TE Lvwg Erkenntnis 2018/10/17 LVwG-1-601/2017-R14

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Veröffentlicht am 17.10.2018
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Entscheidungsdatum

17.10.2018

Norm

StVO 1960 §19 Abs4
StVO 1960 §19 Abs7
StVO 1960 §68 Abs1
StVO 1960 §99 Abs2c Z5

Text

Im Namen der Republik!

Erkenntnis

Das Landesverwaltungsgericht Vorarlberg hat durch sein Mitglied Mag. Katharina Feuersinger über die Beschwerde des M N, D, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Julius Brändle, Dornbirn, gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft D vom 16.08.2017, Zl X-9-2017/36949, betreffend eine Übertretung nach der Straßenverkehrsordnung 1960 (StVO), nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, zu Recht erkannt:

Gemäß § 50 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) wird der Beschwerde Folge gegeben, das angefochtene Straferkenntnis aufgehoben und das Verwaltungsstrafverfahren eingestellt.

Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 (VwGG) eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof unzulässig.

Begründung

1.   Im angefochtenen Straferkenntnis wurde dem Beschwerdeführer vorgeworfen, er habe am 04.07.2017 um 14:22 Uhr in D, W, L, Höhe Km XX, HNr X, „P R“, als wartepflichtiger Lenker des Fahrzeuges mit dem Kennzeichen XXX durch Einbiegen auf der Kreuzung vor der sich das Vorschriftszeichen „Halt“ befindet einem im Vorrang befindlichen Fahrradfahrer den Vorrang nicht gegeben und es sei dadurch zu einem Verkehrsunfall gekommen. Die Bezirkshauptmannschaft erblickte hierin eine Übertretung des § 19 Abs 7 iVm § 19 Abs 4 StVO. Es wurde eine Geldstrafe von 72 Euro verhängt und für den Fall ihrer Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe von 24 Stunden festgesetzt.

2.              Gegen dieses Straferkenntnis hat der Beschwerdeführer rechtzeitig Beschwerde erhoben. In dieser bringt er im Wesentlichen vor, dass das Straferkenntnis wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes angefochten werde.

1. Die Bezirkshauptmannschaft D führe im zweiten Absatz des bekämpften Straferkenntnisses Nachfolgendes aus:

„Die Einspruchsangaben des Beschuldigten werden von der Behörde insoweit geteilt, dass es der Richtigkeit entspricht, dass der beteiligte Fahrradfahrer auf dem Gehsteig und auf der falschen Straßenseite fuhr. Jedoch rechtfertigt dies nicht, dass der Beschuldigte diesem Radfahrer den Vorrang nimmt und steht für die Behörde fest, dass der Beschuldigte die im Spruch angeführte Verwaltungsübertretung begangen und dies auch zu verantworten hat.“

Der Beschwerdeführer sei nicht der Auffassung, dass ein Fahrradfahrer, welcher auf einem Gehsteig entgegen der Fahrtrichtung fährt, sich gegenüber jenen Fahrzeugen, die sich auf öffentlichen Straßen befinden, im Vorrang befinde. Der Fahrradlenker sei mit seinem Fahrrad von einem Gehsteig auf einer öffentlichen Straße gefahren und habe sich mit Sicherheit nicht im Vorrang befunden. Der Beschwerdeführer habe nicht gegen § 19 Abs 7 StVO verstoßen, da er keinem im Vorrang befindlichen Fahrradfahrer den Vorrang genommen habe. Das gegen den Beschwerdeführer eingeleitete Strafverfahren sei schon aus diesem Grund einzustellen.

2. Es würden auch die übrigen Voraussetzungen des § 19 Abs 7 StVO nicht vorliegen. Der Beschwerdeführer sei ca zwei Minuten lang an der Haltelinie gestanden und sei der Fahrradfahrer ihm dann – als er losfahren wollte – rechts in sein Auto hineingefahren. Der Beschwerdeführer habe sich nicht in Luft auflösen können und sei der vom Fahrradfahrer allein verursachte und verschuldete Unfall für ihn in jeglicher Hinsicht unvermeidbar gewesen. Der Beschwerdeführer habe kein Fahrzeug, welches sich im ordentlichen Straßenverkehr befunden habe, in irgendeiner Weise behindert.

3.   Beweis wurde aufgenommen durch Einsichtnahme in den behördlichen Verwaltungsstrafakt, insbesondere in den Abschluss-Bericht der Polizeiinspektion D vom 10.07.2017, in die Lichtbildbeilage vom 07.07.2017 sowie in die Niederschrift über die Vernehmung des Beschwerdeführers durch die Bezirkshauptmannschaft D vom 09.08.2017, weiters durch Einvernahme des Geschädigten M S, als Zeuge, der seine Fahrtroute anhand des vorgelegten Auszuges aus Google Maps mit dem Titel „B“ im Rahmen der mündlichen Verhandlung darstellen konnte und des Beschwerdeführers als Partei.

4.   Folgender Sachverhalt steht fest:

Der Beschwerdeführer fuhr am 04.07.2017 gegen 14:22 Uhr mit dem Kleintransporter mit dem Kennzeichen XXX mit einer Geschwindigkeit von ca 30 km/h auf einer Strecke von ca 100 m auf dem Fweg von der Firma K M kommend in Richtung L (W), um in diese rechts abzubiegen.

Etwa zeitglich fuhr der Geschädigte M S mit seinem Mountainbike auf der L von D kommend in Fahrtrichtung H. Kurz vor der X-Tankstelle querte der Geschädigte zunächst die L und benützte dafür den dort befindlichen Zebrastreifen, danach querte er die Straße „S“, ebenfalls unter Benützung des dort befindlichen Zebrastreifens, um seine Fahrt dann mit einem durchgehenden Tempo von ca 15 bis 20 km/h in Fahrtrichtung H fortzusetzen. Dabei benutzte der Geschädigte den der L entlangführenden Gehsteig.

Bei der Kreuzung Fweg/L befindet sich eine Haltelinie und das Vorschriftszeichen „Stop“.

Der Beschwerdeführer hielt den LKW zunächst an der dort befindlichen Haltelinie an und blieb 1 bis 2 Minuten stehen. Die L war stark befahren. Der Beschwerdeführer blickte zunächst nach links, nahm eine Kolonne wahr, dann nach rechts, dann wieder nach links. Der Beschwerdeführer musste währenddessen bis auf Höhe des Gehsteiges vorfahren, da für den Beschwerdeführer aufgrund des zu seiner Rechten befindlichen Werbeschilds der Firma „P R“, das eine Höhe von 3 bis 4 Meter aufweist, eine Sichtbehinderung auf die gesamte L bestand.

Dabei kam es zur Kollision mit M S, der auf dem Gehsteig auf seinem Mountainbike in Fahrtrichtung H fuhr und seine Geschwindigkeit zuvor auch nicht reduziert hatte.

5.   Dieser Sachverhalt basiert auf den unter Punkt 3. genannten Beweismitteln und wird aufgrund des durchgeführten Beweisverfahrens als erwiesen angenommen wie folgt:

Die Feststellung, dass der Geschädigte M S mit seinem Mountainbike entgegen der Fahrtrichtung (Richtung H) fuhr und dabei den Gehsteig und nicht den Radstreifen benutzte, beruht auf den übereinstimmenden Aussagen des Beschwerdeführers und des Geschädigten selbst. Letzterer schilderte im Rahmen der mündlichen Verhandlung als Zeuge glaubwürdig seine Fahrtroute und stellte sie anhand der vorgelegten Planbeilage dar. Dabei ist er nicht von seinen, im Zuge der Zeugeneinvernahme durch die Polizeiinspektion D am 05.07.2017 gemachten Ausführungen abgewichen.

Dass der Beschwerdeführer an der im Kreuzungsbereich Fweg/L befindlichen Haltelinie ca 1 bis 2 Minuten anhielt hat er selbst angegeben und wurde dies vom Zeugen M S im Rahmen der mündlichen Verhandlung bestätigt, wonach er den Kleintransporter gesehen habe. Dieser sei gestanden, als er ihn gesehen habe. Er (der Beschwerdeführer) habe gestoppt und er – der Zeuge M S – sei deswegen der Meinung gewesen, dass er (der Beschwerdeführer) ihn gesehen habe und darum habe er – der Zeuge M S – durchfahren wollen. Über konkrete Frage gab dieser Zeuge weiters an, dass er keinen Blickkontakt zum Beschwerdeführer gehabt bzw nicht in das Auto hineingesehen habe. Der Zeuge hielt es außerdem für möglich, dass der Beschwerdeführer den auf dem Mountainbike herannahenden Zeugen aufgrund des zur Rechten des Beschwerdeführers befindlichen Werbeschildes „P-R“ gar nicht sehen konnte. Die Annahme der Sichtbehinderung erscheint überdies aufgrund des Lichtbildes Nr 1 der Lichtbildbeilage vom 07.07.2017, welches das Sichtfeld des Beschwerdeführers abbildet, plausibel.

6.1  Gemäß § 99 Abs 2c Z 5 StVO, BGBl Nr 159/1960, idF BGBl I Nr 39/2013, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit einer Geldstrafe von 72 Euro bis 2 180 Euro, im Fall ihrer Uneinbringlichkeit mit Freiheitsstrafe von 24 Stunden bis sechs Wochen, zu bestrafen, wer als Lenker eines Fahrzeuges unter Nichtbeachtung des Vorschriftszeichens „Halt“ gegen § 19 Abs. 7 verstößt.

Gemäß § 19 Abs 4 StVO, BGBl Nr 159/1960, idF BGBl Nr 518/1994, haben sowohl die von rechts als auch die von links kommenden Fahrzeuge den Vorrang, sofern vor einer Kreuzung das Vorschriftszeichen „Vorrang geben“ oder „Halt“ angebracht, so. Ist jedoch auf einer Zusatztafel ein besonderer Verlauf einer Straße mit Vorrang dargestellt, so haben die Fahrzeuge, die auf dem dargestellten Straßenzug kommen, den Vorrang, unabhängig davon, ob sie dem Straßenzug folgen oder ihn verlassen; ansonsten gilt Abs 1. Beim Vorschriftszeichen „Halt“ ist überdies anzuhalten.

Gemäß § 19 Abs 7 leg cit darf, wer keinen Vorrang hat (der Wartepflichtige), durch Kreuzen, Einbiegen oder Einordnen die Lenker von Fahrzeugen mit Vorrang (die Vorrangberechtigten) weder zu unvermitteltem Bremsen noch zum Ablenken ihrer Fahrzeuge nötigen.

6.2  Das durch das Vorschriftszeichen „Halt“ zum Ausdruck gebrachte Verkehrsgebot hat den Inhalt, dem Querverkehr den Vorrang zu geben und weist auf die Verpflichtung zum Anhalten hin. Dieser Vorrang bezieht sich grundsätzlich auf die ganze Fahrbahn der bevorrangten Straße (OGH 25.08.1994, 2 Ob 47/94).

Der Vorrang geht durch vorschriftswidriges Verhalten zwar nicht verloren, doch wird dem Wartepflichtigen zuweilen zugutegehalten werden können, dass er, im Vertrauen auf das vorschriftsmäßige Verhalten eines anderen Fahrzeuglenkers, nicht damit rechnen konnte, selbst gegen eine Vorrangregel zu verstoßen (StVO-ON 14.01, Pürstl: § 19 StVO, Rz 13).

Wie unter Punkt 4. festgestellt und unter Punkt 5. beweiswürdigend ausgeführt, fuhr der Geschädigte M S mit seinem Mountainbike entgegen der Fahrtrichtung, dh von D kommend in Richtung H, wobei er – nach eigenen Angaben – durchfahren wollte. Bei der dabei von ihm befahrenen Verkehrsfläche handelt es sich um einen Gehsteig iSd § 2 Abs 1 Z 10 StVO, da dieser Teil von der Fahrbahn der L durch Randsteine abgegrenzt ist.

Der Geschädigte hat somit – entgegen § 68 Abs 1 vorletzter Satz StVO – einen Gehsteig in der Längsrichtung befahren und zwar entgegen der Fahrtrichtung.

Der von der Rechtsprechung entwickelte Grundsatz, dass sich der Vorrang auf die ganze Fahrbahn der bevorrangten Straße bezieht und auch dann nicht verlorengeht, wenn sich der im Vorrang befindliche Verkehrsteilnehmer verkehrswidrig verhält, verliert dann seine Wirkung, wenn der auf der bevorrangten Straße fahrende Verkehrsteilnehmer vom Wartepflichtigen nicht oder nicht aus dieser Annäherungsrichtung erwartet werden kann, also mit einer derartigen Fahrweise nicht gerechnet werden konnte und musste (ua OGH 09.02.1995, 2 Ob 69/95).

Daraus folgt, dass der Beschwerdeführer aus dieser Annäherungsrichtung keinen Radfahrer erwarten musste. Im gegenständlichen Fall kommt noch hinzu, dass dem Beschwerdeführer durch das (aus seiner Blickrichtung) rechts stehende Werbeschild der Firma „P R“ die Sicht auf die L und insbesondere auf den in Fahrtrichtung H führenden Gehsteig verdeckt war.

Ein Verkehrsteilnehmer, der – wie hier der Radfahrer und Geschädigte – eine Verkehrsfläche benützt, die überhaupt nicht befahren werden darf, kann sich nicht auf die Vorrangregel berufen. Umgekehrt ist dem Beschwerdeführer keine Vorrangverletzung vorwerfbar (OGH 27.10.2016, 2 Ob 124/16Y).

Nach Durchführung des Ermittlungsverfahrens steht daher fest, dass der Beschwerdeführer die ihm vorgeworfene Verwaltungsübertretung nicht begangen hat. Das Straferkenntnis war daher zu beheben und das Verwaltungsstrafverfahren einzustellen.

7.              Die Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art 133 Abs 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Vorrang, Radfahrer auf Gehsteig

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGVO:2018:LVwG.1.601.2017.R14

Zuletzt aktualisiert am

05.11.2018
Quelle: Landesverwaltungsgericht Vorarlberg LVwg Vorarlberg, http://www.lvwg-vorarlberg.at
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