TE Bvwg Erkenntnis 2018/9/20 W253 2135006-1

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Veröffentlicht am 20.09.2018
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Entscheidungsdatum

20.09.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
BFA-VG §52
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §55
VwGVG §28 Abs2
VwGVG §8a

Spruch

W253 2135006-1/14E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Jörg C. BINDER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX alias XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, Wattgasse 48, 1170 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 05.06.2018 zu Recht:

A)

I. Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

II. Der Antrag auf unentgeltliche Beigabe eines Verfahrenshelfers wird als unzulässig zurückgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger und stellte am 27.03.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Im Zuge seiner Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 28.03.2015 gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen an, er sei Hazara und schiitischer Moslem. Er stamme aus der Provinz Daikundi und habe zwei Jahre die Grundschule besucht. Der Beschwerdeführer habe drei Schwestern; sein Bruder sei vor einem Jahr gestorben. Befragt zu seinen Fluchtgründen gab der Beschwerdeführer an, er habe in Afghanistan als Hirte und Diener gearbeitet, weshalb er Rückenschmerzen habe. Sein Vater habe den Beschwerdeführer in den Iran geschickt, da es ihm so schlecht gegangen sei. Im Iran habe der Beschwerdeführer Probleme wegen seines illegalen Aufenthaltes gehabt. Der Beschwerdeführer sei festgenommen worden und habe die Polizisten mit Geld bestechen müssen, um in Ruhe gelassen zu werden.

3. Mit Verfahrensanordnung vom XXXX wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 29 Abs. 3 AsylG 2005 bzw. § 15a AsylG 2005 iVm § 63 Abs. 2 AVG mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, seinen Antrag auf internationalen Schutz zurückzuweisen, da Dublin Konsultationen mit Ungarn geführt werden würden.

Mit Schreiben vom XXXX teilte die ungarische Dublin-Behörde mit, dass der Beschwerdeführer keinen Asylantrag in Ungarn gestellt habe.

4. Im Rahmen des Parteiengehörs am XXXX wurden dem Beschwerdeführer die wesentlichen Ergebnisse des medizinischen Sachverständigengutachtens zur Kenntnis gebracht. Der Beschwerdeführer entgegnete, er sei sechzehn Jahre alt; das hätten ihm seine Eltern gesagt. Mit Verfahrensanordnung teilte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dem Beschwerdeführer mit, dass aufgrund des im medizinischen Sachverständigengutachten vom XXXX ersichtlichen Ergebnisses der ärztlichen Untersuchungen zur Altersbestimmung, welches beim Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Untersuchungen ein Mindestalter von neunzehn Jahren ergeben habe, sowie unter Berücksichtigung des gesamten vorliegenden Sachverhalts, von der Volljährigkeit des Beschwerdeführers und einem berichtigten Datum vom XXXX ausgegangen werde. Der Beschwerdeführer bezog hierzu Stellungnahme und führte aus, er sei höchstens siebzehn Jahre alt.

5. In seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 26.08.2018 führte der Beschwerdeführer ergänzend aus, er habe ungefähr zwölf oder dreizehn Jahre in Afghanistan gelebt, wo seine Familie ein kleines Haus habe. Anschließend sei der Beschwerdeführer nach Pakistan und anschließend in den Iran gereist, wo er sich eineinhalb Jahre aufgehalten habe. Sein Bruder sei im Iran aufgrund eines Arbeitsunfalles gestorben. Zu seiner Familie habe der Beschwerdeführer regelmäßig Kontakt; sie würde noch immer in seinem Heimatdorf leben. Der Vater des Beschwerdeführers habe als Landwirt gearbeitet. Im Iran habe der Beschwerdeführer in XXXX gelebt, wo er mit seinem Bruder zusammen auf Baustellen gearbeitet habe. Befragt zu seinen Fluchtgründen gab der Beschwerdeführer an, er habe in Afghanistan immer gearbeitet, weshalb er starke Rückenschmerzen gehabt habe. Er habe keine Zukunft für sich gesehen. Gefragt, ob es Bedrohungen in irgendeiner Art und Weise gegeben habe, antwortete der Beschwerdeführer, dass ihn niemand bedroht habe. Vor der Regierung habe der Beschwerdeführer keine Angst, jedoch hätten die Afghanen allgemein Angst, weil die Menschen entführt werden würden. Sie hätten kein normales Leben dort. Zudem legte der Beschwerdeführer diverse Unterlagen vor.

6. Mit dem im Spruch bezeichneten Bescheid wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG 2005 wurde der Antrag auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ihm wurde kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Weiters wurde ausgesprochen, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.).

Der Begründung des im Spruch bezeichneten Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl ist im Wesentlichen zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer keine individuelle persönliche und asylrelevante Bedrohung glaubhaft machen habe können, zumal er lediglich wirtschaftliche Gründe behauptet habe.

Gleichzeitig wurde dem Beschwerdeführer mit Verfahrensanordnung gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht die "ARGE-Rechtsberatung Diakonie und Volkshilfe, Künstlergasse 11/5.Stock, 1150 Wien" als Rechtsberater amtswegig zur Seite gestellt.

Weiters wurde der Beschwerdeführer mit Verfahrensanordnung darauf hingewiesen, dass er gemäß § 52a Abs. 2 BFA-VG verpflichtet sei, ein Rückkehrberatungsgespräch bis zum XXXX 2016 in Anspruch zu nehmen.

7. Mit am 12.09.2016 eingelangtem Schreiben erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde gegen sämtliche Spruchpunkte des gegenständlichen Bescheides und brachte im Wesentlichen - unter Verweis auf diverse Länderberichte und Judikatur - ergänzend eine asylrelevante Verfolgung aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara und dem damit einhergehenden schiitischen Glauben, seiner Gefährdung aus politischen Gründen verfolgt zu werden sowie seiner Gefährdung als Iran-Rückkehrer vor. Der afghanische Staat sei nicht in der Lage bzw. nicht willens, dem Beschwerdeführer Schutz vor der genannten Verfolgung zu bieten. Dies zeige insbesondere die Tatsache, dass der Cousin des Beschwerdeführers, der ebenfalls Hazara gewesen sei und in einem Nachbardorf gelebt habe, von den Taliban umgebracht worden sei. Auch ein Freund des Beschwerdeführers sei auf dem Weg in das gemeinsame Heimatdorf von den Taliban aufgegriffen und geköpft worden.Überdies beantragte der Beschwerdeführer die unentgeltliche Beigabe eines Verfahrenshelfers. Begründet wurde dies im Wesentlichen damit, dass eine bloße Rechtsberatung mit einer Rechtsvertretung durch einen Verfahrenshelfer nicht gleichwertig sei. Der unvertretene und rechtsunkundige Beschwerdeführer stehe im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht einer Organpartei gegenüber, die als Spezialbehörde im Asyl-, und Fremdenwesen tätig sei und sohin grundsätzlich mit dem Verfahrensrecht des Verfahrens vor dem Bundesverwaltungsgericht und der diesbezüglichen höchstgerichtlichen Rechtsprechung vertraut sei.

8. Die Beschwerde und der Bezug habende Verwaltungsakt langten am 16.09.2016 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 20.10.2016 wurde die Rechtssache der Gerichtsabteilung W119 abgenommen und neu zugewiesen.

9. Am 05.06.2018 langte eine Stellungnahme des Beschwerdeführers zu den mit der Ladung übermittelten Länderberichten ein, in welcher der Beschwerdeführer neu vorbrachte, er bezeichne sich selbst nicht als gläubig, da er nichts mit dem islamischen Glauben anzufangen wisse. Dies würde eine Verfolgung aus dem GFK-Grund der Religion nach sich ziehen. Die schlechte Sicherheits- und Versorgungslage in Kabul, Mazar-e Sharif und Herat sowie anderer großer Städte Afghanistans stehe einer innerstaatlichen Fluchtalternative des Beschwerdeführers entgegen. Darüber hinaus brachte der Beschwerdeführer vor, sowohl auf Basis von Dienstleistungsschecks als auch ehrenamtlich zu arbeiten.

10. Am selben Tag fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung im Beisein des Beschwerdeführers, seiner Vertreterin und einer Dolmetscherin für die Sprache Dari statt, in welcher der Beschwerdeführer ausführlich zu seinen Fluchtgründen befragt und ihm Gelegenheit gegeben wurde, diese umfassend darzulegen. Ebenso wurde der Zeuge XXXX vom erkennenden Richter einvernommen. Ein Vertreter der belangten Behörde nahm an der Verhandlung nicht teil. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung legte der Beschwerdeführer weitere Unterlagen vor. Der Beschwerdeführer brachte neu vor, dass ihm seine Eltern gedroht hätten, die Polizei zu rufen, zumal der Beschwerdeführer weder beten noch fasten würde. Zudem führte der Beschwerdeführer - gefragt, ob er homosexuell sei - aus, dass er sich noch nicht entschieden habe; Erfahrungen gleichgeschlechtlicher Natur habe er keine. Dem Beschwerdeführer wurde eine Frist zur Stellungnahme zu den eingebrachten Länderberichten von zwei Wochen eingeräumt.

11. Mit der am 19.06.2018 eingelangten Stellungnahme führte der Beschwerdeführer aus, er habe aufgrund der Abkehr vom Islam einen Nachfluchtgrund gesetzt, weshalb er in Afghanistan sowohl mit staatlicher- als auch nichtstaatlicher Verfolgung zu rechnen hätte. Weiters führte er seine sehr weit fortgeschrittene Integration - sowohl im rein sozialen als auch beruflichen Bereich - ins Treffen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage des erhobenen Antrages auf internationalen Schutz, der Erstbefragung und Einvernahme des Beschwerdeführers durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sowie des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, der Beschwerde gegen den im Spruch genannten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, der, der im Verfahren vorgelegten Dokumente, der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht, der Einsichtnahme in den Bezug habenden Verwaltungsakt, das Zentrale Melderegister, das Fremdeninformationssystem, das Strafregister und das Grundversorgungs-Informationssystem werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:

1. Feststellungen:

1.1. Zum Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer stellte am 27.03.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Im Rahmen des Parteiengehörs teilte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 22.06.2015 mit Verfahrensanordnung mit, dass aufgrund des im medizinischen Sachverständigengutachten vom XXXX ersichtlichen Ergebnisses der ärztlichen Untersuchungen zur Altersbestimmung von der Volljährigkeit des Beschwerdeführers und einem berichtigten Datum vom XXXX ausgegangen werde. Mit dem im Spruch bezeichneten Bescheid wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG 2005 wurde der Antrag auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ihm wurde kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Weiters wurde ausgesprochen, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.). Mit am 12.09.2016 eingelangtem Schreiben erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde gegen sämtliche Spruchpunkte des gegenständlichen Bescheides, woraufhin am 05.06.2018 vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung im Beisein des Beschwerdeführers, seiner Vertreterin und einer Dolmetscherin für die Sprache Dari stattfand, in welcher der Beschwerdeführer ausführlich zu seinen Fluchtgründen befragt und ihm Gelegenheit gegeben wurde, diese umfassend darzulegen. Zudem wurde der Zeuge XXXX vom erkennenden Richter im Rahmen der mündlichen Verhandlung einvernommen. Am 19.06.2018 langte eine weitere Stellungnahme des Beschwerdeführers ein.

1.2. Zum Beschwerdeführer:

Der volljährige Beschwerdeführer führt den Namen XXXX , ist afghanischer Staatsangehöriger und wurde am XXXX geboren. Er gehört der Volksgruppe der Hazara an, ist schiitischer Moslem und seine Muttersprache ist Dari. Der Beschwerdeführer ist ledig und kinderlos.

Der Beschwerdeführer stammt aus der Provinz Daikundi, Dorf XXXX . Er verfügt über eine zweijährige Schulbildung. Der Beschwerdeführer ist im erwerbsfähigen Alter und gesund. Er ist mit der afghanischen Tradition und Lebensweise vertraut.

Die Kernfamilie des Beschwerdeführers besteht aus seinen Eltern, drei Schwestern und einem Bruder, welche nach wie vor im Heimatdorf des Beschwerdeführers leben. Sein älterer Bruder ist im Iran aufgrund eines Arbeitsunfalles gestorben. Seine Familie hat ihren Lebensunterhalt durch die Bewirtschaftung fremder Grundstücke bestritten. Der Beschwerdeführer hat seinen Vater in Afghanistan bei der Arbeit auf den Feldern unterstützt. Zudem hat der Beschwerdeführer in seinem Herkunftsland als Hirte sowie Diener gearbeitet.

Der Beschwerdeführer reiste ungefähr 2011 oder 2012 aus Afghanistan aus. Die Kosten für die Fahrt nach Kabul haben seine Eltern übernommen; die Kosten von Kabul in den Iran hat sein Bruder getragen. Der Beschwerdeführer hielt sich ungefähr eineinhalb Jahre illegal im Iran auf, wo er auf Baustellen gearbeitet hat. Als der Beschwerdeführer den Iran anschließend verlassen hat, hielt er sich auf dem Weg nach Europa ungefähr sieben oder acht Monate in der Türkei auf, wo er als Schneider tätig war.

Zu seiner Familie steht der Beschwerdeführer nach wie vor in regelmäßigen Kontakt.

Der Beschwerdeführer hat Deutschkurse - zuletzt auf dem Niveau A2 - absolviert und hat die Prüfung zur Erlangung des ÖSD-Zertifikates-A2 mit gutem Erfolg bestanden. Er spricht und versteht Deutsch sehr gut. Am XXXX hat der Beschwerdeführer an einer Veranstaltung des Roten Kreuzes im Umfang von elf Stunden als Figurant teilgenommen. Der Beschwerdeführer ist ehrenamtlich für den Verein " XXXX " tätig, wo er jeden Dienstag nicht mehr mobilen Gemeindebürgern bei der Hauszustellung von Einkaufsgegenständen hilft. Mittwochs spielt der Beschwerdeführer im Verein XXXX Floorball. Seit Jänner 2018 ist er über Dienstleistungsschecks beschäftigt, indem er anderen Personen bei Haushalts- sowie Gartentätigkeiten hilft. Der Beschwerdeführer bezieht Leistungen aus der Grundversorgung.

Es leben keine nahen Angehörigen des Beschwerdeführers in Österreich.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

1.3. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer war in Afghanistan keiner individuellen konkreten Verfolgung oder Bedrohung ausgesetzt.

Es kann nicht festgestellt werden, dass ein Freund und ein Cousin des Beschwerdeführers von den Taliban getötet worden sind.

Ebenso kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr, als Angehöriger der Volksgruppe der Hazara und schiitischer Muslim in Afghanistan einer konkret gegen ihn gerichteten psychischen und/oder psychischen Gewalt im Sinne des Beschwerdevorbringens ausgesetzt ist.

Es kann weder festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer vom Islam abgefallen ist noch, dass dies von Dritten in Afghanistan angenommen wird.

Ebenso kann weder festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer homosexuell ist oder in Afghanistan oder/und in Österreich homosexuelle Handlungen vorgenommen hat, noch, dass Dritte in Afghanistan von einem solchen Verhalten des Beschwerdeführers ausgehen könnten.

1.4. Zu einer möglichen Rückkehr des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat:

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Falle der Rückkehr nach Afghanistan (Mazar-e Sharif oder Heimatdorf) Gefahr liefe, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.

Insgesamt kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Ansichten von staatlicher Seite oder von Seiten Dritter bedroht wäre.

Außergewöhnliche Gründe, die eine Rückkehr des Beschwerdeführers nach Mazar-e Sharif bzw. sein Heimatdorf ausschließen, konnten ebenfalls nicht festgestellt werden. Er kann dort seine Existenz - zumindest anfänglich - mit Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten sichern und auf die Unterstützung seiner Familie zählen. Es kann nicht festgestellt werden, dass er nicht in der Lage ist, in der Stadt Mazar-e Sharif eine einfache Unterkunft zu finden. Die Stadt Mazar-e Sharif ist über den dort vorhandenen Flughafen erreichbar.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan nicht von seiner Familie unterstützt werden kann.

1.5. Zur Situation im Herkunftsstaat:

Das Bundesverwaltungsgericht trifft aufgrund der im Beschwerdeverfahren eingebrachten aktuellen Erkenntnisquellen folgende entscheidungsrelevante Feststellungen:

1.5.1. Zusammenfassung des Länderinformationsblattes vom 02.03.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 30.01.2018 (in Folge kurz "LIB"):

1.5.1.1. Zur Sicherheitslage in Afghanistan im Allgemeinen und in der Provinz Daikundi:

Nach dem Sturz des Taliban-Regimes im Jahr 2001 wurde eine neue Verfassung erarbeitet und im Jahre 2004 angenommen (LIB S. 40).

Die Sicherheitslage ist beeinträchtigt durch eine tief verwurzelte militante Opposition. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, Transitrouten, Provinzhauptstädten und den Großteil der Distriktzentren. Die afghanischen Sicherheitskräfte zeigten Entschlossenheit und steigerten auch weiterhin ihre Leistungsfähigkeit im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand. Die Taliban kämpften weiterhin um Distriktzentren, bedrohten Provinzhauptstädte und eroberten landesweit kurzfristig Hauptkommunikationsrouten; speziell in Gegenden von Bedeutung wie zB Kunduz City und der Provinz Helmand. Zu Jahresende haben die afghanischen Sicherheitskräfte (ANDSF) Aufständische in Gegenden von Helmand, Uruzgan, Kandahar, Kunduz, Laghman, Zabul, Wardak und Faryab bekämpft (LIB S. 44).

In den letzten zwei Jahren hatten die Taliban kurzzeitig Fortschritte gemacht, wie z.B. in Helmand und Kunduz, nachdem die ISAF-Truppen die Sicherheitsverantwortung den afghanischen Sicherheits- und Verteidigungskräften (ANDSF) übergeben hatten. Die Taliban nutzen die Schwächen der ANDSF aus, wann immer sie Gelegenheit dazu haben. Der IS (Islamischer Staat) ist eine neue Form des Terrors im Namen des Islam, ähnlich der al-Qaida, auf zahlenmäßig niedrigerem Niveau, aber mit einem deutlich brutaleren Vorgehen. Die Gruppierung operierte ursprünglich im Osten entlang der afghanisch-pakistanischen Grenze und erscheint, Einzelberichten zufolge, auch im Nordosten und Nordwesten des Landes (LIB S. 44).

Mit Stand September 2016 beeinflussen oder kontrollieren die Taliban rund 10% der Bevölkerung. Die afghanischen Verteidigungsstreitkräfte (ANDSF) waren im Allgemeinen in der Lage, große Bevölkerungszentren zu beschützen. Sie hielten die Taliban davon ab, Kontrolle in bestimmten Gegenden über einen längeren Zeitraum zu halten und reagierten auf Talibanangriffe. Den Taliban hingegen gelang es, ländliche Gegenden einzunehmen; sie kehrten in Gegenden zurück, die von den ANDSF bereits befreit worden waren, und in denen die ANDSF ihre Präsenz nicht halten konnten. Sie führten außerdem Angriffe durch, um das öffentliche Vertrauen in die Sicherheitskräfte der Regierung, und deren Fähigkeit, für Schutz zu sorgen, zu untergraben. Berichten zufolge hat sich die Anzahl direkter Schussangriffe der Taliban gegen Mitglieder der afghanischen Nationalarmee (ANA) und afghanischen Nationalpolizei (ANP) erhöht (LIB S. 46).

Die afghanischen Sicherheitskräfte haben Fortschritte gemacht, wenn auch keine dauerhaften. Im Jahr 2016 wurden im Zuge von militärischen Operationen - ausgeführt durch die Polizei und das Militär - landesweit mehr als 18.500 feindliche Kämpfer getötet und weitere 12.000 verletzt. Die afghanischen Sicherheitskräfte versprachen, sie würden auch während des harten Winters gegen die Taliban und den Islamischen Staat vorgehen (LIB S. 46).

Obwohl die afghanischen Sicherheitskräfte alle Provinzhauptstädte sichern konnten, wurden sie von den Taliban landesweit herausgefordert: Intensive bewaffnete Zusammenstöße zwischen Taliban und afghanischen Sicherheitskräften verschlechterten die Sicherheitslage im Berichtszeitraum (16.08.2016 bis 17.11.2016). Den afghanischen Sicherheitskräften gelang es im August 2016, mehrere große Talibanangriffe auf verschiedene Provinzhauptstädte zu vereiteln, und verlorenes Territorium rasch wieder zurückzuerobern (LIB S. 46).

Verstärkte Luftangriffe hatten wesentliche Auswirkungen und führten zu hohen Opferzahlen bei Zivilisten und regierungsfeindlichen Elementen (LIB S. 10). Die Taliban erhöhen ihre Operationen, um ausländische Kräfte zu vertreiben; der IS hingegen versucht seinen relativ kleinen Einflussbereich zu erweitern. Kabul ist in diesem Falle für beide Gruppierungen interessant (LIB S. 6). Im Jänner 2018 fanden in Kabul schwere Anschläge ua auf die Marshal Fahim Militärakademie mit mindestens elf getöteten und weiteren fünfzehn verletzten Soldaten, im Regierungs- und Diplomatenviertel mit mehr als 100 Toten und zumindest weiteren 235 Verletzten, auf die NGO Save the Children, mit zumindest zwei Toten und weiteren zwölf Verletzten und auf das Hotel Intercontinental, mit etwa achtzehn Toten und weiteren zehn Verletzten, statt (LIB S 6. ff).

Die Provinz Daikundi ist seit dem Jahr 2014 autonom; davor war sie ein Distrikt der Provinz Uruzgan. Daikundi ist mehr als 400 km von Kabul entfernt, liegt in Zentralafghanistan und grenzt an die Provinzen Ghor, Ghazni, Uruzgan und Helmand. Administrative Einheiten sind: die Provinzhauptstadt Nieli, Ashtarly, Khijran, Khedir, Kitti, Miramor, Sang Takh Shahristan und Gizab. Die Provinz Daikundi ist die zweitgrößte Region, in der Hazara leben; in der Provinz sind dies 86% der Bevölkerung. Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 468.178 geschätzt. Daikundi ist eine gebirgige Provinz mit schwacher Infrastruktur ohne asphaltierte Straßen. Die abgelegene Provinz Daikundi in Afghanistan, hat derzeit die einzige amtierende Gouverneurin des Landes (LIB S. 69).

Im Zeitraum 01.09.2015 - 31.05.2015 wurden in der Provinz Daikundi 48 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Daikundi ist als relativ friedliche Provinz anzusehen, einzig der Distrikt Kijran gilt als relativ unsicher. Dennoch gilt die Provinz für Anrainer/innen als unterentwickelt - viele Gegenden haben wenig oder gar keinen Zugang zu Elektrizität; Gesundheitsleistungen und anderen elementaren Leistungen. Nur in einer Handvoll der 34 Provinzen Afghanistans (wie Balkh, Bamyan, Ghor, Daikundi, Jawzjan und Samangan) stellen die Taliban keine große Bedrohung dar. Die fehlende Mehrheit der Paschtunen erklärt die relative Stabilität dieser Provinzen (LIB S. 69 f).

1.5.1.2. Zur Lage in Mazar-e Sharif:

Die Hauptstadt der Provinz Balkh, Mazar-e Sharif, ist eine Art "Vorzeigeprojekt" Afghanistans für wichtige ausländische Gäste. Balkh ist, in Bezug auf Angriffe der Taliban, zentralasiatischer Aufständischer oder IS-Kämpfer die sicherste Provinz in Nordafghanistan. Grund dafür ist das Machtmonopol, das der tadschikisch-stämmige Gouverneur und ehemalige Warlord Atta Mohammed Noor bis in die abgelegensten Winkel der Provinz ausübt. Nichtsdestotrotz ist die Stabilität stark abhängig von den Beziehungen des Gouverneurs zum ehemaligen Warlord und nunmehrigen ersten Vizepräsidenten Abdul Rashid Dostum. Im Juni 2015 haben sich die beiden Rivalen darauf geeinigt, miteinander zu arbeiten, um die Sicherheit in Nordafghanistan wiederherzustellen. Die Stabilität der Provinz Balkh war ein Hauptfokus der NATO-Kräfte. Im Distrikt Balkh wird die Reduzierung von Rebellenaktivitäten der Leistungsfähigkeit der ANSF und des neuen Distriktpolizeichefs zugeschrieben (LIB S. 65 f).

Bei einem Angriff auf das deutsche Konsulat in Mazar-e Sharif waren am 10.11.2016 sechs Menschen getötet und fast 130 weitere verletzt worden. Nach Polizeiangaben attackierte am späten Abend ein Selbstmordattentäter mit seinem Auto das Gelände des deutschen Generalkonsulats in Mazar-e Sharif. Die Autobombe sei gegen 23:10 Uhr Ortszeit am Tor der diplomatischen Einrichtung explodiert, sagte der Sicherheitschef der Provinz Balkh. Bei den Toten soll es sich um Afghanen handeln. Alle deutschen Mitarbeiter des Generalkonsulats seien bei dem Angriff unversehrt geblieben. Das Gebäude selbst wurde in Teilen zerstört. Der überlebende Attentäter wurde dem Bericht zufolge wenige Stunden später von afghanischen Sicherheitskräften festgenommen (LIB S. 66).

Außerhalb von Mazar-e Sharif, in der Provinz Balkh, existiert ein Flüchtlingscamp - auch für Afghan/innen - die Schutz in der Provinz Balkh suchen. Mehr als 300 Familien haben dieses Camp zu ihrem temporären Heim gemacht (LIB S. 66).

Im Jahr 2013 wurde der internationale Maulana Jalaluddin Balkhi Flughafen in Mazar-e Sharif, der Hauptstadt der Provinz Balkh eröffnet (LIB S. 136).

1.5.1.3. Zur Lage der Hazara in Afghanistan:

Die schiitische Minderheit der Hazara macht etwa 10% der Bevölkerung aus. Sie besiedeln traditionell das Bergland in Zentralafghanistan, das sich zwischen Kabul im Osten und Herat im Westen erstreckt und unter der Bezeichnung Hazaradschat bekannt ist (LIB S. 172).

Für die während der Taliban-Herrschaft besonders verfolgten Hazara hat sich die Lage grundsätzlich gebessert, insbesondere durch Bildung auch ökonomisch und politisch. Viele Hazara schließen Studien ab oder schlagen den Weg in eine Ausbildung in Informationstechnologie, Medizin oder anderen Bereichen ein, die in den unterschiedlichen Sektoren der afghanischen Wirtschaft besonders gut bezahlt werden (LIB S. 173).

In der öffentlichen Verwaltung sind Hazara jedoch nach wie vor unterrepräsentiert. Nicht festgestellt werden kann, ob dies Folge der früheren Marginalisierung oder eine gezielte Benachteiligung neueren Datums ist. Die Hazara sind im nationalen Durchschnitt mit einem Anteil von etwa 10 Prozent in der Afghan National Army und der Afghan National Police repräsentiert (LIB S. 173).

In der Vergangenheit wurden die Hazara von Paschtunen verachtet, weil diese dazu tendierten, Hazara als Hausangestellte oder für andere niedere Arbeiten einzustellen Gesellschaftliche Spannungen bestehen fort und leben lokal in unterschiedlicher Intensität gelegentlich wieder auf. Es kommt zu Diskriminierungen durch Erpressung, illegale Besteuerung, Zwangsrekrutierung und Zwangsarbeit, physische Misshandlung und Verhaftungen (LIB S. 172 f).

Im Jahr 2016 wurden zumindest in fünfzehn Vorfällen 82 Hazara in den Provinzen Uruzgan, Sar-e Pul, Daikundi, Maidan Wardak und Ghor entführt. Ua wurden bei einem großen Protestmarsch der Hazara in Kabul im Juli 2016 durch Selbstmordattentäter des IS mindestens 80 Menschen getötet und 250 verletzt (LIB S. 173).

1.5.1.4. Zur Lage der Schiiten in Afghanistan:

Etwa 10-19% der Bevölkerung Afghanistans sind schiitische Moslems. Auseinandersetzungen zwischen Sunniten und Schiiten sind in Afghanistan selten. Sowohl im Rat der Religionsgelehrten (Ulema), als auch im Hohen Friedensrat sind Schiiten vertreten (LIB S. 163 f).

Afghanischen Schiiten ist es möglich ihre Feste öffentlich zu feiern, manche Paschtunen sind aber über die öffentlichen Feierlichkeiten verbittert, was gelegentlich in Auseinandersetzungen resultiert. Der ISKP, "Islamischer Staat in der Khorasan Provinz", ein afghanischer Zweig des "Islamischen Staates", verübte 2016 zwei Anschläge auf Schiiten in Kabul, bei denen insgesamt 117 Menschen getötet und 320 weitere verletzt worden sind (LIB S. 164).

1.5.1.5. Rückkehr:

Rückkehrer und insbesondere Frauen erhalten regelmäßig Unterstützung durch Mikrofinanzleistungen. Jedoch sind die Zinssätze in der Regel vergleichsweise hoch. Das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (United Nations World Food Programme - WFP) hat in Afghanistan eine neunmonatige Operation eingeleitet, um die wachsenden Zahl der Rückkehrer/innen aus Pakistan und Binnenvertriebe zu unterstützen, indem ihnen Notfallsnahrung und andere Mittel zur Verfügung gestellt werden: Sowohl das WFP als auch andere UN-Organisationen arbeiten eng mit der afghanischen Regierung zusammen, um die Kapazität humanitärer Hilfe zu verstärken, rasch Unterkünfte zur Verfügung zu stellen, Hygiene- und Nahrungsbedürfnisse zu stillen. Die Organisation bietet 163.000 nicht-registrierten Rückkehrer/innen, 200.000 dokumentierten Rückkehrer/innen und 150.000 Binnenvertriebenen, Flüchtlingen Nahrungs- und Finanzhilfe an; auch 35.000 Flüchtlinge in den Provinzen Khost und Paktika wurden unterstützt. Das WAFP hat seine Unterstützungen in Ostafghanistan verstärkt - um Unterernährung zu vermeiden; das WFP unterstützte mehr als 23.000 Kleinkindern aus Rückkehrer-Familien. Ziel des WFP ist es 550.000 Menschen durch Notfallsorganisationen zu helfen (LIB S. 207 f).

Einige Länder arbeiten auch eng mit IOM in Afghanistan im Rahmen des Programms Assisted Voluntary Return zusammen - insbesondere, um die Reintegration zu erleichtern. IOM bietet Beratung und psychologische Betreuung im Aufnahmeland, Unterstützung bei Reiseformalitäten, Ankunft in Kabul und Begleitung der Reintegration einschließlich Unterstützung bei der Suche nach einer Beschäftigung oder Gewährung eines Anstoßkredits an (LIB S. 208).

1.5.1.6. Homosexuelle:

Die afghanische Verfassung kennt kein Verbot der Diskriminierung auf Grund sexueller Identität oder Orientierung. Entsprechende Forderungen im Rahmen des Universal Periodic Review Verfahrens im Januar 2014 in Genf, gleichgeschlechtliche Paare zu schützen und nicht zu diskriminieren, wies die afghanische Vertretung (als eine der wenigen nicht akzeptierten Forderungen) zurück. Bisexuelle und homosexuelle Orientierung sowie transsexuelles Leben werden von der breiten Gesellschaft abgelehnt. Es findet daher ausschließlich im Privaten statt. Laut Art. 247 des afghanischen Strafgesetzbuches werden neben unehelichem Geschlechtsverkehr auch solche Sexualpraktiken, die üblicherweise mit männlicher Homosexualität in Verbindung gebracht werden, mit langjährigen Haftstrafen bis zu 20 Jahren sanktioniert. Neben der sozialen Ächtung von Bisexuellen, Homosexuellen und Transsexuellen verstärken Bestimmungen und Auslegung des islamischen Rechts (der Scharia, die z.T. von noch konservativeren vor-islamischen Stammestraditionen beeinflusst wird) mit Androhungen von Strafen bis hin zur Todesstrafe den Druck auf die Betroffenen. Organisationen, die sich für den Schutz der sexuellen Orientierung einsetzen, arbeiten im Untergrund (LIB S. 191).

Das Gesetz kriminalisiert einvernehmliche gleichgeschlechtliche sexuelle Aktivitäten - berichtet wurde von anhaltender Belästigungen, Gewalt und Inhaftierungen durch die Polizei. NGOs berichten von der Polizei, die schwule Männer verhaftet, ausraubt und vergewaltigt. Es exisitert kein Gesetz, das Diskriminierung und Belästigung aufgrund von sexueller Orientierung oder "gender identity" thematisiert. Mitglieder der LGBT-Gemeinschaft hatten keinen Zugang zu manchen Gesundheitsleistungen und können aufgrund ihrer sexuellen Orientierung von ihren Jobs entlassen werden. Organisationen, die es sich zur Aufgabe gemacht hatten, die Freiheiten von LGBT-Personen zu schützen, blieben im Untergrund, da sie nicht legal registriert werden konnten. Mitglieder der LGBT-Gemeinschaft wurden auch weiterhin diskriminiert, misshandelt, vergewaltigt und verhaftet (LIB S. 191).

Eine systematische Verfolgung durch staatliche Organe ist nicht nachweisbar, was allerdings an der vollkommenen Tabuisierung des Themas liegt. Über die Durchführung von Strafverfahren wegen homosexueller oder transsexueller Handlungen liegen deshalb keine Erkenntnisse vor. Es wird allerdings von gewalttätigen Übergriffen bis hin zu Vergewaltigungen homosexueller Männer durch die afghanische Polizei berichtet. Die Betroffenen haben keinen Zugang zum Gesundheitssystem und müssen bei "Entdeckung" den Verlust ihres Arbeitsplatzes und soziale Ausgrenzung fürchten. Daneben kommt es - v. a. auf Grund der starken Geschlechtertrennung - immer wieder zu freiwilligen oder erzwungenen homosexuellen Handlungen zwischen heterosexuellen Männern (LIB S. 192).

1.5.2. Auszug aus der ACCORD-Anfragebeantwortung a-10159 vom 01.06.2017 zur Lage von Apostaten:

"[...]

1.5.2.1. Vom Islam abgefallene Personen (Apostaten):

Das norwegische Herkunftsländerinformationszentrum Landinfo schreibt in einem Bericht vom September 2013, dass Apostasie (Arabisch: ridda) in der klassischen Scharia als "Weggehen" vom Islam verstanden werde und ein Apostat (Arabisch: murtadd) ein Muslim sei, der den Islam verleugne. Apostasie müsse nicht unbedingt bedeuten, dass sich der Apostat einer neuen Glaubensrichtung anschließe. [...]

Artikel 2 der Verfassung der Islamischen Republik Afghanistan vom Jänner 2004 legt die "heilige Religion des Islam" als Religion Afghanistans fest. Angehörige anderer Glaubensrichtungen steht es frei, innerhalb der Grenzen des Gesetzes ihren Glauben und ihre religiösen Rituale auszuüben. Gemäß Artikel 3 der Verfassung darf kein Gesetz in Widerspruch zu den Lehren und Vorschriften des Islam stehen. Laut Artikel 7 ist Afghanistan indes verpflichtet, die Bestimmungen der Charta der Vereinten Nationen, zwischenstaatlicher Vereinbarungen, internationaler Vertragswerke, deren Vertragsstaat Afghanistan ist, sowie der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte einzuhalten. Artikel 130 der Verfassung schreibt vor, dass die Gerichte bei der Beurteilung von Fällen die Bestimmungen der Verfassung und anderer Gesetze zu berücksichtigen haben. Wenn es jedoch zu einem Fall keine Bestimmungen in der Verfassung oder anderen Gesetzen gibt, so haben die Gerichte entsprechend der (sunnitischen) hanafitischen Rechtssprechungstradition innerhalb der Grenzen der Verfassung auf eine Art und Weise zu entscheiden, welche am besten geeignet ist, Gerechtigkeit zu gewährleisten. [...]

Bezugnehmend auf den soeben zitierten Artikel 130 der afghanischen Verfassung schreibt Landinfo im August 2014, dass dieser Artikel hinsichtlich Apostasie und Blasphemie relevant sei, da Apostasie und Blasphemie weder in der Verfassung noch in anderen Gesetzen behandelt würden. Im afghanischen Strafgesetzbuch existiere keine Definition von Apostasie.

Die US Commission on International Religious Freedom (USCIRF) schreibt, dass das Strafgesetzbuch den Gerichten ermögliche, Fälle, die weder im Strafgesetz noch in der Verfassung explizit erfasst seien, darunter Blasphemie, Apostasie und Konversion, gemäß dem Scharia-Recht der Hanafi-Rechtsschule und den sogenannten "hudud"-Gesetzen, die Vergehen gegen Gott umfassen würden, zu entscheiden. Die Scharia zähle Apostasie zu den sogenannten "hudud"-Vergehen und sehe für Apostasie wie auch für Blasphemie die Todesstrafe vor. [...]

Die Internationale Humanistische und Ethische Union (International Humanist and Ethical Union, IHEU), ein Zusammenschluss von über 100 nichtreligiösen humanistischen und säkularen Organisationen in mehr als 40 Ländern, bemerkt in ihrem im November 2016 veröffentlichten "Freedom of Thought Report 2016", dass sich die Gerichte bei ihren Entscheidungen weiterhin auf Auslegungen des islamischen Rechts nach der Hanafi-Rechtslehre stützen würden. Das Office of Fatwa and Accounts innerhalb des Obersten Gerichtshofs Afghanistans würde die Hanafi-Rechtsprechung auslegen, wenn ein Richter Hilfe dabei benötige, zu verstehen, wie die Rechtsprechung umzusetzen sei. [...]

Thomas Ruttig, Ko-Direktor des Afghanistan Analysts Network (AAN), einer unabhängigen, gemeinnützige Forschungsorganisation mit Hauptsitz in Kabul, die Analysen zu politischen Themen in Afghanistan und der umliegenden Region erstellt, bemerkte in einem Expertengespräch vom Mai 2016 (veröffentlicht im Juni 2016) Folgendes bezüglich der Rechtspraxis:

"Zwar gibt es drei parallele Rechtssysteme (staatliches Recht, traditionelles Recht und islamisches Recht/Scharia), doch letztendlich ziehen sich viele Richter, wenn die Lage irgendwie politisch heikel wird, auf das zurück, was sie selber als Scharia ansehen, statt sich etwa auf die Verfassung zu berufen. Die Scharia ist nicht gänzlich kodifiziert, obwohl verschiedenste Rechtskommentare etc. existieren, und zudem gibt es zahlreiche Widersprüche in den Lehrmeinungen." [...]

Das UNO-Flüchtlingshochkommissariat (UN High Commissioner for Refugees, UNHCR) geht in seinen im April 2016 veröffentlichten Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender wie folgt auf die strafrechtlichen Konsequenzen von Apostasie bzw. Konversion vom Islam ein:

"Eine Konversion vom Islam wird als Apostasie betrachtet und gemäß den Auslegungen des islamischen Rechts durch die Gerichte mit dem Tod bestraft. Zwar wird Apostasie im afghanischen Strafgesetzbuch nicht ausdrücklich als Straftat definiert, fällt jedoch nach allgemeiner afghanischer Rechtsauffassung unter die nicht weiter definierten "ungeheuerlichen Straftaten", die laut Strafgesetzbuch nach der islamischen Hanafi- Rechtslehre bestraft werden und in den Zuständigkeitsbereich der Generalstaatsanwaltschaft fallen. Damit wird Apostasie als Straftat behandelt, obwohl nach der afghanischen Verfassung keine Handlung als Straftat eingestuft werden darf, sofern sie nicht als solche gesetzlich definiert ist." [...]

Dem USDOS zufolge seien aus dem Berichtsjahr 2015 keine Fälle von tätlichen Übergriffen, Inhaftierungen, Festnahmen oder Strafverfolgung wegen Apostasie bekannt. UNHCR schreibt in seinen Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender Folgendes über zivilrechtliche und gesellschaftliche Folgen einer (vermeintlichen) Apostasie bzw. Konversion:

"Geistig zurechnungsfähige männliche Bürger über 18 Jahren und weibliche Bürger über 16 Jahren, die vom Islam konvertieren und ihre Konversion nicht innerhalb von drei Tagen widerrufen, riskieren die Annullierung ihrer Ehe und eine Enteignung ihres gesamten Grundes und sonstigen Eigentums. Außerdem können sie von ihren Familien und Gemeinschaften zurückgewiesen werden und ihre Arbeit verlieren. Berichten zufolge herrscht in der öffentlichen Meinung eine feindliche Einstellung gegenüber missionarisch tätigen Personen und Einrichtungen. Rechtsanwälte, die Angeklagte vertreten, denen Apostasie zur Last gelegt wird, können Berichten zufolge selbst der Apostasie bezichtigt und mit dem Tod bedroht werden. [...] Darüber hinaus besteht für Personen, denen Verstöße gegen die Scharia wie Apostasie, Blasphemie, einvernehmliche gleichgeschlechtliche Beziehungen oder Ehebruch (zina) vorgeworfen werden, nicht nur die Gefahr der strafrechtlichen Verfolgung, sondern auch der gesellschaftlichen Ächtung und Gewalt durch Familienangehörige, andere Mitglieder ihrer Gemeinschaften, die Taliban und andere regierungsfeindliche Kräfte (AGEs)."

Landinfo schreibt in einem Bericht vom September 2013, dass die Situation von Apostaten, die hin zu einer anderen Religion konvertieren, eine andere sei als jene von Atheisten oder säkular eingestellten Personen. Mit dem Negieren bzw. Bezweifeln der Existenz Gottes würden keine Erwartungen an ein bestimmtes Verhalten im Alltag einhergehen. Eine Konversion zu einer Religion hingegen sei mit Verhaltensvorschriften, kirchlichen Traditionen und Ritualen zu verbinden, die schwieriger zu verbergen seien. [...]

Weiters bemerkt BBC News, dass für gebürtige Muslime ein Leben in der afghanischen Gesellschaft eventuell möglich sei, ohne dass sie den Islam praktizieren würden oder sogar dann, wenn sie "Apostaten" bzw. "Konvertiten" würden. Solche Personen seien in Sicherheit, solange sie darüber Stillschweigen bewahren würden. Gefährlich werde es dann, wenn öffentlich bekannt werde, dass ein Muslim aufgehört habe, an die Prinzipien des Islam zu glauben. Es gebe kein Mitleid mit Muslimen, die "Verrat an ihrem Glauben" geübt hätten, indem sie zu einer anderen Religion konvertiert seien oder aufgehört hätten, an den einen Gott und an den Propheten Mohammed zu glauben. In den meisten Fällen werde ein Apostat von seiner Familie verstoßen. [...]

1.5.2.2. Christliche KonvertitInnen:

Thomas Ruttig vom Afghanistan Analysts Network (AAN) bemerkte in einem Expertengespräch vom Mai 2016 (veröffentlicht im Juni 2016), dass Christen als religiöse Gruppe in der afghanischen Verfassung "(wohl bewusst) nicht genannt" würden, während Sikhs und Hindus in der Verfassung genannt würden und die gleichen Rechte hinsichtlich der Religionsausübung zuerkannt bekämen wie Muslime schiitischer Konfession. Da es jedoch niemanden gebe, der in der Lage sei, die Verfassung umzusetzen, könne "die Verfassung einen Christen wohl auch dann nicht schützen, wenn die Verfassung die Religionsausübung von Christen garantieren würde und sich ein Christ auf die Verfassung berufen könnte".

UNHCR bemerkt in seinen im April 2016 veröffentlichten Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, dass nichtmuslimische religiöse Minderheiten, darunter Christen, "weiterhin im geltenden Recht diskriminiert" würden. Die sunnitische Hanafi-Rechtssprechung gelte für "alle afghanischen Bürger, unabhängig von ihrer Religion". Die "einzige Ausnahme" würden "Personenstandsachen [bilden], bei denen alle Parteien Schiiten sind", in diesem Fall würde "das schiitische Recht für Personenstandsachen angewendet". Für andere religiöse Gruppen gebe es "kein eigenes Recht". Wie UNHCR weiter ausführt, würden unabhängig davon "nicht-muslimische Minderheiten Berichten zufolge weiterhin gesellschaftliche Schikanierung und in manchen Fällen Gewalt" erfahren. So würden Mitglieder religiöser Minderheiten wie etwa der Christen "aus Angst vor Diskriminierung, Misshandlung, willkürlicher Verhaftung oder Tötung" es vermeiden, "sich öffentlich zu ihrer Religion zu bekennen oder sich offen zum Gebet zu versammeln". [...]

Landinfo schreibt in einem Bericht vom September 2013, dass sich die religiösen, kulturellen und gesellschaftlichen Beschränkungen, denen Christen in Afghanistan unterworfen seien, nicht anders gestalten würden als für andere Gruppen mit Meinungen, Weltansichten, politischen Überzeugungen und Glaubensvorstellungen, die als Abfall vom Islam wahrgenommen werden könnten. Ebenso wie Personen mit säkularen Ansichten, Atheisten und nichtgläubige Afghanen müssten auch Christen ständige Selbstzensur üben und könnten sich wegen drohender Angriffe nicht zu ihrem Verhältnis zum bzw. ihrer Sicht auf den Islam äußern. Angehörige solcher Gruppen seien gezwungen, sich konform mit dem Islam, d.h. so zu verhalten, als wären sie Muslime. Nach außen hin müssten alle Afghanen die religiösen Erwartungen ihrer lokalen Gemeinschaft hinsichtlich religiösen Verhaltensweisen, Gebeten etc. erfüllen. Laut Angaben unter anderem der norwegischen Kulturberatungsfirma Hansen Cultural Coaching (HCC) gebe es viele Afghanen (nicht nur christliche Konvertiten), die lokale religiöse Sitten befolgen und an religiösen Ritualen teilnehmen, ohne dass diese Handlungen ihre tatsächlichen inneren Glaubensvorstellungen und Überzeugungen widerspiegeln würden. [...]

1.5.2.3. Personen, die Kritik am Islam äußern:

UNHCR geht in seinen Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender wie folgt auf die Rechtlage in Bezug auf Blasphemie ein:

"Das afghanische Gesetzesrecht enthält keine Bestimmungen zu Blasphemie und demzufolge behandeln die afghanischen Gerichte Blasphemie nach islamischem Recht. Gemäß der Auslegungen des islamischen Rechts durch die Gerichte stellt Blasphemie ein Kapitalverbrechen dar. Geistig zurechnungsfähige Männer über 18 Jahren und Frauen über 16 Jahren, die der Blasphemie bezichtigt werden, kann daher die Todesstrafe drohen. Wie auch bei Apostasie haben die Beschuldigten drei Tage Zeit, um ihre Handlungen zu widerrufen." [...]

Laut USDOS seien aus dem Berichtsjahr 2015 keine Fälle von tätlichen Übergriffen, Inhaftierungen, Festnahmen oder Strafverfolgung wegen Blasphemie bekannt, allerdings gebe es eine im Jahr 2013 wegen Blasphemie verurteilte Person, die nach wie vor eine 20-jährige Gefängnisstrafe verbüße. Obwohl es im Berichtsjahr keine Berichte über Strafverfolgungen aufgrund von Blasphemie oder Apostasie gegeben habe, hätten Personen, die vom Islam konvertiert seien, angegeben, sie hätten Angst vor möglichen Konsequenzen ihres Glaubensübertritts. [...]

1.5.2.4. Personen, die sich nicht an die Regeln des Islam halten:

Thomas Ruttig vom Afghanistan Analysts Network (AAN) erläuterte in einem Expertengespräch vom Mai 2016 (veröffentlicht im Juni 2016):

"Obwohl es sicher einzelne Personen gibt, die zum Atheismus tendieren, besucht selbst der stärkste Säkularist trotz allem hin und wieder die Moschee und nimmt an bestimmten Handlungen nach altem islamischen Brauch teil. So sind Dinge, von denen man gemeinhin annimmt, dass man sie nur tun könne, wenn man vom Islam abfällt (wie z. B. Bier trinken) weiter verbreitet, als man denkt: Man kann Bier trinken und dennoch Moslem sein. Aber Atheismus als Bewegung gibt es in Afghanistan eher nicht. [...] Einfach schon zur Tarnung nimmt man weiter an traditionellen religiösen Handlungen teil. Ein Glaubensübertritt lässt sich recht gut verheimlichen, da es ohnehin viele Muslime gibt, die nicht regelmäßig die Moschee besuchen. D.h. wenn jemand nicht in die Moschee geht, kommt er nicht automatisch dadurch in den Verdacht, etwa zum Christentum übergetreten zu sein. Und zu besonderen Anlässen wie Begräbnissen und Hochzeiten geht ohnehin jeder in die Moschee. Derlei Dinge haben dann nicht mehr unbedingt religiösen Charakter. Dies macht es leichter, einen Übertritt geheim zu halten. Doch wenn ein Glaubensübertritt bekannt wird, habe ich keinen Fall gesehen, bei dem dieser toleriert wurde. Die größten Probleme, die auftreten, sind dann häufig solche mit der Familie bzw. Personen in der Nachbarschaft." [...]

Wie Landinfo in einer Anfragebeantwortung vom August 2014 bemerkt, werde eine Person nicht notwendigerweise als nichtgläubig angesehen, wenn sie nicht an religiösen Handlungen im öffentlichen Raum teilnehme. Auch für strenggläubige Muslime könne es legitime Gründe geben, religiösen Zeremonien fernzubleiben. Ein Vertreter einer örtlichen Menschenrechtsorganisation habe erklärt, dass es Personen im städtischen Raum möglich sei, auf Moscheebesuche oder das Fasten während des Ramadan zu verzichten. Es gebe geografisch bedingte Unterschiede, und solche abweichenden Verhaltensweisen würden im städtischen Raum und in gebildeten Milieus eher toleriert als im ländlichen Raum.

Derselben Quelle zufolge könne es auch Unterschiede je nach ethnischer und religiöser Gruppe geben. So hätten Schiiten mehr Freiheit zu entscheiden, zu welchem Mullah sie gehen möchten und damit auch in Bezug auf die Frage, ob sie in die Moschee gehen wollen und gegebenenfalls in welche Moschee. Bei Sunniten werde in stärkerem Ausmaß erwartet, dass sie zumindest eines der fünf Gebete am Tag in einer Moschee verrichten. Nach Angaben der Quelle sei es zudem in der paschtunischen Kultur üblich, seiner religiösen Zugehörigkeit durch kulturelle Praktiken (Handlungen im Alltag) Ausdruck zu verleihen. Folglich sei es schwieriger, abweichende Haltungen zu verschleiern, und es bestehe eine geringere Toleranz für divergierende Handlungen. Andere Quellen hätten bestätigt, dass es Raum dafür gebe, auf Befolgung religiöser Rituale und Vorschriften zu verzichten, ohne dass dies notwendigerweise Aufmerksamkeit errege. In Gemeinden, wo Abweichungen von religiösen Ritualen und Vorschriften keine Akzeptanz fänden, würden Personen mit abweichenden religiösen Ansichten die Rituale befolgen, um keinen Verdacht zu erregen: [...]

1.5.2.5. Rückkehrer aus Europa:

In einem im Mai 2016 abgehaltenen und im Juni 2016 veröffentlichten Expertengespräch ging Thomas Ruttig vom Afghanistan Analysts Network (AAN) wie folgt auf die Lage von Rückkehrenden aus dem westlichen Ausland ein:

"Ein Aufenthalt im westlichen Ausland wirkt in den Augen vieler Leute kontaminierend und zudem ist Afghanistan im Laufe der Konflikte konservativer, orthodoxer und fundamentalistischer geworden. Da Intervention, Modernisierung und Finanzhilfen durch das Ausland keine Verbesserung der Lage bewirkt haben, ist auch das Misstrauen gegenüber dem Ausland insgesamt gewachsen. Die Leute bekommen ja inzwischen auch viel über soziale Netzwerke, Fernsehen oder Radio mit. So habe ich Leute in Afghanistan getroffen, die mich etwa gefragt haben: Stimmt es, dass da Muslime zum Christentum übertreten?

Wenn dann jemand aus dem Westen zurückkommt, wird die Person genauer unter die Lupe genommen und das kann dann schon dazu führen, dass Verdachtsmomente auftauchen. Aber ich denke, dass die Auslöser für Anschuldigungen wahrscheinlich doch etwas konkreter sind, d.h. die betreffende Person verplappert sich bzw. sagt einmal etwas Falsches in Diskussionen (die durchaus hitzig geführt werden), oder es wird eine entsprechende religiöse Handlung beobachtet, zumal sich die Christen auch (in kleineren Gruppen) in bestimmten Räumen treffen, um ihre Gottesdienste abzuhalten bzw. zu beten.

Es kann sein, dass diese überwacht werden und auch der Geheimdienst (der ja auch nicht völlig unpolitisch ist) Derartiges mitbekommt. Dies wären in etwa Anlässe, bei denen dann jemand wegen Glaubensübertritts in Verdacht geraten könnte. [...]"

1.5.3. Auszug aus der ACCORD-Anfragebeantwortung a-9737-V2 vom 02.09.2016 zur Lage der Hazara in Afghanistan:

"[...]

Die Unterstützungsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UN Assistance Mission in Afghanistan, UNAMA) bemerkt in ihrem im Februar 2016 erschienenen Jahresbericht zum Jahr 2015, dass sie während des Jahres 2015 einen starken Anstieg bei Entführungen und Tötungen von Hazara-ZivilistInnen durch regierungsfeindliche Kräfte verzeichnet habe. So hätten regierungsfeindliche Kräfte zwischen 1. Jänner und 31. Dezember 2015 mindestens 146 Mitglieder der Hazara-Gemeinde bei insgesamt 20 verschiedenen Vorfällen getötet. Mit Ausnahme eines einzigen Vorfalls hätten sich alle in ethnisch gemischten Gebieten ereignet, die sowohl von Hazara als auch von Nicht-Hazara-Gemeinden besiedelt seien, und zwar in den Provinzen Ghazni, Balch, Sari Pul, Faryab, Uruzgan, Baghlan, Wardak, Jowzjan und Ghor. UNAMA habe die Freilassung von 118 der 146 entführten Hazara bestätigen können.

13 entführte Hazara seien von regierungsfeindlichen Kräften getötet worden, während zwei weitere in Geiselhaft verstorben seien. UNAMA habe den Verbleib der übrigen Geiseln nicht eruieren können. Die Motive für die Entführungen seien unter anderem Lösegelderpressung, Gefangenenaustausche, Verdacht der Mitgliedschaft bei den Afghanischen Nationalen Sicherheitskräften (ANSF) und Nichtbezahlung illegaler Steuern gewesen. In manchen Fällen seien die zugrundeliegenden Motive unbekannt gewesen. [...]

In einem Statement vom Juni 2016 äußert sich die Unterstützungsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UN Assistance Mission in Afghanistan, UNAMA) besorgt über den Anstieg von Entführungen, Geiselnahmen sowie summarischen Hinrichtungen und berichtet von einer bewaffneten Entführung von 25 ZivilistInnen, bei denen es sich Berichten zufolge allesamt um Hazara gehandelt habe. Die Entführten seien in zwei Fahrzeugen im Bezirk Balkh Ab, der nördlichen Provinz Saripul (Sar-e-Pul), unterwegs gewesen. Während vier Frauen und ein älterer Herr wieder freigelassen worden seien, sei der Verbleib der 20 anderen nicht bekannt. [...]

Grundsätzlich seien homogene Gebiete, in denen hauptsächlich Hazara wohnen würden, sicher, die Provinzen Bamiyan und Daikondi seien Großteils sicher. Es gebe instabile Gebiete im nördlichen Teil Bamiyans, der an Regionen grenze, in denen es Aktivitäten aufständischer Kämpfer gebe. Die Provinz Daikondi sei auch zu großen Teilen sicher, mit Ausnahme der Gebiete, die an die Provinz Urusgan grenzen würden, wo es Aktivitäten aufständischer Kämpfer gebe. Nötige Reisen aus diesen sicheren Gebieten und Provinzen nach Kabul oder Kandahar seien aber extrem heimtückisch. [...]"

1.5.4. Auszug aus den UNHCR-Richtlinien betreffend die Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19.04.2016:

"[...] Bei der Prüfung der Relevanz einer internen Schutzalternative für afghanische Antragsteller müssen die folgenden Aspekte erwogen werden:

(i) Der instabile, wenig vorhersehbare Charakter des bewaffneten Konflikts in Afghanistan hinsichtlich der Schwierigkeit, potenzielle Neuansiedlungsgebiete zu identifizieren, die dauerhaft sicher sind, und

(ii) die konkreten Aussichten auf einen sicheren Zugang zum vorgeschlagenen Neuansiedlungsgebiet unter Berücksichtigung von Risiken im Zusammenhang mit dem landesweit verbreiteten Einsatz von improvisierten Sprengkörpern und Landminen, Angriffen und Kämpfen auf Straßen und von regierungsfeindlichen Kräften auferlegte Einschränkungen der Bewegungsfreiheit von Zivilisten.

[...] Im Lichte der verfügbaren Informationen über schwerwiegende und weit verbreitete Menschenrechtsverletzungen durch regierungsfeindliche Kräfte [...] in von ihnen kontrollierten Gebieten sowie der Unfähigkeit des Staates, für Schutz gegen derartige Verletzungen in diesen Gebieten zu sorgen, ist nach Ansicht von UNHCR eine interne Schutzalternative in Gebieten des Landes, die sich unter tatsächlicher Kontrolle regierungsfeindlicher Kräfte [...] befinden, nicht gegeben; es sei denn in Ausnahmefällen, in denen Antragsteller über zuvor hergestellte Verbindungen zur Führung der regierungsfeindlichen Kräfte [...] im vorgeschlagenen Neuansiedlungsgebiet verfügen. UNHCR geht davon aus, dass eine interne Schutzalternative in den vom aktiven Konflikt betroffenen Gebieten unabhängig davon, von wem die Verfolgung ausgeht, nicht gegeben ist.

[...]

Ob eine interne Schutzalternative zumutbar ist, muss anhand einer Einzelfallprüfung unter vollständiger Berücksichtigung der Sicherheits-, Menschenrechts- und humanitären Lage im voraussichtlichen Neuansiedlungsgebiet zum Zeitpunkt der Entscheidung festgestellt werden. Insbesondere stellen die schlechten Lebensbedingungen sowie die prekäre Menschenrechtssituation von Afghanen, die derzeit innerhalb des Landes vertrieben wurden, relevante Erwägungen dar, die bei der Prüfung der Zumutbarkeit einer vorgeschlagenen internen Schutzalternative berücksichtigt werden müssen. UNHCR ist der Auffassung, dass eine vorgeschlagene interne Schutzalternative nur dann zumutbar ist, wenn der Zugang zu (i) Unterkunft, (ii) grundlegender Versorgung wie sanitärer Infrastruktur, Gesundheitsdiensten und Bildung und zu (iii) Erwerbsmöglichkeiten gegeben ist. Ferner ist UNHCR der Auffassung, dass eine interne Schutzalternative nur dann zumutbar sein kann, wenn betroffene Personen Zugang zu einem traditionellen Unterstützungsnetzwerk durch Mitglieder ihrer (erweiterten) Familie oder durch Mitglieder ihrer größeren ethnischen Gruppe im vorgeschlagenen Neuansiedlungsgebiet haben

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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