TE Bvwg Erkenntnis 2018/8/22 W215 2200602-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 22.08.2018
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

22.08.2018

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AVG §71 Abs1 Z1
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W215 2200602-2/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. STARK über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit Russische Föderation, gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 04.06.2018, Zahl 751240700-171057903, zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird gemäß § 71 Abs. 1 Z 1 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991, BGBl. Nr. 51/1991 (AVG), in der Fassung BGBl. I Nr. 158/1998, als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz, BGBl. Nr. 1/1930 (B-VG), in der Fassung BGBl. I Nr. 51/2012, nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Vorverfahren:

Der Beschwerdeführer stellte am 13.08.2005 erstmals einen Antrag auf internationalen Schutz, wobei er damals angab, georgischer Staatsangehöriger zu sein. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 16.05.2006, Zahl 05 12.407-BAG, wurde sein Antrag abgewiesen und seine Abschiebung nach Georgien für zulässig erklärt, zugleich wurde er aus dem Bundesgebiet nach Georgien ausgewiesen. Die dagegen erhobene Berufung wurde mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 10.05.2007,

Zahl 302.318-C1/11E-XVIII/60/06, gemäß § 7 und § 8 Abs. 1 und 2 AsylG 1997 rechtskräftig abgewiesen.

In der Folge wurde der Beschwerdeführer am 27.09.2014 in den Niederlanden und am 25.02.2015 in der Bundesrepublik Deutschland erkennungsdienstlich behandelt.

Am 12.08.2015 wurde der Beschwerdeführer von der Bundesrepublik Deutschland nach Österreich überstellt und stellte am 14.08.2015 seinen zweiten Antrag auf internationalen Schutz, wobei er diesmal angab, eine "unbekannte" Staatsangehörigkeit zu haben. Mit Schreiben vom 02.03.2016 und 21.06.2016 führte er an, dass er georgischer Staatsbürger sei und an Hepatitis C und einer akuten Belastungsreaktion F43.0 leiden würde. Mit Schreiben vom 23.09.2016 zog er seinen Antrag auf internationalen Schutz zurück, woraufhin das Verfahren mit Aktenvermerk vom 19.10.2016 gemäß § 24 Abs. 1 Asyl 2005 (AsylG) eingestellt wurde.

Am 09.01.2017 wurde der Beschwerdeführer vom Königreich Dänemark nach Österreich überstellt.

Im fortgesetzten zweiten Asylverfahren wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 14.08.2015 mit Bescheid vom 15.03.2017, Zahl 751240700-151084370, gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Georgien (Spruchpunkt II.) ab, erteilte gemäß § 57 AsylG einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht, erließ gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß

§ 52 Abs. 2 Z 2 FPG und stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Georgien gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt IV.). Der Bescheid wurde nach erfolglosem Zustellversuch nicht behoben und erwuchs mit 01.04.2017 in Rechtskraft.

Ein eingeleitetes Heimreisezertifikatsverfahren zur Zahl 751240700-170436558 ergab, dass der Beschwerdeführer nicht als georgischer Staatsbürger identifiziert werden konnte.

2. Gegenständliches Verfahren:

Am 13.09.2017 wurde der Beschwerdeführer zwecks Erlassung einer Rückkehrentscheidung niederschriftlich befragt. Dabei gab er an, dass er Staatsbürger der Sowjetunion gewesen sei und nur ein Militärbuch der "Roten Armee" besessen habe. Auf Befragung machte er Angaben zu Gründen, die gegen eine Rückkehr in die Russische Föderation sprechen würden und erstattete Vorbringen zu seiner Integration in Österreich.

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 03.10.2017, Zahl

751240700-171057903, wurde dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt und gemäß

§ 10 Abs. 2 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß

§ 52 Abs. 1 Z 1 FPG erlassen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig ist (Spruchpunkt II.). Die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt III.).

Laut im Akt einliegenden Rückschein wurde der Bescheid vom 03.10.2017, Zahl

751240700-171057903, am 05.10.2017, nach erfolglosem Zustellversuch, durch Hinterlegung zugestellt. Der Beginn der Abholfrist war der 05.10.2017. Die Beschwerdefrist endete demnach am 02.11.2017.

Am 06.03.2018 übermittelte der Beschwerdeführer, vertreten durch seine Rechtsberaterin, einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und erhob zugleich Beschwerde in vollem Umfang. Zur Begründung des Antrags auf Wiedereinsetzung wurde vorgebracht, dass der angefochtene Bescheid am 03.10.2017 erlassen und frühestens am folgenden Tag dem Beschwerdeführer zugestellt worden sei. Die vierwöchige Beschwerdefrist habe demnach frühestens am Donnerstag, dem 02.11.2017, geendet. Während der gesamten Rechtsmittelfrist und einschließlich bis 19.02.2018 habe sich der Beschwerdeführer in einem äußerst schlechten psychischen Allgemeinzustand befunden, weshalb es ihm zu keinem Zeitpunkt möglich gewesen sei, fristgerecht Beschwerde zu erheben. Am 20.02.2018 sei der Beschwerdeführer in der Lage gewesen, einen praktischen Arzt aufzusuchen, der ihm schließlich eine Überweisung für eine psychiatrische Begutachtung verordnet habe. Am 21.02.2018 sei der Beschwerdeführer in einem Krankenhaus vorstellig geworden, wo die weitere Behandlung und Betreuung seines depressiven Zustandsbilds sowie einer posttraumatischen Belastungsstörung vereinbart worden sei. Das auslösende Ereignis, das den Beschwerdeführer in eine derart schlecht psychische Verfassung versetzt habe, sei die Stresssituation gewesen, die er bei der niederschriftlichen Befragung vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl durchlebt habe. Der Beschwerdeführer sei daher von 13.09.2017 bis 19.02.2018 nicht dispositionsfähig und erst ab 20.02.2018 wieder in der Lage gewesen, das Haus zu verlassen und sich um seine Angelegenheiten und seine Gesundheit zu kümmern, weshalb die Frist für den Antrag auf Wiedereinsetzung am 20.02.2018 begonnen habe und der Antrag jedenfalls innerhalb der zweiwöchigen Frist gestellt werde. Den Beschwerdeführer treffe aufgrund seiner psychischen Erkrankung und der damit verbundenen nicht gegebenen Dispositionsfähigkeit auch kein Verschulden daran, dass es ihm effektiv nicht möglich gewesen sei, fristgerecht Beschwerde gegen den gegenständlichen Bescheid zu erheben.

Dem Antrag auf Wiedereinsetzung beigelegt wurde eine Überweisung vom 20.02.2018 an eine Psychiaterin, ein ambulanter Patientenbrief vom 21.02.2018 sowie eine fachärztliche Stellungnahme vom 29.10.2015.

Mit Schreiben vom 22.03.2018 ersuchte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die zuständigen Ärzte des Krankenhauses um Auskunft. Mit Schreiben vom 03.05.2018 gab das Krankenhaus bekannt, dass der Beschwerdeführer über einen längeren Zeitraum in Behandlung durch die Klinik gestanden sei. Aus dem Akt ersichtlich sei ein Kontakt am 14.06.2016, danach sei eine Wiederaufnahme der Behandlung ab 22.02.2017 erfolgt (Termine am 01.03.2017, 05.04.2017, 18.04.2017, 04.05.2017, 31.05.2017, 12.07.2017, 17.08.2017, 21.02.2018). Es seien stützende Gespräche geführt worden und es habe eine medikamentöse Einstellung mit Anpassung der Medikation stattgefunden. Mit Schreiben vom 17.05.2018 wurde eine genaue Auflistung der Termine mit besprochenem Inhalt und Medikation übermittelt.

Am 23.03.2018 übermittelte der Beschwerdeführer durch seine Rechtsberatung eine Zeitbestätigung bei einem Psychosozialen Dienst.

Mit Bescheid vom 04.06.2018, Zahl 751240700-171057903, wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Beschwerdeführers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 71 Abs. 1 AVG ab (Spruchpunkt I.) und erkannte dem Antrag gemäß § 71 Abs. 6 AVG die aufschiebende Wirkung zu (Spruchpunkt II.). Begründend wurde ausgeführt, dass ein unabwendbares und unvorhergesehenes Ereignis, welches den Beschwerdeführer daran gehindert hätte, rechtzeitig eine Beschwerde einzubringen, im vorliegenden Fall nicht habe festgestellt werden können. Aus den vorgelegten Beweismitteln gehe nicht hervor, dass der Beschwerdeführer während der gesamten Rechtsmittelfrist in seiner Disposition so stark gehindert gewesen wäre, dass er die für die Fristwahrung erforderlichen Schritten nicht habe setzen können.

Gegen Spruchpunkt I. des Bescheides vom 04.06.2018, Zahl 751240700-171057903, erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde und wiederholte im Wesentlichen sein Vorbringen aus dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Aufgrund des schlechten psychischen Zustandes des Beschwerdeführers werde die Einholung eines Sachverständigengutachtens beantragt. Dieses solle der Klärung der Frage dienen, ob es dem Beschwerdeführer aus medizinischer Sicht möglich gewesen wäre, im Rahmen der Rechtsmittelfrist eine Beschwerde gegen seinen Bescheid vom 03.10.2017 einzubringen.

Die Beschwerdevorlage vom 09.07.2018 langte am 11.07.2018 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 03.10.2017, Zahl

751240700-171057903, wurde dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt und gemäß

§ 10 Abs. 2 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß

§ 52 Abs. 1 Z 1 FPG erlassen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig ist (Spruchpunkt II.). Die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt III.).

Dieser Bescheid vom 03.10.2017, Zahl 751240700-171057903, wurde dem Beschwerdeführer am 05.10.2017 durch Hinterlegung rechtswirksam zugestellt. Eine Verständigung über die Hinterlegung wurde in die Abgabeeinrichtung eingelegt, der Beginn der Abholfrist wurde mit 05.10.2017 angegeben.

Die vierwöchige Rechtsmittelfrist für die Erhebung einer Beschwerde endete am 02.11.2017. Die Beschwerde wurde am 06.03.2018 verspätet beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl eingebracht.

2. Beweiswürdigung:

Die getroffenen Feststellungen ergeben sich aus dem Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 6 Bundesverwaltungsgerichtsgesetz, BGBl. I Nr. 10/2013 (BVwGG), entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt Einzelrichterzuständigkeit vor.

Gemäß § 1 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 33/2013 (VwGVG), regelt dieses Bundesgesetz das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Entgegenstehende Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht sind, bleiben unberührt

(§ 58 Abs. 2 VwGVG).

Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen (§ 28 Abs. 1 VwGVG).

Zu A) Abweisung der Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des Bescheides:

Im vorliegenden Verfahren ist zu prüfen, ob das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl in Spruchpunkt I. seines Bescheides vom 04.06.2018, Zahl 751240700-171057903, den Antrag des Beschwerdeführers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 71 Abs. 1 AVG, in der Fassung BGBl. I Nr. 158/1998, zu Recht abgewiesen hat.

Gemäß § 71 Abs. 1 Z 1 AVG, in der Fassung BGBl. I Nr. 158/1998, ist gegen die Versäumung einer Frist oder einer mündlichen Verhandlung auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten oder zur Verhandlung zu erscheinen und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft.

Gemäß § 71 Abs. 2 AVG muss der Antrag auf Wiedereinsetzung binnen zwei Wochen nach dem Wegfall des Hindernisses oder nach dem Zeitpunkt, in dem die Partei von der Zulässigkeit der Berufung Kenntnis erlangt hat, gestellt werden.

Der gegenständliche Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 03.10.2017, Zahl 751240700-171057903, wurde dem Beschwerdeführer durch Hinterlegung zugestellt. Der erste Tag der Abholfrist war der 05.10.2017.

Gemäß § 17 Abs. 3 Zustellgesetz, BGBl. I Nr. 200/1982 (ZustG), in der Fassung BGBl. I Nr. 5/2008, gilt die Zustellung bei hinterlegten Dokumenten mit dem ersten Tag der Abholfrist als bewirkt, sodass gegenständlich von einer rechtswirksamen Zustellung des Bescheides am Donnerstag 05.10.2017 auszugehen ist. Die vierwöchige Beschwerdefrist endete demnach mit Ablauf des Donnerstags 02.11.2017, weshalb die am 06.03.2018 eingebrachte Beschwerde verspätet erfolgte.

Nach Angaben des Beschwerdeführers suchte dieser am 20.02.2018 einen Arzt auf und stellte anschließend rechtzeitig binnen zwei Wochen nach seiner behaupteten wiedererlangten Dispositionsfähigkeit einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist als Ereignis im Sinne des § 71 Abs. 1 Z 1 AVG jedes Geschehen ohne Beschränkung auf Vorgänge in der Außenwelt anzusehen (VwGH 26.06.1985, 83/03/0134 u. a.). Ein Ereignis ist dann unabwendbar, wenn es durch einen Durchschnittsmenschen objektiv nicht verhindert werden konnte. Es ist als unvorhergesehen zu werten, wenn die Partei es tatsächlich nicht miteinberechnet hat und dessen Eintritt auch unter Bedachtnahme auf die zumutbare Aufmerksamkeit und Vorsicht nicht erwarten konnte (VwGH 17.02.1994, 93/16/0020).

Der Begriff des minderen Grades des Versehens ist als leichte Fahrlässigkeit im Sinne des § 1332 ABGB zu verstehen. Der Wiedereinsetzungswerber darf also nicht auffallend sorglos gehandelt haben, somit die im Verkehr mit Gerichten oder Behörden und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt nicht außer Acht gelassen haben (VwGH 08.09.2015, Ra 2015/01/0125, u.a.). Dabei ist an berufliche rechtskundige Parteienvertreter ein strengerer Maßstab anzulegen als an rechtsunkundige oder bisher noch nie an gerichtlichen Verfahren beteiligte Personen (Walter/Thienel, Verwaltungsverfahren I2, E 96 ff zu § 71 AVG). Bei der Beurteilung, ob eine auffallende Sorglosigkeit vorliegt, ist also ein unterschiedlicher Maßstab anzulegen, wobei es insbesondere auf die Rechtskundigkeit und die Erfahrung im Umgang mit Behörden ankommt (VwGH 07.06.2000, 99/01/0337).

Das Vorliegen von Wiedereinsetzungsgründen ist nur in jenem Rahmen zu untersuchen, der durch die Behauptungen des Wiedereinsetzungswerbers abgesteckt wurde (VwGH 22.02.2001, 2000/20/0534; VwGH 07.10.2005, 2003/17/0280). Grundgedanke der Regelung über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist es, dass über die Zulässigkeit der Nachholung der versäumten Prozesshandlung unverzüglich entschieden werden soll (vgl. etwa VwGH 26.01.1998, 96/17/0302). Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat der Wiedereinsetzungswerber daher alle Wiedereinsetzungsgründe innerhalb der gesetzlichen Frist vorzubringen; eine Auswechslung des Grundes im Berufungsverfahren ist rechtlich unzulässig. Daraus folgt, dass mündliche Ergänzungen oder Erläuterungen des Antrages - selbst wenn sie innerhalb der Frist erfolgen - jedenfalls dann nicht zu berücksichtigen sind, wenn sie im Akt keinen (inhaltlichen) schriftlichen Niederschlag gefunden haben (VwGH 25.02.2003, 2002/10/0223; VwGH 07.10.2005, 2003/17/0280).

Eine Erkrankung stellt für sich allein keinen Grund für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand dar, sondern nur dann, wenn die Dispositionsfähigkeit der Partei aufgrund der Krankheit beeinträchtigt ist. Ein Wiedereinsetzungsgrund liegt erst dann vor, wenn die Partei auch daran gehindert war, der Fristversäumung durch andere geeignete Dispositionen - im Besonderen durch Beauftragung eines Vertreters - entgegen zu wirken (vgl. zum Ganzen VwGH 26.04.2001, 2000/20/0336; VwGH 22.07.2004, 2004/20/0122).

Anders als nach der Gesetzeslage vor der Novelle BGBl. 1990/357, die eine Wiedereinsetzung nur zuließ, wenn die Partei "ohne ihr Verschulden" an der Fristwahrung verhindert war (woraus die Judikatur schloss, dass nur die völlige "Dispositionsunfähigkeit" des Erkrankten eine Wiedereinsetzung begründen könne), ist das gänzliche Unvermögen nach der geltenden Rechtslage nicht (mehr) vorausgesetzt. Für die Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand reicht es aus, wenn die Partei durch die Erkrankung so weitgehend beeinträchtigt war, dass ihr das Unterbleiben der für die Fristwahrung erforderlichen Schritte nicht mehr als ein den minderen Grad des Versehens übersteigendes Verschulden vorgeworfen werden kann. Es reicht aber nicht aus, wenn die Partei gehindert war, die fristwahrende Handlung selbst zu setzen bzw. sich selbst die notwendigen Informationen zu besorgen. Die Partei muss durch die Erkrankung auch daran gehindert gewesen sein, die Versäumung der Frist durch andere geeignete Dispositionen, insbesondere durch Beauftragung eines Vertreters, abzuwenden (Hengstschläger/Leeb, AVG § 71 Rz 79; VwGH 29.11.2007, 2007/21/0308 u.a.).

Der Beschwerdeführer begründete sein Fristversäumnis damit, dass er aufgrund psychischer Probleme dispositionsunfähig gewesen sei. Dieser Aussage beigelegt wurden eine Überweisung an eine Psychiaterin vom 20.02.2018, ein ambulanter Patientenbrief vom 21.02.2018 sowie eine fachärztliche Stellungnahme vom 29.10.2015. Nach diesen Unterlagen erschien der Beschwerdeführer aufgrund eines depressiven Zustandsbildes und einer posttraumatischen Belastungsstörung wiederholt in der Ambulanz zur Vorstellung. Als Procedere wurde die Übernahme der regelmäßigen ambulanten Betreuung durch einen niedergelassenen Facharzt bzw. den Psychosozialen Dienst sowie die Fortführung der allgemeinen medizinischen Behandlung über den Praktischen Arzt vereinbart.

Die oben dargelegte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ergibt jedoch, dass eine Erkrankung des Beschwerdeführers alleine noch keinen Wiedereinsetzungsgrund darstellt. Weder aus den vorgelegten Unterlagen des Beschwerdeführers noch aus den vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl amtswegig eingeholten medizinischen Unterlagen geht hervor, dass die psychischen Erkrankungen des Beschwerdeführers zum relevanten Zeitpunkt zu einer so beeinträchtigten Dispositionsfähigkeit geführt hätten, die die Unterlassung der Erhebung einer Beschwerde oder die Rücksprache mit einem Rechtskundigen bzw. die Beauftragung eines Vertreters überhaupt nicht oder nicht in einem Maße, das den minderen Versehensgrad übersteigt, vorwerfbar erscheinen lässt.

In diesem Zusammenhang ist auch zu bedenken, dass der Beschwerdeführer laut den vorliegenden Unterlagen stets nur ambulant behandelt wurde und zu keinem Zeitpunkt zu einer stationären Behandlung in eine psychiatrische Abteilung aufgenommen wurde. Es geht weder aus den medizinischen Unterlagen, noch aus der Beschwerde hervor, wieso der Beschwerdeführer keine Maßnahmen hätte ergreifen können, um eine fristgerechte Beschwerdeerhebung gegen den Bescheid vom 03.10.2017 zu gewährleisten. Schließlich gibt es in den beigebrachten Unterlagen auch keine Hinweise darauf, dass der Beschwerdeführer im Zeitraum vor dem 02.11.2017 entsprechend dispositionsunfähig gewesen sein soll. Da sich bereits aus den vorliegenden (zum Teil amtswegig eingeholten) Unterlagen keine Hinweise auf eine vom Beschwerdeführer behauptete Dispositionsunfähigkeit ergaben, war auch dem Antrag auf Einholung eines psychiatrischen Gutachtens nicht zu folgen.

Dem Beschwerdeführer ist es nicht gelungen, ein entsprechendes unvorhersehbares oder unabwendbares Ereignis glaubhaft zu machen. Denn gemäß der in § 71 Abs. 1 Z 1 AVG, in der Fassung BGBl. I Nr. 158/1998, normierten "Glaubhaftmachung" muss bei der entscheidenden Instanz die Überzeugung der Wahrscheinlichkeit der vorgebrachten Tatsache hervorgerufen werden. Reine Behauptungen betreffend das Vorliegen des Wiedereinsetzungsgrundes reichen nicht aus (vgl. Hengstschläger/Leeb, AVG § 71 Rz 116). Eine solche Glaubhaftmachung ist dem Beschwerdeführer im gegenständlichen Verfahren nicht gelungen.

Angesichts all dieser Umstände kann daher dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl nicht entgegengetreten werden, wenn es zur Auffassung gelangte, dass der Beschwerdeführer nicht glaubhaft machen konnte, dass er durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis daran gehindert war, die Beschwerdefrist im vorliegenden Verfahren einzuhalten, und ihn kein Verschulden oder nur ein minderer Versehensgrad trifft. Damit erweist sich die Abweisung des Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 71 Abs. 1 AVG, in der Fassung BGBl. I Nr. 158/1998, durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl als rechtmäßig, sodass die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des Bescheides abzuweisen war.

Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

Im gegenständlichen Fall kann das Unterlassen einer mündlichen Verhandlung darauf gestützt werden, dass der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erschien, weil der Sachverhalt nach einem grundsätzlich ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl festgestellt wurde. Dieser Sachverhaltsfeststellung wurde in der Beschwerde nicht substantiiert entgegengetreten. Weder war der Sachverhalt in wesentlichen Punkten ergänzungsbedürftig noch erschien er in entscheidenden Punkten als nicht richtig. Rechtlich relevante und zulässige Neuerungen wurden in der Beschwerde nicht vorgetragen. Dem Entfall der Verhandlung stehen auch weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010, S 389, entgegen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985, BGBl. Nr. 10/1985 (VwGG), in der Fassung BGBl. I Nr. 33/2013, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Im konkreten Fall ist die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG, in der Fassung

BGBl. I Nr. 51/2012, nicht zulässig weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Dieses Erkenntnis beschäftigt sich mit der Tatsache, dass und warum der Beschwerdeführer die Beschwerdefrist versäumt hat und es ergaben sich im Lauf des Verfahrens keine Hinweise auf das Vorliegen von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung. Weder weicht das gegenständliche Erkenntnis von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung (siehe dazu die rechtlichen Ausführungen zu Spruchteil A); weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.

Schlagworte

Frist, minderer Grad eines Versehens, Wiedereinsetzung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:W215.2200602.2.00

Zuletzt aktualisiert am

11.10.2018
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten