden, also auf den Schuldner und die Konkursgläubiger (RIS-Justiz RS0041131 [T7]). Die Feststellung nach § 109 IO äußert daher eine streitabschneidende Wirkung, die sich nach Konkursaufhebung bei Nichtbestreitung durch den Gemeinschuldner zur Bindungswirkung verdichtet; sie zieht keine volle Rechtskraftwirkung nach sich, doch ergibt § 60 Abs 2 IO, dass sie eine der Rechtskraftwirkung nahekommende Tragweite hat (RIS-Justiz RS0064720). Sie entfaltet somit gegenüber späteren Leistungsklagen zwar keine Einmaligkeitswirkung, wohl aber Bindungswirkung (RIS-Justiz RS0064716 [T3]), die der materiellen Rechtskraft gleichkommt und mit Rechtskraft des Konkursaufhebungsbeschlusses wirksam wird (vgl RIS-Justiz RS0064720 [T4]; Jelinek, Forderungsfeststellung 249 f).

9.3. Auf eine vollständig urteilsgleiche Wirkung wurde auch in 6 Ob 301/63 nicht abgestellt, sondern ausgeführt, da aufgrund einer unbestrittenen Anmeldung „gleich einem Urteil“ Exekution geführt werden könne, sei sie einem „die Exekution begründenden Vergleich oder Vertrag“ gleichzuhalten. An diesen Wirkungen als „Entscheidungssurrogat“ (RIS-Justiz RS0113041, RS0064720 [T2, T3], RS0065463 [T4]; G. Kodek in Partsch/Pollak/Buchegger, Österreichisches Insolvenzrecht IV4 [2006] § 109 KO Rz 8 mwN und Rz 19) bzw „Urteilssurrogat“ (8 Ob 594/87; Buchegger, Insolvenzecht3 [2017] 146) hat sich durch das IRÄG 1982 nichts geändert.

9.4. Zur Anmeldung einer Forderung im Insolvenzverfahren und deren Wirkungen ist auf § 109 Abs 1 IO hinzuweisen, wonach der Insolvenzverwalter eine Forderung „anerkennt“. Dieses Anerkenntnis ist eine in der Prüfungstagsatzung gegenüber dem Insolvenzgericht abgegebene prozessrechtliche Erklärung des Insolvenzverwalters (1 Ob 75/15h [Pkt 2.2.]; vgl RIS-Justiz RS0065507). Sie darf zwar – vergleichbar mit dem Anerkenntnis im Zivilprozess – weder mit dem „konstitutiven Anerkenntnis“ (dem Anerkennungsvertrag) noch mit dem „deklarativen Anerkenntnis“ (einer bloßen Wissenserklärung) verwechselt werden (RIS-Justiz RS0032425; 8 Ob 4/92 mwN). So wie aber Gegenstand des prozessualen Anerkenntnisses der Streitgegenstand ist – also die Behauptung der rechtserzeugenden Tatsachen und das daraus abgeleitete Begehren – , der sich damit auf Urteilsanträge bezieht (vgl Deixler-Hübner in Fasching/Konecny3 § 395 ZPO [2017] Rz 5), bezieht sich die Feststellung einer vom Insolvenzverwalter iSd § 109 IO prozessual anerkannten Forderung nicht nur auf die Höhe des Teilnahmeanspruchs, sondern die rechtskraftähnliche Wirkung der Forderungsfeststellung aufgrund der Erklärung erfasst auch die Eigenschaft als Konkursforderung (1 Ob 75/15h [Pkt 2.2.] mwN). Damit ist eine konkursüberdauernde Inhaltsveränderung der jeweiligen Forderung verbunden (3 Ob 70/17s [Pkt 2.4.] = RIS-Justiz RS0131661), und zwar sämtlicher Forderungen iSd §§ 14 f IO gleichermaßen (Jelinek/Nunner-Krautgasser in Konecny/Schubert, Insolvenzgesetze § 61 KO [2001] Rz 27 f mwN; vgl Nunner, Rechtsfragen der Nachhaltigkeit konkursbedingter Forderungsveränderung, ÖJZ 1998, 726 [728 f]). Die Verlängerung der Verjährungsfrist folgt aus dieser (einer gerichtlichen Entscheidung oder einem gerichtlichen Vergleich entsprechenden) Qualität des Exekutionstitels und wird durch die ursprüngliche Rechtsnatur der Forderung nicht berührt. Bereits in 6 Ob 301/63 wurde daher darauf hingewiesen, dass § 9 KO [IO] nur den Neubeginn des Laufs der Verjährungsfrist regelt, daraus jedoch nicht ableitbar ist, dass dies dieselbe Frist wie zuvor sein muss.

9.5. Die Wirkung der anerkannten Forderungsanmeldung (bloß) als Feststellung der Beitragsforderung iSd § 40 Abs 1 GSVG bzw § 68 Abs 2 ASVG zu „werten“, würde – contra legem – ignorieren, dass der Feststellung der Forderung (vgl G. Kodek in Partsch/Pollak/Buchegger, Österreichisches Insolvenzrecht IV4 [2006] § 109 KO Rz 5) die oben beschriebenen Wirkungen eines gerichtlichen Exekutionstitels zukommen, was nach § 60 Abs 2 IO auch die Verwaltungsbehörden bindet.

Dies gilt im Übrigen auch nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs selbst: So steht etwa einer meritorischen Entscheidung über einen auf § 410 Abs 1 Z 7 ASVG gestützten Antrag des Masseverwalters auf eine von der konkursmäßigen Feststellung einer Beitragsforderung abweichende, für das Konkursverfahren wirksame Feststellung durch den Versicherungsträger die für das Konkursverfahren bindende „urteilsgleiche“ (VwGH 13. 6. 1995, 93/08/0103) Wirkung der konkursmäßigen Feststellung iSd §§ 108 f KO [IO] entgegen (VwGH 4. 7. 1995, 93/08/0196 = VwSlg 14287 A/1995).

10. Zusammengefasst gilt daher:

Auch nach der Änderung der KO durch das IRÄG 1982 kommt einer unbestrittenen Eintragung einer Forderung in das Anmeldungsverzeichnis (§ 61 KO bzw IO) die Wirkung der JMV RGBl 1858/105 zu. Dies gilt auch für rückständige Sozialversicherungsbeiträge, deren kürzere Verjährung nicht in den §§ 1478, 1485 ABGB, sondern im ASVG geregelt ist (RIS-Justiz RS0034245); auch solche Forderungen verjähren daher als Judikatschuld erst nach 30 Jahren.

11. Daraus folgt für das vorliegende Verfahren, dass der Titel gegen die Hauptschuldnerin noch nicht verjährt ist, womit auch keine vorzeitige Verjährung der vom Beklagten übernommenen Haftung als Bürge und Zahler eingetreten und seine Bürgschaft nicht erloschen ist. Seiner Revision war daher nicht Folge zu geben.

12. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §§ 50, 41 ZPO.

Textnummer

E123369

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2018:0040OB00128.18D.1023.000

Im RIS seit

06.12.2018

Zuletzt aktualisiert am

11.06.2019
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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