TE OGH 2018/7/17 10Ob37/18s

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Veröffentlicht am 17.07.2018
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Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Univ.-Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann, den Hofrat Mag. Ziegelbauer und die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Pflegschaftssache des minderjährigen Kindes H*****, geboren ***** 2002, vertreten durch das Land Oberösterreich als Träger der Kinder- und Jugendhilfe (Magistrat der Stadt Linz, Soziales, Jugend und Familie, 4041 Linz, Hauptstraße 1–5), wegen Unterhaltsvorschuss, über den Revisionsrekurs des Bundes, vertreten durch die Präsidentin des Oberlandesgerichts Linz, gegen den Beschluss des Landesgerichts Linz als Rekursgericht vom 17. Jänner 2018, GZ 15 R 1/18z-102, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Linz vom 20. November 2017, GZ 2 Pu 22/10a-94, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Pflegschaftssache wird zur neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Text

Begründung:

Der Vater ist aufgrund des Beschlusses des Erstgerichts vom 5. 3. 2010 (ON 12) verpflichtet, dem Kind einen monatlichen Unterhalt von 212 EUR zu zahlen. Mit Beschluss des damals zuständigen Bezirksgerichts Hernals vom 19. 2. 2013 (bei ON 53; ON 153 des Akts des Bezirksgerichts Hernals) wurden dem Kind Unterhaltsvorschüsse gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG in der Höhe von 212 EUR monatlich vom 1. 12. 2012 bis zum 30. 11. 2017 gewährt.

Das in Moskau geborene Kind lebt bei der Mutter in Österreich. Dem Kind wurde mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenats vom 31. 1. 2006 (bei ON 38) gemäß § 7 iVm § 10 Abs 2 AsylG Asyl gewährt. Im Asylgewährungsbescheid wurde ausgeführt, dass dem Kind gemäß § 12 AsylG damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme.

Am 13. 11. 2017 beantragte das Kind die Weitergewährung von Unterhaltsvorschüssen nach §§ 3, 4 Z 1 UVG und brachte dazu vor, dass kein Grund für den Wegfall der Voraussetzungen zur Vorschussgewährung bekannt sei. Als Staatsbürgerschaft gab das Kind an: „Konventionsflüchtling“ (ON 91).

Das Erstgericht bewilligte die Weitergewährung von Unterhaltsvorschüssen gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG in Höhe von 212 EUR monatlich für den Zeitraum vom 1. 12. 2017 bis 30. 9. 2020 (ON 94). Es lägen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Voraussetzungen für die Vorschussgewährung nicht mehr gegeben seien.

Das Rekursgericht gab dem gegen diesen Beschluss vom Bund erhobenen Rekurs nicht Folge. Zwar sei die Flüchtlingseigenschaft vom Gericht jeweils selbständig zu prüfen. Aus den Gesetzesmaterialien zu § 3 AsylG 1997, auf die der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 10 Ob 19/17t verwiesen habe, ergebe sich jedoch, dass die – nur mehr deklarative – Feststellung der Flüchtlingseigenschaft untrennbar mit der Asylgewährung oder Asylerstreckung verbunden sei. Dem Kind sei 2006 Asyl gewährt worden, ihm komme seither ex lege Flüchtlingsstellung zu. Daher sei die Weitergewährung von Unterhaltsvorschüssen nicht zu beanstanden. Der Revisionsrekurs sei zulässig, weil die Rechtsprechung, wonach die Flüchtlingseigenschaft vom Gericht selbständig als Vorfrage zu prüfen sei, im Hinblick auf die Entscheidung 10 Ob 19/17t nicht einheitlich sei.

Gegen diesen Beschluss richtet sich der Revisionsrekurs des Bundes, mit dem er die Abweisung des Weitergewährungsantrags, hilfsweise die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses anstrebt.

Rechtliche Beurteilung

Eine Revisionsrekursbeantwortung wurde nicht erstattet.

Der Revisionsrekurs ist zulässig und im Sinn des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags berechtigt.

1. Es entspricht der Lehre und ständigen Rechtsprechung, dass die Flüchtlingseigenschaft vom Gericht jeweils selbständig als Vorfrage zu prüfen ist (10 Ob 46/10b mwN; RIS-Justiz RS0110397; RS0037183; jüngst 10 Ob 19/17t; 10 Ob 3/18s und ausführlich 10 Ob 40/18g). In der Entscheidung 10 Ob 3/18s hat der Oberste Gerichtshof zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft durch das Gericht ausgeführt:

2. … Der Feststellung der Flüchtlingseigenschaft im Verwaltungsverfahren kommt stärkste Indizwirkung zu, sie nimmt dem Gericht aber nicht die Möglichkeit der selbständigen Vorfragenprüfung. Liegt eine solche Feststellung erst kurze Zeit vor der gerichtlichen Entscheidung, in der die Flüchtlingseigenschaft eine Vorfrage darstellt, wird das Gericht in der Regel von einer weiteren selbständigen Prüfung mangels gegenteiliger Anhaltspunkte absehen können. Dies ist aber anders, wenn seit der Feststellung ein geraumer Zeitraum verstrichen ist und sich die Verhältnisse im Heimatstaat des Flüchtlings wesentlich geändert haben (10 Ob 4/13f; 10 Ob 19/17t ua). Wie das Rekursgericht insoweit zutreffend erkannt hat, könnte bei einem seit der Asylgewährung in den Jahren 2007 und 2009 verstrichenen Zeitraum von einer selbständigen Prüfung der Flüchtlingseigenschaft nicht abgesehen werden.“

2. Diese Ausführungen sind auch im vorliegenden Fall anzuwenden. Der Bund hat bereits im Rekurs vorgebracht und führt ebenso im Revisionsrekurs aus, dass dem Kind mittlerweile infolge der seit Asylgewährung verflossenen Zeit aufgrund geänderter Verhältnisse im Herkunftsstaat keine Flüchtlingseigenschaft mehr zukomme. Das Erstgericht habe jedoch dazu keine Feststellungen getroffen. Komme dem Kind nicht mehr die Flüchtlingseigenschaft zu, habe es als Staatsbürger der Russländischen Föderation keinen Anspruch auf Gewährung von Unterhaltsvorschüssen.

3. Nach § 18 Abs 1 Z 2 UVG hat das Gericht die Vorschüsse weiter zu gewähren, wenn keine Bedenken dagegen bestehen, dass die Voraussetzungen der Gewährung der Vorschüsse, ausgenommen die des § 3 Z 2 UVG, weiter gegeben sind. Der Antrag auf Weitergewährung ist an weniger strenge Voraussetzungen geknüpft als die Erstgewährung. Das Kind hat im Wesentlichen bloß zu behaupten, dass die Voraussetzungen, die bei der Erstgewährung angenommen wurden, weiterhin gegeben sind (10 Ob 3/18s mwN).

4. Im Weitergewährungsverfahren ist im Hinblick auf die Rechtskraft des ursprünglichen Gewährungsbeschlusses eine abweichende rechtliche Beurteilung dann ausgeschlossen, wenn der Sachverhalt ident ist wie bei der Erstgewährung (Neumayr in Schwimann/Kodek, ABGB I4 § 18 UVG Rz 4 mwH). Davon kann im vorliegenden Fall nicht zwingend ausgegangen werden: Im Weitergewährungsantrag hat das Kind seine Flüchtlingseigenschaft mit dem Hinweis darauf, „Konventionsflüchtling“ zu sein, zwar gerade noch ausreichend behauptet. Feststellungen, aus denen sich ergibt, ob dem Kind nach wie vor die von ihm behauptete Flüchtlingseigenschaft zukommt, hat das Erstgericht jedoch nicht getroffen und auch keinerlei Erhebungen zur konkreten Situation der Familien und des Kindes durchgeführt. Im Hinblick darauf, dass im vorliegenden Fall zum Zeitpunkt der Beschlussfassung durch das Erstgericht annähernd 12 Jahre seit der Gewährung von Asyl an das Kind (im Rahmen eines Familienverfahrens, hier noch gemäß § 10 AsylG 1997) verstrichen sind, bedarf es auch im Weitergewährungsverfahren der gerichtlichen Prüfung der Frage, ob nach wie vor konkrete Hinweise auf das Fortbestehen der Flüchtlingseigenschaft des Kindes als Anspruchsvoraussetzung bestehen.

Dem Revisionsrekurs war daher im Sinn des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags stattzugeben.

Textnummer

E122585

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2018:0100OB00037.18S.0717.000

Im RIS seit

20.09.2018

Zuletzt aktualisiert am

29.11.2018
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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