TE Vwgh Erkenntnis 1999/4/13 99/08/0005

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Veröffentlicht am 13.04.1999
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Index

62 Arbeitsmarktverwaltung;
66/02 Andere Sozialversicherungsgesetze;

Norm

AlVG 1977 §10 Abs1;
AlVG 1977 §12;
AlVG 1977 §7 Abs3 Z1;
AlVG 1977 §9;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Knell in die Hofräte Dr. Müller, Dr. Sulyok, Dr. Nowakowski und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hackl, über die Beschwerde des F in E, vertreten durch Dr. Leonhard Ogris, Rechtsanwalt in Deutschlandsberg, Grazer Straße 21, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Steiermark vom 27. November 1998, Zl. LGS600/RALV/1218/1998-Mag. Ed/S, betreffend Einstellung der Notstandshilfe mangels Verfügbarkeit, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Arbeit, Gesundheit und Soziales) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 15.030,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit einem Bescheid der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Deutschlandsberg vom 21. Juli 1998 wurde ausgesprochen, der im Bezug der Notstandshilfe stehende Beschwerdeführer habe den Anspruch auf diese Leistung gemäß § 38 i. V.m. § 10 AlVG für die Zeit vom 20. Juli 1998 bis zum 30. August 1998 verloren, weil die Aufnahme einer ihm zugewiesenen Beschäftigung als Steinmetzhelfer aus seinem Verschulden nicht zustande gekommen sei.

In seiner Berufung gegen diese Entscheidung machte der Beschwerdeführer die Entfernung des vorgesehenen Arbeitsortes von seinem Wohnort, gesundheitliche Beeinträchtigungen sowie weiters den Umstand geltend, dass er eine 86 Jahre alte Mutter zu Hause habe, die sehr verwirrt sei und für die er allein zuständig sei. Er ersuche, ihm noch etwas Zeit zu gewähren, um sich selbst eine passende Arbeit zu suchen, was er auch bisher immer getan habe.

Die Berufungsbehörde veranlasste eine ärztliche Untersuchung des Beschwerdeführers sowie Erhebungen über die Entfernung zwischen dem vorgesehenen Arbeitsort und dem Wohnort des Beschwerdeführers und über die Pflegebedürftigkeit seiner Mutter. Im Zuge dieser Ermittlungen wurde von der zuständigen Gemeinde eine Bestätigung darüber ausgestellt, dass der Beschwerdeführer im gemeinsamen Haushalt mit seiner 1912 geborenen Mutter lebe, diese überwiegend pflege und für sie sorge. Der praktische Arzt, in dessen Behandlung die Mutter des Beschwerdeführers stand, bestätigte, dass diese pflegebedürftig sei, "und zwar in einem Umfang von ca. 60 Stunden pro Monat". Die ärztliche Untersuchung des Beschwerdeführers selbst ergab, dass er auf Grund näher beschriebener gesundheitlicher Beeinträchtigungen das Heben und Tragen von mehr als 25 kg vermeiden müsse.

Mit Bescheid vom 7. Oktober 1998 gab die Berufungsbehörde dem Rechtsmittel des Beschwerdeführers statt, wobei sie begründend ausführte, dass zwar trotz der Pflegebedürftigkeit seiner Mutter die zugewiesene Beschäftigung zumutbar gewesen sei, weil eine tägliche Rückkehr an den Wohnort möglich gewesen wäre, dem Beschwerdeführer die Beschäftigung als Steinmetzhelfer aber aus gesundheitlicher Sicht nicht zugemutet werden könne.

Am 16. September 1998, dem Tag vor der Wiedervorlage des Leistungsaktes mit den Ergebnissen der von der Berufungsbehörde aufgetragenen Ermittlungen, hatte die regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Deutschlandsberg mit dem Beschwerdeführer eine Niederschrift über die "Feststellung der Anspruchsvoraussetzungen gemäß § 7" AlVG aufgenommen. Das hiefür verwendete Formblatt wies folgenden vorgedruckten Text auf:Folgendes

"Als Partei einvernommen, gebe ich folgendes an:

Ich wurde im Rahmen eines Beratungsgespräches über die maßgebende Sach- und Rechtslage belehrt, und zwar insbesondere dahin gehend, dass eine der Anspruchsvoraussetzungen für den Anspruch auf Arbeitslosengeld/Notstandshilfe ist, dass ich der Arbeitsvermittlung zur Verfügung stehe.

(anzukreuzen) Ich erkläre mich ausdrücklich zur Aufnahme und Ausübung einer am Arbeitsmarkt üblicherweise angebotenen, den gesetzlichen und kollektivvertraglichen Vorschriften entsprechenden, zumutbaren versicherungspflichtigen Tagesbeschäftigung im Ausmaß von 35-40 Wochenstunden bereit.

(anzukreuzen) Ich stehe für die Aufnahme und Ausübung einer solchen Beschäftigung nicht zur Verfügung, weil ..."

In der mit dem Beschwerdeführer aufgenommenen und von ihm unterfertigten Niederschrift vom 16. September 1998 wurde dieser Vordruck dahin gehend bearbeitet, dass im ersten Absatz des Wort "Arbeitslosengeld" durchgestrichen und von den nachfolgenden, wahlweise anzukreuzenden Absätzen der zweite, wonach die Partei für die Aufnahme und Ausübung "einer solchen Beschäftigung nicht zu Verfügung" stehe, angekreuzt wurde. Die Begründung hiefür wurde handschriftlich wie folgt ergänzt:

"(weil) ich meine pflegebedürftige Mutter betreuen muss. Siehe auch ärztliche Bestätigung und Bestätigung des Gemeindeamtes."

Auf Grund dieser Erklärung erließ die regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Deutschlandsberg - nach dem Zurücklangen des Aktes mit der Entscheidung über die Berufung des Beschwerdeführers - den erstinstanzlichen Bescheid vom 14. Oktober 1998 über die Einstellung der Notstandshilfe des Beschwerdeführers mit 16. September 1998 (dem Tag der Aufnahme der Niederschrift), weil der Beschwerdeführer "einer Arbeitsvermittlung nicht zur Verfügung" stehe.

In seiner Berufung gegen diesen Bescheid verwies der Beschwerdeführer erneut auf eine Mehrzahl gesundheitlicher Beeinträchtigungen, die zur Folge hätten, dass er nur für leichte Arbeit, etwa als Portier oder Aktenträger, geeignet sei. Abschließend machte er - ohne nähere Ausführungen zum Ausmaß der sich daraus ergebenden Einschränkungen seiner Vermittelbarkeit - geltend, er sei "außerdem ... verpflichtet", seine "Mutter (87) zu betreuen".

Dieser Berufung gab die belangte Behörde mit dem angefochtenen, ohne weitere Ermittlungen erlassenen Bescheid nicht statt. Sie änderte den erstinstanzlichen Bescheid nur dahin gehend ab, dass als Rechtsgrundlage der Einstellung im Spruch des Bescheides nun auch § 24 Abs. 1 AlVG angeführt wurde. Die wesentlichen Teile der Begründung lauteten wie folgt:

"Sie geben in Ihrer Berufung an, nur für leichte Arbeiten oder Halbtagesarbeiten geeignet zu sein. Weiters haben Sie Ihre 87-jährige Mutter zu betreuen, die laut ärztlicher Bestätigung in einem Umfang von ca. 60 Stunden pro Monat pflegebedürftig ist.

Nach den Bestimmungen des Arbeitslosenversicherungsgesetzes ist es klar, dass Personen Anspruch auf Arbeitslosengeld bzw. Notstandshilfe nur dann haben, wenn sie der Arbeitsvermittlung zur Verfügung stehen. Der Arbeitsvermittlung steht zur Verfügung, wer u. a. eine Beschäftigung aufnehmen kann und darf und arbeitswillig ist.

Eine Beschäftigung aufnehmen kann, wer sich zur Aufnahme und Ausübung einer auf dem Arbeitsmarkt üblicherweise angebotenen, den gesetzlichen und kollektivvertraglichen Vorschriften entsprechenden zumutbaren versicherungspflichtigen Beschäftigung bereithält.

Da Sie in dem vom Gesetz geforderten Ausmaß dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehen, weil Sie laut Niederschrift vom 16.9.1998, laut ärztlicher Bestätigung und laut Ihrer eigenen Berufung Ihre pflegebedürftige Mutter betreuen müssen, haben Sie keinen Anspruch auf Notstandshilfe und erging der Bescheid der Regionalen Geschäftsstelle Deutschlandsberg zu Recht."

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Akten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:

In der Beschwerde wird im Wesentlichen geltend gemacht, die belangte Behörde hätte einerseits den gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Beschwerdeführers und den sich daraus ergebenden Anforderungen an ihm zumutbare Beschäftigungen und andererseits dem Umstand, dass sich die Pflegebedürftigkeit seiner Mutter nach dem Inhalt der ärztlichen Bestätigung auf etwa 2 Stunden täglich beschränkte, zu wenig Beachtung geschenkt. Nach den Ausführungen in der Beschwerde könne "kein Zweifel daran bestehen, dass der Beschwerdeführer selbst bei Berücksichtigung der seinerseits vorliegenden Umstände (Pflege der Mutter, gesundheitliche Beeinträchtigung) sehr wohl in der Lage und Willens ist, eine zumutbare, seinen Fähigkeiten und seinem Gesundheitszustand entsprechende Tätigkeit aufzunehmen, wenngleich diese nicht mit dem Tragen und Heben von Gewichten von mehr als 25 kg ... verbunden sein darf und der Beschwerdeführer darüber hinaus täglich zwei Stunden für die Pflege seiner Mutter aufwenden muss". Dem bisherigen Vorbringen des Beschwerdeführers sei "in keiner Weise zu entnehmen ..., dass er nicht bereit wäre, eine durch das Arbeitsmarktservice vermittelte ihm zumutbare Beschäftigung aufzunehmen".

Dem steht - wie die belangte Behörde in der Gegenschrift mit Recht hervorhebt - der Wortlaut der am 16. September 1998 vom Beschwerdeführer unterzeichneten Erklärung entgegen. Der Verwaltungsgerichtshof verkennt nicht die theoretische Möglichkeit, dass der Beschwerdeführer diese Erklärung unter dem Eindruck des Vermittlungsversuches abgab, hinsichtlich dessen Konsequenzen das Berufungsverfahren noch anhängig war, und dass er nicht ausreichend klar erkannte, dass Gegenstand der Niederschrift vom 16. September 1998 nicht dieser in der Vergangenheit gelegene Vermittlungsversuch, sondern die gegenwärtige und künftige Verfügbarkeit des Beschwerdeführers für eine ihm zumutbare Beschäftigung war, wobei der Beschwerdeführer ausdrücklich angab, für die Aufnahme und Ausübung einer solchen Beschäftigung nicht zur Verfügung zu stehen. Dem in der Beschwerde vertretenen Standpunkt hätte nicht diese, sondern die gegenteilige Anwort entsprochen. Ob der Beschwerdeführer dies allenfalls verkannte und ob sich ein solcher Irrtum über den Inhalt der eigenen Erklärung - ganz abgesehen von der Frage des Neuerungsverbotes im verwaltungsgerichtlichen Verfahren - mit Erfolg geltend machen ließe, braucht im vorliegenden Fall aber nicht weiter geprüft zu werden, weil die Beschwerde sich nicht auf derartige Gesichtspunkte stützt und auf den vollständigen Inhalt der vom Beschwerdeführer unterfertigten Erklärung nicht eingeht.

Die - im Übrigen auch im Berufungsverfahren mit der pauschalen Erneuerung des Hinweises auf die Betreuungspflicht des Beschwerdeführers nicht zurückgenommene - Erklärung des Beschwerdeführers, für die Aufnahme und Ausübung einer zumutbaren Beschäftigung im Ausmaß von 35-40 Wochenstunden nicht zur Verfügung zu stehen, hat die belangte Behörde nicht als Zeichen mangelnder Arbeitswilligkeit im Sinne des § 9 Abs. 1 erster Gedankenstrich AlVG, sondern in Anwendung der im angefochtenen Bescheid inhaltlich wiedergegebenen Bestimmungen des § 7 Abs. 1 Z. 1, Abs. 2 und Abs. 3 Z. 1 i.V.m. § 38 AlVG dahin gehend gedeutet, dass der Beschwerdeführer dem Arbeitsmarkt nicht in dem vom Gesetz geforderten Ausmaß zur Verfügung stehe, wobei die belangte Behörde unter dem vom Gesetz geforderten Ausmaß, wie aus der begründenden Bezugnahme auf die Erklärung des Beschwerdeführers vom 16. September 1998 zu schließen ist, das Ausmaß von 35-40 Wochenstunden verstand und der Erklärung des Beschwerdeführers folgend davon ausging, durch die Betreuung seiner Mutter sei der Beschwerdeführer daran gehindert, eine Beschäftigung im Ausmaß von 35-40 Wochenstunden aufzunehmen.

Hierauf lässt sich die Einstellung der Leistung wegen des Wegfalls der in § 7 Abs. 1 Z. 1 i.V.m. § 7 Abs. 2 erster Fall und Abs. 3 Z. 1 AlVG normierten Anspruchsvoraussetzung nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes aber nicht stützen. Wie der Verwaltungsgerichtshof in den Erkenntnissen vom 16. Februar 1999, Zl. 98/08/0057 und Zl. 97/08/0584, auf die gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, näher dargestellt und begründet hat, erfordert die Verfügbarkeit des Arbeitslosen im Sinne der erwähnten Bestimmungen nicht dessen Vermittelbarkeit für eine "Vollbeschäftigung". Die Bereitschaft des Arbeitslosen, nicht nur eine die Arbeitslosigkeit ausschließende Beschäftigung, sondern im Falle einer entsprechenden Vermittlung auch eine "Vollbeschäftigung" anzunehmen, ist erst im Zusammenhang mit der Voraussetzung der Arbeitswilligkeit im Sinne des § 9 AlVG, nicht aber schon bei der Prüfung der Verfügbarkeit im Sinne des § 7 Abs. 3 Z. 1 AlVG zu beurteilen.

Dass die belangte Behörde den Sachverhalt nicht nur unter Zugrundelegung der für wahr gehaltenen Erklärung des Beschwerdeführers bei der Beurteilung seiner (tatsächlichen) Verfügbarkeit, sondern darüber hinaus auch unter dem Gesichtspunkt seiner Arbeitswilligkeit beurteilt und seine Antwort auf die Frage nach seiner Verfügbarkeit als Vorwegnahme seiner Reaktion auf die allfällige Vermittlung einer zumutbaren Beschäftigung in dem erwähnten Ausmaß gewertet hätte, ist der angefochtenen Entscheidung nicht zu entnehmen. Der Verwaltungsgerichtshof ist auch nicht der Ansicht, dass die Ergebnisse einer auf die Voraussetzungen des § 7 Abs. 3 Z. 1 AlVG abstellenden, insoweit aber durch ein gesetzlich nicht vorgesehenes Zusatzerfordernis ("im Ausmaß von 35-40 Wochenstunden") angereicherten Befragung des Arbeitslosen - völlig losgelöst von seinem sonstigen Verhalten und im Besonderen auch von den in § 10 Abs. 1 AlVG vorgesehenen konkreten, jeweils nur zum befristeten Ausschluss von der Leistung führenden Anknüpfungspunkten - als Grundlage für eine generelle Verneinung seiner Arbeitswilligkeit heranzuziehen wären. In diesem Zusammenhang ist ergänzend noch darauf hinzuweisen, dass die zeitliche Beurteilungsperspektive insoweit nicht die gleiche wäre, als im Zusammenhang mit der Beurteilung der Arbeitswilligkeit auch die Bereitschaft des Arbeitslosen, seine die Verfügbarkeit einschränkenden anderweitigen Inanspruchnahmen im Falle einer Vermittlung erforderlichenfalls zu beenden, zu berücksichtigen wäre, wohingegen es im Zusammenhang mit der Verfügbarkeit im Sinne des § 7 Abs. 3 Z. 1 AlVG auf das Ausmaß der anderweitigen Inanspruchnahmen schon während des Zeitraumes, für den die Geldleistung beansprucht wird, ankommt.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 13. April 1999

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1999:1999080005.X00

Im RIS seit

18.10.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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