TE Lvwg Erkenntnis 2018/10/19 VGW-151/019/6487/2018

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Veröffentlicht am 19.10.2018
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Entscheidungsdatum

19.10.2018

Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

NAG §27
NAG §28 Abs5
NAG §30
NAG §47 Abs1
NAG §47 Abs2

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Verwaltungsgericht Wien erkennt durch seinen Richter Mag. Pichler über die Beschwerde des Herrn A. B. vom 4.5.2018, vertreten durch Rechtsanwalts-Partnerschaft, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 29.3.2018, Zl. MA35..., betreffend Aufenthaltstitel,

zu Recht:

1. Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG wird der Beschwerde stattgegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos behoben.

2. Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein algerischer Staatsangehöriger, stellte am 17. August 2017 bei der österreichischen Botschaft in Algier einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels Familienangehöriger gemäß § 47 Abs. 2 NAG.

2. Die belangte Behörde erteilte dem Beschwerdeführer nach Durchführung eines Ermittlungsverfahrens einen Aufenthaltstitel „Familienangehöriger“ mit einer Gültigkeitsdauer von 18. Oktober 2017 bis 18. Oktober 2018.

3. Mit E-Mail-Eingabe vom 15. Februar 2018 teilte die (damalige) Ehegattin des Beschwerdeführers der belangten Behörde im Wesentlichen mit, dass sie seit fast einem Monat nicht mehr mit dem Beschwerdeführer zusammen lebe und, dass ihr Ehegatte nach Erteilung des Aufenthaltstitels „immer kühler“ geworden sei, sie und ihre Familie bedrohe und – entgegen seiner Beteuerung vor der Eheschließung – keine gemeinsamen Kinder wolle.

4. Die belangte Behörde brachte dem Beschwerdeführer sodann mit einer „Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme“ vom 8. März 2018 die Mitteilung seiner (damaligen) Ehegattin zur Kenntnis und räumte ihm die Möglichkeit zur Stellungnahme innerhalb einer Frist von 14-Tagen ein. Innerhalb der Stellungnahmefrist langte lediglich eine Vollmachtsbekanntgabe des rechtsfreundlichen Vertreters des Beschwerdeführers bei der belangten Behörde ein. Eine inhaltliche Stellungnahme wurde der belangten Behörde erst nach Erlassung des angefochtenen Bescheides übermittelt.

Weitere Ermittlungsschritte – etwa die Beauftragung der Landespolizeidirektion Wien mit Ermittlungen gemäß § 37 Abs. 4 NAG – hat die belangte Behörde nicht gesetzt.

5. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 29. März 2018, zugestellt am 6. April 2018, entzog die belangte Behörde dem Beschwerdeführer sodann gemäß § 28 Abs. 5 iVm § 30 NAG den Aufenthaltstitel „Familienangehöriger“, da eine besondere Erteilungsvoraussetzung nicht mehr vorliege.

Begründend führte die belangte Behörde aus, das Ermittlungsverfahren habe ergeben, die (ehemalige) Ehegattin des Beschwerdeführers habe der belangten Behörde bekannt gegeben, dass sich das Verhalten des Beschwerdeführers nach Erteilung des begehrten Aufenthaltstitels gravierend geändert habe und im vorliegenden Fall aufgrund der erwähnten Bekanntgabe von einer Aufenthaltsehe auszugehen sei. Im Fall des Beschwerdeführers sei auch nicht gemäß § 27 NAG vorzugehen, weil er lediglich „knapp einen Monat“ über eine Aufenthaltstitel verfüge und somit von keiner Niederlassung in Österreich auszugehen sei. Weiters ergebe sich aus der Stellungnahme der (ehemaligen) Ehegattin des Beschwerdeführers, dass es sich von Seiten des Beschwerdeführers um eine „Ehetäuschung“ handle.

6. Am 11. April 2018 langte bei der belangten Behörde eine Stellungnahme des Beschwerdeführers ein, die mit einem Zweckänderungsantrag auf Erteilung einer „Aufenthaltsbewilligung Rot-Weiß-Rot“ gemäß § 26 NAG verbunden war.

7. Gegen den Bescheid der belangten Behörde vom 29. März 2018 erhob der Beschwerdeführer form- und fristgerecht Beschwerde und stellte folgende Beschwerdeanträge:

„1. Den angefochtenen Bescheid aufzuheben und dem Antrag des Einschreiters auf Erteilung eines Aufenthaltstitels Rot-Weiß-Rot stattzugeben;

2. in eventu, den angefochtenen Bescheid aufzuheben und das Verfahren an die erstinstanzliche Behörde zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückzuverweisen;

3. in eventu, der erstinstanzlichen Behörde aufzutragen, die Beschwerde durch Beschwerdevorentscheidung zu erledigen.“

8. Die belangte Behörde sah von der Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung ab und legte die Beschwerde und den Bezug habenden Verwaltungsakt dem Verwaltungsgericht Wien zur Entscheidung vor.

II. Sachverhalt:

Für das Verwaltungsgericht Wien steht folgender entscheidungswesentlicher Sachverhalt fest:

1. Der Beschwerdeführer, ein am ...1993 geborener algerischer Staatsangehöriger, heiratete am ...2017 die österreichische Staatsangehörige C. D.-B., geboren am ...1996.

2. Dem Beschwerdeführer wurde von der belangten Behörde (Landeshauptmann von Wien – Magistratsabteilung 35) ein Aufenthaltstitel für den Zweck Familienangehöriger gemäß § 47 Abs. 2 NAG mit einer Gültigkeitsdauer von 18. Oktober 2017 bis 18. Oktober 2018 erteilt.

3. Mit Bescheid vom 29. März 2018 hat die belangte Behörde dem Beschwerdeführer seinen Aufenthaltstitel Familienangehöriger entzogen; gegen diesen Bescheid hat der Beschwerdeführer form- und fristgerecht Beschwerde erhoben.

4. Der Beschwerdeführer hat am 11. April 2018 bei der belangten Behörde einen Zweckänderungsantrag gemäß § 26 NAG auf Erteilung einer „Aufenthaltsbewilligung Rot-Weiß-Rot“ eingebracht. Über diesen Zweckänderungsantrag hat die belangte Behörde bisher nicht entschieden.

5. Die Ehe zwischen dem Beschwerdeführer und C. D.-B. wurde mit Beschluss des Bezirksgerichtes ... vom 25. September 2018, Zl. ... gemäß § 55a EheG geschieden.

III. Beweiswürdigung:

1. Das Verwaltungsgericht Wien hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde, Vornahme diverser Registerabfragen (Zentrales Fremdenregister, Sozialversicherungsregister, zentrales Melderegister) und Würdigung der vom Beschwerdeführer im Zuge des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens vorgelegten Unterlagen und Urkunden.

2. Die Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen des Beschwerdeführers ergeben sich aus der Aktenlage, ebenso die Feststellungen zu dem von der belangten Behörde im Vorfeld der Erteilung des Aufenthaltstitels und im Vorfeld der Erlassung des angefochtenen Bescheides gesetzten Ermittlungsschritte.

3. Die Tatsache, dass der Beschwerdeführer am 11. April 2018 bei der belangten Behörde einen Zweckänderungsantrag eingebracht hat, ist aus dem Behördenakt ersichtlich, der Umstand, wonach über diesen bisher offenbar nicht entschieden wurde, ergibt sich aus der Aktenlage. Aus dem zentralen Fremdenregister ist die Gültigkeitsdauer des dem Beschwerdeführer erteilten Aufenthaltstitels zu ersehen.

4. Die Feststellungen, wonach die Ehe zwischen dem Beschwerdeführer und C. C. D.-B. mittlerweile geschieden wurde, ergibt sich aus den dem Verwaltungsgericht Wien mit Eingabe vom 26. September 2018 übermittelten Beschluss des Bezirksgerichtes ....

5. Der entscheidungserhebliche Sachverhalt ist aus der Aktenlage und den vorgelegten Unterlagen und Urkunden zu ersehen und nicht weiter strittig.

IV. Rechtgrundlagen:

Die maßgeblichen Bestimmungen des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes 2005 – NAG, BGBl. 100/2005, lauten:

„Rückstufung und Entziehung eines Aufenthaltstitels

§ 28. (1) […]

(5) Aufenthaltstitel sind zu entziehen, wenn die besonderen Erteilungsvoraussetzungen des 2. Teiles nicht mehr vorliegen. Von einer Entziehung kann abgesehen werden, wenn ein Fall des § 27 Abs. 1 bis 3 vorliegt oder dem Fremden im Rahmen eines Zweckänderungsverfahrens (§ 26) ein anderer Aufenthaltstitel zu erteilen ist. § 10 Abs. 3 Z 1 gilt.

[…]

2. Hauptstück

Familienangehörige und andere Angehörige von dauernd in Österreich wohnhaften Zusammenführenden

Aufenthaltstitel „Familienangehöriger“ und „Niederlassungsbewilligung – Angehöriger“

§ 47. (1) Zusammenführende im Sinne der Abs. 2 bis 4 sind Österreicher oder EWR-Bürger oder Schweizer Bürger, die in Österreich dauernd wohnhaft sind und nicht ihr unionsrechtliches oder das ihnen auf Grund des Freizügigkeitsabkommens EG-Schweiz zukommende Aufenthaltsrecht von mehr als drei Monaten in Anspruch genommen haben.

(2) Drittstaatsangehörigen, die Familienangehörige von Zusammenführenden sind, ist ein Aufenthaltstitel „Familienangehöriger“ zu erteilen, wenn sie die Voraussetzungen des 1. Teiles erfüllen.

[…].“

V. rechtliche Beurteilung:

1. Im vorliegenden Fall hat die belangte Behörde dem Beschwerdeführer den ihm zunächst am 18. Oktober 2017 erteilten Aufenthaltstitel Familienangehöriger (§ 47 Abs. 2 NAG) gemäß § 28 Abs. 5 NAG entzogen, weil die belangte Behörde der Auffassung war, dass aufgrund einer von ihr angenommenen Aufenthaltsehe gemäß § 30 NAG die besonderen Erteilungsvoraussetzungen, nämlich das Bestehen einer Ehe zwischen dem Beschwerdeführer und seiner österreichischen Gattin, nicht mehr vorliege und im Fall des Beschwerdeführers die Voraussetzungen des § 27 NAG nicht vorlägen.

2. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtsgerichtshofes hat das Verwaltungsgericht, wenn es in der Sache selbst entscheidet, seiner Entscheidung jene Sach- und Rechtslage zu Grunde zu legen, die im Zeitpunkt der Erlassung der Entscheidung maßgeblich ist, allfällige Änderungen der Sach- und Rechtslage im Zuge des Beschwerdeverfahrens sind vom Verwaltungsgericht daher zu berücksichtigen (vgl. VwGH 30.3.2017, Ro 2015/03/0036; 26.3.2015, Ra 2014/07/0077). Als Erlassung ist im Falle der schriftlichen Entscheidung die Zustellung des Erkenntnisses zu verstehen (VwGH 17.10.2017, Ra 2017/01/0060).

3. Zu klären ist, ob eine Entziehung eines Aufenthaltstitels gemäß § 28 Abs. 5 NAG ex tunc oder ex nunc Wirkung entfaltet. Das Verwaltungsgericht Wien geht aufgrund folgender Erwägungen davon aus, dass § 28 Abs. 5 NAG es lediglich ermöglicht, einen Aufenthaltstitel mit der Wirkung ex nunc zu entziehen: Schon der Wortlaut des § 28 Abs. 5 NAG spricht für diese Sichtweise, zumal die Bestimmung normiert, dass der Aufenthaltstitel zu entziehen ist, wenn die besonderen Erteilungsvoraussetzungen des 2. Teiles „nicht mehr vorliegen“. Aus dieser vom Gesetzgeber verwendeten Formulierung ist abzuleiten, dass eine auf § 28 Abs. 5 NAG gestützte Entziehung keine Rückwirkung hat, sondern der Aufenthaltstitel erst mit der Rechtskraft der die Entziehung aussprechenden Entscheidung als entzogen gilt. Auch die Gesetzesmaterialien zur Novelle BGBl I 122/2009, mit der § 28 Abs. 5 NAG eingeführt wurde, (ErläutRV 330 BlgNR XXIX.GP, 46) legen diese Auffassung nahe: Dort werden beispielhaft Fälle aufgezählt, in denen ein Studierender sein Studium niemals aufnimmt oder während der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltstitels aufgibt. In beiden in den Gesetzesmaterialien genannten Beispielen fallen die gesetzlichen Voraussetzungen während der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltstitels (nachträglich) weg. Dafür, dass die Entziehung ex tunc Wirkung entfalten könnte, besteht aber auch in den Gesetzesmaterialien kein Anhaltspunkt.

4. In diesem Zusammenhang ist schließlich auch auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu § 68 Abs. 2 und 4 AVG zur amtswegigen Abänderung, Aufhebung bzw. Nichtigerklärung von Bescheiden zu verweisen, zumal auch die Entziehung des Aufenthaltstitels nach § 28 Abs. 5 NAG amtswegig zu verfügen ist. Sowohl zu § 68 Abs. 2 (vgl. zB VwGH 27.2.2015, 2013/17/0286) als auch zu § 68 Abs. 4 AVG (vgl. VwGH 26.6.2012, 2012/22/0030) hat der Verwaltungsgerichtshof klargestellt, dass in diesen Fällen lediglich von einer ex nunc Wirkung auszugehen ist, zumal Anderes – also eine ex tunc Wirkung – in den erwähnten Bestimmungen nicht ausdrücklich vorgesehen ist. Auch in § 28 Abs. 5 NAG ist eine derartige Rückwirkung nicht ausdrücklich angeordnet, was somit ebenfalls für eine bloße ex nunc Wirkung der Entziehung spricht.

5. Im Hinblick darauf, dass eine auf § 28 Abs. 5 NAG gestützte Entziehung eines Aufenthaltstitels ex nunc-Wirkung entfaltet, das Verwaltungsgericht Wien seine Entscheidung an der in seinem Entscheidungszeitpunkt bestehenden Sach- und Rechtslage auszurichten hat, sowie der Tatsache, dass die Gültigkeitsdauer des dem Beschwerdeführer erteilten Aufenthaltstitels im Entscheidungszeitpunkt des Verwaltungsgerichtes bereits abgelaufen war, war der Beschwerde Folge zu geben und der angefochtene Bescheid ersatzlos zu beheben. Eine Entziehung des dem Beschwerdeführer erteilten Aufenthaltstitels Familienangehöriger ist somit nicht mehr möglich, weil dessen Gültigkeitsdauer im Entscheidungszeitpunkt bereits abgelaufen war.

6. Der in der Beschwerde vom 4.5.2018 neuerlich (vgl. zum ersten Antrag vgl. Punkt II.4.) gestellte Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot“ wird der belangten Behörde gemäß § 17 VwGVG iVm § 6 AVG zuständigkeitshalber weitergeleitet.

7. Diese Entscheidung konnte gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG ohne Durchführung einer – vom Beschwerdeführer im Übrigen nicht beantragten – öffentlichen mündlichen Verhandlung getroffen werden, weil schon aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der angefochtene Bescheid ersatzlos zu beheben ist.

8. Die ordentliche Revision war im vorliegenden Fall zuzulassen, weil Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, ob eine auf § 28 Abs. 5 NAG gestützte Entziehung eines Aufenthaltstitels ex-nunc oder ex-tunc Wirkung entfaltet – soweit für das Verwaltungsgericht Wien ersichtlich – nicht vorliegt. Diese Frage stellt auch kein bloße Wertungsfrage im Einzelfall dar; es liegt nach Ansicht des Verwaltungsgerichts Wien somit eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung iSd Art. 133 Abs. 4 B-VG vor.

Schlagworte

Entziehung eines Aufenthaltstitels; ex nunc; Gültigkeitsdauer; Ablauf

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGWI:2018:VGW.151.019.6487.2018

Zuletzt aktualisiert am

29.11.2018
Quelle: Landesverwaltungsgericht Wien LVwg Wien, http://www.verwaltungsgericht.wien.gv.at
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