TE Bvwg Erkenntnis 2018/8/31 W215 2108235-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 31.08.2018
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

31.08.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §52
FPG §55
FPG §57

Spruch

W215 2108235-1/18E

W215 2109415-1/14E

W215 2168834-1/6E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. STARK über die Beschwerden von 1) XXXX , 2) XXXX und 3) XXXX , geb. 1) XXXX ,

2) XXXX und 3) XXXX , Staatsangehörigkeit Republik Tadschikistan, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl 1) vom 22.05.2015, Zahl 1027262706-14856614, 2) vom 18.06.2015, Zahl 1072148710-150615989, und 3) vom 02.08.2017, Zahl 1159721407-170851628, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerden werden jeweils gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG), in der Fassung BGBl. I Nr. 87/2012, § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG,

§ 57 AsylG, in der Fassung BGBl. I Nr. 70/2015, § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG, in der Fassung BGBl. I Nr. 145/2017, § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG), in der Fassung BGBl. I Nr. 70/2015, § 52 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG), in der Fassung BGBl. I Nr. 145/2017, und § 55 FPG, in der Fassung BGBl I Nr. 68/2013, mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass der erste Satz des Spruchpunktes III. der zu 1) und

2) erlassenen Bescheide wie folgt lautet:

"Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wird Ihnen gemäß § 57 AsylG, in der Fassung BGBl. I Nr. 70/2015, nicht erteilt."

B)

Die Revision ist jeweils gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz,

BGBl Nr. 1/1930 (B-VG), in der Fassung BGBl. I Nr. 51/2012, nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die Erstbeschwerdeführerin (beschwerdeführende Partei 1, in Folge: P1) heiratete den als Asylwerber in Österreich aufhältigen tadschikischen Staatsangehörigen Herrn XXXX , dessen Beschwerdesache in dieser Gerichtsabteilung unter der Zahl W215 1428011-2 anhängig ist und ebenfalls mit Erkenntnis vom heutigen Tage entschieden wird. P1 und Herr XXXX sind die Eltern des in Österreich geborenen Zweitbeschwerdeführers (P2) und der ebenfalls in Österreich geborenen Drittbeschwerdeführerin (P3).

P1 reiste problemlos, legal mit ihrem tadschikischen Auslandsreisepass aus ihrem Herkunftsstaat aus, legal mit einem deutschen Schengenvisum nach Österreich ein und stellte erst, einige Tage nach dessen Ablauf, am 06.08.2014 einen Antrag auf internationalen Schutz.

In ihrer am selben Tag durchgeführten Erstbefragung gab P1 zu ihren Fluchtgründen an, dass sie seit 2007 als XXXX gearbeitet habe und im Laufe der Jahre mehrmals ein älterer Mann mit einem größeren Vermögen in die XXXX gekommen sei. Die Bodyguards des Mannes hätten P1 mitgeteilt, dass sie der reiche Mann heiraten wolle, dies hätte sie aber nicht gewollt. Sie habe in der Zwischenzeit in den Jahren 2010 bis 2011 einen jungen Mann kennen gelernt und sie hätten sich verliebt. Er heiße XXXX , geb. XXXX , und sei angeblich 2011 nach Österreich gereist. Er habe P1 mehrmals angerufen und mitgeteilt, dass sie zu ihm nach Österreich kommen solle, was sie nun auch getan habe.

Aufgrund des von der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Visums richtete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl für P1 ein Aufnahmeersuchen gemäß

Art. 12 Abs. 4 Dublin III-VO an die deutsche Dublin-Behörde, dem diese fristgerecht zustimmte.

Im Hinblick auf ihre beabsichtigte Außerlandesbringung in die Bundesrepublik Deutschland wurde P1 am 21.11.2014 im Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl niederschriftlich befragt. Dabei legte sie ihren Mutter-Kind-Pass vor und gab an, zurzeit an Schwangerschaftsbeschwerden zu leiden. Sie habe im XXXX in einer Moschee in Österreich traditionell geheiratet und wolle so bald wie möglich auch standesamtlich heiraten. Sie wolle nicht nach Deutschland, da sie dort niemanden habe. Das deutsche Visum habe P1 lediglich benötigt, um nach Österreich zu dem Mann zu gelangen, den sie mittlerweile in Österreich nach moslemischem Ritus geheiratet habe.

Am 18.12.2014 wurde P1 ergänzend niederschriftlich befragt. Dabei gab sie im Wesentlichen an, ihren nunmehrigen Lebensgefährten 2010 über das Internet kennengelernt und regelmäßig über Skype Kontakt gehabt zu haben, das erste Mal getroffen habe sie ihn aber erst in Österreich. Seit P1 in Österreich sei, hätten sie zwei oder dreimal telefoniert und dieser Mann habe ihr gesagt, dass er sich jetzt in Österreich befinde und sie gerne nachkommen könne. Ihre Heimat habe P1 verlassen, weil ein einflussreicher Kunde jener XXXX , in der P1 gearbeitet habe, sie habe heiraten wollen. P1 habe keinen Ausweg mehr gesehen, als ihr Heimatland zu verlassen.

Am selben Tag wurde der Lebensgefährte von P1 gesondert als Zeuge niederschriftlich befragt. Dabei gab er im Wesentlichen an, dass P1 "seine Frau" sei, er habe sie 2010 über das Internet kennengelernt. Persönlich habe er P1 zum ersten Mal in XXXX gesehen. Da P1 in XXXX untergebracht sei, könne er sie nur am Wochenende abholen und die Wochenenden mit ihr verbringen.

Nach Ablauf der Überstellungsfrist am 25.04.2015 wurde das Verfahren von P1 in Österreich zugelassen.

Am 11.05.2015 wurde P1 neuerlich niederschriftlich zu ihren persönlichen Verhältnissen und Fluchtgründen befragt. Zu Ihrem Gesundheitszustand gab sie an, dass sie schwanger sei, es ihr aber gut gehe. Der Geburtstermin sei XXXX . Im XXXX werde sie ihren Lebensgefährten standesamtlich heiraten. Befragt nach ihren Lebensumständen in der Republik Tadschikistan führte P1 aus, von XXXX die XXXX und von XXXX die XXXX in XXXX besucht zu haben. Nach ihrem Studium im Jahre XXXX habe sie in einer XXXX gearbeitet. Sie habe die XXXX gemacht und sei als XXXX tätig gewesen, sie habe gut verdient und keine wirtschaftlichen Probleme gehabt. In der Republik Tadschikistan würden ihre Eltern, ein Bruder, drei Schwestern und ihre Onkel, Tanten, Cousins und Cousinen leben. Ihr Vater sei Eigentümer eines Hauses und eines Autos, ihre Schwester und ihre Mutter würden jeweils eine Eigentumswohnung besitzen. P1 habe im Elternhaus gelebt, dort seien derzeit ihre Eltern und eine Schwester wohnhaft.

Zu ihren Fluchtgründen führte P1 aus, dass sie Anfang des Jahres 2014 ein einflussreicher älterer Mann als seine dritte oder vierte Frau habe heiraten wollen. Als sie abgelehnt habe, sei sie mit Vergewaltigung oder Entführung bedroht worden. Er hätte abwechselnd mit seinen Bodyguards jeden Tag vor der XXXX auf P1 gewartet und das schwarze Auto habe P1 jedes Mal bis nach Hause verfolgt. Seine Bodyguards hätten ein paar Mal versucht P1 zu verfolgen und sie an den Armen angegriffen, aber P1 habe jedes Mal flüchten können. Ihr Vater sei einige Male von den Bodyguards geschlagen worden und habe öfters Anzeige erstattet, aber es habe nichts gebracht. Im Frühling 2014 sei P1 in Begleitung ihrer Eltern von diesem Mann angesprochen worden und er habe ihren Eltern gesagt, dass er die Eltern umbringen werde, wenn sie P1 nicht freigeben würden. P1 habe immer Angst und Stress gehabt, deshalb habe sie sich entschieden, mit ihrer Mutter ein Touristenvisum zu organisieren und auszureisen. Sie seien nach Europa gereist, weil dieser Mann sie in der näheren Umgebung überall finden würde. An das, was zwischen Frühling 2014 und ihrer Ausreise im Juli 2014 passiert sei, könne sich P1 nicht erinnern.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies mit Bescheid vom 22.05.2015, Zahl 1027262706-14856614, den Antrag von P1 auf internationalen Schutz gemäß

§ 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Tadschikistan (Spruchpunkt II.) ab, erteilte gemäß §§ 57 und 55 AsylG einen Aufenthaltstitel aus Berücksichtigungswürdigen Gründen nicht, erließ gemäß

§ 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG, stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung von P1 nach Tadschikistan gemäß § 46 FPG zulässig sei und setzte die Frist für ihre freiwillige Ausreise gemäß

§ 55 Abs. 1 bis 3 FPG mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest (Spruchpunkt III.).

Nach der Geburt ihres Sohnes P2 stellte P1 für ihn am 02.06.2015, als dessen gesetzliche Vertreterin, einen Antrag auf internationalen Schutz, wobei keine eigenen Fluchtgründe bzw. Rückkehrbefürchtungen geltend gemacht wurden.

Am 03.06.2015 erhob P1 gegen den Bescheid vom 22.05.2015, Zahl 1027262706-14856614, fristgerecht gegenständliche Beschwerde und brachte im Wesentlichen vor, dass sie ihr Heimatland aufgrund wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung durch Privatpersonen und mangelnder Schutzwilligkeit bzw. -fähigkeit der tadschikischen Sicherheitsbehörden verlassen habe. Bei ihrem Verfolger handle es sich um einen einflussreichen Mann, der sie überall in Tadschikistan aufspüren könne, sodass eine Rückkehr nicht in Betracht komme. Zumindest sei ihr der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, da bei einer Rückkehr eine Verletzung von Art. 3 EMRK überaus wahrscheinlich sei. Des Weiteren hätte die Rückkehrentscheidung auf Dauer für unzulässig erklärte werden müssen, da sich der Lebensgefährte der Beschwerdeführerin in Österreich aufhalte und auch dessen Eltern hier den Status von subsidiär Schutzberechtigten hätten. Zudem sei in Österreich ihr Kind und das ihres Lebensgefährten zur Welt gekommen.

2. Die Beschwerdevorlage vom P1 vom 08.06.2015 langte am 10.06.2015 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

Mit Bescheid vom 18.06.2015, Zahl 1072148710-150615989, wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag von P2 auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Tadschikistan (Spruchpunkt II.) ab, erteilte gemäß §§ 57 und 55 AsylG einen Aufenthaltstitel aus Berücksichtigungswürdigen Gründen nicht, erließ gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG, stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung von P2 nach Tadschikistan gemäß § 46 FPG zulässig sei und setzte die Frist für seine freiwillige Ausreise gemäß

§ 55 Abs. 1 bis 3 FPG mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest (Spruchpunkt III.).

Am 24.06.2015 erhob P1 für P2 Beschwerde gegen den Bescheid vom 18.06.2015, Zahl 1072148710-150615989.

3. Die Beschwerdevorlage von P2 vom 24.06.2015 langte am 29.06.2015 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

Am XXXX erfolgte die standesamtliche Eheschließung der Beschwerdeführerin mit dem Vater ihres Sohnes, dem in Österreich als Asylwerber aufhältigen tadschikischen Staatsangehörigen XXXX .

Zur Ermittlung des maßgeblichen Sachverhaltes wurde für den 06.02.2017 eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht anberaumt. Es erschienen P1 und ihr Ehegatten. Das ordnungsgemäß geladene Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hatte sich bereits in der Beschwerdevorlage für die Verhandlung entschuldigt. In der Verhandlung wurden die Quellen der zur Entscheidungsfindung herangezogenen Länderinformationen dargetan. P1 verzichteten auf Einsichtnahme und Ausfolgung.

Nach der Geburt ihrer Tochter P3 stellte P1 für diese am 20.07.2017, als gesetzliche Vertreterin, einen Antrag auf internationalen Schutz, wobei keine eigenen Fluchtgründe bzw. Rückkehrbefürchtungen geltend gemacht wurden.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies mit Bescheid vom 02.08.2017, Zahl 1159721407-170851628, den Antrag von P3 auf internationalen Schutz gemäß

§ 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Tadschikistan (Spruchpunkt II.) ab, erteilte gemäß § 57 AsylG einen Aufenthaltstitel aus Berücksichtigungswürdigen Gründen nicht, erließ gemäß

§ 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG, stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung von P3 nach Tadschikistan gemäß § 46 FPG zulässig sei und setzte die Frist für ihre freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest (Spruchpunkt III.).

Am 22.08.2017 erhob P1 für P3 fristgerecht Beschwerde gegen den Bescheid vom 02.08.2017, Zahl 1159721407-170851628.

4. Die Beschwerdevorlage von P3 vom 24.08.2017 langte am 25.08.2017 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

Mit Schreiben vom 30.04.2018 übermittelte das Bundesverwaltungsgericht P1 und ihrem Ehegatten in dessen Verfahren aktuelle Länderfeststellungen zur Republik Tadschikistan und ersuchte sie um Stellungnahme zu ihrer aktuellen persönlichen und familiären Situation in Österreich.

In einer Stellungnahme vom 14.05.2018 erstatteten P1 und ihr Ehegatte Angaben zu ihrer Integration in Österreich legten ein Konvolut an Unterlagen vor (darunter mehrere Empfehlungsschreiben, Deutschkursbestätigungen, eine Bestätigung einer XXXX für den Ehegatten von P1, Einkommensnachweise des Bruders und des Vaters des Ehegatten von P1 und zwei Schreiben von P1 und ihrem Ehegatten).

Am 20.06.2018 wurde ein Unterstützungsschreiben für P1 in Vorlage gebracht, wonach Frau XXXX P1 bei der Verbesserung ihrer Deutschkenntnisse unterstützt.

Am heutigen Tag wurde eine Kopie eines Sprachzertifikates in Vorlage gebracht, wonach P1 am 11.07.2018 eine Sprachprüfung A2 Deutsch bestanden hat und ein XXXX Ambulanzbericht vom XXXX wonach bei P2 eine XXXX durchgeführt wurde.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat über die zulässigen Beschwerden erwogen:

1. Feststellungen:

1. Die Beschwerdeführer sind Staatsangehörige der Republik Tadschikistan, gehören der Volksgruppe der Tadschiken an und sind moslemischen Glaubens. Die Muttersprache der Beschwerdeführer ist Tadschikisch, P1 spricht darüber hinaus auch Russisch. P1 hat den in Österreich als Asylwerber aufhältigen tadschikischen Staatsangehörigen Herrn XXXX , nach der Geburt des gemeinsamen Sohnes, im Jahr XXXX standesamtlich geheiratet. Beide sind die Eltern der in Österreich (nach)geborenen P2 und P3. Das Beschwerdeverfahren des Ehegatten von P1 und Vaters von P2 und P3 ist beim Bundesverwaltungsgericht angängig und sein Verfahren wird mit Erkenntnis vom heutigem Tag, Zahl W215 1428011-2/14E, inhaltsgleich entschieden.

P1 lernte bereits im Jahr 2010 Herrn XXXX , einen Staatsangehörigen der Republik Tadschikistan kennen, der rechtmäßig mit einem Schengenvisum in das österreichische Bundesgebiet einreiste und am 13.11.2011 einen Antrag auf internationalen Schutz stellte. P1 hielt jahrelang über das Internet Kontakt zu Herrn XXXX und dieser forderte P1 auf, zu ihm nach Österreich zu kommen, um hier mit ihm gemeinsam zu leben. P1 reiste schließlich im Jahr 2014 problemlos, legal, gemeinsam mit ihrer Mutter aus ihrem Herkunftsstaat aus und legal mit Schengen-Visa in das österreichische Bundesgebiet ein. Ihre Mutter kehrte vor Ablauf des Visums in die Republik Tadschikistan zurück, P1 blieb im Bundesgebiet und stellte einige Tage nach dem Ablauf des Visums, somit erst während ihres illegalen Aufenthaltes im Bundesgebiet, am 06.08.2014 einen Antrag auf internationalen Schutz. Für P2 und P3 stellte P1 nach deren Geburten in Österreich Anträge auf internationalen Schutz.

2. Das Vorbringen von P1 zu den Gründen für ihre Ausreise aus ihrem Herkunftsstaat ist nicht glaubhaft. Es kann nicht festgestellt werden, dass P1 in der Republik Tadschikistan einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt war oder P1 bis P3 sein werden.

3. In den gegenständlichen Verfahren können keine stichhaltigen Gründe für die Annahme festgestellt werden, dass die gesunden Beschwerdeführer im Fall ihrer Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Republik Tadschikistan einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe oder sonst einer konkreten individuellen Gefahr ausgesetzt sein würden.

P1 hat in ihrem Herkunftsstaat XXXX studiert und als XXXX in einer XXXX gearbeitet. Die Eltern, drei Schwestern und ein Bruder von P1 leben ebenso wie mehrere Tanten, Onkeln, Cousinen und Cousins in der Republik Tadschikistan. Der Vater von P1 ist dort Eigentümer eines Hauses und eines Autos, ihre Schwester und ihre Mutter besitzen jeweils eine Eigentumswohnung. P1 lebte bis zu ihrer Ausreise im Elternhaus und es ist davon auszugehen, dass die Beschwerdeführer zumindest für die Anfangszeit bei ihren Eltern oder ihren übrigen Familienangehörigen Unterkunft finden können.

Der Ehegatte von P1 hat XXXX Klassen Schule absolviert, XXXX Jahre XXXX an der Universität studiert und ist gelernter XXXX . Er konnte seinen Lebensunterhalt in der Republik Tadschikistan als XXXX durch den Verkauf von XXXX finanzieren. In der Republik Tadschikistan lebt noch eine Schwester des Ehegatten von P1. Weiters können P1 bis P3 und der Ehegatte von P1 bzw. Vater von P2 und P3 sich von dessen Bruder und Vater, die sie auch im österreichischen Bundesgebiet finanziell unterstützen, Geldleistungen zukommen lassen.

Die Existenz von P1 bis P3 ist somit im Falle ihrer Rückkehr durch Erwerbstätigkeit von P1 und ihres Ehegatten bzw. Vater von P2 und P3 gesichert. Beide verfügen über Berufserfahrung und hatten vor ihrer Ausreise keine wirtschaftlichen Probleme. Zudem verfügen sie über ein soziales Netz in der Republik Tadschikistan.

4. Nicht festgestellt werden kann eine ausgeprägte und verfestigte entscheidungserhebliche individuelle Integration der Beschwerdeführer in Österreich.

Die unbescholtene P1 hält sich seit ihrem Antrag auf internationalen Schutz am 06.08.2014 durchgehend in Österreich auf, verfügte aber nie über ein Aufenthaltsrecht außerhalb des Asylverfahrens und musste sich somit ihres unsicheren Aufenthaltes bewusst sein. P2 und P3 wurden im Bundesgebiet geboren und befinden sich in einem anpassungsfähigen Alter.

In Österreich halten sich neben dem Ehegatten von P1 dessen Eltern, dessen Bruder, eine volljährige Schwester mit deren Familie und weitere Verwandte des Ehegatten auf. Die Beschwerdeführer leben mit dem Ehegatten von P1 sowie dessen Eltern und dessen Bruder gemeinsam in deren Wohnung. Zwischen den Beschwerdeführern und den Familienangehörigen des Ehegatten von P1 kann kein besonders Abhängigkeitsverhältnis festgestellt werden. Die Beschwerdeführer sind in die Grundversorgung einbezogen und werden zusätzlich vom Vater und vom Bruder des Ehegatten von P1 finanziell unterstützt.

P1 hat am 25.04.2018 das A1-Sprachdiplom und am 11.07.2018 das A2-Sprachdiplom Deutsch abgelegt und besucht derzeit gemeinsam mit ihrem Ehegatten regelmäßig ein Sprachcafé. In der mündlichen Verhandlung konnte sie an sie gestellte Fragen größtenteils verstehen und gebrochen auf Deutsch beantworten. P2 besucht regelmäßig eine Kindergruppe.

Hinweise auf das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen für eine "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" kamen nicht hervor.

5. Zur aktuellen Lage im Herkunftsstaat der Beschwerdeführer wird festgestellt:

Allgemein

Tadschikistan hatte im Juli 2017 mehr als 8,4 Millionen Einwohner und ist über. 144 000 Quadratkilometer groß (CIA Factbook 20.04.2018).

Die Republik Tadschikistan hat eine Bevölkerung von 8,75 Millionen (hochgerechnet 2017) und ist ein Tadschikistan ist ein Binnenstaat im Süden Zentralasiens mit einer West-Ost-Ausdehnung von 700 km und von Nord nach Süd erstreckt es sich über 350 km. Seine Fläche wird allerorten mit 143.100 km² angegeben (muss eigentlich 142.100 km² lauten, da 2002 Tadschikistan vertraglich 1.000 km² im Pamir an China abgetreten hat, das im Gegenzug auf weitere 28.000 km² Gebietsansprüche verzichtete; das zugehörige Protokoll wurde Januar 2011 vom Tadschikischen Parlament ratifiziert). Dies entspricht etwas mehr als einem Drittel der Fläche Deutschlands. - Tadschikistan grenzt im Westen und Norden an Usbekistan (ca. 1330 km), im Norden an Kirgisistan (ca. 980 km), im Osten an China (ca. 520 km), und im Süden an Afghanistan (ca. 1340 km [LIP Überblick März 2018]).

Nach der Unabhängigkeit von der UdSSR am 09.09.1991 wuchsen die Spannungen zwischen der kommunistischen Regierung unter Präsident Nabiev und oppositionellen Gruppen. In diesem Konflikt entluden sich politischen, religiösen und regionale Gegensätze. Im Zuge der gewaltsamen Eskalation 1992 verlor Nabiev seine Macht. Nach einer kurzen Übergangszeit wurde Emomali Rahmon zuerst Vorsitzender des Obersten Sowjets Tadschikistans (1992), später Staatspräsident (1994). Innertadschikische Gespräche unter russischer und iranischer Vermittlung führten am 17.09.1994 zu einem Waffenstillstand (Dokument von Teheran). Der Bürgerkrieg wurde mit Unterzeichnung des "Allgemeinen Abkommens über Frieden und Nationale Versöhnung in Tadschikistan" durch Präsident Rahmon und Oppositionsführer Nuri am 27.06.1997 in Moskau beendet. Zum Vorsitzenden der mit der Umsetzung der Friedensvereinbarungen beauftragten Nationalen Versöhnungskommission (NVK) wurde der 2006 verstorbene UTO-Chef Nuri gewählt. Zu den wichtigsten Ergebnissen der NVK-Tätigkeit zählen die Rückführung aller tadschikischen Bürgerkriegsflüchtlinge aus Afghanistan, der Austausch der Kriegsgefangenen und eine Amnestie für bürgerkriegsbedingte Straftaten. Der Opposition wurde eine 30-Prozent-Quote an hohen Regierungsämtern eingeräumt. Nach Aufhebung des Verbots der Parteien und politischen Gruppierungen der UTO am 12.08.1999 konnten sich diese und andere Parteien registrieren und am politischen Leben teilnehmen. Seit der 2006 erfolgten Entlassung des damaligen Katastrophenschutzministers Mirzo Ziyoyev wurden prominente Regierungsämter nicht mehr mit Politikern der Opposition besetzt. Die Partei der Islamischen Wiedergeburt Tadschikistans (PIWT), ehemals Teil der Vereinigten Tadschikischen Opposition, wird der Unterstützung eines Putschversuchs im September 2015 bezichtigt und wurde auf Grundlage dieses Vorwurfs verboten. Tadschikistan hat ein Zweikammer-Parlament mit einer Legislaturperiode von fünf Jahren. Die Abgeordneten des Unterhauses werden laut Verfassung in gleicher, freier, direkter und geheimer Wahl gewählt. Es gilt ein gemischtes Mehrheits- und Verhältniswahlrecht sowie eine Fünfprozent-Klausel. Die Abgeordneten des Oberhauses werden zum Teil von den Regionen entsandt, zum Teil vom Staatspräsidenten ernannt. Die Präsidentschaftswahlen am 06.11.2013 gewann Staatspräsident Rahmon nach offiziellen Angaben mit 86,6 Prozent der Stimmen; seine derzeitige Amtszeit endet 2020. Am 01.03.2015 fanden Parlamentswahlen statt. Im Mai 2016 wurden in einem Referendum mehrere Verfassungsänderungen angenommen, darunter die Möglichkeit einer lebenslangen Präsidentschaft Rahmons sowie die Senkung des Mindestalters für das Präsidentenamt auf 30 Jahre. Im Januar 2017 übernahm Rustam Emomali, Sohn des Staatspräsidenten, das Bürgermeisteramt der Hauptstadt Duschanbe (AA Innenpolitik März 2018).

Die Republik Tadschikistan stellt sich nach außen hin, von ihrer 1994 angenommenen Verfassung her gesehen, als ein eng an westlichen Vorbildern und Werten orientiertes Staatswesen dar - mit Gewaltenteilung, Parlament, Mehrparteiensystem und freien Wahlen, mit Presse-, Meinungs-, und Versammlungsfreiheit... Lediglich die starke, überwiegend in den Händen des Präsidenten konzentrierte Exekutive sticht bei den Regelungen der Verfassung ins Auge. Praktisch gesehen aber kommt den nominell anderen Gewalten und Organen des Staats gegenüber dem autoritären, klientelistischen und patriarchalen Regime, das ganz auf den Präsidenten und seinen mächtigen präsidialen Apparat zentriert ist, keine eigenständige Bedeutung zu. Nicht nur bei der Regierung sondern auch bei der Verwaltung, dem Justizapparat und den Sicherheitsorganen liegt die Besetzung der Schlüsselposten in der Hand des Präsidenten und lässt mithin im Zweifelsfall die nötige Unabhängigkeit - bis hinauf zum Verfassungsgericht - und rechtsstaatliches Handeln einschlägiger Institutionen missen. Die Rolle des Parlaments - Majlisi Oli, das sich seit 1999 in ein Oberhaus (Majlisi Milli) mit ernannten Deputierten und ein alle fünf Jahre neugewähltes Unterhaus (Majlisi Nemoyandagon) teilt - erscheint hinsichtlich seiner legislativen Funktion weitgehend auf die periodische Verabschiedung anderweitig vorgefertigter Gesetzesentwürfe reduziert. Dem Justizapparat mangelt es an Unabhängigkeit. Die formal gegebene Kompetenzenteilung durch die administrative Gliederung in fünf Provinzen (1. die Hauptstadt Duschanbe als eigenständige Einheit innerhalb des Gebiets der 2. von ihr aus verwalteten Bezirke, die der Republik unterstellt sind; 3. Sughd; 4. Chatlon; 5. die Autonome Provinz Berg-Badachschan ), welche sich wiederum in Bezirke (nohija) und jene in Dorfgemeinschaften (dschamoat) untergliedern, verblasst hinter einem allerorten spürbaren Zentralismus (LIP Geschichte und Staat März 2018).

(CIA, Central Intelligence Agency, The World Factbook, Tajikistan, last update 24.04.2018,

https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/ti.html

LIP, Liportal, Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), Tadschikistan, Überblick, letzte Aktualisierung März 2018,

https://www.liportal.de/tadschikistan/ueberblick

AA, Auswärtiges Amt, Tadschikistan, Innenpolitik, Stand März 2018, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Tadschikistan/Innenpolitik_node.html

LIP, Liportal, Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), Tadschikistan, Geschichte und Staat, letzte Aktualisierung März 2018,

https://www.liportal.de/tadschikistan/geschichte-staat)

Sicherheitslage

Aufgrund von verstärkten und voraussichtlich andauernden Kampfhandlungen im Großraum Faizabad (Afghanische Provinz Badachschan) wird bis auf weiteres von Reisen in den tadschikischen Grenzbezirk Ischkaschim (Autonomer Oblast Gorno Badachshan) abgeraten. Zudem kann es an der Grenze zu Afghanistan vereinzelt zu Schusswechseln zwischen afghanischen Drogenschmugglern und Angehörigen der tadschikischen Grenztruppen und der Drogenkontrollbehörde kommen. Fahrten nahe der Grenze zu Afghanistan sollten nur nach vorheriger Information über die aktuelle Sicherheitslage und unter größtmöglicher Umsicht durchgeführt werden. Es wird dringend davor gewarnt, die unzureichend demarkierte und bisweilen ungesicherte afghanisch-tadschikische Grenze illegal zu überschreiten, um z.B. auf afghanischem Territorium Fotos für Soziale Netzwerke zu erstellen. Darüber hinaus ist es seit Anfang 2014 im Grenzgebiet zwischen Tadschikistan und Kirgisistan wiederholt zu bewaffneten Auseinandersetzungen teilweise mit Todesopfern gekommen. Ausländische Reisende waren zwar nicht betroffen, dennoch sind auch hier Vorsicht und Wachsamkeit geboten. Das Risiko terroristischer Anschläge auch auf westliche Einrichtungen erscheint derzeit weiterhin gering, kann aber nicht ausgeschlossen werden. Es wird daher weiterhin zur Vorsicht und Wachsamkeit aufgerufen (AA Reise- und Sicherheitshinweise 27.04.2018).

Von eigenen nächtlichen Überlandfahrten sollte wegen verbreiteter Erscheinungen grob mangelhafter Verkehrssicherheit abgesehen werden - in ganz besonderem Maße im grenznahen Gebiet zu Afghanistan (Schmuggler und Grenzschutz im Einsatz [LIP Alltag März 2018]).

Von Reisen in die unmittelbaren Grenzgebiete zu Usbekistan und Kirgisistan wird abgeraten, es ist Vorsicht und Wachsamkeit geboten. Die Grenze ist stellenweise vermint. An der Grenze zu Afghanistan kommt es vereinzelt zu Schusswechsel zwischen afghanischen Drogenschmugglern, tadschikischen Vertretern der Grenztruppen und der Drogenkontrollbehörde. Fahrten nahe der Grenze zu Afghanistan sollten nur nach vorheriger Information über die aktuelle Sicherheitslage unter größtmöglicher Umsicht durchgeführt werden. Das Risiko terroristischer Anschläge auf westliche Einrichtungen erscheint derzeit gering, kann aber nicht ausgeschlossen werden. Es wird allgemein zu erhöhter Vorsicht und Wachsamkeit aufgerufen. In den Grenzgebieten zu Usbekistan und Kirgisistan (Masdcho Tal) hielten sich in der Vergangenheit islamistische Gruppierungen mit potenziell terroristischer Ausrichtung auf (BMEIA 27. 04.2018).

(AA, Auswärtiges Amt, Tadschikistan, Reise- und Sicherheitshinweise, unverändert gültig seit 03.04.2018, Stand 27.04.2018, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Laenderinformationen/00-SiHi/Nodes/TadschikistanSicherheit_node.html

LIP, Liportal, Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), Tadschikistan, Alltag, letzte Aktualisierung März 2018, https://www.liportal.de/tadschikistan/alltag

BMEIA, Österreichisches Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres, Reiseinformation, Tadschikistan, unverändert gültig seit 09.11.2017, Stand 27.04.2018, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/tadschikistan)

Justiz

Obgleich das Gesetz eine unabhängige Gerichtsbarkeit vorsieht, übt die Exekutive Druck auf Staatsanwälte, Verteidiger und Richter aus. Korruption und Ineffizienz stellen erhebliche Probleme dar (USDOS 20.04.2018).

Die Gerichtsbarkeit in der Republik Tadschikistan ist laut Gesetz zwar unabhängig und organisatorisch abgegrenzt, in der Praxis ist sie jedoch weitgehend der Exekutive untergeordnet. Der Staatspräsident kontrolliert durch sein verfassungsmäßiges Prärogativ die Richter und den Generalstaatsanwalt zu ernennen bzw. zu entlassen die Justiz. Die Gerichte werden in ihrer Spruchpraxis durch die Staatsanwaltschaft beeinflusst. Bezüglich Einfluss und politischer Macht steht die Staatsanwaltschaft über den Gerichten. In politisch heiklen Fällen urteilen die Richter gemäß den Anweisungen mächtiger Beamter der Präsidialverwaltung oder des Geheimdienstes (BTI 2018).

Dem Justizapparat mangelt es an Unabhängigkeit. Rechtsstaatlichkeit ist nur sehr bedingt gewährleistet; Repressionen sind zu einem konstanten Wesensmerkmal des Regimes geworden. Korruption, Patronage und Nepotismus genießen unter der Regierung, in Verwaltung und Justiz hohe Verbreitung. Eine überraschende Präsidentenschelte in diese Richtung von Anfang 2012 und damit verbundene Postenumbesetzungen werden an der Situation schwerlich etwas Grundlegendes geändert haben, da Rahmon, seine Familie und Günstlinge selbst als tief in derlei Netzwerke verstrickt gelten (LIP Geschichte und Staat März 2018).

(USDOS, U.S. Department of State, Country Report on Human Rights Practices for 2017, 20.04.2018, https://www.state.gov/j/drl/rls/hrrpt/humanrightsreport/index.htm#wrapper

BTI, Bertelsmann Stiftung Transformation Index, Tadschikistan, Country Report 2018,

http://www.bti-project.org/en/reports/country-reports/detail/itc/TJK

LIP, Liportal, Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), Tadschikistan, Geschichte und Staat, letzte Aktualisierung März 2018,

https://www.liportal.de/tadschikistan/geschichte-staat)

Sicherheitsbehörden

Das Innenministerium ist vorrangig für die Erhaltung der Öffentlichen Ordnung zuständig und leitet die Polizei. Die Drogenkontrollbehörde, die Antikorruptionsbehörde und die staatliche Steuerbehörde können spezifischen Straftaten verfolgen und berichten dem Präsidenten. Das Staatskomitee für Nationale Sicherheit (GNKB) ist für den Nachrichtendienst verantwortlich, kontrolliert den Grenzschutz und untersucht Fälle von vermeintlichen extremistischen Aktivitäten im politischen oder religiösen Bereich, Fälle von Menschenschmuggel und politisch sensible Fälle. Die Zollbehörde berichtet direkt dem Präsident. Die Generalstaatsanwaltschaft beaufsichtigt die strafrechtlichen Untersuchungen die von zuständigen Behörden durchgeführt werden. Es kommt zu beträchtlichen Überlappungen bei der Zuständigkeit. Die Vollzugsbehörden unterstehen dem GNKB und sind bei der Bekämpfung der organisierten Kriminalität nicht effizient, da kriminelle Banden über Beziehungen in hohen Regierungskreisen und Sicherheitsbehörden verfügen (USDOS 20.04.2018).

Straffreiheit bei Behörden stellt weiterhin ein gravierendes Problem dar. Während Behörden geringe Anstrengungen unternehmen um Straftäter zur Verantwortung zu ziehen, gibt es weiterhin Berichte von Folter und Misshandlungen von Häftlingen. Die Kultur von Straffreiheit und der Korruption behindern die Ermittlungen und die Strafverfolgung (USDOS 20.04.2018).

(USDOS, U.S. Department of State, Country Report on Human Rights Practices for 2017, 20.04.2018, https://www.state.gov/j/drl/rls/hrrpt/humanrightsreport/index.htm#wrapper)

Korruption

Auf einer Pressekonferenz der Agentur für Finanzkontrolle und den Kampf gegen Korruption wurde am 15.02.2018 bekannt, dass 2017 im Ministerium für Bildung und Wissenschaft die meisten Korruptionsfälle (70) aufgedeckt wurden, gefolgt vom Gesundheitsministerium (60) und dem Innenministerium mit 57 (ZA 122 23.02.2018).

Zwei problematische Wirtschaftsfaktoren von unbestimmter Größe stellen seit Jahren Korruption und Drogenhandel dar. 2007 wurden rund 5,2 Tonnen Rauschgift, darunter 2,5 Tonnen Opium und 1,5 Tonnen Heroin konfisziert, 2010 waren es 4 Tonnen Rauschgift, darunter 1 Tonne Heroin, und 2013 wurden nach Angaben der Drogenkontrollagentur Tadschikistans 6,6 Tonnen beschlagnahmt und 2016 3,5 Tonnen. Dies wird auf einen nur geringen Anteil an derjenigen Menge von Drogen geschätzt, die das Land im Transit von Afghanistan her passieren. So wird in einer vom UNODC 2012 vorgelegten Studie angenommen, dass 2010 75-80 Tonnen Heroin und 18-20 Tonnen Opium ihren Weg über Tadschikistan genommen haben. Eine andere, 2014 angefertigte Studie bestätigt diese Ergebnisse und hält zudem fest, dass die Einnahmen aus Drogenhandel sich auf mindestens 30% des BIP belaufen und Tadschikistan hinsichtlich seiner registrierten Drogenkriminalität die niedrigste Rate in Zentralasien aufweist. Transparency International listet Tadschikistan im Corruption Perceptions Index für 2017 auf Platz 161 von 180. Eine 2007 vom UNDP veröffentlichte Studie zur Schattenwirtschaft beziffert den informellen Sektor für 2005 auf 60,93% des BIP (32,98% Steuerhinterziehungen, 14,74% Eigenproduktion und -konsum von Nahrungsmitteln, 13,21% Schwarzarbeit und Tauschgeschäfte), wobei Einkünfte aus kriminellen Aktivitäten bei dieser Studie nicht berücksichtigt wurden. Nach neueren Schätzungen des IWF belief sich 2012 das Volumen der Schattenwirtschaft auf rd. 30% des BIP, also etwa 2 Mrd. US$; allerdings war dann für 2013 schon wieder von über 50% die Rede. Bei der Bewertung des Risikos von Geldwäsche durch den Basel AML Index für 2017 ist Tadschikistan auf Platz 4, also mit an der Spitze unter den dort gelisteten 146 Ländern zu finden. Zur Frage der Korruption im Land hat das Strategische Forschungszentrum unter dem Präsidenten 2006 einen eigenen Survey der öffentlichen Meinung vorgelegt und 2010 dazu eine Nachfolgeuntersuchung durchgeführt. Aus letzterer geht hervor, dass seit 2006 der Anteil korrupter Dienstleistungen von 60% auf 83% gestiegen war, das Risiko in eine Bestechungssituation zu geraten von 31% auf 46%, und Forderungen nach Bestechung waren von 25% auf 40% gewachsen. Als korrupteste Strukturen gelten: die Verkehrspolizei (32,3%), medizinische Einrichtungen (30,6%), Institutionen für Höhere Bildung (23,9%) und die Antikorruptionsbehörde (21,4%). In den letzten Jahren wurde seitens der Tadschikischen Regierung zumindest formal einiges gegen Korruption unternommen. Valide Hinweise auf eine grundlegende Veränderung der Situation liegen aber nicht vor, wie z.B. auch ein OECD-Bericht von 2014 zum Stand der Anti-Korruptionsreformen in Tadschikistan und ein Update dazu von 2016 sowie ein weiteres von Ende 2017 erkennen lassen. Zwar sind angemahnte Veränderungen an der Gesetzeslage vorgenommen worden, aber der Frühjahr 2017 losgetretene Skandal um die Antikorruptionsbehörde wirft etliche praktische Fragen auf (LIP Wirtschaft März 2018).

Am 23.01.2017 wurde Sulajmon Sultonsoda neuer Chef der Agentur für den Kampf gegen Korruption, der bis zu seiner Ernennung zum Bürgermeister von Duschanbe in der Vorwoche Rachmons Sohn Rustam Emomali vorgestanden hatte (ZA 110 24.02.2017)

Staatliche Verfolgung von Korruption erfolgt fast ausschließlich aus politischen Gründen auf den unteren Ebenen der staatlichen Verwaltung, insbesondere in den Bereichen Gesundheit, Bildung und Landwirtschaft (BTI 2018). Im Corruption Perceptions Index 2017 von Transparency International liegt Tadschikistan auf Platz 161 von 180 bewerteten Ländern (TI 2017).

Das Gesetz sieht Sanktionen nach dem Strafrecht für bestechliche Beamte vor, doch setzt die Regierung dieses Gesetz nicht effektiv um. Beamte sind häufig in korrupte Praktiken verwickelt und kommen ungestraft davon. Korruption kommt im Bildungsministerium systematisch vor. Für die Zulassung zu den prestigeträchtigsten Hochschulen des Landes müssen Studenten tausende Somoni (hunderte Dollar) an Schmiergelder zahlen. Studenten bezahlen oft zusätzlich Bestechungsgelder um gute Prüfungsnoten zu erhalten. Viele Verkehrspolizisten behalten sich Bußgelder, welche für sie Verwaltungsübertretungen eingenommen haben. Das Problem ist verbreitet und zum Teil eine Folge der niedrigen Gehälter der Verkehrspolizei. Viele Verkehrspolizisten sollen selbst Bestechungsgelder für ihre Aufnahme bezahlt haben und versuchen sich auf diese Weise bei motorisierten Verkehrsteilnehmern schadlos zu halten. Das Innenministerium, die Antikorruptionsbehörde und das Büro des Generalstaatsanwalts sind für die Verfolgung, Verhaftung und Anklageerhebung von als korrupt verdächtigen Beamter zuständig. Die Regierung gesteht Probleme mit Korruption ein und unternahm einige Maßnahmen zur Bekämpfung, darunter Beamten unteren Ebenen wegen Annahme von Bestechungsgeldern vor Gericht zu bringen (USDOS 20.04.2018).

Am 04.02.2017 berichtet in einem Interview mit dem tadschikischen Dienst von RFE/RL der oberste Auditor der Rechnungskammer, dass sieben Mitarbeiter lokaler Behörden in Bochtar (Gebiet Chatlon), Kanibadam (Gebiet Sogd), Ruschan (Autonomes Gebiet Berg-Badachschan, GBAO) und Kurgan-Tjube (Gebiet Chatlon) wegen des Vorwurfs der missbräuchlichen Verwendung von Haushaltsmitteln entlassen und weitere 200 disziplinarisch zur Verantwortung gezogen wurden (ZA 110 24.02.2017).

Zum Nachfolger auf dem machtpolitisch bedeutsamen Bürgermeisterposten ernannte der Präsident seinen eigenen ältesten Sohn Rustam Emomali, einen jungen Mann (er wird Ende 2017 30 Jahre alt), der mit einer zweifelerweckenden Reputation ausgestattet ist, seit 2013 als Leiter der Zollbehörde und seit März 2015 als Chef der Antikorruptionsbehörde fungiert hatte, wobei letztere bemerkenswerterweise unmittelbar danach ihrerseits heftig in die Schusslinie des Präsidenten geraten ist (LIP Geschichte und Staat März 2018).

Am 14.06.2017 berichtete der tadschikische Dienst von RFE/RL, dass bereits zwei Wochen zuvor Chursched Dschabborsoda, stellvertretender Leiter einer Abteilung der Generalstaatsanwaltschaft, unter Korruptionsverdacht verhaftet wurde. Am 20.06.2017 meldete der tadschikische Dienst von RFE/RL die Verhaftung eines weiteren hochrangigen Ex-Mitarbeiters der Agentur zur Finanzkontrolle und für den Kampf gegen Korruption. Kosim Saidsoda war in leitender Funktion in der Hauptverwaltung für den Kampf gegen Wirtschaftskriminalität tätig (ZA 114 30.06.2017).

Der tadschikische Dienst von RFE/RL berichtete am 22.01.2018, dass als Maßnahme im Kampf gegen Korruption in allen Räumen und Korridoren des Ministeriums für wirtschaftliche Entwicklung und Handel Videokameras installiert wurden (ZA 122 23.02.2018).

(ZA, Zentralasien Analysen, Deutsche Gesellschaft für Osteuropakunde (DGO), Nr.114, 30.06.2017,

http://www.laender-analysen.de/zentralasien/pdf/ZentralasienAnalysen114.pdf

BTI, Bertelsmann Stiftung Transformation Index, Tadschikistan, Country Report 2018,

http://www.bti-project.org/en/reports/country-reports/detail/itc/TJK

TI, Transparency International, Corruption Perceptions Index 2017, Tajikistan, http://www.transparency.org/country/TJK

ZA, Zentralasien-Analyse, Deutsche Gesellschaft für Osteuropakunde (DGO), Nr. 110, 24.02.2017,

http://www.laender-analysen.de/zentralasien/pdf/ZentralasienAnalysen110.pdf

USDOS, U.S. Department of State, Country Report on Human Rights Practices for 2017, 20.04.2018, https://www.state.gov/j/drl/rls/hrrpt/humanrightsreport/index.htm#wrapper

LIP, Liportal, Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), Tadschikistan, Wirtschaft und Entwicklung, letzte Aktualisierung März 2018, https://www.liportal.de/tadschikistan/wirtschaft-entwicklung

ZA, Zentralasien Analysen, Deutsche Gesellschaft für Osteuropakunde (DGO), Nr. 122, 23.02.2018,

http://www.laender-analysen.de/zentralasien/pdf/ZentralasienAnalysen122.pdf

LIP, Liportal, Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), Tadschikistan, Geschichte und Staat, letzte Aktualisierung März 2018,

https://www.liportal.de/tadschikistan/geschichte-staat)

Nichtregierungsorganisationen (NGOs)

2009 wurde ein "Beauftragter der Regierung für die Wahrung der Menschenrechte" - ein sogenannter Ombudsmann - per Dekret des Präsidenten eingesetzt; seine Wirkungsmöglichkeiten sind jedoch begrenzt (AA Innenpolitik März 2018).

Ebenso wie bei den Medien ist das Wirken von tadschikischen NGOs mittlerweile stark reglementiert, zunächst durch eine Novelle des Vereinsrechts, welche u.a. eine Neuregistrierung aller NGOs bis Januar 2008 verlangte, und jüngst (2015) durch eine Verschärfung des Gesetzes, das nun u.a. eine Offenlegung ihrer Finanzierung verlangt. Die Aktivitäten von NGOs sind zumeist - auch im Fall des Eintretens für Pressefreiheit - von außen, durch internationale Organisationen inspiriert und gefördert, so z.B. vom Open Society Institute, das auch in Tadschikistan eine Zweigstelle unterhält, und anderen us-amerikanischen Stiftungen, von UN-Organisationen oder auch von der OSZE, die seit 1994 mit einer Langzeitmission (Oktober 2002 in ein OSZE-Zentrum, Juni 2008 in ein OSZE-Büro in Tadschikistan umgewandelt und schließlich Juli 2017 [auf Drängen der Tadschikischen Regierung] zu einem OSZE-Programmbüro in Duschanbe herabgestuft) vor Ort vertreten ist (LIP Geschichte und Staat März 2018).

(AA, Auswärtiges Amt, Tadschikistan, Innenpolitik, Stand März 2018, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Tadschikistan/Innenpolitik_node.html

LIP, Liportal, Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), Tadschikistan, Geschichte und Staat, letzte Aktualisierung März 2018,

https://www.liportal.de/tadschikistan/geschichte-staat)

Menschenrechte

Im Vergleich zur Zeit des Bürgerkriegs hatte sich die Menschenrechtslage zunächst verbessert. Tadschikistan hat alle wichtigen Menschenrechtskonventionen der Vereinten Nationen ratifiziert. 2009 wurde ein "Beauftragter der Regierung für die Wahrung der Menschenrechte" - ein sogenannter Ombudsmann - per Dekret des Präsidenten eingesetzt; seine Wirkungsmöglichkeiten sind jedoch begrenzt. Defizite bestehen in den Bereichen Freiheit der Medien, Rechtsstaatlichkeit, Haftbedingungen sowie innerhalb der Streitkräfte. Verhaftungen von Rechtsanwälten und Politikern im Zusammenhang mit oppositionellen Akteuren wie der Partei der Islamischen Wiedergeburt Tadschikistans verstärken die Sorge über Rückschritte. Das Verhältnis zum Islam, dem 98% der tadschikischen Bevölkerung angehören, ist von Kontrollbemühungen der Regierung und dem Zurückdrängen fundamentalistischer Einflüsse gekennzeichnet. Damit wird versucht, dem wachsenden Einfluss radikaler Strömungen entgegenzuwirken. Eine Grundlage bildet das 2009 in Kraft getretene "Gesetz über Gewissensfreiheit und religiöse Organisationen", das von OSZE und EU in vielen Punkten kritisiert wurde (AA Innenpolitik März 2018).

Polizei und Sicherheitsbehörden verfolgen Menschenrechtsanwälte und deren Familien (AI 22.02.2018).

Die Arbeit der Zivilgesellschaft wird durch selektive Justiz und willkürliche Anwendung bestehender Regularien und Gerichtsurteile in Einzelfällen behindert. Seit dem Jahr 2012 wurde eine rechtlich wirksame Definition der Folter in den Gesetzeskanon aufgenommen, die Strafen für Folter wurden verschärft und inzwischen auch einzelne Fälle vor Gericht gebracht und abgeurteilt. Tadschikistan hatte 2012 den Sonderberichterstatter für Folter sowie den Sonderberichterstatter für das Recht auf Gesundheit der Hochkommissarin für Menschenrechte eingeladen und gewährte ihnen im Rahmen ihrer Besuche weitgehend freien Zugang zu Haftanstalten und anderen geschlossenen Institutionen(AA Innenpolitik März 2018).

(AI, Amnesty International, Report 2017/18, The State of the World's Human Rights, Tajikistan, 22.02.2018, https://www.amnesty.org/en/countries/europe-and-central-asia/tajikistan/report-tajikistan

AA, Auswärtiges Amt, Tadschikistan, Innenpolitik, Stand März 2018, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Tadschikistan/Innenpolitik_node.html)

Todesstrafe

Tadschikistan hat die Verhängung und Vollstreckung der Todesstrafe kraft Gesetzes mit Rückwirkung zum 30.04.2004 ausgesetzt. Für Frauen ist die Todesstrafe gänzlich abgeschafft (AA Innenpolitik März 2018).

(AA, Auswärtiges Amt, Tadschikistan, Innenpolitik, Stand März 2018, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Tadschikistan/Innenpolitik_node.html)

Grundversorgung

Die volkswirtschaftliche Struktur ist unter anderem geprägt durch die Folgen des Bürgerkriegs, Abwanderung und Arbeitsmigration, die Gebirgslage, geringe fossile Rohstoffvorkommen und eine anhaltend negative Außenhandelsbilanz. Tadschikistan ist der ärmste der fünf zentralasiatischen GUS-Staaten. Nach Angaben der Weltbank lebten 2015 31% der Bevölkerung unterhalb der nationalen Armutsgrenze, 2000 hingegen noch 83%. In wichtigen Feldern wie Korruptionsbekämpfung, Registrierung und Schutz von Privateigentum sowie Wirtschaftsförderung sind weitere Reformschritte nötig. Nach wie vor gibt es keine bedeutende ausländische Direktinvestitionen westlicher Staaten. Auch 2016 ist das BIP (Bruttoinlandsprodukt) in US-Dollar laut Weltbank weiter gesunken, auf 6,95 Mrd. insgesamt und 796 USD pro Kopf. In Landeswährung hingegen lag lt. offiziellen Zahlen ein reales Wachstum von 6,9% vor, ähnliche Werte werden von offiziellen Stellen für 2017 und 2018 erwartet. In den letzten Jahren wurden die Aluminium- und Baumwollproduktion - und damit auch der Export - nicht zuletzt aufgrund deutlich gesunkener Weltmarktpreise stark zurückgefahren. Seit Ende 2014 hat der tadschikische Somoni krisenbedingt deutlich an Wert gegenüber dem US-Dollar verloren. Bis 2016 gingen die Zahl der tadschikischen Gastarbeiter in Russland und Kasachstan und deren Rücküberweisungen stark zurück. Gleichwohl entsprachen sie 2016 laut Internationalem Fonds für landwirtschaftliche Entwicklung (IFAD) 29% des BIP (Bruttoinlandsprodukt); einen höheren Wert erzielten weltweit nur Nepal und Liberia. Derzeit reisen wieder mehr Gastarbeiter nach Russland. Die Diversifizierung der heimischen Wirtschaft hat nur punktuell Fortschritte gemacht. Faktoren wie Problemfälle im Bankensektor sich nachteilig auf die ökonomische Entwicklung aus. In den letzten Jahren haben sich einige Länder, vor allem die Volksrepublik China, mit einer Reihe von Infrastruktur-Großprojekten (Energie, Bergbau, Straßenbau) sowie industriellen Investitionen engagiert. Tadschikistan wirbt um Kooperation mit Golfstaaten mit Katar und Saudi-Arabien, die unter anderem Großbauten in der Hauptstadt finanzieren. Verbesserungspotenzial besteht in der Diversifizierung der Wirtschaft und der Stärkung des Bildungssystems sowie des Privatsektors. In den Bereichen Korruptionsprävention, Rechtssicherheit, der Steuerverwaltung und Infrastrukturentwicklung sind weiterhin Fortschritte nötig. Eine positive Entwicklung ist im Agrarbereich zu verzeichnen, wo das Angebot sichtbar gewachsen ist (AA Wirtschaft März 2018).

Am 26.06.2017 wurde bekannt, dass die Regierung vor einigen Wochen die Bildung einer Staatsagentur für Ernährungssicherheit beschlossen hat (ZA 115 28.07.2017).

Ein Blick auf Wirtschaftsdaten Tadschikistans kann nicht mehr als einer groben Orientierung dienen, da 1) ein erheblicher Anteil der tadschikischen Ökonomie sich in Grauzonen abspielt, 2) die Erhebung von Daten durch die nationale Statistikbehörde - eine wichtige Quelle, auch für die multilateralen Geber - noch auf relativ schwachen Beinen steht, und mithin 3) die Angaben häufig auf Fortschreibungen, Schätzungen und Hochrechnungen basieren und nur selten auf einem aktuellen Stand angeboten werden. Die merkliche Verbesserung der Sicherheitslage im Land auf der einen Seite sowie Folgen des "11. September" 2001 auf der anderen Seite unterstützten, dass Tadschikistan mit der Jahrtausendwende gesamtwirtschaftlich gesehen in eine Phase des Wachstums eintrat. Das anhaltende, im Zuge der internationalen Finanzkrise lediglich vorübergehend gebremste Wirtschaftswachstum mag als Indikator einer gewissen Konsolidierung zu verstehen sein, entbehrt aber weitgehend einer soliden Grundlage. Es ist in erster Linie makroökonomisch begründet und basiert zu einem überaus hohen Prozentsatz auf Arbeitsmigration sowie zwei Exportgütern, die beide in bis heute staatseigenen bzw. -kontrollierten Betrieben hergestellt werden: Aluminium (sorgte lange Zeit für rund die Hälfte der Exporterlöse, wobei aber Tadschikistan selbst über keine abbauwürdigen Bauxitvorkommen verfügt, sondern lediglich über eine riesige Aluminiumschmelze aus sowjetischer Zeit), und Baumwolle (macht rd. 15% der Exporterlöse aus). Die Preise für diese Güter auf dem Weltmarkt sind unbeständig. Die einseitige Zusammensetzung der Exporte setzte sich über die Jahre fort (2015 machen Aluminium noch 30% und Baumwolle 9,8% aus), auch wenn in jüngster Zeit hier eine leichte Diversifizierung und statistisch ein zunehmender Anteil des Dienstleistungssektors am BIP zu konstatieren sind, welche aber hinsichtlich der makroökonomischen Stabilität offenbar keine rechte Wirkung zeigen. Ein Wachstumsfaktor, der seit 2004 unversehens zu erheblicher Bedeutung aufgestiegen ist, sind die Rücktransfers tadschikischer Arbeitsmigranten. Aus der Not der Bevölkerung geboren, hat das Phänomen Arbeitsmigration im Lauf der Jahre gewaltige Dimensionen angenommen. 2008 wurde geschätzt, dass von gut 1,5 Mio. Arbeitsmigranten (98% davon nach Russland) an die 2,5 Mrd. US$ (praktisch die Hälfte des BIP) nach Tadschikistan und dort zu einem guten Teil in privaten Konsum, aber auch kleinere Privatinvestitionen geflossen sind. An diesen Verhältnissen hat sich in den darauf folgenden Jahren zunächst wenig geändert. Für 2011 wurde Tadschikistan mit einem Anteil von 47% am BIP in dieser Relation mit weitem Abstand auf Platz 1 derjenigen Länder der Welt gelistet, die Rücktransfers von Arbeitsmigranten empfangen, und dies mit leicht steigender Tendenz wie jüngere Berechnungen ergaben. Mit 2015 hat sich diese Situation jedoch spürbar gewandelt, da Russland einerseits verschärfte Einreisebestimmungen für tadschikische Arbeitsmigranten eingeführt hat (u.a. Visumspflicht, Sprachtest, Gesundheitscheck) und andererseits durch die Ukrainekrise mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu kämpfen hat, was sich bereits im letzten Quartal 2014 für Tadschikistan bemerkbar gemacht hat: erste Berechnungen der ADB (Anmerkung: Asian Development Bank) ergaben, dass die Rücktransfers um 8,3% gesunken waren. Für das 1. Halbjahr 2015 meldete die Russische Zentralbank, dass die Überweisungen tadschikischer Arbeitsmigranten um 58,6% gesunken seien, wohingegen die Tadschikische Nationalbank von einem Rückgang von 32% sprach; und schließlich gelangte die Russische Zentralbank zu der Feststellung, dass die Rücktransfers im Gesamtjahr 2015 um 67% auf 1,2 Mrd. US$ gefallen seien. Dahingegen geht die Weltbank für 2015 von einem Rückgang auf 28,8% des BIP aus, also ein Sinken der Transfers auf 2,26 Mrd. US$, und für 2016 auf 26,9%. Laut einem Vertreter der Russischen Regierung soll sich 2016 die Summe der Transfers auf 1,9 Mrd. US$ belaufen haben, was mit einer Schätzung der Weltbank von 1,8 Mrd. korelliert, und nach Angaben der Russischen Zentralbank für 2017 auf 2,5 Mrd. US$ (LIP Wirtschaft März 2018). Nach Angaben des Ministeriums für Arbeit und Migration vom 19.01.2017 haben 2016 517.300 Arbeitsmigranten Tadschikistan verlassen, 437.000 und damit 12% mehr als im Vorjahr sind zurückgekehrt. Am 12.01.2017 senkt die Weltbank ihre Prognose für die Entwicklung des BIP Tadschikistans wegen des voraussichtlichen Rückgangs der Rücküberweisungen von Arbeitsmigranten für 2017 um 0,3% auf 4,5%, für 2018 sagt das Institut ein BIP-Wachstum von 5,2% voraus (ZA 109 27.01.2017). Nach Angaben der russischen Zentralbank haben tadschikische Arbeitsmigranten 2017 mehr als 2,5 Mrd. US-Dollar in ihre Heimat rücküberwiesen, über 600 Mio. US-Dollar mehr als 2016 (ZA 123 29.03.2018).

Auch jenseits der aktuell sich abzeichnenden Krise ist die tadschikische Arbeitsmigration langfristig eher als ein wirtschaftlicher Risikofaktor einzustufen (Abhängigkeit vom russischen Markt; hohe soziale Kosten; fehlender (qualifizierter) lokaler Arbeitsmarkt gepaart mit mangelnden Reformen im Privatsektor machen Tadschikistan für Direktinvestoren unattraktiv... [LIP Wirtschaft März 2018]). Im neuesten Index of Economic Freedom 2018 steht Tadschikistan nahezu unverändert auf Rang 106 (von 180), direkt vor der Russischen Föderation (ZA 122 23.02.2018).

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten