TE Vwgh Beschluss 2018/10/12 Ra 2018/14/0097

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Veröffentlicht am 12.10.2018
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Index

E1P;
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
19/05 Menschenrechte;

Norm

12010P/TXT Grundrechte Charta Art47 Abs1;
12010P/TXT Grundrechte Charta Art47;
12010P/TXT Grundrechte Charta Art52 Abs3;
B-VG Art130 Abs1 Z1;
B-VG Art133 Abs4;
B-VG Art144;
MRK Art13;
MRK Art6;
VwGG §28 Abs3;
VwGG §34 Abs1;

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):Ra 2018/14/0099 Ra 2018/14/0098

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel und den Hofrat Mag. Eder sowie die Hofrätin Dr.in Lachmayer als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Schweinzer, in der Revisionssache 1. des A B, 2. der C D, und 3. des mj. E F, alle in X, alle vertreten durch die Weh Rechtsanwalt GmbH in 6900 Bregenz, Wolfeggstraße 1, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 8. Juni 2017,

1)

Zl. L518 2135945-1/36E, 2) Zl. L518 2135938-1/20E, und

3)

Zl. L518 2135942-1/12E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Die erst- und zweitrevisionswerbenden Parteien sind Lebensgefährten und Eltern der minderjährigen drittrevisionswerbenden Partei. Die revisionswerbenden Parteien sind armenische Staatsangehörige. Die erst- und zweitrevisionswerbenden Parteien stellten jeweils am 17. Juni 2014 einen Antrag auf internationalen Schutz. Für die in Österreich geborene drittrevisionswerbende Partei wurde am 26. Februar 2015 ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

2 Mit Bescheiden jeweils vom 6. September 2016 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Anträge der revisionswerbenden Parteien auf internationalen Schutz ab, erteilte keine Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ Rückkehrentscheidungen und stellte fest, dass ihre Abschiebung nach Armenien zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise setzte die Behörde mit jeweils vierzehn Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.

3 Die dagegen erhobenen Beschwerden wies das Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis als unbegründet ab. Die Revision erklärte es gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.

4 Gegen dieses Erkenntnis erhoben die revisionswerbenden Parteien zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof.

5 Mit Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 11. Juni 2018, E 2508-2510/2017-12, wurde die Behandlung der Beschwerde abgelehnt. Sie wurde mit Beschluss vom 5. Juli 2018, E 2508-2510/2017-14, gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG über nachträglichen Antrag im Sinne des § 87 Abs. 3 VfGG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.

6 In der vorliegenden außerordentlichen Revision wird zur Zulässigkeit zusammengefasst geltend gemacht, dass die Verletzung von Unionsgrundrechten immer als zwingender Grund für die Zulassung einer Revision anzusehen sei, vor allem weil der Verwaltungsgerichtshof für diese jedenfalls uneingeschränkt zuständig "und berechtigt" sei. Weiters gebe es einen entscheidenden Gesichtspunkt, der bisher in der Judikatur nicht vorkomme, nämlich das öffentliche Interesse der Republik Österreich an einer geordneten Zuwanderung nicht nur qualifizierter, sondern vor allem auch anderer arbeitswilliger junger Menschen, die bereit seien, auch weniger reizvolle Tätigkeiten auszuüben. In diese Kategorie "hungriger" arbeitswilliger Zuwanderer seien die revisionswerbenden Parteien einzustufen, obwohl sie über ausgezeichnete Schulbildung verfügen würden. Das enorme Grundinteresse der Republik Österreich an der Zuwanderung "arbeitshungriger" junger Menschen sei im angefochtenen Erkenntnis verletzt worden. Zudem missachte die Entscheidung die Anforderungen des Verwaltungsgerichtshofes an eine Entscheidungsbegründung.

7 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

8 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

9 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

10 In der gesonderten Zulassungsbegründung ist konkret darzulegen, in welchen Punkten die angefochtene Entscheidung von welcher Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht bzw. konkret welche Rechtsfrage der Verwaltungsgerichtshof uneinheitlich oder noch gar nicht beantwortet hat (vgl. VwGH 28.6.2018, Ra 2018/19/0114, mwN).

11 Da der Verwaltungsgerichtshof gemäß § 34 Abs. 1a VwGG die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision iSd Art. 133 Abs. 4 B-VG (nur) im Rahmen der dafür in der Revision (gemäß § 28 Abs. 3 VwGG gesondert) vorgebrachten Gründe zu überprüfen hat, ist er weder verpflichtet, solche anhand der übrigen Revisionsausführungen gleichsam zu suchen, noch berechtigt von Amts wegen erkannte Gründe, die zur Zulässigkeit der Revision hätten führen können, aufzugreifen (vgl. VwGH 12.1.2018, Ra 2018/20/0003, mwN).

12 Die gegenständliche Revision vermag fallbezogen mit ihrem Zulässigkeitsvorbringen ("Zulassungsantrag") keine Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung aufzuzeigen. Insbesondere wird nicht konkret dargelegt, in welchen Unionsgrundrechten sich die revisionswerbenden Parteien konkret als verletzt erachten würden und warum die behauptete Verletzung von solchen immer ein zwingender Grund für die Zulassung einer Revision sein müsse.

13 Mit der Beschwerde gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG stand dem Revisionswerber der Zugang zu einem Gericht im Sinne des Art. 47 GRC offen, das über seinen Antrag auf internationalen Schutz mit voller Kognitionsbefugnis in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht entscheiden konnte. Gegen dessen Erkenntnis kann sowohl der Verfassungsgerichtshof mit der Behauptung (etwa) der Verletzung eines verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts, sohin auch eines Rechts nach der EMRK, als auch der Verwaltungsgerichtshof bei Vorliegen einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG angerufen werden, wozu auch Fragen der Einhaltung des einschlägigen Unionsrechts gehören. Der Revisionswerber verfügt daher über einen Rechtsweg, der die Wahrung der ihm durch das Unionsrecht verliehenen Rechte gewährleistet und auf dem er eine Gerichtsentscheidung erwirken kann, mit der die allfällige Unvereinbarkeit einer fraglichen Regelung mit dem Unionsrecht festgestellt wird. Ein solcherart gewährter Rechtsschutz steht mit Art. 13 EMRK und Art. 47 GRC nicht im Widerspruch (vgl. zur Säumnisbeschwerde VwGH 5.10.2016, Ra 2016/19/0158, mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des EuGH und EGMR; dies trifft auch auf Bescheidbeschwerden zu).

14 Art. 47 Abs. 1 GRC ist auf Art. 13 EMRK gestützt und die Rechtsprechung des EGMR ist gemäß Art. 52 Abs. 3 GRC bei der Auslegung der GRC zu berücksichtigen. Insoweit hat der EGMR festgehalten, dass Art. 13 EMRK nicht verletzt wurde, wenn der Beschwerdeführer nach dem (damaligen) Asylgerichtshof zwar keinen Zugang zum Verwaltungsgerichtshof, aber Zugang zum Verfassungsgerichtshof hatte, der zwar nicht die Beweiswürdigung durch das (damalige) Bundesasylamt und den Asylgerichtshof, aber zumindest eine behauptete Verletzung eines verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts, sohin auch eines Konventionsrechts, prüfen konnte. Dieser Zugang zum Verfassungsgerichtshof ist dem Revisionswerber nach wie vor offen gestanden (vgl. Art. 144 B-VG) und wurde von diesem auch in Anspruch genommen.

15 Nach der Rechtsprechung des EGMR dient eine gesetzliche Regelung über Zulässigkeitsschranken für den Zugang zu einem Verwaltungsgerichtshof dem legitimen Zweck des Abbaus der Rückstände und der Vermeidung überlanger Verfahren. Eine Regelung, die verlangt, dass der Beschwerdeführer darlegen muss, dass es bezüglich der maßgeblichen Rechtsfrage keine einschlägige Rechtsprechung gibt oder dass die aufgezeigten Rechtsfragen in Widerspruch zur Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes oder anderer Höchstgerichte gelöst wurde, verfolgt legitime Ziele und ist nicht unverhältnismäßig (vgl. zu all dem VwGH 6.7.2016, Ra 2016/01/0113, 0114, mwN).

16 Die Revision macht unter Verweis auf Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes geltend, dass das angefochtene Erkenntnis die Anforderungen an eine Entscheidungsbegründung missachte. Sie verabsäumt aber fallbezogen konkret darzulegen, in welchen Punkten die angefochtene Entscheidung von der angeführten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht.

17 Soweit sich die Revision gegen die Interessenabwägung richtet, ist auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG ist (vgl. VwGH 22.11.2017, Ra 2017/19/0474, mwN). Die Revision vermag ein Abweichen von dieser Rechtsprechung fallbezogen nicht aufzuzeigen. Das Verwaltungsgericht hat die Integrationsbemühungen der Revisionswerber in seiner Abwägung berücksichtigt, ist aber angesichts des zum Entscheidungszeitpunkt erst knapp dreijährigen Aufenthalts und des Umstandes, dass das Privatleben zu einem Zeitpunkt entstanden ist, zu dem sich die Revisionswerber ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein mussten und somit nicht damit rechnen durften, dauerhaft in Österreich bleiben zu können, nicht unvertretbar zur Auffassung gelangt, dass die öffentlichen Interessen an einer Aufenthaltsbeendigung überwiegen (vgl. etwa VwGH 30.8.2017, Ra 2017/18/0070; 30.7.2015, Ra 2014/22/0055 bis 0058).

18 In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 12. Oktober 2018

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018140097.L00

Im RIS seit

24.10.2018

Zuletzt aktualisiert am

20.11.2018
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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