TE Vwgh Erkenntnis 1999/10/20 97/08/0485

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Veröffentlicht am 20.10.1999
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Index

62 Arbeitsmarktverwaltung;
66/02 Andere Sozialversicherungsgesetze;

Norm

AlVG 1977 §12;
AlVG 1977 §38;
AlVG 1977 §7 Abs3 Z1;
AlVG 1977 §9;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Knell und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Sulyok, Dr. Nowakowski und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hackl, über die Beschwerde der S in S, vertreten durch Dr. Erich Moser, Rechtsanwalt in 8850 Murau, Schwarzenbergsiedlung 114, gegen den aufgrund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Steiermark vom 9. Juli 1997, Zl. LGS600/LA2/1218/1997-Dr.J/Fe, betreffend Notstandshilfe, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Arbeit, Gesundheit und Soziales) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit der Beschwerdeführerin, der ab 5. Februar 1997 Notstandshilfe gewährt wurde, wurde am 14. Mai 1997 bei der regionalen Geschäftsstelle des AMS eine Niederschrift folgenden Inhaltes aufgenommen:

"... Gegenstand der Verhandlung: Verfügbarkeit Ich bin bereit eine zumutbare Stelle anzunehmen. In der Früh

würde ich ab 7.30 - 8.00 Uhr zur Verfügung stehen. Die Nachmittagsbetreuung würde ich einer möglichen AA regeln, die Tagesmutter in Schöder ist derzeit ausgebucht und ich würde sowieso die Betreuung lieber nach dem Arbeitsort ausrichten. Sonst mache ich keine Angaben. Über Zumutbarkeitsbestimmung und Anspruchsvoraussetzungen wurde ich informiert."

Mit Bescheid der regionalen Geschäftsstelle des AMS vom 26. Mai 1997 wurde daraufhin gemäß § 33 Abs. 2 lit. b i.V.m. § 38, § 24 Abs. 1, § 7 Abs. 1 bis 3 und § 9 Abs. 1 AlVG die Notstandshilfe ab 14. Mai 1997 eingestellt, weil die Beschwerdeführerin der Arbeitsvermittlung nicht im erforderlichen Ausmaß zur Verfügung stehe. In der Begründung dieses Bescheides wurde nach auszugsweiser Zitierung der angegebenen Gesetzesstellen ausgeführt, die Beschwerdeführerin habe in der am 14. Mai 1997 aufgenommenen Niederschrift angegeben, dass sie derzeit die Kinderbetreuung nicht geklärt habe. Auch wäre sie nicht bereit, eine Stelle im Gastgewerbe anzunehmen, sondern nur eine Bürotätigkeit.

Die Beschwerdeführerin stehe der Arbeitsvermittlung nicht im erforderlichen Ausmaß zur Verfügung und sei daher die Notstandshilfe ab 14. Mai 1997 einzustellen gewesen.

Die Beschwerdeführerin erhob Berufung. Sie führte aus, ihre Aussagen vom 14. Mai 1997 seien entweder missverstanden oder verdreht worden. Sie habe nicht angegeben, dass die Kinderbetreuung noch nicht geklärt sei, sondern dass sich die Kinderbetreuung nach dem Ort der Arbeit richten werde. Auf keinen Fall habe sie die Aussage gemacht, dass sie nicht im Gastgewerbe arbeiten werde und nur eine Bürotätigkeit annehmen wolle.

Falls die angegebene Uhrzeit 7.30 bis 8.00 Uhr als möglicher Arbeitsbeginn in der Früh ein Grund der Ablehnung sein solle, habe sie dazu gesagt, "ca. 7.30 bis 8.00 Uhr" wäre für sie von Vorteil.

Mit dem nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung keine Folge. In der Begründung führte die belangte Behörde nach auszugsweiser Wiedergabe der anzuwendenden gesetzlichen Bestimmungen und einer Darstellung des Verwaltungsgeschehens aus, einziger aktenkundiger Dienstgeber der Beschwerdeführerin sei ihr Vater, bei dem sie als Büroangestellte tätig gewesen sei. Einer die Arbeitslosigkeit ausschließenden Beschäftigung sei sie zuletzt 1993 nachgegangen, ab 1. Juli 1996 sei sie geringfügig entlohnt beschäftigt gewesen. Diese Beschäftigung habe sie mit 31. Jänner 1997 beendet.

Am 5. April 1997 sei der Beschwerdeführerin ein Beschäftigungsangebot unterbreitet worden und habe sie sich noch am 22. April 1997 nicht vorgestellt gehabt, dann aber doch.

Am 6. Mai 1997 sei ihr ein Beschäftigungsangebot (in einem Gastbetrieb) unterbreitet worden und sei sie nicht eingestellt worden. Sie habe nach Angaben des vorgesehenen Dienstgebers im Zuge der Vorstellung erklärt, nicht im Gastgewerbe arbeiten zu wollen und außerdem Betreuungspflichten für vier Kinder zu haben.

Nach der niederschriftlich festgehaltenen Erklärung vom 14. Mai 1997 würde die Beschwerdeführerin für eine Beschäftigung ab

7.30 bis 8.00 Uhr zur Verfügung stehen. Die Nachmittagsbetreuung würde sie nach einer möglichen Arbeitsaufnahme regeln und sowieso die Betreuung lieber nach dem Arbeitsort ausrichten. Die Aufnahme der Niederschrift sei vormittags im Beisein der Kinder der Beschwerdeführerin erfolgt.

Im Rahmen der rechtlichen Beurteilung führte die belangte Behörde aus, Anspruch auch auf Notstandshilfe habe die Person, die der Arbeitsvermittlung zur Verfügung stehe. Der Arbeitsvermittlung stehe zur Verfügung, wer unter anderem eine Beschäftigung aufnehmen könne und dürfe und arbeitswillig sei. Eine Beschäftigung aufnehmen könne, wer sich zur Aufnahme und Ausübung einer auf dem Arbeitsmarkt üblicherweise angebotenen, den gesetzlichen und kollektivvertraglichen Vorschriften entsprechenden, zumutbaren versicherungspflichtigen Beschäftigung, worunter im Wesentlichen eine (Tages-)Beschäftigung im Ausmaß von 35 bis 40 Wochenstunden verstanden werde, bereithalte.

Als arbeitswillig sei insbesondere anzusehen, wer bereit sei, eine durch das Arbeitsmarktservice vermittelte zumutbare Beschäftigung anzunehmen.

Wenn die Beschwerdeführerin angegeben habe, dass sie die Kinderbetreuung nach dem Ort der Arbeit ausrichten werde, dann sei, falls sie eine andere Beschäftigung als eine im elterlichen Betrieb aufnehmen werde, der Arbeitsort noch nicht bekannt. Dies bedeute, dass die Kinderbetreuung noch nicht geklärt sei.

Dass die Beschwerdeführerin im Gastgewerbe nicht arbeiten wolle, habe sie (möglicherweise) nicht im Zuge der Niederschriftaufnahme, aber nach der Angabe des vorgesehenen Dienstgebers im Zuge der Vorstellung erklärt.

Es sei nicht allein ausschlaggebend, wenn die Beschwerdeführerin angebe, dass als möglicher Arbeitsbeginn 7.30 bis 8.00 Uhr von Vorteil wäre; es sei ihr am 5. April 1997 ein Beschäftigungsangebot unterbreitet worden und habe sie sich bis 22. April 1997 noch nicht vorgestellt gehabt. Dann habe sie sich aber doch vorgestellt, diese Vorgangsweise bestätige nicht direkt die Ausführungen in der Berufung, wonach die Beschwerdeführerin die zugeteilte offene Stelle sehr gerne gehabt hätte.

Daraus, dass die Beschwerdeführerin zwei ihrer Kinder am Vormittag zur Niederschriftsaufnahme mitgebracht habe (14. Mai 1997, Mittwoch) könnte sich auch die Frage der Unterbringung am Vormittag stellen und damit die Frage danach, ob der Arbeitsbeginn 7.30 bis 8.00 Uhr möglich sei.

In der Gesamtschau der festzustellen gewesenen Einzelheiten müsse davon ausgegangen werden, dass die Beschwerdeführerin derzeit eine Beschäftigung im zuvor beschriebenen Sinne unter anderem wegen ihrer Betreuungspflichten nicht aufnehmen könne.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, ihn kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die Beschwerdeführerin führt unter dem Gesichtspunkt einer Rechtswidrigkeit des Inhaltes aus, sie stehe der Arbeitsvermittlung jedenfalls zur Verfügung und könne auch eine Beschäftigung aufnehmen. Der Inhalt der Niederschrift vom 14. Mai 1997 vermöge an dieser Einschätzung nichts zu ändern. Sie habe erklärt, dass sie für eine Beschäftigung ab 7.30 Uhr bis 8.00 Uhr zur Verfügung stehen würde. Auf der Basis dieser Feststellung könne nicht gesagt werden, dass sie eine Beschäftigung nicht aufnehmen könne und nicht "arbeitsfähig" sei.

Diesen Ausführungen kommt im Ergebnis Berechtigung zu:

Nach § 7 Abs. 3 Z. 1 AlVG, i.d.F. BGBl. Nr. 201/1996, kann eine Beschäftigung aufnehmen, wer sich zur Aufnahme und Ausübung einer auf dem Arbeitsmarkt üblicherweise angebotenen, den gesetzlichen und kollektivvertraglichen Vorschriften entsprechenden zumutbaren versicherungspflichtigen Beschäftigung bereithält. Wie der Verwaltungsgerichtshof in den Erkenntnissen vom 22. Dezember 1998, Zl. 97/08/0106, vom 16. Februar 1999, Zl. 98/08/0057 und Zl. 97/08/0584, sowie vom 13. April 1999, Zl. 99/08/0005, auf die gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, näher dargestellt und begründet hat, erfordert die Verfügbarkeit des Arbeitslosen im Sinne des § 7 Abs. 3 Z. 1 AlVG nicht dessen Vermittelbarkeit für eine "Vollbeschäftigung". Die Bereitschaft des Arbeitslosen, nicht nur eine die Arbeitslosigkeit ausschließende Beschäftigung, sondern im Falle einer entsprechenden Vermittlung auch eine "Vollbeschäftigung" anzunehmen, ist erst im Zusammenhang mit der Voraussetzung der Arbeitswilligkeit im Sinne des § 9 AlVG, nicht aber schon bei der Prüfung der Verfügbarkeit im Sinne des § 7 Abs. 3 Z. 1 AlVG zu beurteilen. Im Zusammenhang mit der Verfügbarkeit in diesem Sinne kommt es auf das Ausmaß der Tätigkeit während des Zeitraumes, für den die Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung beansprucht werden, an. Die mangelnde Verfügbarkeit knüpft an Umstände an, bei deren Vorliegen die unwiderlegliche Vermutung des Gesetzes gerechtfertigt ist, dass die betreffende Person während dieser Zeit nicht an einer neuen Beschäftigung im Sinne des § 12 Abs. 1 AlVG, sondern an anderen Zielen interessiert ist.

Die belangte Behörde hat im angefochtenen Bescheid im Rahmen der auszugsweisen Wiedergabe der gesetzlichen Bestimmungen zwar § 9 Abs. 1 AlVG zitiert, ist aber nicht davon ausgegangen, dass Arbeitswilligkeit im Sinne des § 9 Abs. 1 erster Gedankenstrich AlVG nicht vorliege. Die belangte Behörde ist nicht von einer Arbeitsunwilligkeit in Bezug auf die bereits zugewiesenen Beschäftigungen ausgegangen, sondern hat das in der Vergangenheit gelegene Verhalten der Beschwerdeführerin im Zusammenhang mit den beiden Vermittlungsversuchen lediglich als Indiz für ihre mangelnde Verfügbarkeit gewertet. Demzufolge wurde die Einstellung der Notstandshilfe nicht wegen Arbeitsunwilligkeit, sondern wegen mangelnder Verfügbarkeit vorgenommen.

Vor dem diesbezüglich dargestellten rechtlichen Hintergrund ist zunächst schon die Rechtsauffassung der belangten Behörde, dass die Beschwerdeführerin für eine "Vollbeschäftigung" zur Verfügung stehen müsse, um verfügbar im Sinne des § 7 Abs. 3 Z. 1 AlVG zu sein, rechtsirrig.

Es kann aber auch die von der belangten Behörde aus den getroffenen Tatsachenfeststellungen gezogene Schlussfolgerung, die Beschwerdeführerin stehe einer Arbeitsvermittlung schlechthin nicht zur Verfügung, nicht geteilt werden.

Dass der von der Beschwerdeführerin gewünschte Beginn der täglichen Arbeitszeit mit 7.30 oder 8.00 Uhr unüblich und daher bereits das Bereithalten für eine Arbeitsvermittlung nicht gegeben sei, kann angesichts der tatsächlichen Verhältnisse am Arbeitsmarkt nicht gesagt werden. Der gewünschte Arbeitsbeginn durch die Beschwerdeführerin kann daher nicht für eine mangelnde Verfügbarkeit ins Treffen geführt werden. Die belangte Behörde ist darüber hinaus davon ausgegangen, dass die Beschwerdeführerin wegen ihrer Betreuungspflichten hinsichtlich ihrer Kinder keine Beschäftigung aufnehmen könne. Der von der belangten Behörde zur Rechtfertigung der Einstellung der Notstandshilfe unter anderem herangezogene Umstand, dass die Beschwerdeführerin "zwei ihrer Kinder am Vormittag zur Niederschriftsaufnahme mitgebracht" habe, lässt sich der Annahme, sie sei an der Aufnahme einer Beschäftigung gehindert, aber nicht ohne Verstoß gegen Denkgesetze zugrundelegen. Nichts anderes gilt auch für die eingangs wiedergegebenen Angaben der Beschwerdeführerin über ihre Pläne zur Kinderbetreuung im Falle einer Arbeitsaufnahme.

Da die belangte Behörde die Rechtslage insgesamt verkannt hat, hat sie den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet; dieser war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i.V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 20. Oktober 1999

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1999:1997080485.X00

Im RIS seit

18.10.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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