TE Vwgh Beschluss 2018/9/25 Ra 2017/01/0210

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Veröffentlicht am 25.09.2018
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Staatsbürgerschaft;

Norm

AVG §13 Abs8;
AVG §38;
AVG §6 Abs1;
StbG 1985 §12 Abs2 Z4 idF 2013/I/136;
StbG 1985 §7 idF 2013/I/136;
VwGVG 2014 §17;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Blaschek und die Hofräte Dr. Kleiser und Dr. Fasching als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Kienesberger, über die Revision des M C G in D, vertreten durch Mag. Kurt Gaar, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Weihburggasse 2, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 8. Mai 2017, Zl. VGW-151/071/8350/2016-8, betreffend Staatsbürgerschaft (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Wiener Landesregierung), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber wurde am 13. August 2013 in Thailand als Sohn eines österreichischen Staatsbürgers und einer Staatsangehörigen der Volksrepublik China geboren.

2 Mit Bescheid der belangten Behörde vom 17. Mai 2016 wurde der Antrag des Revisionswerbers vom 1. März 2016 auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft gemäß § 12 Abs. 2 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985, BGBl. Nr. 311 idF BGBl. I Nr. 136/2013 (StbG) abgewiesen. Begründend führte die Behörde aus, der minderjährige Revisionswerber sei zum Zeitpunkt der Antragstellung nicht rechtmäßig in Österreich niedergelassen gewesen. Sein (österreichischer) Vater habe den Mittelpunkt seiner Lebensinteressen und seinen ständigen und rechtmäßigen Aufenthalt seit Oktober 2015 in Österreich und nicht im Ausland. Die Voraussetzungen des § 12 Abs. 2 StbG seien somit nicht erfüllt.

3 In der dagegen erhobenen Beschwerde brachte der Revisionswerber vor, gemäß § 13 Abs. 8 AVG könne der verfahrensleitende Antrag in jeder Lage des Verfahrens geändert werden. Die belangte Behörde hätte den Vater des Revisionswerbers gemäß § 13a AVG aufzuklären gehabt, dass richtigerweise nicht die Verleihung der Staatsbürgerschaft sondern die Feststellung der Staatsbürgerschaft durch Abstammung gemäß § 6 Z 1 iVm § 7 StbG zu beantragen gewesen wäre und hätte zu einer solchen Änderung des Antrags anleiten müssen. Die Beschwerde enthält den Antrag, das Verwaltungsgericht "möge der Beschwerde Folge geben und den angefochtenen Bescheid dahin abändern, dass festgestellt werde, dass ich aufgrund Abstammung gem § 7 StbG österreichischer Staatsbürger bin."

4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien wurde die Beschwerde gegen den Bescheid der belangten Behörde "betreffend Abweisung des Antrags vom 01.03.2016 auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft gemäß § 12 Abs. 2 Staatsbürgerschaftsgesetz (StbG)" nach § 28 Abs. 1 VwGVG "als unbegründet abgewiesen und der angefochtene Bescheid bestätigt" (I.). Die ordentliche Revision wurde für unzulässig erklärt (II.).

5 Unter Punkt I. der Begründung ("Zum Antrag auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft") wiederholte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen die Begründung der belangten Behörde zur Abweisung des Verleihungsansuchens nach § 12 Abs. 2 StbG.

6 Unter Pkt. II. der Begründung ("Zum Erwerb der Staatsbürgerschaft durch Abstammung") führte das Verwaltungsgericht aus, uneheliche Kinder von österreichischen Vätern, die am 1. August 2013 oder später geboren worden seien, erlangten die Staatsbürgerschaft bei Geburt durch Abstammung vom Vater, wenn dieser die Vaterschaft vor oder binnen acht Wochen nach der Geburt des Kindes anerkenne. Im vorliegenden Fall sei die Beurkundung der Vaterschaft (des Vaters des Revisionswerbers) vor der österreichischen Botschaft in Bangkok erst am 4. Dezember 2013, und somit außerhalb der achtwöchigen Frist, erfolgt. Der Revisionswerber habe daher die österreichische Staatsbürgerschaft nicht nach § 7 Abs. 1 Z 3 StbG erwerben können.

7 Es sei daher zu prüfen, ob der Revisionswerber - wie in der Beschwerde vorgebracht - staatenlos sei und daher die Staatsbürgerschaft nach § 7 Abs. 3 StbG erworben habe.

8 Das Verwaltungsgericht habe - aus näher dargelegten Gründen - keine Veranlassung zur Annahme, dass der Revisionswerber thailändischer Staatsbürger sei, es sei jedoch anzunehmen, dass er nach Art. 5 des Gesetzes über die chinesische Staatsbürgerschaft ("Nationality Law of the People's Congress in China, Order No. 8 of the Chairman of Standing Comittee of the National People's Congress", in Kraft seit 10. September 1980) mit seiner Geburt die Staatsbürgerschaft der Volksrepublik China erworben habe.

9 Er habe die österreichische Staatsbürgerschaft daher mangels Staatenlosigkeit nicht gemäß § 7 Abs. 3 StbG erwerben können.

10 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.

11 Der Revisionswerber erachtet sich in den "Revisionspunkten" in seinem "subjektiven Recht auf Feststellung meiner österreichischen Staatsbürgerschaft" verletzt.

12 Zur Zulässigkeit der Revision wird zusammengefasst geltend gemacht, das Verwaltungsgericht sei von näher genannter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen: es habe - im Zusammenhang mit der Frage des Bestehens der österreichischen Staatsbürgerschaft des Revisionswerbers nach § 7 StbG - die der Entscheidung zu Grunde gelegten Vorschriften des chinesischen Rechts mit dem Vertreter des Revisionswerbers weder erörtert noch die Gelegenheit zur Abgabe einer Stellungnahme eingeräumt. Zudem sei die beantragte Einvernahme der Mutter des Revisionswerbers (zur Frage der chinesischen Staatsangehörigkeit des Revisionswerbers) ohne Begründung unterblieben. Es fehle außerdem an Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu näher umschriebenen Fragen der Anwendung des § 7 (Abs. 3) StbG.

13 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

14 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

15 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

16 Die belangte Behörde verzichtete in dem vom Verwaltungsgerichtshof durchgeführten Vorverfahren auf die Erstattung einer Revisionsbeantwortung.

17 Die Revision ist nicht zulässig.

18 § 7 StbG lautet:

     "Abstammung

     § 7. (1) Kinder erwerben die Staatsbürgerschaft mit

dem Zeitpunkt der Geburt, wenn in diesem Zeitpunkt

1.        die Mutter gemäß § 143 des Allgemeinen Bürgerlichen

Gesetzbuches - ABGB, JGS 946/1811, Staatsbürgerin ist,

2.        der Vater gemäß § 144 Abs. 1 Z 1 ABGB Staatsbürger ist,

3.        der Vater Staatsbürger ist und dieser die Vaterschaft

gemäß § 144 Abs. 1 Z 2 ABGB anerkannt hat, oder

4.        der Vater Staatsbürger ist und dessen Vaterschaft gemäß

§ 144 Abs. 1 Z 3 ABGB gerichtlich festgestellt wurde.

Vaterschaftsanerkenntnisse gemäß Z 3 oder gerichtliche Feststellungen der Vaterschaft gemäß Z 4, die innerhalb von acht Wochen nach Geburt des Kindes vorgenommen wurden, wirken für den Anwendungsbereich der Z 3 und 4 mit dem Zeitpunkt der Geburt des Kindes.

(2) ...

(3) Unbeschadet des Abs. 1 erwerben im Ausland geborene Kinder die

Staatsbürgerschaft, wenn

1.        im Zeitpunkt der Geburt ein österreichischer

Staatsbürger nach dem Recht des Geburtslandes Mutter oder Vater

des Kindes ist, und

2.        sie ansonsten staatenlos sein würden."

19 § 12 Abs. 2 StbG lautet:

"§ 12. (1) ...

     (2) Einem unmündigen minderjährigen Fremden ist unter den

Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Z 5 und 6 die Staatsbürgerschaft

zu verleihen, wenn

1.        dieser zum Zeitpunkt der Antragstellung rechtmäßig

niedergelassen war (§ 2 Abs. 2 NAG),

2.        dessen Vater zum Zeitpunkt der Geburt Staatsbürger ist,

3.

dessen Vater die Vaterschaft gemäß § 144 Abs. 1 Z 2 ABGB anerkannt hat oder diese gemäß § 144 Abs. 1 Z 3 ABGB festgestellt wurde, und

                 4.       ein Fall des § 7 nicht vorliegt.

Vom Erfordernis der Niederlassung gemäß Z 1 ist abzusehen, wenn der Vater nachweislich den Mittelpunkt seiner Lebensinteressen und seinen ständigen und rechtmäßigen Aufenthalt seit mindestens zwölf Monaten im Ausland hat."

20 Gemäß § 13 Abs. 8 AVG kann der verfahrenseinleitende Antrag in jeder Lage des Verfahrens geändert werden. Durch die Antragsänderung darf die Sache ihrem Wesen nach nicht geändert und die sachliche und örtliche Zuständigkeit nicht berührt werden.

21 Gegenstand ("Sache") des Verfahrens vor der belangten Behörde war der Antrag des Revisionswerbers vom 1. März 2016 auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft gemäß § 12 Abs. 2 StbG.

22 In der Beschwerde änderte der Revisionswerber - unter ausdrücklicher Bezugnahme auf § 13 Abs. 8 AVG - diesen Antrag dahingehend, dass er die Feststellung der österreichischen Staatsbürgerschaft im Grunde des § 7 StbG begehrte.

23 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist eine wesentliche Antragsänderung (die also das "Wesen" der Sache betrifft) als Stellung eines neuen Antrages unter konkludenter Zurückziehung des ursprünglichen Antrages zu werten. Erfolgt eine solche Änderung während des Rechtsmittelverfahrens, bewirkt die (konkludente) Zurückziehung des ursprünglichen verfahrenseinleitenden Antrages den Wegfall der Zuständigkeit der Behörde zur Erlassung des Bescheides und damit nachträglich dessen Rechtswidrigkeit. Das Verwaltungsgericht ist somit angehalten, den bekämpften Bescheid ersatzlos zu beheben. Voraussetzung für diese Schlussfolgerung ist allerdings, dass der zweite Antrag eine Änderung des ursprünglichen Antrages darstellt. Nur dann kann von einer konkludenten Zurückziehung des ersten Antrages ausgegangen werden (vgl. zu all dem VwGH 12.9.2016, Ra 2014/04/0037, und VwGH 26.10.2017, Ra 2017/07/0073, jeweils mwN).

24 Im vorliegenden Fall stellt die in der Beschwerde vorgenommene Antragsänderung (die als solche eindeutig gewollt war; vgl. VwGH Ra 2014/04/0037, wonach es bei der Auslegung von Parteianbringen auf das erkenn- und erschließbare Ziel des Einschreiters ankommt) eine wesentliche Modifikation des ursprünglichen Anbringens vom 1. März 2016 dar. Die vorliegende Antragsänderung betrifft das "Wesen" der Sache, weil demnach nicht die Verleihung der Staatsbürgerschaft (durch behördlichen Akt, mit Wirkung ex nunc) sondern die Feststellung des Bestehens der Staatsbürgerschaft des Revisionswerbers (ex lege, mit Wirkung ex tunc) begehrt wird.

25 Die in der Beschwerde erfolgte Antragsänderung ist demnach als Zurückziehung des (ursprünglichen) Verleihungsantrags zu qualifizieren, weshalb das Verwaltungsgericht infolge der Beschwerde angehalten gewesen wäre, den angefochtenen Bescheid der belangten Behörde (infolge nachträglichen Wegfalls ihrer Zuständigkeit) ersatzlos zu beheben. Die demgegenüber erfolgte Abweisung der Beschwerde im Grunde des § 12 Abs. 2 StbG wird in der vorliegenden Revision aber nicht bekämpft.

26 Ein Abspruch über den Antrag des Revisionswerbers (auf Feststellung der Staatsbürgerschaft im Grunde des § 7 StbG) ist gemäß dem eindeutigen Spruch des angefochtenen Erkenntnisses - mit dem ausschließlich die nach § 12 Abs. 2 StbG erfolgte erstinstanzliche Abweisung des Verleihungsansuchens bestätigt wurde - indes nicht erfolgt. Die vom Verwaltungsgericht bloß in der Begründung des Erkenntnisses angestellten Erwägungen zur Frage des (Nicht-)Bestehens der österreichischen Staatsbürgerschaft des Revisionswerbers entfalten keine der Rechtskraft fähige normative Wirkung.

27 Dieses Verständnis des angefochtenen Erkenntnisses ist auch vor dem Hintergrund einer gesetzeskonformen Auslegung der Entscheidung geboten, war doch das Verwaltungsgericht nicht befugt, über den Antrag des Revisionswerbers auf Feststellung der Staatsbürgerschaft nach § 7 StbG (erstmalig) zu entscheiden (sondern allenfalls diese Frage als Vorfrage gemäß § 12 Abs. 2 Z 4 StbG zu beurteilen). Der in der Beschwerde eingebrachte Feststellungsantrag wäre vom Verwaltungsgericht vielmehr nach § 6 Abs. 1 AVG an die hiefür zuständige belangte Behörde weiterzuleiten oder der Revisionswerber an diese Behörde zu verweisen (bzw. der Antrag gegebenenfalls wegen Unzuständigkeit zurückzuweisen) gewesen.

28 Mangels Abspruchs des Verwaltungsgerichts über den genannten Antrag kommt eine Verletzung des Revisionswerbers im geltend gemachten "Recht auf Feststellung der österreichischen Staatsbürgerschaft" von vornherein nicht in Betracht (vgl. VwGH 30.4.2018, Ro 2016/01/0013) und geht auch das erwähnte Zulässigkeitsvorbringen (zur Darlegung einer grundsätzlich bedeutsamen Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG) ins Leere.

29 Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG zurückzuweisen.

Wien, am 25. September 2018

Schlagworte

Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtsanspruch Antragsrecht Anfechtungsrecht VwRallg9/2

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2018:RA2017010210.L00

Im RIS seit

30.10.2018

Zuletzt aktualisiert am

28.12.2018
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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