TE Bvwg Beschluss 2018/6/1 L521 2129854-2

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Veröffentlicht am 01.06.2018
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Entscheidungsdatum

01.06.2018

Norm

AVG §38 Satz2
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §17

Spruch

L521 2129854-2/13Z

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch den Richter MMag. Mathias KOPF, LL.M. im Verfahren über die Beschwerde von XXXX Staatsangehörigkeit Irak, vertreten durch Diakonie Flüchtlingsdienst gemeinnützige GmbH und Volkshilfe Flüchtlings- und MigrantInnenbetreuung GmbH als Mitglieder der ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, 1170 Wien, Wattgasse 48, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 10.07.2017, Zl. 1051809404-170681757, nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 23.01.2018:

A)

Das Beschwerdeverfahren wird gemäß § 38, zweiter Satz 2 AVG 1991 idF BGBl I Nr. 161/2013 iVm § 17 VwGVG idF BGBl I Nr. 138/2017, ausgesetzt.

B)

Die Revision ist gemäß Artikel 133 Absatz 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang:

1. Asylverfahren:

1.1. Der Beschwerdeführer stellte im Gefolge seiner schlepperunterstützten unrechtmäßigen Einreise in das Bundesgebiet am 12.02.2015 vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes einen Antrag auf internationalen Schutz.

Zu den Gründen seiner Ausreise aus dem Heimatland befragt, führte der Beschwerdeführer aus, er habe für einen Fernsehsender gearbeitet und sei von Milizen aufgefordert worden, seinen Beruf aufzugeben. Dennoch habe er weiter gearbeitet. Sein Bruder sei daraufhin entführt und getötet worden, weshalb er das Land verlassen habe.

1.2. Nach Zulassung des Verfahrens wurde der Beschwerdeführer am 28.01.2016 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Salzburg, im Beisein eines geeigneten Dolmetschers in arabischer Sprache niederschriftlich vor dem zur Entscheidung berufenen Organwalter einvernommen.

Befragt nach dem Grund für das Verlassen des Heimatstaates gab der Beschwerdeführer an, als Techniker für einen irakischen Fernsehsender gearbeitet zu haben. Die Miliz Legan al-Kasas al-Adel habe ihm am 02.07.2014 einen Drohbrief zukommen lassen, wonach er bei einem Fernsehsender für Ungläubige arbeiten würde und deshalb mit ihm "nach dem Recht abzurechnen" sei. Seine Mutter habe den Drohbrief zur Polizei gebracht. Schon am 01.07.2014 habe er einen Anruf mit unterdrückter Nummer erhalten und sei von einem Mitglied der genannten Miliz aufgefordert worden, seine Arbeit zu beenden.

Da er dennoch weiter gearbeitet habe, sei sein Bruder ermordet worden, auch seinen Vater hätten die Milizen entführt und erst gegen Bezahlung von USD 60.000,00 an Lösegeld wieder freigelassen. Aufgrund dieser Ereignisse habe er den Irak verlassen.

1.3. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 15.06.2016 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 wurde dem Beschwerdeführer der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II) sowie unter Anwendung des § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 15.06.2017 erteilt (Spruchpunkt III).

Begründend führte die belangte Behörde nach der Wiedergabe der Einvernahme des Beschwerdeführers und den Feststellungen zu dessen Person aus, der Beschwerdeführer habe den Irak aufgrund der wirtschaftlichen Situation oder sonstigen Gründen verlassen. Es könne nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Irak einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt gewesen wäre oder einer solchen derzeit ausgesetzt sei.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl legte seiner Entscheidung ferner Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers zugrunde (vgl. die Seiten 19-55 des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 15.06.2016).

Beweiswürdigend erwog die belangte Behörde im Wesentlichen, das Vorbringen des Beschwerdeführers erscheine konstruiert, abenteuerlich und unglaubwürdig. Eine individuelle Verfolgung des Beschwerdeführers werde deshalb nicht als glaubhaft erachtet.

In rechtlicher Hinsicht folgerte die belangte Behörde, der Beschwerdeführer habe keine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung glaubhaft gemacht, sodass kein internationaler Schutz zu gewähren sei. Aufgrund der Sicherheitslage sei dem Beschwerdeführer dessen ungeachtet der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, da im Irak die reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention oder einer ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit des Beschwerdeführers infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes bestünde.

1.4. Gegen Spruchpunkt I dieses Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl richtete sich die fristgerecht eingebrachte Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.

1.5. Am 22.03.2017 wurde vor dem Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung im Beisein des Beschwerdeführers, seiner damaligen rechtsfreundlichen Vertretung und eines Dolmetschers für die arabische Sprache durchgeführt. Im Verlauf dieser Verhandlung wurde dem Beschwerdeführer einerseits Gelegenheit gegeben, neuerlich seine Ausreisemotivation umfassend darzulegen sowie die aktuelle Lageentwicklung im Irak anhand aktueller Länderdokumentationsunterlagen erörtert, welche dem Beschwerdeführer ausgefolgt und eine Stellungnahme hiezu freigestellt wurde.

1.6. Am 29.03.2017 langte eine Stellungnahme des Beschwerdeführers insbesondere zu den ihm in der mündlichen Verhandlung ausgefolgten Länderdokumentationsunterlagen beim Bundesverwaltungsgericht sein.

1.7. Mit Note des Bundesverwaltungsgerichtes vom 17.07.2017 wurde der Beschwerdeführer aufgefordert, von ihm im Verfahren erster Instanz in Vorlage gebrachte Bescheinigungsmittel nachzureichen, da diese seitens des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl nicht zum Akt genommen wurden. Der Beschwerdeführer entsprach der Aufforderung und brachte mit E-Mail vom 27.07.2017 zahlreiche Urkunden in arabischer Sprache in Vorlage, welche in der Folge einer Übersetzung zugeführt wurden.

1.8. Nach Einlangen der Übersetzungen richtete das Bundesverwaltungsgericht am 17.08.2017 eine Anfrage an die Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl. Die Anfragebeantwortung vom 14.11.2017 langte am 17.11.2017 ein.

1.9. Mit Note des Bundesverwaltungsgerichtes wurden dem Beschwerdeführer die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17.11.2017 und eine weitere Anfragebeantwortung vom 08.11.2017 und aktualisierte länderkundliche Informationen zur allgemeinen Lage im Irak zur Stellungnahme übermittelt. Die diesbezügliche Stellungnahme langte am 05.12.2017 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

1.10. Das Bundesverwaltungsgericht gab der seitens des Beschwerdeführers erhobenen Beschwerde mit Erkenntnis vom 22.12.2017, L521 2129854-1/23E, keine Folge.

2. Aberkennungsverfahren im Hinblick auf den Status eines subsidiär Schutzberechtigten:

2.1. Am 05.05.2017 beantragte der Beschwerdeführer beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Verlängerung seiner befristeten Aufenthaltsberechtigung.

2.2. Mit Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme vom 09.06.2017 wurde dem Beschwerdeführer seitens des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl unter Hinweis auf mittlerweile im Irak existierende Gebiete, in welche eine Rückkehr ohne Gefährdung der in Artikel 2 und Artikel 3 EMRK garantieren Rechte stattfinden könne, die Einleitung eines Verfahrens zur Aberkennung seines Status als subsidiär Schutzberechtigter zur Kenntnis gebracht, zumal der Beschwerdeführer mit Urteil eines österreichisches Landesgerichtes vom 11.03.2016 rechtskräftig wegen des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Absatz 1 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von drei Monaten unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren verurteilt wurde.

Dem Beschwerdeführer wurde in diesem Zusammenhang die Möglichkeit eingeräumt, sich zu einem umfangreichen Fragenkatalog zu verschiedenen im Schreiben aufgelisteten Themenbereichen binnen vierzehn Tagen ab Erhalt dieses Schreibens zu äußern. Ferner wurden dem Beschwerdeführer die aktuellen Länderfeststellungen zum Irak übermittelt.

2.3. Am 04.07.2017 langte eine Stellungnahme des Beschwerdeführers zu dem ihm übermittelten Ergebnis der Beweisaufnahme, insbesondere zu den Länderdokumentationsunterlagen, bei der belangten Behörde ein.

2.4. Mit dem im Spruch bezeichneten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 10.07.2017 wurde der dem Beschwerdeführer mit Bescheid vom 15.06.2016, Zl. 1051809404-150166445, zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 AsylG 2005 von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt I). Der Antrag vom 05.05.2017 auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung wurde abgewiesen (Spruchpunkt II). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 5 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 4 FPG 2005 erlassen und gemäß § 52 Absatz 9 FPG 2005 festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers in den Irak gemäß § 46 FPG 2005 zulässig sei (Spruchpunkt III). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 2005 wurde ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV).

Begründend führte die belangte Behörde nach den Feststellungen zu dessen Person aus, dem Beschwerdeführer sei der Status des subsidiär Schutzberechtigten aufgrund einer Gefahr für dessen körperliche Integrität bzw. sein Leben zuerkannt worden.

Obschon die Lage im Irak nach wie vor teilweise prekär sei, stehe einer sicheren Rückkehr in manche Gebiete nunmehr nichts entgegen. Eine Rückkehr in seine Heimat sei dem Beschwerdeführer zumutbar und möglich. Insbesondere drohe ihm im Falle seiner Rückkehr weder eine Gefährdung des Lebens oder seiner Sicherheit bzw. unmenschliche Behandlung oder Bestrafung, noch würde er in eine ausweglose Lage geraten.

In rechtlicher Hinsicht folgerte die belangte Behörde, dem Beschwerdeführer stehe eine innerstaatliche Fluchtalternative in der autonomen Region Kurdistan, in Bagdad oder in Mossul zur Verfügung, sodass gemäß § 9 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuerkennen sei. Die Abweisung des Antrages auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung sei eine logische Konsequenz aus Spruchpunkt I. Dem Beschwerdeführer sei schließlich kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 zu erteilen und überwiege das öffentliche Interesse an einem geordneten Fremdenwesen und dem geordneten Zuzug von Fremden das Interesse des Beschwerdeführers an einem Verbleib in Österreich.

2.5. Mit Verfahrensanordnungen des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 10.07.2017 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 52 Absatz 1 BFA-VG amtswegig ein Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren zur Seite gestellt und dieser ferner gemäß § 52a Absatz 2 BFA-VG darüber informiert, dass er verpflichtet sei, ein Rückkehrberatungsgespräch in Anspruch zu nehmen.

2.6. Gegen den dem Beschwerdeführer am 14.07.2017 durch Hinterlegung zugestellten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl richtet sich die fristgerecht eingebrachte Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.

In dieser wird Mangelhaftigkeit des Verfahrens und inhaltliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheids, wobei insbesondere die Beweiswürdigung und die rechtliche Beurteilung des erhobenen Sachverhaltes als mangelhaft gerügt werden, moniert und beantragt, den angefochtenen Bescheid aufzuheben, den angefochtenen Bescheid abzuändern, dass dem Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung vom 05.05.2017 Folge gegeben werde, hilfsweise den angefochtenen Bescheid dahingehend abzuändern, dass dem Beschwerdeführer der Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak zuerkannt werde, hilfsweise die Abschiebung in den Irak für unzulässig zu erklären, hilfsweise den angefochtenen Bescheid zur Gänze zu beheben und zur Ergänzung des Verfahrens und neuerlichen Entscheidung an das Bundesamt zurückzuverweisen und jedenfalls eine mündliche Beschwerdeverhandlung durchzuführen.

2.7. Die Beschwerdevorlage langte am 03.08.2017 beim Bundesverwaltungsgericht ein. Die Rechtssache wurde in weiterer Folge der nun zur Entscheidung berufenen Abteilung des Bundesverwaltungsgerichts zugewiesen.

2.8. Mit E-Mail vom 24.08.2017 übermittelte der Beschwerdeführer zwei Dokumente bezüglich seiner Integration in Österreich.

2.9. Am 14.12.2017 legte der Verwaltungsgerichthof zu Zl. EU 2017/0011-1 (Ra 2016/20/0038) dem Gerichtshof der Europäischen Union die Frage, ob die unionsrechtlichen Bestimmungen, insbesondere Art. 19 Abs. 3 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 (Statusrichtlinie) einer nationalen Bestimmung eines Mitgliedstaates betreffend die Möglichkeit der Aberkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten entgegen stehen, wonach auf Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten erkannt werden kann, ohne dass sich die für die Zuerkennung relevanten Tatsachenumstände selbst geändert haben, sondern nur der diesbezügliche Kenntnisstand der Behörde eine Änderung erfahren hat und dabei weder eine falsche Darstellung noch das Verschweigen von Tatsachen seitens des Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus ausschlaggebend waren, zur Vorabentscheidung vor (siehe hiezu weiter unten).

2.10. Am 23.01.2018 wurde vor dem Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung im Beisein des Beschwerdeführers sowie eines Dolmetschers für die arabische Sprache durchgeführt.

Im Verlauf dieser Verhandlung wurde dem Beschwerdeführer einerseits Gelegenheit gegeben, seine Rückkehrbefürchtungen umfassend darzulegen sowie die aktuelle Lageentwicklung im Irak anhand aktueller Länderdokumentationsunterlagen erörtert, welche dem Beschwerdeführer zur Abgabe einer Stellungnahme ausgefolgt wurden. Seitens des Beschwerdeführers wurden im Übrigen Unterlagen zur Integration im Bundesgebiet in Vorlage gebracht.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ist der mündlichen Verhandlung entschuldigt ferngeblieben und hat die Abweisung der gegenständlichen Beschwerde mit Schreiben vom 23.01.2018 beantragt.

2.11. Mit Telefax vom 15.03.2018 richtete das Bundesverwaltungsgericht ein Übermittlungsersuchen an das Landesgericht für Strafsachen Wien bezüglich des Aktes, GZ. 41 Hv 42/17w.

2.12. Am 20.03.2018 langte eine Stellungnahme des Beschwerdeführers insbesondere zu den ihm in der mündlichen Verhandlung ausgefolgten Länderdokumentationsunterlagen beim Bundesverwaltungsgericht ein.

2.13. Der angeforderte Strafakt langte am 26.03.2018 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen und Beweiswürdigung:

1.1. Der oben dargestellte Verfahrensgang wird als maßgeblicher Sachverhalt festgestellt.

1.2. Die Feststellungen ergeben sich zweifelsfrei aus den Akten des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl und des Bundesverwaltungsgerichts sowie der Einsichtnahme in den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes zu Zl. EU 2017/0011-1 (Ra 2016/20/0038).

2. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Aussetzung des Beschwerdeverfahrens:

2.1. Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

§ 38 AVG lautet: "Sofern die Gesetze nicht anderes bestimmen, ist die Behörde berechtigt, im Ermittlungsverfahren auftauchende Vorfragen, die als Hauptfragen von anderen Verwaltungsbehörden oder von den Gerichten zu entscheiden wären, nach der über die maßgebenden Verhältnisse gewonnenen eigenen Anschauung zu beurteilen und diese Beurteilung ihrem Bescheid zugrunde zu legen. Sie kann aber auch das Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung der Vorfrage aussetzen, wenn die Vorfrage schon den Gegenstand eines anhängigen Verfahrens bei der zuständigen Verwaltungsbehörde bzw. beim zuständigen Gericht bildet oder ein solches Verfahren gleichzeitig anhängig gemacht wird."

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes entspricht es nach § 38 AVG dem Gesetz, im Fall von beim Gerichtshof der Europäischen Union anhängigen Vorabentscheidungsverfahren ein Verwaltungsverfahren auszusetzen, wenn die zu entscheidende Vorlagefrage für das Verfahren präjudiziell ist (vgl. zB VwGH 28.10.2008, 2008/05/0129; 09.12.2010, 2009/09/0260; 26.04.2011, 2011/03/0015; 09.11.2011, 2011/22/0284; 13.12.2011, 2011/22/0316).

Gemäß § 17 VwGVG ist § 38 AVG auch von den Verwaltungsgerichten anzuwenden (vgl. Kolonovits/Muzak/Stöger, Verwaltungsverfahrensrecht (2014), Rz 313).

2.2. Im vorliegenden Fall liegt dem oa. Vorabentscheidungsersuchen des Verwaltungsgerichtshofes an den Gerichtshof der Europäischen Union ein Fall zugrunde, in dem einem Asylwerber mit - insoweit rechtskräftigem - Bescheid des Bundesasylamts vom 27. Oktober 2010 der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Algerien zuerkannt wurde, wobei das Bundesasylamt davon ausging, dass der Asylwerber ein Staatsangehöriger Algeriens sei.

Im folgenden Bescheid vom 24. Oktober 2012 geht das Bundesasylamt selbst davon aus, dass sich die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten auf Tatsachen gründe, die durch Ermittlungsschritte nach der erfolgten Gewährung hervorgekommen seien. Ein Verschulden des Asylwerbers an der verzögerten Aufklärung wird nicht festgestellt. Im Gegenteil habe dieser mehrfach darauf hingewiesen, dass er nicht über die algerische Staatsbürgerschaft verfüge, sondern staatenlos sei.

In der Begründung des mit einer außerordentlichen Revision an der Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Erkenntnisses führt das Bundesverwaltungsgericht zur Frage der Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten aus, Algerien sei nicht der Herkunftsstaat des Asylwerbers. Es lägen die Voraussetzungen des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 in Bezug auf den Antrag des Asylwerbers nicht vor, weshalb die Beschwerde gegen die Aberkennung des subsidiären Schutzstatus abzuweisen sei.

Der vom Bundesverwaltungsgericht festgestellte Sachverhalt enthält keinen Hinweis darauf, dass sich die rechtlich relevanten Umstände seit der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten an sich geändert hätten. Die Aberkennung beruhte vielmehr auf der Feststellung eines aufgrund ergänzender Ermittlungen anders festgestellten Sachverhalts.

Dabei stützt sich das Bundesverwaltungsgericht auf § 9 Abs. 1 Z 1 erster Fall AsylG 2005, wonach der Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuerkennen ist, wenn die Voraussetzungen für die Zuerkennung nicht vorliegen, und geht sohin davon aus, dass dieser Tatbestand den Fall des Hervorkommens von Tatsachen erfasst, die bereits zum Zeitpunkt der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten vorhanden, aber nicht bekannt waren.

Diesbezüglich wurde dem Gerichtshof der Europäischen Union die oben unter Punkt I.2.9. angeführte Frage zur Vorabentscheidung aufgrund folgender Überlegungen von Seiten des Verwaltungsgerichtshofes vorgelegt:

"Nach § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 ist der subsidiäre Schutz von der Behörde abzuerkennen, wenn die Voraussetzungen für die Zuerkennung "nicht oder nicht mehr" vorliegen.

Der erste Fall des § 9 Abs. 1 Z 1 leg cit stellt darauf ab, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung bereits zum Zeitpunkt der betreffenden Entscheidung nicht vorlagen. Der zweite Fall des § 9 Abs. 1 Z 1 leg cit umfasst hingegen jene Fälle, in welchen die Umstände, die zur Zuerkennung des Schutzanspruches geführt haben, nachträglich weggefallen sind oder sich so verändert haben, dass der Schutz nicht mehr vorgesehen ist.

Fallbezogen handelt es sich um die Anwendung des ersten Falles des § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005. Dieser Tatbestand nimmt keine Differenzierung, ob die Voraussetzungen mangels Schutzwürdigkeit oder mangels Schutzbedürftigkeit nicht vorlagen, vor. Die Bestimmung enthält dem Wortlaut nach auch keine Einschränkung, wonach nur "die Erschleichung" zu einer Durchbrechung der Rechtskraft führen könne, sodass auch ein (bloßer) Irrtum der Behörde vom Anwendungsbereich der Bestimmung umfasst ist.

Gemäß Art. 19 Abs. 3 lit b der Statusrichtlinie erkennen die Mitgliedsstaaten einem Drittstaatsangehörigen oder einem Staatenlosen den subsidiären Schutzstatus ab, wenn eine falsche Darstellung oder das Verschweigen von Tatsachen seinerseits, einschließlich der Verwendung falscher oder gefälschter Dokumente, für die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus ausschlaggebend war. Eine Aberkennung des subsidiären Schutzstatus bloß aufgrund neuer Ermittlungsergebnisse der Behörde sieht die Statusrichtlinie in dieser Aufzählung nicht vor (vgl. Dörin ua, Directive 2011/95/EU in Hailbronner/Thym (Hrsg) EU Immigration and Asylum Law (2016) Art. 16 Rz 2 ff, in Zusammenschau mit Art. 11 Rz 16; zu den im Wesentlichen und hier einschlägigen gleichlautenden Bestimmungen der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes, vgl. Marx, Handbuch zum Flüchtlingsschutz (2012) 614 ff).

Daraus könnte der Schluss gezogen werden, dass die Aberkennung des subsidiären Schutzstatus im Falle grundsätzlich unverändert gebliebener Tatsachenumstände trotz irrtümlicher Annahme des Vorliegens eines die Zuerkennung rechtfertigenden Sachverhalts seitens der Behörde dann nicht zu einer Aberkennung führen darf, wenn der vom subsidiären Schutzstatus begünstigte Drittstaatsangehörige oder Staatenlose kein Verhalten im Sinne des Art. 19 Abs. 3 lit b der Statusrichtlinie verantwortet.

Andererseits normiert Art. 19 Abs. 1 Statusrichtlinie, dass bei Anträgen auf internationalen Schutz, die nach Inkrafttreten der Richtlinie 2004/83/EG gestellt wurden, die Mitgliedstaaten einem Drittstaatsangehörigen oder einem Staatenlosen den von einer Regierungs- oder Verwaltungsbehörde, einem Gericht oder einer gerichtsähnlichen Behörde zuerkannten subsidiären Schutzstatus aberkennen, diesen beenden oder seine Verlängerung ablehnen, wenn die betreffende Person gemäß Artikel 16 nicht länger Anspruch auf subsidiären Schutz erheben kann.

Gemäß Art. 16 Abs. 1 Statusrichtlinie hat ein Drittstaatsangehöriger oder ein Staatenloser keinen Anspruch auf subsidiären Schutz mehr, wenn die Umstände, die zur Zuerkennung des subsidiären Schutzes geführt haben, nicht mehr bestehen. Dieser Wortlaut kann dahingehend interpretiert werden, dass es sich bei den Umständen um die bei der Zuerkennung bekannten Umstände handelt, sodass auch der geänderte Kenntnisstand der Behörde ein Erlöschen des Anspruchs des Schutzstatus zur Folge hätte.

Bei solcher Auslegung kann dann auch die Wortfolge "wenn die betreffende Person gemäß Artikel 16 nicht länger Anspruch auf subsidiären Schutz erheben kann" des Art. 19 Abs. 1 Statusrichtlinie wegen des Verweises auf Art. 16 leg.cit. dahingehend verstanden werden, dass die einschlägigen unionsrechtlichen Bestimmungen einer Aberkennung des subsidiären Schutzstatus infolge eines (bloß) geänderten Kenntnisstandes der Behörde über die an sich unverändert gebliebenen Tatsachenumstände ohne Rücksicht auf eine Verantwortung des subsidiär Schutzberechtigten für die Ermittlungsergebnisse nicht entgegen stehen."

2.3. Das Bundesverwaltungsgericht geht nun davon aus, dass es sich gegenständlich um ein dem erwähnten Vorabentscheidungsersuchen des Verwaltungsgerichtshofes zugrundeliegenden Fall ähnlich gelagertes Beschwerdeverfahren handelt. Der Beantwortung der oben angeführten Frage durch den Gerichtshof der Europäischen Union kommt auch bei der Behandlung der vorliegenden Beschwerde Bedeutung zu.

Die vom Verwaltungsgerichtshof vom 14.12.2017, EU 2017/0011-1 (Ra 2016/20/0038), beantragte Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist für die hier zu beurteilende Rechtsfrage insoweit präjudiziell, weshalb das Verfahren bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union in diesem Verfahren ausgesetzt wird.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung (vgl. die unter A) zitierte Rechtsprechung) oder bestünden Zweifel an der Präjudizialität der Vorlagefrage für das vorliegende Verfahren; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Aussetzung, EuGH, Vorabentscheidungsverfahren

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:L521.2129854.2.00

Zuletzt aktualisiert am

31.08.2018
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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