TE Bvwg Beschluss 2018/7/26 G308 2173621-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 26.07.2018
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

26.07.2018

Norm

AVG §38
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §17

Spruch

G308 2173621-1/6Z

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch die Richterin MMag. Angelika PENNITZ als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX, geboren am XXXX, Staatsangehörigkeit: Mazedonien, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 21.09.2017, Zahl XXXX, betreffend die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten sowie Entziehung der befristeten Aufenthaltsberechtigung:

A) Das gegenständliche Beschwerdeverfahren wird gemäß § 38 AVG iVm § 17 VwGVG bis zur Vorabentscheidung durch den Gerichtshof der Europäischen Union in der Rechtssache C-720/17 über die mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 14.12.2017, EU 2017/0011 (Ra 2016/20/0038), vorgelegten Fragen ausgesetzt.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

1. Der Beschwerdeführer beantragte am 02.07.2013 im Bundesgebiet das dritte Mal internationalen Schutz gemäß § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005. Er wurde noch am selben Tag vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt.

2. Am 19.02.2014 fand vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Salzburg, die niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers statt.

3. Mit Bescheid des Bundesamtes vom 29.04.2014, Zahl: XXXX, wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 02.07.2013 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.), dem Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und dem Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 bis zum 29.04.2015 eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt (Spruchpunkt III.).

In seiner Begründung stellte das Bundesamt zunächst fest, dass nicht festgestellt werden könne, dass der Beschwerdeführer in Mazedonien begründete Furcht vor Verfolgung iSd. Genfer Flüchtlingskonvention zu gewärtigen habe. Für den Fall einer Rückkehr des Beschwerdeführers nach Mazedonien seien keine Umstände amtsbekannt, dass in der Republik Mazedonien eine solch extreme Gefährdungslage bestünde, dass gleichsam jeder, der dorthin zurückkehre, einer Gefährdung im Sinne der Art. 2 und 3 EMRK ausgesetzt wäre, oder eine derartige humanitäre Katastrophe vorherrsche, dass das Überleben von Personen mangels Nahrung und Wohnraum tatsächlich in Frage gestellt wäre. Es werde weiters festgestellt, dass die Republik Mazedonien ein sicherer Herkunftsstaat sei. Das Vorbringen des Beschwerdeführers, wonach er wegen seiner politischen Meinung Probleme mit dem Bürgermeister seines Wohnortes gehabt habe und deshalb den Herkunftsstaat hätte verlassen müssen, werde der Entscheidung zugrunde gelegt. Andere Fluchtgründe habe der Beschwerdeführer dezidiert ausgeschlossen. Zum Entscheidungszeitpunkt liege eine beruflich oder ehrenamtliche politische Funktion des Beschwerdeführers nicht vor, eine soziale oder wirtschaftliche Benachteiligung des Beschwerdeführers sei auszuschließen, er spreche die Landessprache und sei ein Ausschluss aus dem in Mazedonien herrschenden Gesellschafts- und Kulturleben auszuschließen. Auch komme dem Beschwerdeführer weder durch Geburt, sozialer Stellung oder religiösem Fachwissen eine besonders herausragende Stellung in Mazedonien zu. Seine Bewegungsfreiheit sei nicht eingeschränkt. Entsprechende Rechtsschutzeinrichtungen und NGOs stünden zur Verfügung.

Zur Zuerkennung des subsidiären Schutzes stellte das Bundesamt weiters fest:

"Unbeschadet dieser Überlegungen wird allerdings zu berücksichtigen sein, dass Sie lange Jahre legal in Österreich gelebt und gearbeitet haben, Sie ferner auch sehr gut die deutsche Sprache beherrschen. Dies lässt den begründeten Schluss zu, dass nicht in Mazedonien sondern im Ausland ein wesentlicher Teil Ihrer Sozialisierung und Anpassung an dort übliche Gesellschaftsnormen stattgefunden hat, was Sie im eigentlichen Herkunftsland als eine außerhalb der Werteordnung stehende Person kenntlich macht. Nach ho. Meinung kann nicht ausgeschlossen werden, dass Sie damit keinen hinreichend sicheren Zugang zu sonst üblichen gesellschaftlichen und sozialen Einrichtungen Ihres Herkunftsstaates erhalten. Dies spricht zwar nicht hinreichend deutlich für eine Asylgewährung, schließt aber nicht aus, dass eine subsidiäre Schutzgewährung anzudenken sein wird."

Sodann führte das Bundesamt nach Wiedergabe der rechtlichen Bestimmung des § 8 AsylG 2005 die Zuerkennung des subsidiären Schutzes rechtlich begründend aus:

"In Ihrem Fall ging die Behörde von einer realen Gefahr einer solchen Bedrohung aus, weil Ihr sozialer Status nicht hinreichend sicher die Durchsetzungsmöglichkeit von elementaren Bürgerrechten garantiert."

Bezogen auf diesen Bescheid gab der Beschwerdeführer am 29.04.2014 einen Rechtsmittelverzicht ab. Der Bescheid erwuchs somit in Rechtskraft.

4. Am 21.04.2015 beantragte der Beschwerdeführer rechtzeitig vor Ablauf seiner befristeten Aufenthaltsberechtigung die Verlängerung seines Status als subsidiär Schutzberechtigter nach § 8 AsylG 2005.

Mit Bescheid des Bundesamtes vom 27.04.2015 wurde dem Beschwerdeführer die befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 bis zum 29.04.2017 erteilt.

5. Mit Schreiben des Bundesamtes vom 23.03.2017 beabsichtigte das Bundesamt den Beschwerdeführer darüber in Kenntnis zu setzen, dass das Bundesamt gegen den Beschwerdeführer von Amts die Aberkennung des ihm zuerkannten subsidiären Schutzes gemäß "§ 9 Abs. 2 Z 2 AsylG" beabsichtige. Das Schreiben konnte dem Beschwerdeführer jedoch nicht zugestellt werden.

6. Sowohl mittels vom Beschwerdeführer persönlich beim Bundesamt abgegebenen Antrag vom 10.03.2017 als auch mittels schriftlichem Antrag des Vereins "Projekt XXXX" vom 24.04.2017 beantragte der Beschwerdeführer sodann neuerlich rechtzeitig vor Ablauf seiner befristeten Aufenthaltsberechtigung deren weitere Verlängerung.

7. In weiterer Folge wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt am 14.06.2017 niederschriftlich einvernommen, im Zuge dessen über das gegenständliche Verfahren zur Aberkennung seiner subsidiären Schutzberechtigung informiert und ihm Länderinformationen zu Mazedonien ausgehändigt.

8. Mit dem oben im Spruch angeführten Bescheid des Bundesamtes vom 21.09.2017 wurde dem Beschwerdeführer der mit Bescheid vom 29.04.2014 zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 aberkannt und dem Beschwerdeführer zugleich gemäß § 9 Abs. 4 AsylG 2005 die mit Bescheid vom 27.04.2017 erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter entzogen und der Beschwerdeführer zur Rückgabe aller Aufenthaltsberechtigungskarten verpflichtet (Spruchpunkt I.). Dem Beschwerdeführer wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigunswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt und gegen den Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm.

§ 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen sowie gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung nach Mazedonien gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt II). Darüber hinaus wurde eine Frist zur freiwilligen Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG von 14 Tagen ab Rechtskraft der Entscheidung eingeräumt (Spruchpunkt III.).

Im Verfahrensgang zum nunmehr angefochtenen Bescheid führte die belangte Behörde an, dass aufgrund des vom Beschwerdeführer im Zuge der niederschriftlichen Einvernahme vom 14.06.2017 erstattenten Vorbringens seitens des Bundesamtes eine Anfrage an die Staatendokumentation zur aktuellen politischen Situation in Mazedonien und zur Mitte-Rechts-Partei "VMRO-DPMNE" gestellt worden und die entsprechende Anfragebeantwortung beim Bundesamt am 09.08.2017 eingelangt sei. Im Zuge der Erstellung der Anfragebeantwortung sei von einem Verbindungsbeamten in Mazedonien ermittelt worden. Zu den Gründen für die Aberkennung des subsidiären Schutzes des Beschwerdeführers stützte sich das Bundesamt großteils auf die eingeholte Anfragebeantwortung, welche aber nicht im Verwaltungsakt einliegt, nicht im angefochtenen Bescheid wiedergegeben und offensichtlich auch dem Beschwerdeführer vor Erlassung des angefochtenen Bescheides nicht vorgehalten wurde, und führte im Wesentlichen zusammengefasst aus, dass bei der Überprüfung der Situation in Mazedonien festgestellt worden sei, dass sich die Lage im Heimatstaat des Beschwerdeführers signifikant gebessesrt habe, sodass die Gründe für die seinerzeitige Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten jedenfalls aktuell nicht mehr vorliegen würden. Der Beschwerdeführer habe seine Probleme mit dem Bürgermeister im Heimatort aufgrund seiner Parteizugehörigkeit zur SDSM und seine widerrechtliche Inhaftierung nicht glaubhaft darlegen können. In der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation sei ausgeführt worden, dass die VMRODPM und ihre Sympathisanten zwar teilweise Druck auf Wähler ausgeübt hätten, jedoch nicht so offensichtlich und unter Einbindung der Exekutive. Angesichts der überfüllten Gefängnisse in Mazedonien sei eine widerrechtliche Inhaftierung des Beschwerdeführers als Druckmittel unwahrscheinlich. Es sei der Anfragebeantwortung zu entnehmen, dass der Grund für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten schon zum Zeitpunkt der Zuerkernnung als eher unwahrscheinlich zu beurteilen gewesen wäre. Eine extreme Gefährdungslage von der gleichsam jeder in Mazedonien betroffen wäre, liege nicht vor. Insbesondere sei der "Kosovo" seit 01.07.2009 als sicherer Herkunftsstaat in der Herkunftsstaatenverordnung klassifiziert. Es sei daher jedenfalls davon auszugehen, dass der "kosovarische Staat" grundsätzlich in der Lage sei, seine Bürger umfangreich zu schützen, Menschenrechte achte und ein geeignetes Rechtsschutzsystem zur Verfügung stehe. Aufgrund des Alters des Beschwerdeführers, seiner Sprachkenntnisse, seines Gesundheitszustandes, seiner Ausbilung und seiner Arbeitsfähigkeit könne es dem Beschwerdeführer zugemutet werden, seine Lebensbedürfnisse auch im Herkunftsstaat zu befriedigen, dorthin zurückzukehren und einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Art. 8 EMRK lägen ebenfalls nicht vor.

In der rechtlichen Beurteilung führte das Bundesamt zur Aberkennung des subsidiären Schutzes schließlich nach Anführung des § 9 Abs. 1 AsylG sowie des § 8 Abs. 1 AsylG aus:

"Da sich die Situation in Mazedonien wie oben ausgeführt jedenfalls grundlegend geändert hat, ist ein Endigungsgrund gemäß Aschnitt c.

z. 5 Genfer Flüchtlingskonvention eingetreten. Da die Gründe, die zur Gewährung subsidiären Schutzes führen, jedenfalls nicht mehr vorliegen, war Ihnen gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten abzuerkennen."

9. Dagegen erhob der Beschwerdeführer mit Schriftsatz seiner bevollmächtigten Rechtsvertretung vom 11.10.2017, beim Bundesamt am 12.10.2017 einlangend, rechtzeitig das Rechtsmittel der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Darin wurde beantragt, das Bundesverwaltungsgericht möge den angefochtenen Bescheid zur Gänze beheben und feststellen, dass der dem Beschwerdeführer mit Bescheid vom 27.04.2014 zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht gemäß § 9 Abs. 1 AsylG 2005 abzuerkennen ist und dem Beschwerdeführer daher der Status des subsidiär Schutzberechtigten weiterhin zukommt; in eventu eine mündliche Beschwerdeverhandlung samt Einvernahme des Beschwerdeführers anberaumen; in eventu verstsellen, dass die gemäß § 52 FPG erlassene Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist und dem Beschwerdeführern einen Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK ertelen; in eventu den angefochtenen Bescheid aufheben bzw. dahingehend abändern, dass dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen erteilt wird; in eventu die ordentliche Revision zulassen; in eventu den angefochtenen Bescheid ersatzlos beheben und zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das Bundesamt zurückverweisen.

10. Die gegenständliche Beschwerde und die Bezug habenden Verwaltungsakten wurden dem Bundesverwaltungsgericht vom Bundesamt vorgelegt und langten dort am 17.10.2017 ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Beweiswürdigung:

Der festgestellte Sachverhalt steht aufgrund der außer Zweifel stehenden und von den Parteien nicht beanstandeten Aktenlage fest.

2. Rechtliche Beurteilung:

2.1. Zuständigkeit und anzuwendendes Recht:

Gemäß § 6 Bundesverwaltungsgerichtsgesetz (BVwGG), BGBl. I Nr. 10/2013, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen eine Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Dies gilt auch für Verfahren, in denen die zitierten Angelegenheiten als Vorfragen zu beurteilen sind. Gegenständlich hat das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter zu entscheiden.

Gemäß § 1 VwGVG ist das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes durch das VwGVG, BGBl. I 2013/33 i. d.F. BGBl. I 2013/122, geregelt. Entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, bleiben gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte. Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013 idF BGBl. I 2013/122, geregelt (§ 1 leg. cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG durch Erkenntnis zu erledigen.

Soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist, erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG durch Beschluss.

2.2. Zu Spruchteil A):

Gemäß § 38 AVG ist, sofern die Gesetze nicht anderes bestimmen, die Behörde berechtigt, im Ermittlungsverfahren auftauchende Vorfragen, die als Hauptfragen von anderen Verwaltungsbehörden oder von den Gerichten zu entscheiden wären, nach der über die maßgebenden Verhältnisse gewonnenen eigenen Anschauung zu beurteilen und diese Beurteilung ihrem Bescheid zugrunde zu legen. Sie kann aber auch das Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung der Vorfrage aussetzen, wenn die Vorfrage schon den Gegenstand eines anhängigen Verfahrens bei der zuständigen Verwaltungsbehörde bzw. beim zuständigen Gericht bildet oder ein solches Verfahren gleichzeitig anhängig gemacht wird.

Nach ständiger Rechtsprechung bildet die Frage, wie Gemeinschaftsrecht auszulegen ist (vgl VwGH vom 20.02.2003, 2001/16/0518; vom 26.06.2003, 98/18/0334), einschließlich der Frage, ob es unmittelbar anwendbar ist (vgl. VwGH vom 29.01.2003, 99/03/0151) und innerstaatliches Recht verdrängt (vgl VwGH vom 04.03.1999, 98/16/0166; vom 31.01.2003, 2002/02/0158; vom 03.07.2003, 2000/15/0137), eine (solche) Vorfrage, weil sie zufolge dieses Auslegungsmonopols des EuGH in Angelegenheiten des primären und sekundären Gemeinschaftsrechts von einem (diesem) Gericht zu entscheiden ist (vgl. Hengstschläger/Leeb, AVG-Kommentar, § 38 AVG Rz 17 (Stand 01.07.2005, rdb.at).

Der VwGH sieht demnach sowohl die (Verwaltungs-)Behörden (vgl VwGH vom 19.09.2001, 2001/16/0439; vom 31.01.2003, 2002/02/0158; vom 19.12.2000, 99/12/0286) als auch - in unzähligen Beschlüssen (vgl zuletzt etwa Ro 2018/20/0001 vom 15.03.2018) - sich selbst als berechtigt an, das Verfahren gemäß § 62 Abs. 1 VwGG iVm. § 38 letzter Satz AVG auszusetzen, wenn die betreffende (noch nicht entschiedene) Frage insbesondere aufgrund eines Vorabentscheidungsersuchens - etwa des VwGH selbst (vgl zuletzt etwa Ro 2018/20/0001 vom 15.03.2018) oder eines ordentlichen Gerichtes (vgl. VwGH vom 04.10.2000, 2000/11/0108; vom 20.10.2004, 2003/14/0003) oder eines Gerichts iSd. EUV/AEUV eines anderen Mitgliedsstaates (vgl VwGH vom 20.02.2003, 2001/16/0518; vom 17.11.2004, 2002/14/0056) - in einem gleich gelagerten Fall bereits beim EuGH anhängig ist). Nach der Judikatur des VwGH ist der Tatbestand des § 38 letzter Satz AVG etwa schon verwirklicht, wenn die Grundverkehrs(berufungs)behörde UVS "in vergleichbarer Weise" wie das Grundbuchsgericht, das den Vorabentscheidungsantrag gestellt hat, zu prüfen hat, ob für ein Rechtsgeschäft eine grundverkehrsbehördliche Genehmigung erforderlich ist (vgl VwGH vom 31.01.2003, 2002/02/0158), wenn also eine Rechtsfrage beim EuGH anhängig ist, die jener im auszusetzenden Verfahren (bei der LReg) "(bloß) ähnlich" ist, weil sie "inhaltlich im Wesentlichen gleiche" Bestimmungen in der Abgabenordnung eines anderen Bundeslandes betrifft (vgl VwGH vom 19.09.2001, 2001/16/0439). Ferner genügt es, wenn eine von mehreren vorgelegten Fragen auch für die aussetzende Behörde präjudiziell ist (vgl. VwGH vom 31.01.2003, 2002/02/0158). Der Aussetzungsbescheid ist allerdings inhaltlich rechtswidrig, wenn das Verfahren darin nicht im Hinblick auf die Entscheidung des EuGH unterbrochen wird, sondern etwa im Spruch "unmissverständlich" auf die Erledigung des Verfahrens vor dem (vorlegenden) Gericht oder der Behörde (in dem die betreffende Rechtsfrage ja ebenfalls nur eine Vorfrage darstellen kann und nicht mit bindender Wirkung entschieden wird) abgestellt wird (vgl VwGH vom 19.12.2000, 99/12/0286; Hengstschläger/Leeb, AVG-Kommentar, § 38 AVG Rz 18).

Mit dieser Rechtsprechung gibt der VwGH zu erkennen, dass er den Vorabentscheidungsurteilen des EuGH Bindungswirkung nicht nur für den vorgelegten, sondern auch für alle gleich gelagerten Fälle beimisst (vgl Hengstschläger/Leeb, AVG-Kommentar, § 38 AVG Rz 19).

Der VwGH hat dem EuGH mit Beschluss vom 14.12.2017, Zahl EU 2017/0011 (Ra 2016/20/0038) im Rahmen eines beim VwGH anhängigen Revisionsverfahrens über die Rechtsmäßigkeit der Aberkennung von subsidiärem Schutz gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 erster Fall AsylG 2005 die folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

"Stehen die unionsrechtlichen Bestimmungen, insbesondere Art. 19 Abs. 3 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.12.2011 (Statusrichtlinie) einer nationalen Bestimmung eines Mitgliedsstaates betreffend die Möglichkeit der Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten entgegen, wonach auf Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten erkannt werden kann, ohne dass sich die für die Zuerkennung relevanten Tatsachenumstände selbst geändert haben, sondern nur der diesbezügliche Kenntnisstand der Behörde eine Änderung erfahren hat und dabei weder eine falsche Darstellung noch das Verschweigen von Tatsachen seitens des Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus ausschlaggebend waren?"

Im gegenständlich vor dem Bundesverwaltungsgericht angefochtenen Bescheid über die Aberkennung des Status des Beschwerdeführers als subsidiär Schutzberechtigten wird die Aberkennung dieses Status seitens der belangten Behörde zwar einerseits auf den - nach Ansicht der belangten Behörde vorliegenden - geänderten Sachverhalt gestützt, wonach die Gründe für die Zuerkennung iSd § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG "nicht mehr vorliegen" würden. Andererseits jedoch führt die belangte Behörde in ihrer Begründung des angefochtenen Bescheides und unter Bezugnahme auf die - allenfalls tatsächlich getätigte - Anfragebeantwortung der Staatendokumentation an, dass die Voraussetzungen der Gewährung von subsidiärem Schutz zum Zeitpunkt der Gewährung desselben im April 2014 iSd. § 9 Abs. 1 Z 1 erster Fall AsylG überhaupt nie vorgelegen seien, daher "nicht vorliegen".

Die belangte Behörde hat - wie oben zum Sachverhalt wiedergegeben - die Zuerkennung des subsidiären Schutzes auf das - offenbar glaubwürdige, weil dem Verfahren ohne weiteres zugrundegelegte - Vorbringen des Beschwerdeführers gestützt. Es hat sich bisher nicht herausgestellt, dass der Beschwerdeführer die belangten Behörde bewusst über Tatsachen getäuscht oder falsches Vorbringen erstattet hätte.

Insofern stellt sich im gegenständlichen Fall ebenso wie im Revisionsverfahren des VwGH zur Zahl Ra 2016/20/0038 die Frage, wie § 9 Abs. 1 Z 1 erster Fall AsylG im Lichte der Bestimmungen der Statusrichtlinie, dabei insbesondere Art. 19 Abs. 3 der Statusrichtlinie, auszulegen ist, nachdem § 9 Abs. 1 Z 1 erster Fall AsylG keine Differenzierung dahingehend vornimmt, ob die Voraussetzungen mangels Schutzbedrüftigkeit oder mangels Schutzwürdigkeit nicht vorlagen. Die Bestimmung enthält ihrem Wortlaut nach auch keine Einschränkung, wonach nur "die Erschleichung" zu einer Durchbrechung der Rechtskraft führen könne, sodass auch ein (bloßer) Irrtum der Behörde vom Anwendungsbereich der Bestimmung umfasst ist.

Hingegen sieht Art. 19 Abs. 3 Statusrichtlinie in der Aufzählung eine Aberkennung des subsidiären Schutzes bloß aufgrund neuer Ermittlungsergebnisse der Behörde nicht vor.

Die Beantwortung der gemäß Art. 267 AEUV mit Beschluss des VwGH vom 14.12.2017, EU 2017/0011 (Ra 2016/20/0038), dem EuGH (dort protokolliert zur Zahl C-720/17) zur Vorabentscheidung vorgelegten und weiter oben bereits wiedergegebenen Frage kommt auch für die Behandlung der vorliegenden Beschwerde Bedeutung zu. Da ein Verfahren zur Klräung ebendieser Frage beim EuGH bereits anhängig und noch nicht abgeschlossen ist, liegen die Voraussetzungen des § 38 AVG iVm. § 17 VwGVG vor, weshalb das Beschwerdeverfahren auszusetzen war.

Zu Spruchteil B): Unzulässigekit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.

Schlagworte

Aussetzung, EuGH, Vorabentscheidungsverfahren

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:G308.2173621.1.00

Zuletzt aktualisiert am

04.09.2018
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten