TE Lvwg Erkenntnis 2018/6/16 VGW-151/032/1456/2018, VGW-151/032/2092/2018

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 16.06.2018
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Entscheidungsdatum

16.06.2018

Index

41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht
41/02 Staatsbürgerschaft
19/05 Menschenrechte

Norm

NAG §11 Abs2 Z4
NAG §11 Abs3
NAG §11 Abs5
NAG §21a Abs1
NAG §21a Abs4 Z1
NAG §21a Abs4 Z4
NAG §21a Abs5
NAG §46 Abs1 Z2 litc
NAG §64 Abs1 Z3 UG 2002
IntG §9 Abs4 Z3
EMRK Art. 8

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Verwaltungsgericht Wien hat durch seinen Richter Mag. Pühringer über die Beschwerde 1) der J. F. (geb.: 1990, StA: Afghanistan), vertreten durch Rechtsanwalt, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 21. November 2017, Zl. …, mit welchem der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels für den Zweck "Rot-Weiß-Rot - Karte plus (§ 46/1/2)" gemäß § 11 Abs. 2 Z 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz – NAG, abgewiesen wurde und 2) der S. F. (geb.: 2016, StA: Afghanistan), vertreten durch J. F., diese vertreten durch Rechtsanwalt, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 21. November 2017, ebenfalls mit der Zl. …, mit welchem der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels für den Zweck "Rot-Weiß-Rot - Karte plus (§ 46/1/2)" gemäß § 23 Abs. 4 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz – NAG, abgewiesen wurde, nach mündlicher Verhandlung am 18. April 2018 und am 14. Juni 2018

zu Recht erkannt:

I. Gemäß § 11 Abs. 2 Z 4 iVm Abs. 5 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz, BGBl. I 100/2005 idF BGBl. I 145/2017, wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen und die angefochtenen Bescheide bestätigt.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a Abs. 1 VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig.

Entscheidungsgründe

I.       Verfahrensgang

1.       Mit dem gegenständlichen Antrag der Erstbeschwerdeführerin vom 8. November 2016 begehrt diese die Erteilung eines Aufenthaltstitels "Rot-Weiß-Rot – Karte plus". Mit dem gegenständlichen Antrag der Zweitbeschwerdeführerin vom 22. Mai 2017 begehrt diese ebenfalls die Erteilung eines Aufenthaltstitels "Rot-Weiß-Rot – Karte plus".

2.       Nach Durchführung eines Ermittlungsverfahrens wies die belangte Behörde den Antrag der Erstbeschwerdeführerin mit der Begründung ab, ihr Aufenthalt widerstreite öffentlichen Interessen; zudem habe sie den Nachweis der erforderlichen Deutschkenntnisse auf Niveau A1 nicht erbracht. Aus der Begründung des erstangefochtenen Bescheids lässt sich ersehen, dass die belangte Behörde weiters davon ausging, dass die Erstbeschwerdeführerin die Familienangehörigeneigenschaft in Hinblick auf den Zusammenführenden nicht erfülle, weil die vorgelegte Heiratsurkunde keine rechtsgültige Eheschließung dokumentiere.

Der Antrag der Zweitbeschwerdeführerin wurde gemäß § 23 Abs. 4 NAG abgewiesen, "da ihre Mutter [die Erstbeschwerdeführerin] über keinen Aufenthaltstitel für die Republik Österreich" verfüge.

3.       Gegen diese Bescheide richtet sich die – rechtzeitig erhobene – Beschwerde, mit welcher die Beschwerdeführerinnen die Erteilung der beantragten Aufenthaltstitel begehren.

4.        Die belangte Behörde traf keine Beschwerdevorentscheidung und legte die Beschwerde dem Verwaltungsgericht Wien samt der Akten der Verwaltungsverfahren vor.

5.       Das Verwaltungsgericht Wien führte am 18. April 2018 und am 14. Juni 2018 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, in welcher der Ehegatte bzw. Vater der Beschwerdeführerinnen als Zeuge einvernommen wurde und der Sachverständige Dr. R. ein Gutachten erstattete.

II.      Sachverhalt

1.       Das Verwaltungsgericht Wien legt seiner Entscheidung folgende Feststellungen zugrunde:

Die 1990 geborene Erstbeschwerdeführerin ist afghanische Staatsbürgerin. Sie ist mit dem 1981 geborenen afghanischen Staatsbürger Z. F. (ab hier: Zusammenführender) verheiratet, welchem in Österreich rechtskräftig im Jahr 2011 internationaler Schutz zuerkannt wurde. Die Erstbeschwerdeführerin und der Zusammenführende haben eine gemeinsame Tochter, die Zweitbeschwerdeführerin, ebenfalls eine afghanische Staatsbürgerin.

Die Erstbeschwerdeführerin und der Zusammenführende haben im Jahr 2013 in Pakistan geheiratet. Sie haben im Zuge der Hochzeit ein Monat gemeinsam in Pakistan verbracht, im Jahr 2016 ein weiteres Monat. Der Zusammenführende hat die Zweitbeschwerdeführerin bisher noch nie persönlich gesehen. Die Beschwerdeführerinnen halten sich in Afghanistan auf, wohnen in Kabul bei der Mutter des Zusammenführenden und warten dort den Verfahrensausgang ab.

Die Erstbeschwerdeführerin hat in Afghanistan 12 Jahre die Schule besucht und als Abschluss dieser Schulausbildung einen formal der österreichischen Matura vergleichbaren Schulabschluss erzielt. Auf Grund des niedrigen Bildungsniveaus in Afghanistan und der Mängel im Schulsystem – insbesondere außerhalb Kabuls – ist mit einem solchen Schulabschluss eine Alphabetisierung des Schülers bzw. der Schülerin nicht garantiert und befindet sich der Schüler bzw. die Schülerin auf einem Ausbildungsstand unter einem österreichischen Hauptschulabschluss.

Der Zusammenführende ist Hauptmieter einer unbefristeten Mietwohnung in Wien. Die Wohnung weist eine Größe von 83,98 m² auf und hat neben einer Wohnküche zwei weitere Schlafzimmer. Die monatliche Miete inklusive Betriebskosten beträgt € 997,—. Derzeit wohnen in dieser Wohnung neben dem Zusammenführenden sein Bruder und zwei Schwestern von ihm, ein Schwager des Zusammenführenden wohnt fallweise dort. Diese Personen beteiligen sich auch an den Mietkosten. Sollten die Beschwerdeführerinnen nach Österreich ziehen, werden alle weiteren Personen bis auf eine Schwester des Zusammenführenden ausziehen. In diesem Fall wird sich nur noch die Schwester des Zusammenführenden anteilsmäßig an den Mietkosten beteiligen, die restlichen Mietkosten in der Höhe von etwa € 665,— monatlich sind vom Zusammenführenden und der Erstbeschwerdeführerin aufzubringen.

Der Zusammenführende ist schuldenfrei und vermögenslos. Er steht derzeit in einer unbefristeten Vollzeitbeschäftigung in einem Lokal als Dienstnehmer des P.. Während der kommenden 12 Monate ist prognostisch von einer Beschäftigung des Zusammenführenden für einen Zeitraum von sechs Monaten bei diesem Dienstgeber auszugehen. Während dieser sechs Monate ist von einem durchschnittlichen monatlichen Gehalt von € 1.550,— (plus Sonderzahlung) auszugehen. Der Zusammenführende steht aktuell in einem weiteren geringfügigen Beschäftigungsverhältnis zur J. GmbH, dieses wird aber mit Ablauf des Monats Juni 2018 beendet. Der Beschwerdeführer hat im Mai 2018 eine selbständige Tätigkeit als Auftragnehmer der F. GmbH aufgenommen. Aus diesem Auftragsverhältnis besteht kein regelmäßiger Anspruch auf Auftragserteilung, es kann von beiden Seiten auch jederzeit beendet werden. Prognostisch ist davon auszugehen, dass der Zusammenführende während der nächsten zwölf Monate für sechs Monate Aufträge erhalten und daraus ein Bruttoentgelt in der Höhe von insgesamt € 9.600,— erzielen wird können.

Aus der unselbständigen und selbständigen Beschäftigung wird der Zusammenführende prognostisch während der kommenden zwölf Monate ein insgesamtes Bruttoeinkommen von € 20.450,— erzielen, davon sind € 2.607,5 an Einkommensteuer und insgesamt € 2.287,— an Sozialversicherungsabgaben in Abzug zu bringen.

Die Erstbeschwerdeführerin ist schuldenfrei und vermögenslos und würde in Österreich kein Einkommen aus Erwerbstätigkeit erzielen.

Die Beschwerdeführerinnen sind unbescholten, gegen sie liegt kein Einreise- oder Aufenthaltsverbot oder eine Rückführungsentscheidung vor. Die Beschwerdeführerinnen haben sich noch nie in Österreich aufgehalten und haben keine Deutschkenntnisse. Außer der familiären Beziehung zum Zusammenführenden weisen sie keine Bezugspunkte zum Bundesgebiet auf.

2.       Diese Feststellungen ergeben sich aus folgender Beweiswürdigung:

Das Verwaltungsgericht Wien hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Verwaltungsakt und Würdigung des Beschwerdevorbringens.

Das Verwaltungsgericht Wien hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Verwaltungsakt, Berücksichtigung der von den Beschwerdeführerinnen vorgelegten Unterlagen, Einvernahme des Zusammenführenden als Zeugen in der mündlichen Verhandlung, Einholung eines Sachverständigengutachtens aus dem Bereich der Länderkunde Afghanistans zur Überprüfung der Echtheit und Plausibilität der vorgelegten Urkunden und Einholung verschiedener Registerauskünfte betreffend den Zusammenführenden (örtliches und zentrales Melderegister, Sozialversicherungsdaten, Fremdenregister etc.).

Zunächst war angesichts der von der belangten Behörde herangezogenen Abweisungsgründe im verwaltungsgerichtlichen Verfahren zu überprüfen, ob die von den Beschwerdeführerinnen vorgelegten Urkunden betreffend die Eheschließung zwischen dem Zusammenführenden und der Erstbeschwerdeführerin sowie zum Schulabschluss letzterer authentisch und plausibel sind. Die belangte Behörde hat im verwaltungsbehördlichen Verfahren diesbezüglich Stellungnahmen eines Vertrauensanwalts der österreichischen Botschaft in Islamabad eingeholt. Dieser Einschätzung zufolge bestehen keine Zweifel an der Echtheit der Urkunde über den Schulabschluss, jedoch Bedenken hinsichtlich der Heiratsurkunden, weil diese kein Heiratszertifikat darstellten, sondern nur eine Bezeugung der Eheschließung durch weitere Personen dokumentierten.

Der Zusammenführende hat in der mündlichen Verhandlung sowohl seine Eheschließung mit der Erstbeschwerdeführerin als auch deren Schulabschluss beteuert. Auf Grund dieser nicht eindeutigen Beweisergebnisse und eines Beweisantrags der Beschwerdeführerinnen hat das Verwaltungsgericht Wien zur weiteren Erörterung der Unterlagen ein Sachverständigengutachten des Afghanistankundigen Dr. R. eingeholt. Dieser hat für das Verwaltungsgericht Wien nachvollziehbar dargelegt, dass bei traditionellen Hochzeiten in Afghanistan grundsätzlich keine Dokumente ausgestellt werden und dies nur bei Erforderlichkeit einer Beurkundung etwa für ausländische Behörden im Nachhinein erfolgt. Vom Sachverständigen in Auftrag gegebene Erhebungen in Afghanistan hätten gezeigt, dass die vorgelegte Beurkundung der Verehelichung durch ein Berufungsgericht authentisch sei.

Angesichts dieser sachverständigen Ausführungen hat das Verwaltungsgericht Wien keine weiteren Zweifel daran, dass der Zusammenführende mit der Erstbeschwerdeführerin tatsächlich eine Ehe geschlossen hat und diese aktuell aufrecht ist. Dies auch vor dem Hintergrund, dass aus dieser Ehe ein Kind hervorgegangen ist und der Zusammenführende vor dem Verwaltungsgericht Wien das tatsächliche Stattfinden einer Hochzeit mit umfassendem Bildmaterial bescheinigen konnte.

Zum vorgelegten Schulabschlusszeugnis der Erstbeschwerdeführerin hat der Sachverständige nachvollziehbar ausgeführt, dass dieses seiner fachlichen Einschätzung nach echt sei. Das Verwaltungsgericht Wien hat keine Zweifel, dass die Beschwerdeführerin in Afghanistan die 12. Schulstufe absolviert hat; diese Einschätzung deckt sich im Übrigen mit den Ermittlungsergebnissen des von der belangten Behörde betrauten Vertrauensanwalts der österreichischen Botschaft. Die Feststellungen zum Niveau eines solchen Bildungsabschlusses ergeben sich ebenfalls aus den sachverständigen Ausführungen, wonach selbst bei Abschluss der 12. Schulstufe nicht ausgeschlossen ist, dass eine Alphabetisierung nur lückenhaft vorliegt und ein solcher Schulabschluss unter dem Niveau eines Hauptschulabschlusses in Afghanistan vor 1992 liegt.

Die Feststellungen zum Mietverhältnis des Zusammenführenden und zur Belagssituation der Wohnung ergeben sich zum einen aus dem vorgelegten glaubhaften Mietvertrag, einem Auszug aus dem örtlichen Melderegister und den damit übereinstimmenden Angaben des Zusammenführenden. Dieser hat in der mündlichen Verhandlung angegeben, dass die Miete anteilig auf die Bewohner aufgeteilt werde und er derzeit € 300,— der Miete wirtschaftlich trage. Bei Zuzug der Beschwerdeführerinnen würden jedoch sämtliche Personen bis auf eine Schwester des Zusammenführenden aus der Wohnung ausziehen. Aus diesen glaubhaften Angaben ist für das Verwaltungsgericht Wien zu schließen, dass die Belagssituation der Wohnung bei Erteilung der beantragten Aufenthaltstitels im Vergleich zur aktuellen Situation entsprechend entspannt wäre und für die Erstbeschwerdeführerin und den Zusammenführenden ein Zimmer, für das gemeinsame Kind ein Zimmer und für die Schwester des Zusammenführenden ebenfalls ein eigenes Zimmer zur Verfügung stünden. Vor dem Hintergrund einer solchen veränderten Belagssituation ist gleichzeitig anzunehmen, dass der Zusammenführende für seine Kernfamilie einen größeren Anteil an der Monatsmiete als derzeit aufbringen wird müssen, dieser Anteil ist mit zwei Drittel der Monatsmiete bei € 664,67 anzusetzen.

Die Feststellungen zum zukünftigen Einkommen des Zusammenführenden können mangels beständiger Beschäftigungsverhältnisse in der Vergangenheit nur schwer prognostiziert werden. Zunächst ist den eigenen Angaben des Zusammenführenden folgend nicht davon auszugehen, dass die derzeit noch aufrechte geringfügige Beschäftigung bei der J. GmbH fortgesetzt werden wird. Hinsichtlich der Vollzeitbeschäftigung bei P. als Dienstgeber ist zu berücksichtigen, dass der Zusammenführende erst seit Ende Februar 2018 in diesem Beschäftigungsverhältnis steht und unselbständige Beschäftigungsverhältnisse des Zusammenführenden in der Vergangenheit im Durchschnitt etwa nur drei Monate gedauert haben (drei bzw. sechs Wochen Beschäftigung bei der G. GmbH im Jahr 2014, sechs Monate bzw. zwei Monate bzw. ein Monat Beschäftigung bei A. im Jahr 2016 bzw. 2017, zwei Wochen Beschäftigung bei Si. im Jahr 2018, fünf Monate Beschäftigung bei der J. GmbH im Jahr 2018 und bislang vier Monate Beschäftigung bei P.). Dazwischen weist der Zusammenführende immer wieder längere Erwerbslücken auf. Von einer durchgängigen Erwerbstätigkeit während der kommenden zwölf Monate ist daher nicht auszugehen, das Verwaltungsgericht Wien zieht prognostisch eine Beschäftigung über sechs Monate als wahrscheinlichsten Wert heran. Das zu erwartende Einkommen bei P. in der Höhe von € 1.550,— ergibt sich aus einer Durchschnittsbetrachtung der vorgelegten Lohnzettel bzw. "Einstellungszusagen". Hinsichtlich der kürzlich aufgenommenen selbständigen Beschäftigung geht das Verwaltungsgericht Wien ebenfalls von einer Einkommenserzielung in der bislang nachgewiesenen Höhe von monatlich € 1.600,— über sechs Monate aus; diese selbständige Beschäftigung kann von der Auftraggeberin durch Stopp der Auftragsvergabe jederzeit ohne Angabe von Gründen beendet werden, für die Annahme eines fixen Einkommens aus der Tätigkeit während der gesamten kommenden 12 Monate liegt daher angesichts einer bislang nur einmonatigen Tätigkeit kein ausreichendes Sachsubstrat vor.

Dass die Erstbeschwerdeführerin selbst eine Erwerbstätigkeit aufnehmen würde, wurde nicht behauptet und liegt angesichts ihrer mangelnden Deutschkenntnisse und der Kinderbetreuungspflichten auch nicht nahe.

Die zu erwartenden Steuer- und Sozialversicherungsleistungen für das vom Zusammenführenden erzielten Einkommen ergibt sich aus einer überschlagsmäßigen Berechnung der Jahressteuerlast anhand der Einkommenssteuersätze bzw. aus einer hypothetischen Berechnung anhand der derzeit abgeführten Sozialversicherungsabgaben des Zusammenführenden wie auch aus dessen Angabe, für die gewerbliche Sozialversicherung monatlich € 100,— leisten zu müssen.

Die Feststellungen zum derzeitigen Aufenthalt der Beschwerdeführerinnen und zum bisherigen Familienleben mit dem Zusammenführenden ergeben sich aus den glaubhaften Angaben des Letzteren. Weitere Bezugspunkte zum Bundesgebiet konnten mangels entsprechender Anhaltspunkte nicht festgestellt werden.

III.     Rechtliche Beurteilung

1.       Anzuwendende Rechtsvorschriften:

Die im Beschwerdefall maßgeblichen Bestimmungen des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes – NAG, BGBl. I 100/2005 idF BGBl. I 145/2017, lauten:

"Allgemeine Voraussetzungen für einen Aufenthaltstitel

§ 11. (1) Aufenthaltstitel dürfen einem Fremden nicht erteilt werden, wenn

         1. gegen ihn ein aufrechtes Einreiseverbot gemäß § 53 FPG oder ein arechtes Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG besteht;

         2. gegen ihn eine Rückführungsentscheidung eines anderen EWR-Staates oder der Schweiz besteht;

         3. gegen ihn eine durchsetzbare Rückkehrentscheidung erlassen wurde und seit seiner Ausreise nicht bereits achtzehn Monate vergangen sind, sofern er nicht einen Antrag gemäß § 21 Abs. 1 eingebracht hat, nachdem er seiner Ausreiseverpflichtung freiwillig nachgekommen ist;

         4. eine Aufenthaltsehe, Aufenthaltspartnerschaft oder Aufenthaltsadoption (§ 30 Abs. 1 oder 2) vorliegt;

         5. eine Überschreitung der Dauer des erlaubten visumfreien oder visumpflichtigen Aufenthalts im Zusammenhang mit § 21 Abs. 6 vorliegt oder

         6. er in den letzten zwölf Monaten wegen Umgehung der Grenzkontrolle oder nicht rechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet rechtskräftig bestraft wurde.

(2) Aufenthaltstitel dürfen einem Fremden nur erteilt werden, wenn

         1. der Aufenthalt des Fremden nicht öffentlichen Interessen widerstreitet;

         2. der Fremde einen Rechtsanspruch auf eine Unterkunft nachweist, die für eine vergleichbar große Familie als ortsüblich angesehen wird;

         3. der Fremde über einen alle Risken abdeckenden Krankenversicherungsschutz verfügt und diese Versicherung in Österreich auch leistungspflichtig ist;

         4. der Aufenthalt des Fremden zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen könnte;

         5. durch die Erteilung eines Aufenthaltstitels die Beziehungen der Republik Österreich zu einem anderen Staat oder einem anderen Völkerrechtssubjekt nicht wesentlich beeinträchtigt werden;

         6. der Fremde im Fall eines Verlängerungsantrages (§ 24) das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017, rechtzeitig erfüllt hat, und

         7. in den Fällen der §§ 58 und 58a seit der Ausreise in einen Drittstaat gemäß § 58 Abs. 5 mehr als vier Monate vergangen sind.

(3) Ein Aufenthaltstitel kann trotz Vorliegens eines Erteilungshindernisses gemäß Abs. 1 Z 3, 5 oder 6 sowie trotz Ermangelung einer Voraussetzung gemäß Abs. 2 Z 1 bis 7 erteilt werden, wenn dies zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Europäische Menschenrechtskonvention – EMRK), BGBl. Nr. 210/1958, geboten ist. Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

         1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen rechtswidrig war;

         2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens;

         3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens;

         4. der Grad der Integration;

         5. die Bindungen zum Heimatstaat des Drittstaatsangehörigen;

         6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit;

         7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts;

         8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Drittstaatsangehörigen in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren;

         9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

[…]

(5) Der Aufenthalt eines Fremden führt zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft (Abs. 2 Z 4), wenn der Fremde feste und regelmäßige eigene Einkünfte hat, die ihm eine Lebensführung ohne Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen der Gebietskörperschaften ermöglichen und der Höhe nach den Richtsätzen des § 293 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (ASVG), BGBl. Nr. 189/1955, entsprechen. Feste und regelmäßige eigene Einkünfte werden durch regelmäßige Aufwendungen geschmälert, insbesondere durch Mietbelastungen, Kreditbelastungen, Pfändungen und Unterhaltszahlungen an Dritte nicht im gemeinsamen Haushalt lebende Personen. Dabei bleibt einmalig ein Betrag bis zu der in § 292 Abs. 3 zweiter Satz ASVG festgelegten Höhe unberücksichtigt und führt zu keiner Erhöhung der notwendigen Einkünfte im Sinne des ersten Satzes. Bei Nachweis der Unterhaltsmittel durch Unterhaltsansprüche (§ 2 Abs. 4 Z 3) oder durch eine Haftungserklärung (§ 2 Abs. 1 Z 15) ist zur Berechnung der Leistungsfähigkeit des Verpflichteten nur der das pfändungsfreie Existenzminimum gemäß § 291a der Exekutionsordnung (EO), RGBl. Nr. 79/1896, übersteigende Einkommensteil zu berücksichtigen. In Verfahren bei Erstanträgen sind soziale Leistungen nicht zu berücksichtigen, auf die ein Anspruch erst durch Erteilung des Aufenthaltstitels entstehen würde, insbesondere Sozialhilfeleistungen oder die Ausgleichszulage.

[…]

Nachweis von Deutschkenntnissen

§ 21a. (1) Drittstaatsangehörige haben mit der Stellung eines Erstantrages auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 8 Abs. 1 Z 2, 4, 5, 6, 8, 9 oder 10 Kenntnisse der deutschen Sprache nachzuweisen. Dieser Nachweis hat mittels eines allgemein anerkannten Sprachdiploms einer durch Verordnung gemäß Abs. 6 oder 7 bestimmten Einrichtung zu erfolgen, in welchem diese schriftlich bestätigt, dass der Drittstaatsangehörige über Kenntnisse der deutschen Sprache zumindest zur elementaren Sprachverwendung auf einfachstem Niveau verfügt. Das Sprachdiplom darf zum Zeitpunkt der Vorlage nicht älter als ein Jahr sein.

[…]

(4) Abs. 1 gilt nicht für Drittstaatsangehörige,

         […]

         4. die Familienangehörige von Asylberechtigten sind und einen Aufenthaltstitel 'Rot–Weiß–Rot – Karte plus' gemäß § 46 Abs. 1 Z 2 lit. c beantragen oder

         […]

(5) Die Behörde kann auf begründeten Antrag eines Drittstaatsangehörigen von einem Nachweis nach Abs. 1 absehen:

         1. im Fall eines unbegleiteten Minderjährigen (§ 2 Abs. 1 Z 17) zur Wahrung des Kindeswohls, oder

         2. zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK (§ 11 Abs. 3).

Die Stellung eines solchen Antrages ist nur bis zur Erlassung des Bescheides zulässig. Über diesen Umstand ist der Drittstaatsangehörige zu belehren; § 13 Abs. 3 AVG gilt.

[…]

Bestimmungen über die Familienzusammenführung

§ 46. (1) Familienangehörigen von Drittstaatsangehörigen ist ein Aufenthaltstitel 'Rot-Weiß-Rot – Karte plus' zu erteilen, wenn sie die Voraussetzungen des 1. Teiles erfüllen, und

         […]

         2. ein Quotenplatz vorhanden ist und der Zusammenführende

         […]

         c) Asylberechtigter ist und § 34 Abs. 2 AsylG 2005 nicht gilt, oder

[…]"

2.       Vor der belangten Behörde war zunächst fraglich, ob die Erstbeschwerdeführerin die besondere Erteilungsvoraussetzung der Familienangehörigeneigenschaft erfüllt, von der belangten Behörde wurde diesbezüglich die Eheschließung mit dem Zusammenführenden angezweifelt. Im verwaltungsgerichtlichen Verfahren haben sich diese Zweifel angesichts der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens nicht bestätigt und ist davon auszugehen, dass die Erstbeschwerdeführerin als Ehegattin und die Zweitbeschwerdeführerin als Tochter jeweils Familienangehörige des Zusammenführenden sind.

Der Zusammenführende ist in Österreich asylberechtigt, die Beschwerdeführerinnen sind nicht in Österreich aufhältig, die Eheschließung bzw. Geburt erfolgten erst nach Zuerkennung von internationalem Schutz an den Zusammenführenden, ein Familienverfahren iSd § 34 AsylG ist daher nicht zu führen (vgl. auch § 35 Abs. 5 AsylG), weshalb § 34 Abs. 2 AsylG auf die Beschwerdeführerinnen nicht anzuwenden ist (vgl. zum Familienverfahren auch VwGH 23.11.2017, Ra 2017/18/0291). Die Beschwerdeführerinnen erfüllen damit grundsätzlich die besonderen Erteilungsvoraussetzungen für die von ihnen beantragten Aufenthaltstitel iSd § 46 Abs. 1 Z 2 lit. c NAG.

3.       Für die Erteilung der begehrten Aufenthaltstitel müssen jedoch auch die Erteilungsvoraussetzungen des 1. Teils des NAG vorliegen:

3.1.    Gemäß § 21a NAG haben Drittstaatsangehörige mit der Stellung eines Erstantrags auf Erteilung des (hier einschlägigen) Aufenthaltstitels gemäß § 8 Abs. 1 Z 2 NAG Kenntnisse der deutschen Sprache vorzuweisen. Gemäß § 21a Abs. 4 Z 1 NAG trifft die Zweitbeschwerdeführerin keine solche Pflicht. Die Erstbeschwerdeführerin hat sich im behördlichen Verfahren durch Vorlage ihres Schulabschlusszeugnisses der Sache nach auf den Ausnahmetatbestand des (nunmehr) § 9 Abs. 4 Z 3 Integrationsgesetz gestützt, wonach das Modul 1 der Integrationsvereinbarung erfüllt ist, wenn der Drittstaatsangehörige über einen Schulabschluss verfügt, der der allgemeinen Universitätsreife im Sinne des § 64 Abs. 1 Universitätsgesetz 2002, oder einem Abschluss einer berufsbildenden mittleren Schule entspricht.

Ein von der Erstbeschwerdeführerin behaupteter und von der belangten Behörde angezweifelter Schulabschluss der 12. Schulstufe in Afghanistan hat sich im verwaltungsgerichtlichen Verfahren als tatsächlich vorhanden herausgestellt. Angesichts der im verwaltungsgerichtlichen Verfahren auf sachverständiger Grundlage getroffenen Feststellungen, wonach ein solcher Schulabschluss unter dem Niveau eines österreichischen Hauptschulabschlusses liegt, kann jedoch von einer Gleichwertigkeit zu einem österreichischen Zeugnis iSd § 64 Abs. 1 Z 3 Universitätsgesetz 2002 nicht ausgegangen werden. Der von der Erstbeschwerdeführerin herangezogene Ausnahmetatbestand von der Pflicht zum Nachweis von Deutschkenntnissen ist daher nicht einschlägig.

Seit Antragstellung hat sich mittlerweile jedoch die Rechtslage dahingehend geändert, dass § 21a Abs. 4 Z 4 NAG nunmehr eine Befreiung von der Pflicht zum Nachweis von Deutschkenntnissen für Familienangehörige von Asylberechtigten vorsieht, welche einen Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot – Karte plus" iSd § 46 Abs. 1 Z 2 lit. c NAG begehren. Für das Verwaltungsgericht Wien ist keine Übergangsbestimmung ersichtlich, wonach § 21a Abs. 4 Z 4 NAG idF BGBl. I 84/2017 auf bereits anhängige Verfahren keine Anwendung fände. Dem Grundsatz folgend, wonach das Verwaltungsgericht seiner Entscheidung die Sach- und Rechtslage zum Entscheidungszeitpunkt zu Grunde zu legen hat (vgl. aus der ständigen Rechtsprechung VwGH 21.12.2017, Ra 2017/21/0234), stellt daher § 21a Abs. 1 NAG für die Erstbeschwerdeführerin kein Erfordernis (mehr) dar.

3.2.    Gemäß § 11 Abs. 2 Z 4 iVm Abs. 5 NAG darf der Aufenthalt eines Fremden zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen. Dabei sind iSd § 11 Abs. 5 NAG die regelmäßigen Einkünfte und Ausgaben dem erforderlichen Richtsatz gegenüberzustellen.

Im Beschwerdefall beträgt der gemäß § 293 ASVG maßgebliche Richtsatz für Ehegatten mit einem Kind jährlich – die beantragten Aufenthaltstitel wären gemäß § 20 Abs. 1 NAG für die Dauer von zwölf Monaten zu erteilen – € 18.046,08.

Das dem Zusammenführenden zur Verfügung stehende prognostizierte Bruttoeinkommen aus allen Tätigkeiten während der kommenden zwölf Monate beträgt insgesamt ca. € 20.450,—. Davon sind die Einkommenssteuer in der Höhe von € 2.607,50 und Sozialversicherungsausgaben in der Höhe von € 2.287,— in Abzug zu bringen, womit ein jährliches Nettoeinkommen von € 15.555,50 verbleibt.

Als regelmäßige Belastungen fallen Mietzahlungen in der Höhe von monatlich € 664,67 an, woraus sich unter Berücksichtigung des Werts der freien Station jährliche Belastungen von ca. € 4.510,— ergeben.

Vom Nettoeinkommen des Zusammenführenden verbleiben nach Abzug der Aufwendungen somit gerundet € 11.046,—. Dieser Betrag liegt deutlich unter dem erforderlichen Richtsatz von € 18.046,08. Die Erteilungsvoraussetzung des § 11 Abs. 2 Z 4 NAG ist daher im Beschwerdefall nicht gegeben.

3.3.    Bei Fehlen der Voraussetzung des § 11 Abs. 2 Z 4 NAG kann der Aufenthaltstitel gemäß § 11 Abs. 3 NAG trotzdem erteilt werden, wenn dies zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist.

3.3.1.  Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in seiner Judikatur zu Art. 8 EMRK wiederholt ausgeführt, dass der Staat unter dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK im Zusammenhang mit positiven wie auch negativen Verpflichtungen einen fairen Ausgleich zwischen den konkurrierenden Interessen des Einzelnen und jenen der Gemeinschaft als Ganzes schaffen muss und hiebei den Vertragsstaaten jedoch ein gewisser Ermessenspielraum zukommt. In Fällen, die sowohl das Familienleben als auch die Thematik der Zuwanderung betreffen, wird das Maß an Verpflichtung, Verwandte von rechtmäßig aufhältigen Personen auf seinem Staatsgebiet zuzulassen, je nach den Umständen des Einzelfalls der betroffenen Personen und des Allgemeininteresses variieren. Dabei ist zu berücksichtigen, in welchem Ausmaß das Familienleben tatsächlich gestört wird, wie stark die Bande mit dem Vertragsstaat ist, ob es für die Familie unüberwindbare Hindernisse gibt, im Herkunftsland eines oder mehrerer Familienmitglieder zu leben, ob konkrete Umstände im Hinblick auf die Einreisekontrolle (zB Verstöße gegen die Einreisebestimmungen) oder Überlegungen im Hinblick auf die öffentliche Sicherheit eher für eine Ausweisung sprechen und auch ob das Familienleben zu einem Zeitpunkt entstanden ist, als sich die betroffenen Personen bewusst gewesen sind, dass der Aufenthaltsstatus eines Familienmitgliedes derart gewesen ist, dass der Fortbestand des Familienlebens im Gastland von vornherein unsicher gewesen sei. Dazu hat der Gerichtshof auch wiederholt festgehalten, dass die Ausweisung eines ausländischen Familienmitglieds in solchen Fällen nur unter ganz speziellen Umständen eine Verletzung von Art. 8 EMRK bewirkt (vgl. VwGH 19.2.2009, 2008/18/0721, mwN).

Bei der vorzunehmenden Beurteilung nach Art. 8 EMRK ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalls eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an der Versagung eines Aufenthaltstitels mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen, insbesondere unter Berücksichtigung der im § 11 Abs. 3 NAG genannten Kriterien in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen (vgl. VwGH 21.1.2016, Ra 2015/22/0119). Bei dieser Abwägung sind – unter anderem – das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens und dessen Intensität zu berücksichtigen (vgl. VfGH, VfSlg. 18.224/2007). Bei der Beurteilung, ob ein Eingriff nach Art. 8 EMRK zulässig ist, ist auch zu beachten, ob eine Fortsetzung des gemeinsamen Familienlebens außerhalb Österreichs möglich ist bzw. ob auf Grund einer aus Asylgründen bedingten Trennung der Familie der Eingriff in das Familienleben als unzulässig zu werten wäre (vgl. VwGH 11.6.2014, 2013/22/0166, mwN). Im Rahmen der Abwägung nach Art. 8 MRK kommt dem Bestehen einer Ehe mit einem dauerhaft niedergelassenen Partner große Bedeutung zu (VwGH 11.11.2013, 2013/22/0224).

3.3.2.  Im Beschwerdefall ist bei der Abwägung die familiäre Beziehung zwischen dem Zusammenführenden und den Beschwerdeführerinnen einer näheren Betrachtung zu unterziehen; das Familienleben der Beschwerdeführerinnen untereinander wird bei Versagung der beantragten Aufenthaltstitel nicht berührt.

Bei einer Betrachtung des Familienlebens des Zusammenführenden und den Beschwerdeführerinnen fällt zunächst auf, dass die Erstbeschwerdeführerin und der Zusammenführende zwar schon seit 2013 verheiratet sind, in dieser Zeit jedoch nicht mehr als zwei Monate miteinander verbracht haben und nie einen gemeinsamen festen Wohnsitz hatten; vor der Eheschließung gab es überhaupt keine persönliche Beziehung und keinen regelmäßigen Kontakt der Eheleute, sondern allenfalls ein Kennen vom Sehen her. Die Ehe wurde zu einem Zeitpunkt geschlossen, zu dem sich die Erstbeschwerdeführerin nicht sicher sein konnte, für das Bundesgebiet jemals einen Aufenthaltstitel zu erlangen.

Der Zweitbeschwerdeführerin kann als in die Familiensituation hineingeborenes Kind diese unsichere Aufenthaltssituation nicht entgegengehalten werden, wohl aber ist zu berücksichtigen, dass sich der Zusammenführende und die Zweitbeschwerdeführerin – bedingt durch das Fehlen eines Aufenthaltstitels – noch nie getroffen haben. Grundsätzlich reicht die biologische Verwandtschaft zwischen einem leiblichen Elternteil und einem Kind allein nicht aus, um unter den Schutz des Art. 8 EMRK zu fallen. In der Regel ist das Zusammenleben eine Voraussetzung für eine Beziehung, die einem Familienleben gleich kommt. Nur ausnahmsweise können auch andere Faktoren als Nachweis dafür dienen, dass eine Beziehung beständig genug ist, um faktische "familiäre Bindungen" zu schaffen (VwGH 15.12.2015, Ra 2015/22/0125). Solchen anderen Faktoren sind im Beschwerdefall nicht ersichtlich.

Als Ausgangsbasis der Abwägung ist im Beschwerdefall zusammengefasst von einem nur schwach ausgeprägten Familienleben auszugehen.

3.3.3.  In Hinblick auf § 11 Abs. 3 Z 4 und 5 NAG ist bei der Abwägung nach Art. 8 Abs. 2 EMRK zu berücksichtigen, dass die Beschwerdeführerinnen abgesehen vom familiären Bezug zum Zusammenführenden keine Bindung zum Bundesgebiet und keine Integrationsmerkmale aufweisen, insbesondere weist die Erstbeschwerdeführerin keinerlei Deutschkenntnisse auf. Es liegt eine de facto fast ausschließliche Bindung der Beschwerdeführerinnen zum Heimatstaat vor.

3.3.4.  Für die Beschwerdeführerinnen – insbesondere die Zweitbeschwerdeführerin – ist ins Treffen zu führen, dass die Nichtermöglichung des Zusammenlebens eines Elternteils mit seinem minderjährigen Kind und dem anderen Elternteil einen gravierenden Eingriff in das Familienleben iSd Art. 8 EMRK darstellt. Im Beschwerdefall ist zudem eine gemeinsame Wohnsitznahme in Afghanistan auf Grund des Asylstatus des Zusammenführenden ausgeschlossen. Es liegen auch keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür vor, dass es der Familie möglich und zumutbar wäre, ihr Familienleben gemeinsam in einem anderen Staat – zB Pakistan – dauerhaft aufzunehmen. Eine Fortführung des Familienlebens in seiner bisherigen Intensität durch wiederkehrende Treffen in Pakistan ist jedoch nicht ausgeschlossen.

3.3.5.  Bei der Beurteilung der Auswirkungen einer Aufenthaltsbeendigung (hier: Nichtzuerkennung eines Aufenthaltstitels) auf die wechselseitigen Beziehungen eines Elternteils und seines Kinds ist auch auf im Entscheidungszeitpunkt konkret absehbare zukünftige Entwicklungen Bedacht zu nehmen (VwGH 31.8.2017, Ro 2017/21/0012). Aus Sicht des Verwaltungsgerichts Wien scheint die Erteilung von Aufenthaltstiteln für die Beschwerdeführerinnen nicht ausgeschlossen und sollte eine solche Titelerteilung möglich sein, sobald der Zusammenführende stabile finanzielle Verhältnisse und damit die Sicherung des notwendigen Lebensunterhalts vorweisen kann. Eine Nichterteilung der Aufenthaltstitel gestützt auf § 11 Abs. 2 Z 4 NAG zum gegenwärtigen Zeitpunkt verzögert damit zwar die Familienzusammenführung, stellt aber keine unüberwindbaren Hürden für die Zukunft auf. Derzeit wohnen die Beschwerdeführerinnen in Afghanistan bei der Mutter des Zusammenführenden im Familienverband und werden dort versorgt, eine akute Notsituation ist für das Verwaltungsgericht Wien nicht zu erkennen.

3.3.6.  In Abwägung all dieser genannten Umstände ist für das Verwaltungsgericht Wien nicht erkennbar, dass die aus Art. 8 EMRK erfließenden schutzwürdigen Interessen der Beschwerdeführerinnen die öffentlichen Interessen an einer Einhaltung der fremdenrechtlichen Bestimmungen, konkret der Sicherung eines ausreichenden Lebensunterhalts, überwiegen. Vom Erfordernis des § 11 Abs. 2 Z 4 NAG ist daher im Beschwerdefall nicht abzusehen.

4.       Die Abweisung der gegenständlichen Anträge auf Erteilung von Aufenthaltstiteln durch die belangte Behörde erweist sich daher im Ergebnis als rechtmäßig. Die Abweisung ist jedoch, im Gegensatz zu den von der belangten Behörde herangezogenen Rechtsgrundlagen, auf § 11 Abs. 2 Z 4 NAG zu stützen, weil die Aufenthaltstitel einzig aus diesem Grund zu versagen sind. Die Beschwerden sind folglich als unbegründet abzuweisen.

5.       Die ordentliche Revision ist unzulässig, da im Beschwerdefall keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Das Verwaltungsgericht Wien hat sich bei seiner Entscheidung insbesondere betreffend die Abwägung nach Art. 8 Abs. 2 EMRK an der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs orientiert. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Im Übrigen stellen sich im Beschwerdefall vorrangig Beweiswürdigungsfragen, die vom Verwaltungsgericht Wien nach den in der Rechtsprechung aufgestellten Kriterien gelöst wurden (vgl. aus der ständigen Judikatur zB VwGH 15.9.2016, Ra 2016/15/0049). Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfragen vor.

Schlagworte

Besondere Erteilungsvoraussetzung, Allgemeine Erteilungsvoraussetzungen, Nachweis von Deutschkenntnissen, allgemeine Universitätsreife, Interessenabwägung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGWI:2018:VGW.151.032.1456.2018

Zuletzt aktualisiert am

14.09.2018
Quelle: Landesverwaltungsgericht Wien LVwg Wien, http://www.verwaltungsgericht.wien.gv.at
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