TE OGH 2018/8/23 4Ob159/18p

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Veröffentlicht am 23.08.2018
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Hon.-Prof. Dr. Brenn, Dr. Rassi und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. M*****, vertreten durch Dr. Franz Gütlbauer und andere Rechtsanwälte in Wels, gegen die beklagte Partei H*****, vertreten durch Prof. Dr. Johannes Hintermayr und andere Rechtsanwälte in Linz, wegen Nichtigerklärung einer Gemeinschaftsmarke (Streitwert 36.000 EUR), über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien vom 27. April 2018, GZ 2 R 6/18v-61, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Die Streitteile bieten als Mitbewerber eine Kräutermischung zum Ansetzen in hochprozentigem Alkohol an, die sie jeweils als „Baucherlwärmer“ bezeichnen. Diese Bezeichnung wurde im klägerischen Familienunternehmen bereits seit den 1980er Jahre verwendet, um die Kräuteransatzmischung auf Märkten unter gleichzeitiger Präsentation einer Flasche mit dem Aufdruck „Baucherlwärmer“ durch Ausruf zu bewerben; das war dem Beklagten, der bis ca 1998 in diesem Unternehmen mitgearbeitet hat, bekannt. Seit der Jahrtausendwende verwenden beide Parteien die Bezeichnung „Baucherlwärmer“ für ihr jeweils eigenes Produkt auf den Etiketten ihrer Kräutermischung. Der Beklagte wusste, dass die Klägerin ihren Kräuteransatz auch auf den Etiketten mit dieser Bezeichnung kennzeichnete.

Um sich die Ausschließlichkeitsrechte zu sichern, ließ sich der Beklagte diese Bezeichnung im Jahr 2005 als Unionswortmarke für die Klassen 5, 29, 30 und 33 des Nizzaer Klassifikationsübereinkommens mit Priorität 17. 5. 2005 schützen. Er handelte dabei mit dem Vorsatz, die Klägerin von der benutzten Anpreisung auszuschließen, damit seine Marktchancen zu ihren Lasten erhöht werden.

Im Verfahren AZ 11 Cg 5/07h vor dem Handelsgericht Wien machte der hier Beklagte gegen die Klägerin aus der für ihn registrierten Gemeinschaftsmarke „Baucherlwärmer“ klagsweise Ansprüche auf Unterlassung, Beseitigung und Zahlung geltend. Diese Klage wurde vom Erstgericht wegen bösgläubiger Markenrechtsanmeldung abgewiesen, die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig (das Revisionsverfahren ist unterbrochen, vgl 4 Ob 217/17s).

Mit ihrer auf Art 100 GMV gestützten Widerklage begehrte die Klägerin das Urteil, die zu Gunsten des Beklagten registrierte Gemeinschaftsmarke sei nichtig und der Beklagte sei schuldig, in die Löschung dieser Gemeinschaftsmarke einzuwilligen, hilfsweise die Gemeinschaftsmarke für nichtig zu erklären. Sie erhob dabei den Einwand der bösgläubigen Markenrechtsanmeldung nach Art 52 Abs 1 lit b VO [EG] 207/2009 idF VO [EU] 2015/2424 (im Folgenden: UMV).

Die Vorinstanzen gaben dem Widerklagebegehren statt, weil der Beklagte die Marke bösgläubig erworben habe.

Rechtliche Beurteilung

In seiner dagegen erhobenen außerordentlichen Revision zeigt der Beklagte keine erhebliche Rechtsfrage auf.

1. Nach gesicherter Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und des Obersten Gerichtshofs sind bei der Beurteilung der Bösgläubigkeit einer Markenanmeldung alle erheblichen Faktoren zu berücksichtigen, die dem zu entscheidenden Fall eigen sind und zum Zeitpunkt der Einreichung der Anmeldung eines Zeichens als Marke vorliegen, insbesondere die Tatsache, dass der Anmelder weiß oder wissen muss, dass ein Dritter in mindestens einem Mitgliedstaat ein gleiches oder ähnliches Zeichen für eine gleiche oder mit dem angemeldeten Zeichen verwechselbar ähnliche Ware verwendet, die Absicht des Anmelders, diesen Dritten an der weiteren Verwendung eines solchen Zeichens zu hindern, sowie der Grad des rechtlichen Schutzes, den das Zeichen des Dritten und das angemeldete Zeichen genießen (EuGH C-529/07, Chocoladefabriken Lindt & Sprüngli AG; EuGH C-320/12, Malaysia Dairy Industries Pte. Ltd; 17 Ob 17/09p, Goldhase IV). Bösgläubigkeit der Markenanmeldung kann selbst bei eigenem Benutzungswillen des Anmelders angenommen werden, wenn der Anmelder zumindest auch den Vertrieb der Waren oder Dienstleistungen seines prioritätsälteren Mitbewerbers stören will (4 Ob 261/16k mwN).

2. Die von den Umständen des Einzelfalls geprägten Entscheidungen der Vorinstanzen halten sich im Rahmen dieser Rechtsprechung und bedürfen keiner Korrektur.

2.1 Insbesondere die Frage der Behinderungsabsicht kann die Zulässigkeit nicht begründen. Diesbezüglich liegt die ausdrückliche (wenngleich disloziert in der rechtlichen Beurteilung getroffene) Feststellung vor, dass der Beklagte den Vorsatz hatte, die Klägerin von der langjährigen Benutzung des Zeichens „in weiterer Folge“ (gemeint: nach der Markenanmeldung) auszuschließen, um seine Marktchancen zu ihren Lasten zu erhöhen.

2.2 Der Grad des rechtlichen Schutzes, den das Zeichen des Dritten und das angemeldete Zeichen genießen, ist nur ein Kriterium von mehreren Faktoren, die in einer Gesamtbetrachtung abzuwägen sind. Insoweit der Beklagte mit dem wertvollen (oder wertvolleren) Besitzstand des Beeinträchtigten argumentiert, wirft er keine erhebliche Rechtsfrage auf, weil es sich hier um kein relevantes Kriterium handelt (4 Ob 28/06f; 4 Ob 89/06a; vgl auch EuGH C-529/07, Chocoladefabriken Lindt & Sprüngli AG). Gegenteiliges lässt sich auch nicht aus den Entscheidungen EuGH C-325/13 P und C-326/13 P, Peek und Cloppenburg, und 4 Ob 148/14i, Fashion One, ableiten, die keinen Fall bösgläubigen Markenrechtserwerbs betrafen.

3.1 Auch hinsichtlich des behaupteten schlüssigen Verzichts durch die Klägerin auf den Einwand der Bösgläubigkeit liegt keine unvertretbare Fehlbeurteilung vor. Ein konkludenter Verzicht darf nur mit gebotener Vorsicht angenommen werden (RIS-Justiz RS0014420; RS0014423 [T17]). Die Frage, ob nach den Umständen des Einzelfalls ein (schlüssiger) Verzicht anzunehmen ist oder nicht, bedeutet im Regelfall keine erhebliche Rechtsfrage (RIS-Justiz RS0107199). Wenn die Vorinstanzen die von der Klägerin mit ihrer Widerklage gegen die vom Beklagten behaupteten Ausschließlichkeitsrechte geltend gemachten Abwehransprüche im Ergebnis als berechtigt qualifizierten und damit einen (schlüssigen) Verzicht auf diese Abwehrrechte verneinten, obwohl die Klägerin keine Ausschließlichkeitsrechte an der Bezeichnung „Baucherlwärmer“ für sich selbst aktiv in Anspruch genommen hat, bedarf dies daher keiner Korrektur durch gegenteilige Sachentscheidung.

3.2 Der Beklagte argumentiert in diesem Zusammenhang damit, dass er die Marke vor ihrer Registrierung fünf Jahre benutzt habe, wobei die Klägerin die „Schonfrist des Art 18 UMV“ verstreichen habe lassen und ihn weder aufgefordert habe, die Kennzeichenverwendung zu unterlassen noch Kennzeichenrechte ihm gegenüber geltend gemacht habe.

3.3 Das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage scheitert in diesem Zusammenhang schon am Umstand, dass die Bestimmung nach ihrem klaren Wortlaut den Verlust eines Ausschließlichkeitsrechts durch Nichtbenutzung des Inhabers einer (naturgemäß) bereits eingetragenen Marke und nicht den Verlust eines (zukünftigen bzw potentiellen) Abwehranspruchs (Nichtigkeitseinwand) durch Duldung eines noch nicht eingetragenen Zeichens betrifft.

3.4 Schon deshalb sieht sich der Senat auch nicht veranlasst, die Anregung auf Einholung einer Vorabentscheidung beim Europäischen Gerichtshof zur Frage aufzugreifen, ob die Annahme der Bösgläubigkeit ausgeschlossen ist, wenn die Benutzung des Zeichens vor der Registrierung der Marke fünf Jahre geduldet wurde. Im Übrigen steht die Argumentation des Beklagten auch im Widerspruch zu den aus Art 61 UMV abzuleitenden Wertungen. Diese Regel normiert eine „Verwirkung durch Duldung“ im Verhältnis zwischen zwei Markenrechtsinhabern. Demnach ist es dem Inhaber der älteren Marke im Fall der bösgläubigen Anmeldung durch den Inhaber der jüngeren Marke auch dann nicht verwehrt, die Nichtigerklärung der jüngeren Marke zu verlangen, wenn jener deren Benutzung während eines Zeitraums von fünf aufeinander folgenden Jahren in Kenntnis dieser Benutzung geduldet hat. Die Ausführungen des Beklagten zu Art 18 UMV können nicht nachvollziehbar erklären, warum demgegenüber der Einwand der Bösgläubigkeit wegen einer Duldung der Benutzung vor Eintragung einer Marke ausgeschlossen sein soll.

4.1 Im Zusammenhang mit der zeitlichen Abfolge der Entscheidungen im Widerklageverfahren liegen keine relevanten Verfahrensmängel vor, weshalb die Zulässigkeit des Rechtsmittels auch damit nicht begründet werden kann.

4.2 Der Beklagte argumentiert unter Berufung auf die Entscheidung des EuGH C-425/16 dahin, dass die Entscheidungen über die Widerklage zu Unrecht erst nach den (erst- und zweitinstanzlichen) Entscheidungen im Verletzungsprozess getroffen wurden.

4.3 Nach der zitierten Entscheidung des EuGH darf eine Verletzungsklage wegen eines absoluten Nichtigkeitsgrundes nicht abgewiesen werden, ohne dass dieses Gericht der vom Beklagten des Verletzungsverfahrens erhobenen und auf denselben Nichtigkeitsgrund gestützten Widerklage auf Nichtigerklärung stattgegeben hat. Dem liegt zugrunde, dass widersprüchliche Entscheidungen der Gerichte vermieden werden sollen (Rn 28, 37 und 44).

4.4 Aus dieser – im Rahmen des Verletzungsprozesses ergangenen – Vorabentscheidung lässt sich aber kein Entscheidungsverbot im Prozess über die Widerklage ableiten, wenn im Verletzungsprozess bereits (noch nicht rechtskräftige) Entscheidungen getroffen wurden. Die Entscheidung im Verletzungsprozess wird erst nach der Entscheidung über die Widerklage rechtskräftig (vgl 4 Ob 217/17s). Damit kann im – für den Fall eines entsprechenden Antrags – fortzusetzenden Verletzungsprozess noch die aus der Rechtskraft abzuleitende Bindungswirkung der Entscheidung über die Widerklage – auch noch im Rechtsmittelverfahren (4 Ob 88/18x) – beachtet werden. Durch die Vorgangsweise der Vorinstanzen besteht damit keine Gefahr widersprüchlicher Entscheidungen.

5. Das Berufungsgericht hat die im Zusammenhang mit der Verlesung von Akten des Verletzungsverfahrens gerügte Nichtigkeit bzw Mangelhaftigkeit verneint. Diese Fragen können in der Revision daher nicht mehr aufgeworfen werden (RIS-Justiz RS0042963).

Textnummer

E122565

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2018:0040OB00159.18P.0823.000

Im RIS seit

07.09.2018

Zuletzt aktualisiert am

02.04.2019
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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