TE Vwgh Erkenntnis 1999/12/16 98/21/0281

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Veröffentlicht am 16.12.1999
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AufG 1992;
AVG §56;
AVG §68 Abs1;
FrG 1997 §111 Abs1;
FrG 1997 §112;
FrG 1997 §113 Abs6;
FrG 1997 §113 Abs7;
FrG 1997 §115 Abs1;
FrG 1997 §115 Abs2;
FrG 1997 §31 Abs4;
FrG 1997 §33 Abs1;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Rosenmayr, Dr. Pelant und Dr. Enzenhofer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Ferchenbauer, über die Beschwerde des Y, (geboren am 15. Mai 1960), in Ratzersdorf, vertreten durch Dr. Georg Thum und Dr. Kurt Weinreich, Rechtsanwälte in 3100 St. Pölten, Heßstraße 7/3, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 20. April 1998, Zl. Fr 888/98, betreffend Ausweisung gemäß § 33 Abs. 1 Fremdengesetz, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Die belangte Behörde hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich (der belangten Behörde) vom 20. April 1998 wurde der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger, gemäß § 33 Abs. 1 Fremdengesetz 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ausgewiesen.

Nach Wiedergabe des wesentlichen Inhaltes des erstinstanzlichen Bescheides und dem Hinweis, dass der im ersten Rechtsgang erlassene Berufungsbescheid der belangten Behörde vom 5. September 1995 mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 19. Juni 1996, Zl. 95/21/1084, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben worden war, führte die belangte Behörde aus, dass der Beschwerdeführer am 23. April 1992 unter Umgehung der Grenzkontrolle in das Bundesgebiet eingereist sei, ohne im Besitz einer Aufenthaltsberechtigung gewesen zu sein. Am 12. Juni 1992 habe er eine österreichische Staatsbürgerin geheiratet. Aufgrund der Eheschließung habe er einen Befreiungsschein erhalten und in weiterer Folge eine Beschäftigung aufnehmen können. Am 6. November 1992 sei ihm erstmals ein bis zum 24. März 1993 gültiger Sichtvermerk und in weiterer Folge ein bis 15. Juni 1994 gültiger Sichtvermerk erteilt worden. Am 25. Jänner 1994 sei seine Ehe einvernehmlich gemäß § 55a Ehegesetz geschieden worden. Am 28. April 1994 habe der Beschwerdeführer einen Antrag auf Erteilung einer Bewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz gestellt, der mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Scheibbs vom 17. Jänner 1995 abgewiesen worden sei. Der dagegen erhobenen Berufung sei mit Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 23. November 1995 keine Folge gegeben worden. Der Beschwerdeführer, der sich bereits bei seiner Einreise über die österreichische Rechtsordnung hinweggesetzt habe, halte sich somit seit ca. zweieinhalb Jahren rechtswidrig im Bundesgebiet auf.

Der Beachtung der für die Einreise nach und die Ausreise aus Österreich bestehenden Vorschriften komme im Interesse der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung ein hoher Stellenwert zu. Der Tatbestand der "Scheinehe" sei für die Ausweisung nicht unbedingt entscheidungsrelevant, wenngleich die Ausführungen der erstinstanzlichen Behörde - diese führte aus, dass die Ehe des Beschwerdeführers in Österreich lediglich zum Zweck der Erlangung der Aufenthalts- und Arbeitsbewilligung gedient habe - schlüssig und nachvollziehbar seien. Zum Zeitpunkt der Eheschließung habe er weder über einen Aufenthaltstitel verfügt, noch im Bundesgebiet erlaubterweise einer Beschäftigung nachgehen dürfen. Aufgrund seiner mehrfachen Wohnsitzwechsel und der getrennten Wohnsitze sei der Schluss zulässig, dass die Ehe von ihm nur deshalb eingegangen worden sei, um sich eine Aufenthaltsberechtigung und den Zugang zum österreichischen Arbeitsmarkt zu verschaffen. Dies stelle ein rechtsmissbräuchliches Verhalten dar, das die Annahme rechtfertige, dass sein Aufenthalt im Bundesgebiet die öffentliche Ordnung gefährde.

Die Ausweisung orientiere sich an der Rechtmäßigkeit bzw. Unrechtmäßigkeit des Aufenthaltes des Beschwerdeführers. Mit Schriftsatz vom 2. Februar 1998 sei er ersucht worden, bekanntzugeben, ob er nunmehr im Besitz eines Aufenthaltstitels wäre. Am 2. März 1998 habe sein Rechtsvertreter telefonisch bekanntgegeben, dass seit Jänner 1996 ein die Erlangung der Aufenthaltsbewilligung betreffendes Beschwerdeverfahren beim Verwaltungsgerichtshof anhängig wäre. Der Antrag des Beschwerdeführers auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung (offensichtlich gemeint: an diese Beschwerde) wäre abgewiesen worden. In seiner Stellungnahme vom 5. März 1998 werde bestätigt, dass er nicht im Besitz eines Aufenthaltstitels sei. Er verweise auf die Bestimmung des § 113 Abs. 6 FrG. Ein Außerkrafttreten des erstinstanzlichen Bescheides nach dem Aufenthaltsgesetz "bedeutet noch keinen Aufenthaltstitel".

Im Grunde des § 37 Abs. 1 FrG führte die belangte Behörde weiters aus, dass weder aus dem Akteninhalt noch aus der Berufung des Beschwerdeführers nähere Bindungen zu in Österreich aufhältigen Personen hervorgingen. Es seien keine Familienangehörigen im Bundesgebiet aufhältig, und es stelle die Ausweisung demnach keinen Eingriff in sein Familienleben dar. Aufgrund des erheblichen öffentlichen Interesses an einem geordneten Fremdenwesen sei seine Ausweisung trotz seiner allenfalls dagegenstehenden privaten Interessen nicht nur zulässig, sondern (auch) dringend geboten. Der Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet sei rechtswidrig, was eine Übertretung des Fremdengesetzes von nicht unerheblicher Bedeutung darstelle. Zum Zeitpunkt der Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides sei der Beschwerdeführer aufgrund des anhängigen Aufenthaltsbewilligungsverfahrens zum Aufenthalt berechtigt gewesen.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes, in eventu Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Mit dem vorgenannten hg. Erkenntnis vom 19. Juni 1996, Zl. 95/21/1084, wurde der im ersten Rechtsgang erlassene Berufungsbescheid der belangten Behörde vom 5. September 1995 wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufgehoben, weil dieser entgegen § 17 Abs. 4 des Fremdengesetzes, BGBl. Nr. 838/1992, vor rechtskräftiger Erledigung des rechtzeitig gestellten Antrages auf Verlängerung einer Bewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz (AufG) vom 28. April 1994 (vgl. I.1.) erlassen worden war. Zur näheren Begründung wird gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf dieses Erkenntnis verwiesen.

2. Gemäß § 33 Abs. 1 FrG können Fremde mit Bescheid ausgewiesen werden, wenn sie sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten. Die im angefochtenen Bescheid getroffene Annahme des Vorliegens dieser Tatbestandsvoraussetzung erweist sich aus folgenden Gründen als unzutreffend:

2.1. § 31 Abs. 4 und § 112 erster Satz FrG lauten:

"§ 31 ...

(4) Fremde, die einen Antrag auf Ausstellung eines weiteren Aufenthaltstitels vor Ablauf der Gültigkeitsdauer des ihnen zuletzt erteilten Aufenthaltstitels oder vor Entstehen der Sichtvermerkspflicht eingebracht haben, halten sich bis zum Zeitpunkt der rechtskräftigen Entscheidung über diesen Antrag rechtmäßig im Bundesgebiet auf. Als Entscheidung in diesem Sinne gilt auch eine von der Behörde veranlasste Aufenthaltsbeendigung (§ 15).

§ 112. Verfahren zur Erteilung eines Sichtvermerkes sowie Verfahren zur Erteilung oder Verlängerung einer Aufenthaltsbewilligung, die bei Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes anhängig sind, oder gemäß der §§ 113 und 114 anhängig werden, sind nach dessen Bestimmungen - je nach dem Zweck der Reise oder des Aufenthaltes - als Verfahren zur Erteilung eines Einreisetitels oder als Verfahren zur Erteilung eines Erstaufenthaltstitels oder eines weiteren Aufenthaltstitels fortzuführen."

Nach der hg. Rechtsprechung (vgl. etwa das Erkenntnis vom 4. Dezember 1998, Zl. 96/19/3315, 3316, 3674, 3675, mwN) ist § 31 Abs. 4 FrG auch auf vor dem 1. Jänner 1998, dem Inkrafttreten des FrG (§ 111 Abs. 1 dieses Gesetzes), gestellte, zu diesem Zeitpunkt anhängige, rechtzeitige Verlängerungsanträge sinngemäß anzuwenden.

2.2. Mit hg. Beschluss vom 2. Juli 1998, Zl. 96/19/0270, wurde die gegen den vorgenannten Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 23. November 1995 erhobene Beschwerde gemäß § 113 Abs. 6 und 7, § 115 Abs. 1 und 2 FrG als gegenstandslos erklärt und das diesbezügliche Beschwerdeverfahren eingestellt. Demzufolge ist der Bescheid vom 23. November 1995 mit 1. Jänner 1998, dem Inkrafttreten des FrG, außer Kraft getreten. Dadurch kam der Beschwerdeführer in den Genuss eines Aufenthaltsrechts bis zur rechtskräftigen Entscheidung über seinen Verlängerungsantrag (§ 31 Abs. 4 iVm § 112 erster Satz FrG).

2.3. Da somit im Hinblick auf die dargestellte Rechtslage der angefochtene Bescheid der Tatbestandsvoraussetzung der Unrechtmäßigkeit des Aufenthaltes des Beschwerdeführers im Bundesgebiet entbehrte, erweist er sich seinem Inhalt nach als rechtswidrig, sodass er - ohne dass auf das Beschwerdevorbringen weiter eingegangen zu werden brauchte - gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

3. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 16. Dezember 1999

Schlagworte

Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2 Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtswirkungen von Bescheiden Rechtskraft VwRallg9/3 Maßgebender Bescheidinhalt Inhaltliche und zeitliche Erstreckung des Abspruches und der Rechtskraft Rechtskraft Umfang der Rechtskraftwirkung Allgemein Bindung der Behörde

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1999:1998210281.X00

Im RIS seit

11.07.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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