TE Vwgh Erkenntnis 2000/6/7 99/01/0337

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Veröffentlicht am 07.06.2000
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §71 Abs1 Z1;
VwGG §46 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldner und die Hofräte Dr. Bachler, Dr. Rigler, Dr. Pelant und Dr. Büsser als Richter, im Beisein des Schriftführers DDDr. Jahn, über die Beschwerde des AN in L, geboren am 1. Juli 1979, vertreten durch Mag. Dietrich Seeber, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Mozartstraße 44, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 30. März 1999, Zl. 208.754/0-III/07/99, betreffend Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und Zurückweisung einer Berufung in einer Asylsache (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird in seinem Punkt 1. (Abweisung des Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand) wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Soweit sich die Beschwerde gegen den Punkt 2. des angefochtenen Bescheides (Zurückweisung der Berufung) richtet, wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Das Bundesasylamt hat mit Bescheid vom 8. September 1998 den Asylantrag des Beschwerdeführers, der am 14. Jänner 1998 in das Bundesgebiet eingereist ist, gemäß § 7 Asylgesetz 1997 abgewiesen und gemäß § 8 leg. cit. ausgesprochen, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in den Sudan zulässig sei. Dieser Bescheid wurde dem Beschwerdeführer am 10. September 1998 zugestellt.

Die dagegen gerichtete Berufung wurde am 26. Oktober 1998 zur Post gegeben. Gleichzeitig stellte der Beschwerdeführer einen Wiedereinsetzungsantrag gegen den Ablauf der Berufungsfrist, den er wie folgt begründete:

Er befinde sich in der Betreuungsstelle für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge der Volkshilfe Oberösterreich. Dorthin sei ihm der Bescheid zugestellt worden. Er habe seine Betreuer über die Zustellung informiert und gebeten, entsprechende Schritte für eine Berufung gegen den Bescheid zu setzen. Dabei sei ihm die Auskunft erteilt worden, dass der Bescheid erst mit Zustellung an seinen gesetzlichen Vertreter, das Amt für Jugend und Familie des Magistrates Linz, rechtswirksam werde. Da diesem Amt der Bescheid noch nicht zugestellt worden sei, müsse zunächst bis zu diesem Zeitpunkt gewartet werden. Daraufhin habe der Beschwerdeführer auf die Mitteilung seiner Betreuer, dass nunmehr eine Berufung eingebracht werden könne, gewartet. Seinen Betreuern sei jedoch insofern ein Missgeschick passiert, als sie nicht beachtet hätten, dass der Beschwerdeführer zwischenzeitig das 19. Lebensjahr vollendet habe und er daher nicht mehr vom Magistrat vertreten werde. Dieser Irrtum sei erst anlässlich einer Nachfrage betreffend die Zustellung des Bescheides an den Magistrat am 12. Oktober 1998 aufgefallen. Dieser Irrtum stelle für den Beschwerdeführer ein unvorhersehbares bzw. unabwendbares Ereignis dar, das ihn an der rechtzeitigen Erhebung der Berufung gehindert habe.

Diesem Wiedereinsetzungsantrag war eine Stellungnahme des Leiters des Projektes zur Unterbringung und Betreuung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen der Volkshilfe Oberösterreich, Dr. K., angeschlossen. In dieser Stellungnahme wird bestätigt, dass von Mitarbeitern dieses Projektes nicht beachtet worden sei, dass der Beschwerdeführer am 1. Juli 1998 sein

19. Lebensjahr vollendet habe und daher die im Wiedereinsetzungsantrag erwähnte unrichtige Auskunft erteilt worden sei.

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 30. März 1999 hat der unabhängige Bundesasylsenat den Wiedereinsetzungsantrag abgewiesen (Spruchpunkt 1.) und die Berufung als verspätet zurückgewiesen (Spruchpunkt 2.).

Die Abweisung des Wiedereinsetzungsantrages begründete die belangte Behörde im Wesentlichen wie folgt:

Die Mitarbeiter der Volkshilfe Oberösterreich seien nicht als Vertreter sondern als "Hilfskräfte" des Beschwerdeführers anzusehen. Der Beschwerdeführer hätte sich nicht darauf verlassen dürfen, dass diese "Hilfskräfte" ohne entsprechende Kontrolle für ihn tätig werden oder ihm richtige Auskünfte erteilen. Der Beschwerdeführer habe jedoch nicht einmal vorgebracht, was er zur Überwachung dieser "Hilfskräfte" hinsichtlich der Wahrung des Termins vorgekehrt habe. Er hätte zumindest beim Jugendwohlfahrtsträger als seinem vermeintlichen Vertreter nachfragen müssen, ob die erhaltene Auskunft der Volkshilfe Oberösterreich richtig sei. Der Beschwerdeführer habe also die nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt außer Acht gelassen. Soweit der Beschwerdeführer vorbringe, der Meinung gewesen zu sein, nach wie vor vom Jugendwohlfahrtsträger vertreten zu werden, mache er einen Rechtsirrtum geltend, welcher keinen Wiedereinsetzungsgrund darstelle.

Über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Gemäß § 71 Abs. 1 Z. 1 AVG ist gegen die Versäumung einer Frist oder einer mündlichen Verhandlung auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten oder zur Verhandlung zu erscheinen, und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft.

Als "Ereignis" im Sinn dieser Bestimmung ist jegliches Geschehen, also auch psychologische Vorgänge wie Vergessen, Verschreiben, sich Irren usw. anzusehen (vgl. die bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahren I2, E 45 ff zu § 71 AVG wiedergegebene hg. Judikatur).

Vorliegend ist bei den Mitarbeitern des Betreuungsprojektes der Volkshilfe nach dem von der belangten Behörde ihrer Entscheidung zu Grunde gelegten Sachverhaltsvorbringen im Wiedereinsetzungsantrag insoweit ein Tatsachenirrtum vorgelegen, als sie nicht beachteten, dass der Beschwerdeführer sein

19. Lebensjahr im Zeitpunkt der Zustellung des erstinstanzlichen Asylbescheides bereits vollendet hatte, und sie daher der Meinung waren, der Bescheid werde auch dem Jugendwohlfahrtsträger als Vertreter des Beschwerdeführers (mit fristauslösender Wirkung) zugestellt. Dieser Irrtum - und die darauf basierende unrichtige Auskunft - stellt das "Ereignis" dar, das den Beschwerdeführer an der Einhaltung der Berufungsfrist hinderte. Ob die Mitarbeiter des Betreuungsprojektes der Volkshilfe Oberösterreich daran ein Verschulden trifft, das den minderen Grad des Versehens übersteigt, braucht nicht untersucht zu werden, weil diese Mitarbeiter unstrittig nicht als Vertreter des Beschwerdeführers fungierten und ihr Verschulden daher nicht dem Beschwerdeführer zuzurechnen ist (vgl. insbesondere das eingehend begründete hg. Erkenntnis vom 7. Mai 1998, Zl. 97/20/0693).

Es stellt sich lediglich die Frage, ob es ein den minderen Grad des Versehens übersteigendes Verschulden des Beschwerdeführers darstellt, dass er sich auf die unrichtige Auskunft der Mitarbeiter dieses Betreuungsprojektes verlassen hat.

Der Begriff des minderen Grades des Versehens ist als leichte Fahrlässigkeit im Sinn des § 1332 ABGB zu verstehen. Der Wiedereinsetzungswerber darf also nicht auffallend sorglos gehandelt haben, somit die im Verkehr mit Behörden und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt außer Acht gelassen haben. Dabei ist an berufliche rechtskundige Parteienvertreter ein strengerer Maßstab anzulegen als an rechtsunkundige oder bisher noch nie an gerichtlichen Verfahren beteiligte Personen (vgl. zum Ganzen die bei Walter/Thienel a.a.O., E 96 ff zu § 71 AVG wiedergegebene hg. Judikatur). Bei der Beurteilung, ob eine auffallende Sorglosigkeit vorliegt, ist also ein unterschiedlicher Maßstab anzulegen, wobei es insbesondere auf die Rechtskundigkeit und die Erfahrung im Umgang mit Behörden ankommt. Im Zeitpunkt der Zustellung des Bescheides des Bundesasylamtes befand sich der damals 19-jährige Beschwerdeführer erst seit nicht einmal acht Monaten als sprachunkundiger Asylwerber im Bundesgebiet. Aus dem Akteninhalt ergibt sich weder, dass der Beschwerdeführer über das Asylverfahren - in dem er bis zum 1. Juli 1998 durch den Jugendwohlfahrtsträger vertreten wurde - hinaus gehende Erfahrungen im Umgang mit Behörden erworben hat, noch dass an ihn jemals ein Bescheid zugestellt worden ist. Da an den Beschwerdeführer ein dementsprechend geringer Sorgfaltsmaßstab anzulegen ist, stellt der Umstand, dass er sich auf die unrichtige Auskunft der Mitarbeiter jener Betreuungsstelle, in der er untergebracht ist, verlassen hat und etwa einen Monat (unstrittig fiel der Irrtum am 12. Oktober 1999 auf) nichts Weiteres unternommen hat, in diesem konkreten Fall keine auffallende Sorglosigkeit im Sinn der angeführten Judikatur dar.

Der angefochtene Bescheid war daher in seinem die Abweisung des Wiedereinsetzungsantrages betreffenden Spruchpunkt 1. gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Soweit sich die Beschwerde gegen die Zurückweisung der Berufung als verspätet mit Spruchpunkt 2. des angefochtenen Bescheides richtet, war sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen, weil über die Frage der Verspätung eines Rechtsmittels - abgesehen von hier nicht in Betracht kommenden Fällen - unabhängig von einem anhängigen, aber noch nicht bejahend entschiedenen Wiedereinsetzungsantrag sogleich auf Grund der Aktenlage entschieden werden kann (vgl. das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 23. Oktober 1986, Zl. 85/02/0251, Slg. 12.275/A).

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 7. Juni 2000

Schlagworte

VwRallg7 Ereignis

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2000:1999010337.X00

Im RIS seit

14.02.2002

Zuletzt aktualisiert am

20.01.2010
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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